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Plakat mit Friedrich Merz an einer Bushaltestelle. Davor eine hölzerne Sitzbank. Text: Der Richtige zur richtigen Zeit.

Vom Sparheimer zum Billionen-Schulden-Kanzler

Nach dem ‚Horrorkabinett‘ in Angela Merkels letzter Amtsperiode und der ‚Laienspielgruppe‘, die unter Olaf Scholz ihr Gastspiel abbrechen musste, macht sich nun Friedrich Merz auf den Weg ins räumlich ausufernde Kanzleramt. Natürlich muss jeder Politiker heute nicht nur mit den eigenen Parteioligarchen Kompromisse aushandeln, sondern mit dem oder den Koalitionspartnern. Längst sind die Volksparteien CDU und SPD ziemlich zusammengeschrumpelt, was die Ergebnisse der Bundestagswahl im Februar 2025 erneut deutlich machten: Die Union wurde zum Sieger gekrönt, gleichwohl mit dem zweitschlechtesten Ergebnis (28,6 %) seit ihrer Gründung, allein mit Armin Laschet kam die Union 2021 noch gerupfter ins Ziel. Die SPD hat mit 16,4 % ohnehin den Nimbus einer Volkspartei längst verspielt. Doch in den Sondierungsgesprächen konnten die Sozialdemokraten den so kämpferisch in die Wahl gezogenen Friedrich Merz über den Tisch ziehen. Statt dem von Merz propagierten Kassensturz und Einsparungen soll es reichlich ‚Sondervermögen‘ – sprich ‚Sonderschulden‘ – für die Infrastruktur und eine Aufhebung der Schuldenbremse für die Landesverteidigung geben, obwohl gerade die Schuldenbremse gewissermaßen als Reliquie von der Union vorangetragen wurde. Stolperte nicht die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP über weit geringere Finanztricksereien und CDU/CSU versprachen, sich für den Erhalt der Schuldenbremse in die Bresche zu werfen? Nun gut, so denkt wohl Friedrich Merz, die Zeiten haben sich geändert – und bei den Mitteln für die Landesverteidigung sehe ich das auch so -, aber die marode Infrastruktur war wahrlich vor dem Wahltag erkennbar. Doch da wollte Merz noch alle Herausforderungen mit Kürzungen, z. B. beim Bürgergeld, in den Griff bekommen. Wer handelt wie Friedrich Merz, der verspielt das gewährte Vertrauen bereits vor dem Einzug ins Kanzleramt. Im abgewählten Bundestag hofft Merz, mit Unterstützung von SPD und Grünen, die Verfassungsänderungen durchzubringen, indessen legt sich ausgerechnet Bündnis90/Die Grünen bisher quer, obwohl sie selbst eifrig für die Aufhebung der Schuldenbremse geworben hatten. Ein paar freundliche Worte und einige hundert Milliarden für den Umweltschutz allerdings könnten die Grünen sicherlich besänftigen.

Straßenschild Bodenwelle in rotem Dreick auf weißem Grund. Darunter: "Straßenschäden".
Die Infrastruktur ist in Deutschland zunehmend marode, doch das hätte Friedrich Merz bereits vor der Bundestagswahl erkennen können. Er verspielt das ihm per Wählerstimmen gewährte Vertrauen, wenn er nach der Wahl ein Billionen-Schulden-Paket auflegt und dabei eine vorhergehende Aufgabenkritik vermissen lässt. Ist aus einem Sparheimer ein Schulden-Kanzler in spe geworden? (Bild: Ulsamer)

Die Spendierhosen angezogen

Liest man das Ergebnis der Sondierungen, dann entpuppt sich das von Union und SPD erarbeitete Papier als eine Art Anleitung zum Geldausgeben. Kein Wunder, denn die Sozialdemokraten haben trotz zahlreicher Wahlniederlagen nicht akzeptiert, dass man die Probleme nicht löst und die Wähler nicht zurückgewinnen kann, indem man das Füllhorn mit freundlichen Gaben über das Land ausschüttet. Zu viele Bürger haben eben erkannt, dass ungebremstes Schuldenmachen gerade den nachwachsenden Generationen politische und finanzielle Spielräume raubt. „Mit einem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro bringen wir unser Land wieder in Form – durch Investitionen in Straßen, Schienen, Bildung, Digitalisierung, Energie und Gesundheit“, so die Sondierer von Union und SPD. Versprach nicht Friedrich Merz mit seiner CDU zuerst einen Kassensturz durchzuführen, danach Einsparmöglichkeiten auszuschöpfen und erst anschließend gegebenenfalls den Schuldentopf zu vergrößern?

Genauso lächerlich ist es, wenn CDU-Politiker einen Zusammenhang herstellen wollen zwischen der Abwendung des US-Präsidenten von Europa und der Sanierung unserer Infrastruktur. Kaum hatte der polternde Egomane Donald Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus dem Weißen Haus geworfen, da brauchten Brücken eine Sanierung, damit sie für Militärkonvois nutzbar bleiben. Dass die Infrastruktur in unserem Land mehr als ein Facelift benötigt, ist seit Jahren jedem klar, der in Deutschland unterwegs ist. Das trifft für Schienenwege und Straßen gleichermaßen zu. Die Brücken bröseln vor sich hin, die Schiffe stauen sich an kaputten Schleusenkammern, die Straßen werden immer löchriger und die Bahn rattert wie gewohnt unpünktlich über marode Schienen. Noch in ihrem Bundestagswahlprogramm 2017 verkündete die Union: „Deutschland ist weltweit Vorzeigeland für seine Infrastruktur“. Nur wer durch eine rosa Brille schaut oder im Hubschrauber unterwegs ist, der konnte solchen Unfug erzählen. Eine Reise in unsere Nachbarländer macht schnell deutlich, dass es auch Straßen ohne Schlaglöcher und pünktliche Züge gibt. Sollte die Beseitigung infrastruktureller Mängel nicht, wenn man dem Kanzlerkandidaten Merz lauschte, durch Kürzungen an anderer Stelle finanziert werden? Wer die Sozialdemokraten ins Kabinettsbett locken möchte, der muss eben ein hohes Brautgeld ausloben. Doch so richtig passt diese Vorgehensweise nicht mit den Aussagen der Union im Wahlkampf zusammen. Friedrich Merz, Saskia Esken und Lars Klingbeil haben die Spendierhosen angezogen! Esken und Klingbeil scheinen zu meinen, man könne den Wahlkampf versieben und als SPD-Vorsitzende im Amt bleiben, Hauptsache es werden Billionen an Schulden gemacht.

Gezogen von einem grünen Traktor wird aus dem Tankanhänger gut erkennbar Gülle auf das Grünland geschleudert.
„Landwirten den Rücken stärken“, so lautet das Motto im Sondierungspapier. Und was folgt? „Wir werden die Agrardiesel-Rückvergütung vollständig wieder einführen.“ Dies war zu erwarten, doch führen Subventionen für den Sprit von Traktoren gewiss nicht zu einer nachhaltigen und ökologischen Landwirtschaft. Mehr dazu in: ‚Bauernversteher als Totengräber der Natur und der Höfe. Gemeinsam mit den Landwirten ein neues Agrarsystem schaffen‘. (Bild: Ulsamer)

Bauern, Gastwirte und Pendler beglücken

Die Bauern sollen die fragwürdigen Subventionen für den Agrardiesel zurückerhalten, die Gastwirte dürfen sich über einen Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent freuen, eine Steuerreform soll die „breite Mittelschicht“ beglücken, die Stromsteuer soll ermäßigt und die Pendlerpauschale erhöht werden, und natürlich hat die SPD den von ihrem kläglich gescheiterten Kanzlerkandidaten Olaf Scholz propagierten Mindestlohn von 15 Euro fest im Blick. Geradezu absurd ist es, wenn Union und SPD betonen: „An einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission halten wir fest.“ Denn anschließend heißt es: „Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns wird sich die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“ Welchen Sinn hat eine Kommission, wenn die zukünftige Bundesregierung bereits vorgibt, was sie zu tun hat? Neu ist eine solche Vorgehensweise nicht, denn 2022 erfolgte die Festlegung des Mindestlohns ebenfalls durch eine Vorgabe der Scholz-Regierung. Wenn schon die Bürokratisierung reduziert werden soll, dann kann man gleich die Kommission für den Mindestlohn abschaffen.

Ein großes Gebäude mit viel Beton und Glas. Das Bundeskanzleramt - von der Spree aus gesehen.
Erfolgt mit Friedrich Merz im Kanzleramt wirklich ein Politikwechsel? Das Sondierungspapier verspricht leider eher ein Weiter so. Schulden in Billionenhöhe sollen es ermöglichen, ohne eine echte Aufgabenkritik die Geschäfte führen zu können. Ganz passend wird die Fläche des Bundeskanzleramts verdoppelt. Mehr zu diesem leidigen Thema finden Sie in meinem Beitrag ‘Bundeskanzleramt: Prunk und Protz. Der Erweiterungsbaubau passt nicht in unsere Zeit‘.(Bild: Ulsamer)

„Die Digitalisierung ist zentral für die Modernisierung des Staates – sie macht Verwaltung effizienter, transparenter und bürgerfreundlicher“, so heißt es im Sondierungspapier. Jahr für Jahr die gleichen freundlichen Sätze, doch leider fehlt es am politischen Handeln. Und reichlich naiv klingt es in einem Gastbeitrag von Friedrich Merz für die ‚Welt am Sonntag‘, zumindest für mich, wenn er schreibt: „Einen Digitalminister werde ich beauftragen, Deutschland bei Digitalisierung und künstlicher Intelligenz an die Spitze zu führen.“ Sollte alles derart einfach sein? Dann mal los! Lese ich solche Sätze, frage ich mich, ob Friedrich Merz den dringend erforderlichen politischen Wandel einleiten kann. „Wir wollen uns jetzt einen Platz als führendes Digitalland erkämpfen“, betonte CDU-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bereits 2018. Richtig vorangekommen auf diesem Weg ist unser Land seither aber nicht. Gleiches gilt für die EU, denn ständig neue Regelungen ersetzen nicht innovative Freiräume. Weitere Informationen finden Sie in meinem Blog-Beitrag ‚DSGVO: Wenn der Irrsinn zum Programm wird. Da lacht das EU-Bürokratenherz – und wir weinen‘. Sprüche klopfen hilft eben nur bedingt, wenn es an einer klaren Strategie und deren Umsetzung mangelt. Das gilt in gleicher Weise für sichere Renten, doch die Union hat sich längst von ihrer richtigen Aussage abgesetzt, das Renteneintrittsalter müsse bei einer steigenden Lebenserwartung erhöht werden. Im Sondierungspapier heißt es dazu lapidar: „Statt einer weiteren Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters, wollen wir mehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in die Rente.“ Das erinnert mich an Norbert Blüms (CDU): „Die Rente ist sicher.“ Erstmals sagte das Blüm im Wahlkampf 1986 und wiederholte dies 1997 im Deutschen Bundestag, doch die damalige Regierung senkte das Rentenniveau von 70 auf 64 %. Heute heißt es im Sondierungspapier: „Wir werden die Alterssicherung für alle Generationen auf verlässliche Füße stellen. Deshalb sichern wir das Rentenniveau.“ Wie das bei einer alternden Bevölkerung dauerhaft ohne höhere Steuerzuschüsse bzw. steigende Beiträge möglich sein soll, bleibt offen.

Migrantenfamilien von hinten in bunter Bekleidung mit Kinderwagen und Fahrrad.
Die Zahl der Asylanten, die nach Deutschland kommen, überfordern das Land. Menschlich bleiben und gleichzeitig die irreguläre Migration einzudämmen, dies ist ein Balanceakt. Selbstverständlich benötigen wir den Zuzug qualifizierter Mitarbeiter und ihrer Familien, aber die irreguläre Migration muss eingedämmt werden. Im September 2015 hatte Bundespräsident Joachim Gauck in einer bis heute lesenswerten Rede unterstrichen: „Inzwischen trauen wir uns, und wenn nicht, dann sollten wir uns trauen, das fundamentale Dilemma dieser Tage offen auszusprechen: Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten, sie sind endlich.“

Wenig Konkretes

Ob Union und SPD glauben, dass sie mit ihren wachsweichen Ankündigungen zur Eindämmung der irregulären Migration zu einer echten Lösung beitragen und zugleich der AfD Paroli bieten können, das weiß ich nicht. „Zurückweisung an den Staatsgrenzen: Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen. Wir wollen alle rechtstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren.“ Kaum war diese Aussage zu Papier gebracht, da zankten sich Sozialdemokraten und Christdemokraten öffentlich über die Auslegung. Die SPD betonte, „Abstimmung“ bedeute eine Einigung auf das entsprechende Vorgehen mit den Nachbarn, Unionisten sahen „Abstimmung“ eher als Information über diese Vorgehensweise an. So wird das nichts werden, denn über Auslegungshindernisse ist auch die Ampel-Regierung mit gestolpert. Hatte nicht Friedrich Merz nach dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg betont: “Ich werde im Fall meiner Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland am ersten Tag meiner Amtszeit das Bundesinnenministerium im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen“. Und Merz führte weiter aus, so ‚ntv‘, dies gelte „ausdrücklich auch für Personen mit Schutzanspruch”. Zwischen den Aussagen im Sondierungspapier und dem Wahlkämpfer Merz bieten sich breite Interpretationsspielräume, die wenig Gutes erwarten lassen. Wer durch abgestimmte Maßnahmen die Migration nicht in den Griff bekommt, der kann Brandmauern in jeder Höhe errichten, denn die AfD wird dann weiterwachsen und die Union der SPD auf dem Weg in die politische Bedeutungslosigkeit folgen. Das darf nicht passieren!

Die deutsche Flagge - schwarz-rot-gold - weht vor dem Reichstag. Über den Säulen die Inschrift 'Dem deutschen Volke'.
Der abgewählte XXL-Bundestag soll in Windeseile ein Billionen-Schulden-Paket durch Grundgesetzänderungen ermöglichen. Juristisch wird diese Vorgehensweise auf Antrag der Linken und der AfD vom Bundesverfassungsgericht überprüft. Politisch gesehen halte ich es für einen Fehler, wenn solch tiefgreifende Gesetze jetzt noch durchgepaukt werden. Schade, dass dies nur die Links- und Rechtsausleger im Bundestag zu stören scheint. (Bild: Ulsamer)

Union und SPD können ihr Billionen-Schulden-Paket nur noch in den letzten Tagen der alten Parlamentsmehrheiten durchbringen, wenn die Grünen zustimmen. Im neuen Bundestag wird es eine Zweidrittelmehrheit für Änderungen des Grundgesetzes lediglich dann geben, wenn sich Die Linke oder die AfD zu CDU, CSU, SPD und den Grünen gesellen. Die Mehrheiten in unserem Bundestag verschieben sich zu den politischen Rändern. Das kann uns alle nicht ruhen lassen! Sicherlich wäre es besser gewesen, die zusätzlichen Mittel für die Verteidigung unter Einschluss des Zivilschutzes, der Geheimdienste, der Hilfe für die Ukraine usw. nicht mit einem 500 Mrd. Schuldentopf für die Infrastruktur zu verbinden. Der von Merz und der Union zurecht skizzierte „Politikwechsel“ scheint bereits vor dem echten Start zu verpuffen, aber die von Olaf Scholz versprochene „Zeitenwende“ konnte dieser genauso wenig anstoßen. Ein Doppelschlag aus Schulden in Billionenhöhe ist für mich kein wirklicher „Politikwechsel“, denn auch die vergangenen Bundesregierungen hielten zu wenig von einer Ausgabenkritik und der Herausarbeitung klarer Prioritäten. Und vom Bürokratieabbau reden die regierenden Politiker seit Jahr und Tag, doch es fehlt an der Durchsetzung. Dementsprechend schreibt Armin Käfer in seinem Kommentar in der Stuttgarter Zeitung zurecht: „Dieses Wünsch-Dir-was-Programm ist ein Politikwechsel zurück zur alten Groko-Mentalität – für Merz ein Politikwechsel im Rückwärtsgang. Der Sozialstaat wird weiter ausgepolstert, statt ihn einer kritischen Revision zu unterziehen.“ Das gilt nach meiner Meinung auch für die vorgesehene Begriffswende, denn aus „Bürgergeld“ soll eine „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ werden. Begrifflich ist das ein Fortschritt, bei der Durchsicht des Sondierungspapiers dagegen kommen mir Zweifel, ob sich inhaltlich viel tun wird.

Plakat der Bundeswehr mit einer jungen Soldatin "Bereit für den neuen Dienst in deiner Heimat".
Die Bundeswehr braucht mehr Geld und Personal, denn es gilt den Kriegsherrn im Kreml, Wladimir Putin, von Attacken auf Deutschland und das NATO-Gebiet bzw. andere Anrainer abzuhalten. Zwar scheint es nicht mehr – wie unter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen – an warmer Winterunterwäsche zu mangeln, doch verteidigungsfähig ist unser Land nicht. Das ‚Sondervermögen‘ in Höhe von 100 Mrd. Euro ist bereits ausgegeben oder verplant, daher sollen nun weitere Budgetmittel außerhalb der Schuldenbremse Abhilfe schaffen. Es geht jedoch nicht nur um mehr Geld, sondern um eine europäische Beschaffungsstrategie, die die Zahl der unterschiedlichen Großwaffensysteme reduziert. Auffällig ist, dass es bei der Landesverteidigung seit Jahr und Tag nicht so recht vorwärtszugehen scheint. Die Klagen über fehlendes Personal und Materialengpässe werden in jedem Wehrbericht laut. Weitere Infos hierzu in ‚Wehrbericht: „Verwaltung des Mangels bleibt Alltag“‘, so hieß es u.a. 2018. (Bild: Ulsamer)

Dass ausgerechnet die von Merz angestrebte Regierung auf den ausgetretenen Pfaden von Angela Merkel vorankommen möchte, ist ein Treppenwitz der Geschichte: Sollte aus dem von Merkel einst verstoßenen Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nun ein Kanzler werden, der ebenfalls glaubt, mit reichlich Geld politische Gräben zuschütten zu können? Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass auf Angela Merkel und Olaf Scholz ein Bundeskanzler Friedrich Merz folgt, der Deutschland gemeinsam mit einer innovativen Bundesregierung politisch voranbringt und eine solide Grundlage erarbeitet, um wirtschaftliche Prosperität mit innerer und äußerer Sicherheit zu verbinden, und dabei die soziale Sicherung und gerade auch den Klimaschutz nicht vernachlässigt. Die Worthülsen aus dem Sondierungspapier lassen einen Politikwechsel und die notwendige Aufbruchsstimmung zumindest augenblicklich nicht erkennen. Dieses Sondierungspapier schafft kein Vertrauen!

 

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Plakat mit Friedrich Merz an einer Bushaltestelle. Davor eine hölzerne Sitzbank. Text: Der Richtige zur richtigen Zeit.Ob Friedrich Merz „Der Richtige zur richtigen Zeit ist“, das wird sich erst noch zeigen. Die Probleme unserer Zeit lassen sich ganz gewiss nicht mit einem ausgabefreudigen Sondierungspapier von Union und SPD lösen, das Merz zum Billionen-Schulden-Kanzler macht. Bisher lag die Verschuldung des Bundes nach Angaben des Statistischen Bundesamts bei 1,7 Billionen Euro. Eine Billion Euro drauf zu packen, das ist ein tiefer Schluck aus der Verschuldungspulle. Mehr zu den im Bundestagswahlkampf eingesetzten Plakaten finden Sie in meinem Artikel ‘Wahlplakate: Blickfänger, Aufreger oder Polit-Müll? Wahlplakate behalten in Zeiten von Social Media ihre Bedeutung’. (Bild: Ulsamer)

US-Präsident Donald Trump – cholerischer Egomane will neue Weltordnung

Blick auf das Weiße Haus in Washington, auf dem die US-Flagge weht. Links und rechts Bäume, vor dem Zaun Touristen.

Deutschland und Europa müssen für die eigene Sicherheit sorgen

Donald Trump wurde mit einer soliden Mehrheit ins Weiße Haus gewählt, doch das ändert nichts daran, dass man an seiner Befähigung zum Präsidenten der USA Zweifel haben kann. Wenn ich den selbsternannten ‘Dealmaker‘ im Weißen Haus sehe, dann bin ich sogar froh, dass wir mit Angela Merkel oder Olaf Scholz politisches Mittelmaß im Kanzleramt hatten, obwohl ich heftige Kritik an der Arbeit beider Politiker geübt habe. Doch ein Rest an Anstand ist ihnen nicht abhandengekommen, auch wenn sie ihre eigenen Leistungen sehr überhöht darstellen. Donald Trump ist ein cholerischer Egomane, ein echter Schandfleck in der Ahnenreihe der US-Präsidenten, daran besteht für mich kein Zweifel. In Washington sitzt nicht mehr der Führer der freien Welt, sondern ein verwirrter Immobilienmogul, der sich mit fragwürdigen Typen wie Elon Musk, dem reichsten Mann der Welt, Vizepräsident J.D. Vance oder dem Impfgegner und Verschwörungstheoretiker Robert F. Kennedy Jr. als Gesundheitsminister umgibt. Ja, wenn ich solche Möchtegern-Politiker erblicke, dann werden mir glatt noch Karl Lauterbach oder Jens Spahn sympathisch, die in deutschen Landen als Gesundheitsminister ihr Unwesen trieben. Und wenn es in der deutschen Politik mal hakt und sich eine Regierung selbst zerlegt, dann ist dies für unsere Welt natürlich weniger gefährlich, als wenn sich der US-Präsident dem Kriegsverbrecher Wladimir Putin an den Hals wirft, der als russischer Präsident den Angriff auf die Ukraine befahl. Trump und Vance saßen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ganz heimelig auf dem Sofa, doch ihr Ziel war ein Eklat, um Selenskyj stellvertretend für sein leidgeprüftes Volk vorzuführen und zu noch mehr Nachgiebigkeit in Sachen Bodenschätze zu zwingen. Allein die eingeladenen Medienvertreter machen deutlich, was Trump vorhatte. Früher erpressten die Paten die Mafia-Opfer im Hinterzimmer, heute im Weißen Haus vor laufenden Fernsehkameras! Donald Trump macht sich mit seinem abstrusen Vorgehen zum Schoßhund von Putin!

In weißen Marmor gehauen: US-Präsident Abraham Lincoln
Wenn Abraham Lincoln heute auf sein Land und Donald Trump als einem seiner Nachfolger schaut, dann dürfte er zumindest ins Grübeln kommen. Lincoln setzte als erster republikanischer Präsident die Abschaffung der Sklaverei in den USA durch. (Bild: Ulsamer)

Ein Schandfleck in der Ahnenreihe der US-Präsidenten

George Washington oder Abraham Lincoln, um nur diese beiden Präsidenten zu nennen, dürften sich bei einem Nachfolger wie Donald Trump im Grabe umdrehen. Der früh ermordete John F. Kennedy schaffte es 1962 mit militärischen Drohgebärden und Diplomatie, den sowjetischen Diktator Nikita Chruschtschow zum Abzug von Raketensystemen zu drängen, die auf Kuba installiert worden waren. Kennedy verdeutlichte, dass man aggressive Diktatoren in die Schranken verweisen kann, doch Trump macht das Gegenteil: Er sieht in Putin einen Kumpel im Ungeist, obwohl dieser in imperialistischer Weise zu den alten Grenzen des Sowjetreichs zurückwill. Dass Trump die Werte des freien Westens eher mit Füßen tritt, als diese zu verteidigen, ließ sich bereits in seiner ersten Amtsperiode erkennen. Und noch mehr nach den Präsidentschaftswahlen, die Joe Biden gewonnen hatte, denn dann stachelte er seine Anhänger zum Sturm auf das Kapitol auf. Diese Gewalttäter begnadigte Trump umgehend nach seiner erneuten Amtsübernahme. Den Warnschuss, den die erste Amtsperiode von Donald Trump darstellte, hatten die regierenden Politiker in Deutschland und Europa geflissentlich überhört und sich mit Joe Biden, dem letzten Transatlantiker der alten Schule, über die Trump-Drohungen – Austritt aus der NATO – hinweggetröstet. Danach versicherten sich die Trump-Gegner gegenseitig, Kamala Harris werde schon das Rennen machen, obwohl sie wenig Neigung zeigte, sich konkret der Probleme der US-Amerikaner außerhalb von Kalifornien, Washington oder New York anzunehmen. Da kam leider Donald Trump mit seiner wahrhaft einfachen Sprache in weiten Regionen besser an.

Als US-Vizepräsident Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz lospolterte und den Europäern mangelndes Demokratieverständnis vorwarf, gab’s mal wieder Empörung, doch die deutschen und die anderen europäischen Regierungen haben viel zu langsam Schlüsse aus der Trump’schen Abwendung von Europa gezogen. Und als Trump jüngst Selenskyj attackierte und förmlich aus dem Weißen Haus warf, erklärten sich die Europäer – mal wieder ohne Orbans Ungarn – solidarisch mit der Ukraine. Durchaus richtig! Das ändert jedoch nichts daran, dass es uns in Europa an militärischen Ressourcen mangelt, um die durch Trump aufgerissene Lücke bei der Verteidigung der Ukraine kurzfristig zu schließen. Viel zu lange hatte sich nicht nur Deutschland darauf verlassen, dass die USA für Sicherheit und Russland für billiges Erdgas sorgen würden und keiner den freien Welthandel in Frage stellt. Wer lange schläft, der wird abrupt geweckt, so ergeht es nun der deutschen und europäischen Politik. Hätte z. B. die Bundesregierung unter Olaf Scholz (SPD) von Anbeginn an der russischen Invasion in der Ukraine alle Waffensysteme freigegeben, um den barbarischen Angriff von Putins Schergen zurückzuschlagen, dann hätte der Vormarsch vermutlich gestoppt oder verlangsamt werden können: Die Sozialdemokraten mögen sich heute nicht mehr gerne daran erinnern, doch die von ihnen ins Amt gehievte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht dachte noch, mit einigen tausend Helmen könnte man es bewenden lassen, und Bundeskanzler Scholz verwehrte die Lieferung von Taurus-Raketen. Boris Pistorius versuchte zwar, die Bundeswehr und unsere Verteidigung auf Vordermann zu bringen, doch bis heute konnte die notwendige Ausrüstung nicht beschafft werden. Kein Wunder, denn die CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen konnte noch nicht einmal ausreichend Winterunterwäsche für die Soldatinnen und Soldaten beschaffen, und nun soll ausgerechnet sie die EU zu einem wichtigen Spieler in Sachen europäischer Verteidigung machen.

Blick auf das Gebäude des US-Kongresses mit der imposanten weißen Kuppel.
Als ich vor gut 20 Jahren einen kleinen Vortrag im Gebäude des US-Kongresses halten durfte, hätte ich nie gedacht, dass ein US-Präsident nach der verlorenen Wahl seine Anhänger so aufhetzen würde, dass sich diese zum Sturm auf das Parlamentsgebäude entschlossen. Kaum wieder im Weißen Haus, sorgte Donald Trump dafür, dass diese Kriminellen flugs in Freiheit kamen. Dies lässt nichts Gutes für die Zukunft erwarten. (Bild: Ulsamer)

Neuer Kulturkampf

Jammern über die Vergangenheit bringt allerdings nichts – es muss gehandelt werden, wenn wir Frieden, Freiheit und Demokratie in Europa verteidigen wollen. Trump und Putin scheinen sich zu verbrüdern und ihr Duo zum Trio mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping erweitern zu wollen. Zwei Diktatoren und ein Möchtegern-Potentat haben sich gefunden, was eine Bedrohung für den freien Westen darstellt und im Übrigen auch für die freiheitlich denkenden amerikanischen Bürgerinnen und Bürger, die wir über Trumps bizarres Agieren nicht vergessen sollten. Im Gegensatz zum bereits genannten US-Präsidenten John F. Kennedy, der dem sowjetischen Expansionsstreben engagiert, entschlossen und mit Augenmaß entgegentrat, ließ sich Franklin D. Roosevelt, der viel für die USA leistete, am Ende seiner dritten bzw. der kurzen vierten Amtsperiode vom sowjetischen Diktator Josef Stalin über den Tisch ziehen. Durch geschicktes Taktieren vermochte es Stalin, seine Beute in Osteuropa mit Zustimmung Roosevelts zu sichern, der dem kommunistischen Machthaber weniger kritisch gegenüberstand als der britische Premierminister Winston Churchill. Roosevelt war am Ende seiner politischen Führungsrolle durch eine schwere körperliche Beeinträchtigung geschwächt, heutzutage allergings scheint es ein selbstbezogener Donald Trump Roosevelt gleichtun und dem russischen Staatschef Putin die besetzten ukrainischen Regionen überlassen zu wollen.

Nicht übersehen sollten wir, dass Putin und Trump in gesellschaftspolitischer Sicht mehr verbindet als dies auf den ersten Blick erkennbar ist: Sie lehnen queere Lebensentwürfe ab, LGBTQ ist für sie ein Schimpfwort, und daher sollen auf Weisung von Donald Trump Transmenschen vom Militärdienst ausgeschlossen werden. Diese Weltsicht, die Diversität weitgehend ablehnt, teilen Trump und Putin nicht nur mit weiten Bevölkerungskreisen, sondern auch mit evangelikalen Kreisen in den USA und dem Moskauer russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I., der verbreitete, der Krieg gegen die Ukraine solle die Menschen auch vor den Paraden von Homosexuellen schützen. Da passen Milliardäre wie Elon Musk bestens ins Bild, denn dieser betont noch immer ‚Ich habe einen Sohn verloren‘, denn er will nicht akzeptieren, dass eines seiner 14 Kinder sich als Frau fühlt, wie ‚der Spiegel‘ berichtete. Der von Trump, Vance und ihrer Milliardärs-Clique geführte Kampf gegen eine freiheitliche Gesellschaftsordnung umfasst nicht nur die engeren politischen Themenfelder, sondern es ist ein Kulturkampf. Da kommt es zu Pass, dass Elon Musk ‚Twitter‘ kaufte und in ‚X‘ umbenannte, wo sich zahlreiche Verschwörungstheoretiker tummeln und Jeff Bezos, der Amazon-Gründer, der die ‚Washington Post‘ erwarb, um sich in redaktionelle Fragen einzumischen. Wer von der US-Regierung unter Trump Aufträge für Weltraumprojekte möchte, der muss sich anbiedern, und so sieht es wohl auch Bezos, der mit ‚Blue Origin‘ in den Weltraum strebt. Nicht nur bis zum Mond, sondern bis zum Mars zieht es Elon Musk, der mit ‚SpaceX‘ und ‚Starlink‘ bereits manche Bereiche monopolisiert. Man kann nur hoffen, dass Musk bald zum Mars aufbricht und dann gleich dortbleibt! Wenn heute deutsche Politiker über Elon Musk schimpfen, dann müssen sie sich aber auch an die eigene Nase fassen. Der Tesla-Chef Musk ließ in der Mark Brandenburg seine sogenannte ‚Gigafactory‘ hochziehen, obwohl die endgültige Baugenehmigung noch nicht vorlag, und Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie ihr Nachfolger Olaf Scholz lobten die zügige Vorgehensweise: Die Politik drückte bei diesem Projekt mindestens ein Auge zu, denn die Umweltverträglichkeitsprüfung war völlig unzulänglich abgelaufen. Die Kartierung von Eidechsenbeständen beispielsweise wurde im Winter vorgenommen, wo diese schwerlich zu finden sind! Mehr zu diesem Thema finden Sie in meinem Beitrag ‘Brandenburg: Tesla walzt die Natur nieder. Umweltverträglichkeitsprüfung wird zur Farce’. Aber Elon Musk ist gewohnt, dass alle nach seiner Pfeife tanzen und war ganz überrascht, dass ihm die US-Börsenaufsicht mehrfach in die Quere kam, wenn er sich nicht an die Regeln hielt. Daher rührt vielleicht auch sein Lob „die chinesische Regierung (sei) für die Menschen in China sehr zugänglich.“ So können sich Trump, Putin und Xi um den Hals fallen und dabei auf den anderen Staaten herumtrampeln.

Freiheitsstatue vor blauem Himmel. In der rechten Hand reckt sie die Fackel nach oben.
Die USA haben bisher die Fackel der Freiheit getragen, daran nimmt sich Donald Trump leider kein Vorbild. (Bild: Ulsamer)

Europäische Kräfte bündeln

Mit seiner brüsken Zurückweisung des ukrainischen Präsidenten Selenskyj hat US-Präsident Trump eindeutig klargemacht, dass er nur mit Jasagern auf der Couch sitzen möchte, die notfalls die Interessen des eigenen Landes verleugnen sollen. Vizepräsident Vance sekundierte, wie zu erwarten, im Weißen Haus, nachdem er bei der Münchner Sicherheitskonferenz zum Rundumschlag gegen Europa ausgeholt hatte. Manche Kritik mag stimmen, denn Deutschland und die anderen europäischen Staaten haben sich zu lange auf den Schutz der USA verlassen. Europa hat die Kraft, militärisch, diplomatisch und wirtschaftlich aufzuholen, und dies ist dringend erforderlich. Die Politik in Deutschland und Europa muss endlich damit beginnen, die Verteidigungs- und Rüstungskapazitäten auszubauen, auch wenn das Geld kostet. Ein Sondervermögen – sprich ‘Sonderschulden’ – hier und da wird nicht ausreichen, wir müssen auch alle Budgets im Bund, den Ländern und den Kommunen durchforsten, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Nicht jedes Projekt – sei es eine Verdopplung des Bundeskanzleramts oder eine Sanierung der Stuttgarter Oper mit Milliardenkosten – ist in diesen Dimensionen richtig. Bei jeder Schuldenaufnahme haben wir an die nachwachsenden Generationen zu denken, die die Zinslasten zu tragen haben. Wir müssen Frieden und Freiheit verteidigen und dazu gehört eine effektivere Unterstützung der Ukraine, die für unsere Werte und unseren Lebensstil kämpft. Mit Trump & Co. ist eine gedeihliche Zusammenarbeit kaum zu erwarten, dennoch muss die deutsche bzw. europäische Politik weiterhin versuchen, seine Regierung einzubinden. Zumindest sollte es gelingen, Trump zu bremsen, wenn er die freiheitlichen Werte des Westens zu zermalmen droht und eine neue Weltordnung mit diktatorischen Regimen zu errichten versucht. Es stehen Europa und unserem Land, das seit der Nachkriegszeit auf enge Bindungen zu den USA setzt, unruhige Zeiten bevor, doch hilft uns nur engagiertes und gemeinsames Handeln. Hoffentlich erkennt dies die neue Bundesregierung – vermutlich unter Friedrich Merz – und schließt sich enger mit Frankreich, Polen, Großbritannien, Italien und den anderen europäischen und weltweiten Partnern zusammen. Putin, Xi und Trump verstehen Nachgiebigkeit als Schwäche, die sie ausnützen. Wir müssen in Europa zusammenarbeiten, statt uns in immer mehr EU-Bürokratie zu verstricken. Die Zeit des Klein-Kleins und einer Verordnungsflut ist vorbei, wir müssen die innovativen europäischen Kräfte entfalten, nur dann können sich die Regierungschefs getrost zu Trump und Vance auf die Couch setzen!

23 Wahlkreisgewinner nicht im Bundestag

Vorderseite des Reichstags mit der Inschrift "Dem deutschen Volke". Im Hintergrund ist die gläserne Kuppel zu erkennen. Rechts die deutsche Flagge.

Wahlrechtsreform der Ampel-Regierung ist undemokratisch

Bei der vorgezogenen Bundestagswahl wurden die Parteien der zerbrochenen Ampelregierung abgestraft. Am härtesten traf es die FDP, denn die Liberalen flogen aus dem Bundestag, die SPD mit dem lahmen Zugpferd Olaf Scholz fuhr das schlechteste Ergebnis seit der Gründung der Bundesrepublik ein, die Grünen schwächelten mit ihrem Kanzlerkandidaten Robert Habeck, der das Heizungsgesetz verbockt hatte. Nicht nur diese Parteien traf die Bundestagwahl hart, sondern auch 23 Kandidaten, die zwar in ihrem Wahlkreis die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten, doch die obskure Wahlrechtsreform von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP versperrt ihnen die Tür zum Deutschen Bundestag! Da mag sich so mancher Politiker in seinem Wahlkreis für die Bürgerinnen und Bürger einsetzen und die Stimmenmehrheit erlangen, wenn aber der Zweitstimmenanteil seiner Partei nicht alle gewonnenen Direktmandate abdeckt, war alle Mühe umsonst. Die Sitze im Bundestag werden nach der Zahl der Zweitstimmen vergeben, d. h., wer in einem heftig umkämpften städtischen Wahlkreis mit zahlreichen Gegenkandidaten gewinnt, dem fehlen am Ende Stimmen, um ins Parlament einzuziehen. Es ist der Gewinner eines Wahlreises besser dran, der in seinem ländlichen Stammland die Gegner abschüttelt und ein besonders hohes Erststimmenergebnis erzielt. Welche Art von Demokratie gemeint ist, wenn selbst das Bundesverfassungsgericht eine Wahlrechtsreform gutheißt, die Wahlkreisgewinnern den Parlamentssitz verwehrt, das weiß ich nicht. Auf Anhieb fällt mir keine Demokratie ein, in der der Sieger in einem Wahlkreis nicht ins Parlament einzieht.

Stocherkahnfahrten auf dem Neckar in Tübingen sind ein Anziehungspunkt für Touristen. Im Hintergrund die vom Neckar aufsteigende Altsstadt und links der Hölderlinturm.
Die baden-württembergische Universitätsstadt Tübingen (im Bild die Neckarfront) gehört zu den grünen Hochburgen, umso bemerkenswerter war der Wahlsieg des CDU-Kandidaten Christoph Naser mit 31,7 % der Erststimmen. Dieses Ergebnis nützt ihm wenig, weil der Zweitstimmenanteil der CDU nicht für alle gewonnenen Wahlkreise ausreicht. So werden Naser aus Tübingen und vier weitere Wahlkreissieger der CDU aus Baden-Württemberg nicht in den Bundestag einziehen. Tübingen wird jetzt durch keinen Abgeordneten mehr vertreten, in der letzten Legislaturperiode waren es über Direkt- und Listenmandate vier. „Das neue Wahlrecht hat für Tübingen dramatische Konsequenzen: Kein Abgeordneter in unserem Wahlkreis für die kommenden vier Jahre. Ich halte das für grob falsch. Menschen müssen sich in der Demokratie vertreten fühlen“, so der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Der frühere Grüne führte in Facebook weiter aus: „Ohne Abgeordneten ist das besonders schwer. Der Sieger eines Wahlkreises muss auch einen Sitz im Bundestag haben. Das Wahlrecht der Ampel muss an diesem Punkt dringend reformiert werden.“ Da kann ich nur zustimmen, denn ansonsten wird die Politikverdrossenheit weiter zunehmen. (Bild: Ulsamer)

Absurde Rechtsetzung

Merkwürdig ist es schon, dass die Grünen einer Wahlrechtsreform zugestimmt haben, die jeden basisdemokratischen Ansatz vermissen lässt. Bündnis90/Die Grünen hat nicht nur die grüne Seele verloren, sondern auch die Einsicht, dass derjenige Kandidat, der direkt von den Wählerinnen und Wählern im Wahlkreis zur Siegerin oder zum Sieger gekrönt wird, in jedem Fall in den Deutschen Bundestag einziehen sollte. Auf das fehlende Engagement für Natur- und Tierschutz bin ich in meinem Blog-Beitrag ‚Bündnis 90/ Die Grünen: Die grüne Seele bei Natur- und Umweltschutz ist verwelkt‘ eingegangen. Mögen die Grünen noch mit einem blauen Auge davongekommen sein, so hat es FDP und SPD bei der Bundestagswahl übel erwischt. Friedrich Ebert, der erste Reichspräsident in der Weimarer Republik, dürfte sich im Grab umdrehen, wenn er erlebt, was Olaf Scholz als Kanzler sowie Saskia Esken und Lars Klingbeil als Parteivorsitzende oder Rolf Mützenich als Fraktionsvorsitzender aus seiner SPD gemacht haben. Mützenich, der seinen Wahlkreis verlor, soll durch Lars Klingbeil ersetzt werden, doch ob das wirklich hilft? Vielleicht sollte sich die SPD mal wieder stärker an das Erbe Friedrich Eberts erinnern: ‚Vom Sattlergesellen zum ersten Reichspräsidenten. Friedrich Ebert: Streitbarer Demokrat und Reformer‘. Gleiches gilt für die FDP nach dem Abgang ihres redefreudigen Vorsitzenden Christian Lindner, der eine liberale Strategie vermissen ließ. Längst vergessen scheinen bei den Liberalen der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, oder der Außenminister zur Zeit der Wiedervereinigung, Hans-Dietrich Genscher. Die Ampel hat nicht nur das Heizungsgesetz, sondern auch die Wahlrechtsreform vermurkst. Wer gewählten Abgeordneten den Sitz im Deutschen Bundestag verweigert, der handelt zumindest fragwürdig.

Das leere Plenum des Deutschen Bundestags im Reichtag. Der Bundesadler an der Rückseite, davor die deutsche und die EU-Flagge. Blaue Sitze im großen Rund.
Im Deutschen Bundestag werden in der kommenden Wahlperiode statt 736 nur noch 630 Abgeordnete sitzen. Das Ausufern des XXL-Bundestags wurde zwar eingedämmt, allerdings nutzte die Ampel-Regierung die falschen Mittel. 23 Wahlkreisgewinner bleiben außen vor! Bemerkenswert ist es auch, dass nur 276 direkt gewählte Abgeordnete im Plenum Platz nehmen werden, dagegen ziehen 354 über die Parteilisten ins Parlament ein. Die Distanz zur Wählerschaft wird immer größer, wenn die direkt im Wahlkreis gewählten Parlamentsmitglieder in den Hintergrund treten. Und dies in einer Zeit, in der die Politikverdrossenheit wächst und die politischen Ränder gestärkt werden. Mehr dazu in: ‚Die Zufriedenheit mit der Politik welkt dahin. Viele Deutsche fühlen sich nicht wahrgenommen‘. (Bild: Ulsamer)

Auf das Ausufern des XXL-Bundestags bin ich mehrfach kritisch eingegangen und habe davor gewarnt, den Zweitstimmenanteil zum Maß aller Dinge zu machen, so z. B. in meinem Artikel ‚Wahlrechtsreform: Trotz Direktmandat nicht im Bundestag? Der Vorschlag der Ampelregierung gefährdet die Demokratie‘. Keine Frage, der personell ausgeuferte Bundestag musste wieder kleiner werden, doch das darf nicht zu Lasten direkt gewählter Wahlkreisgewinner gehen. Warum erfolgt keine Aufteilung in 299 direkt in den Wahlkreisen gewählte Abgeordnete, wie dies ursprünglich vorgesehen war, und die andere Hälfte der Parlamentarier wird über Listen nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Ich bin mir bewusst, dass sich aus solch einer Regelung ebenfalls Ungerechtigkeiten ergeben, zumindest aber hätten keine direkt gewählten ‚Abgeordneten‘ ihren Sitz im Bundestag verloren. Zwar halte ich die Vorwürfe des US-Präsidenten Donald Trump und seines Vize JD Vance, in Deutschland mangle es an Demokratieverständnis, für völlig überzogen, andererseits dürfte es in den USA oder in Großbritannien – um nur diese beiden Staaten zu nennen – schwerfallen, ein Wahlrecht zu erklären, das direkt gewählten Kandidaten den Parlamentssitz verweigert. Über Jahrzehnte habe ich das deutsche Wahlrecht für eine gute Regelung gehalten, doch wenn es solche Auswüchse treibt wie bei der Bundestagswahl, dann wäre ein reines Mehrheitswahlsystem aus meiner Sicht überlegenswert.

Besucherin der Gedenkausstellung vor einer Informationswand mit dem Titel 'Die SPD als Partei der sozial Benachteiligten'.
Alexander Föhr (CDU) mit 29,2 % der Erststimmen im Wahlkreis Heidelberg auf dem ersten Platz wird nicht in den Deutschen Bundestag einziehen, doch die Wahlverlierer aus dem gleichen Wahlkreis reisen nach Berlin, denn für sie reicht es über die Landesliste, weil die jeweiligen Parteien keinen oder wenige Wahlkreise gewonnen haben. Aus Heidelberg kommen Franziska Brantner (Ko-Bundesvorsitzende der Grünen), Malte Kaufmann (AfD) und Sahra Mirow (Die Linke) über ihre Listenplätze ins Parlament, doch der Wahlkreisgewinner Alexander Föhr muss zuhause bleiben. Darüber kann ich nur den Kopf schütteln, so habe ich mir gelebte Demokratie nicht vorgestellt! In Heidelberg erinnert eine Gedenkstätte an den SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert, den die Weimarer Nationalversammlung 1919 zum ersten Reichspräsidenten und damit zum ersten demokratisch gewählten Staatsoberhaupt in Deutschland wählte. Was würde Ebert wohl dazu sagen, dass seine Sozialdemokratische Partei Deutschlands in unseren Tagen ein Gesetz beschlossen hat, das demokratisch gewählten Siegern in ihrem Wahlkreis den Sitz im Deutschen Bundestag verweigert? Mehr zum Leben und Wirken Friedrich Eberts lesen Sie in meinem Blog-Beitrag ‚Vom Sattlergesellen zum ersten Reichspräsidenten. Friedrich Ebert: Streitbarer Demokrat und Reformer‘. (Bild: Ulsamer)

Parteien, die wenig bis keine Wahlkreise direkt erringen, setzten natürlich auf das Verhältniswahlrecht, denn ansonsten würde ihnen meist der Zugang zur politischen Futterkrippe verwehrt. Bei einer kompletten Mehrheitswahl ergeben sich zumeist klare Aufträge für die Regierungsbildung und die Chance, politische Richtungsänderungen durchzusetzen. Dagegen dürften sich CDU und CSU als klare Wahlgewinner jetzt schwertun, die versprochene Neuausrichtung der Bundespolitik – den von der Union angekündigten Politikwechsel – mit einem Partner aus der zerbröselten Ampelkoalition umzusetzen, was im Übrigen für das abstruse Wahlrecht, das 23 gewählten Kandidaten ihren Sitz im Bundestag verweigert, gleichermaßen zutrifft. Wird die SPD, der vermutliche Koalitionspartner, über ihren Schatten springen und das Wahlrecht wieder ändern? Ist es gelebte Demokratie, wenn 15 gewählte Wahlkreiskandidaten der CDU, vier von der AfD, drei von der CSU und eine von der SPD nicht in den Deutschen Bundestag einziehen, obwohl sie in ihrem Wahlkreis die meisten Stimmen errungen haben? Ich halte ein Wahlrecht, das ein solches Vorgehen zulässt, für schädlich, denn die Wählerschaft muss sich darauf verlassen können, dass der mehrheitlich Gewählte eines Wahlkreises auch im Deutschen Bundestag Platz nehmen darf – und dies nicht nur auf der Zuschauertribüne. Ich hoffe sehr, dass es der nächsten Bundesregierung unter einem Kanzler Friedrich Merz gelingt, das Wahlrecht wieder zu ändern, denn wer im Wahlkreis gewinnt, der muss in jedem Fall im Parlament sitzen!

 

Blick auf den fast verdeckten Reichstag mit der Glaskuppel. Links und rechts Betonklötze mit Räumlichkeiten für den Bundestag
Unser Parlament blähte sich in den letzten Jahren immer stärker auf, und so wurde der XXL-Bundestag zum kopfstärksten demokratischen Parlament der Welt. Parallel uferte die zugehörige Bürokratie derart aus, dass fortwährend neue Bürogebäude errichtet werden mussten. Wie man jedoch bei einer Wahlrechtsreform auf die Idee kommen konnte, Wahlkreisgewinnern den Sitz im Bundestag zu verweigern, wenn nicht alle gewonnenen Wahlkreise durch das Zweitstimmenergebnis abgedeckt sind, das müssen sich die früheren Ampel-Koalitionäre SPD, Grüne und FDP, aber auch das Bundesverfassungsgericht fragen lassen. (Bild: Ulsamer)

 

Goldfarben schillert die Porta Nigra bei dieser Nachtaufnahme.
Im Wahlkreis Trier holte Dominik Sienkiewicz (CDU) 30,8 % der Stimmen und ließ die Konkurrenz hinter sich. Nach dem alten Wahlrecht hätte er eine Fahrkarte nach Berlin gelöst. Über die Landesliste kommen jedoch Verena Hubertz (SPD) und Corinna Rüffer von den Grünen in den Bundestag, dem Wahlkreisgewinner wird das allerdings verwehrt. Die Ampel-Regierung hinterließ uns nicht nur das Heizungsgesetz und das Recht, drei Cannabispflanzen anzubauen bzw. einmal jährlich das Geschlecht zu ändern, sondern auch ein Wahlrecht, das die Urform der Demokratie – die Direktwahl – aushebelt. Im Bild die Port Nigra, ein imposantes Stadttor aus der Römerzeit, das sein Überleben bis ins heutige Trier der baulichen Integration in eine christliche Kirche zu verdanken hatte. Mehr dazu in: ‚Wie die römische Porta Nigra in Trier als Kirche überlebte. Die Baukunst der Römer setzte auf Nachhaltigkeit‘. (Bild: Ulsamer)

 

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Vorderseite des Reichstags mit der Inschrift "Dem deutschen Volke". Im Hintergrund ist die gläserne Kuppel zu erkennen. Rechts die deutsche Flagge.Eine Verkleinerung der Kopfzahl des Deutschen Bundestags war und ist richtig, doch der von der Ampel-Regierung unter Olaf Scholz gewählte Weg war falsch: 23 direkt im Wahlkreis gewählten Kandidaten wird ein Sitz im Bundestag verwehrt! In meinem Blog-Beitrag bin ich früh auf die drohenden abstrusen Folgen eingegangen: ‚Wahlrechtsreform: Trotz Direktmandat nicht im Bundestag? Der Vorschlag der Ampelregierung gefährdet die Demokratie‘. (Bild: Ulsamer)

 

Wahlplakate: Blickfänger, Aufreger oder Polit-Müll?

An zwei Masten auf einer Verkehrsinseln wurden zahlreiche kleinformatige Wahlplakate befestigt. Links und rechts fahren Autos.

Wahlplakate behalten in Zeiten von Social Media ihre Bedeutung

In Wahlkampfzeiten wird unser öffentlicher Raum mit allerlei Weisheiten und Behauptungen ‚bereichert‘, die uns per kleinen und großen Wahlplakaten nähergebracht werden sollen. Da will Robert Habeck „Zuversicht“ verbreiten, obwohl er als grüner Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz maßgeblich zu einer desolaten Wirtschaftsentwicklung beigetragen hat. „Mit Sicherheit mehr Wachstum“ verspricht der Sozialdemokrat Olaf Scholz, doch warum hat er sich – bitte schön – nicht bereits in seinen drei Amtsjahren als Bundeskanzler engagierter um die innere und äußere Sicherheit oder das wirtschaftliche Wachstum gekümmert? So richtig gewuchert sind nur die Bürokratie und das Bundeskanzleramt. Der Spitzenkandidat von CDU und CSU schaut kleinformatig so in sich gekehrt auf die Passanten herab, dass ich mich wirklich frage, welcher Wahlkampfmanager dieses Motiv ausgewählt hat. Auf das Horrorkabinett, das Angela Merkel als CDU-Bundeskanzlerin in ihrer letzten Amtsperiode um sich geschart hatte, und die Laienspielgruppe von Olaf Scholz muss jetzt eine Regierung folgen, die endlich Probleme löst und nicht nur über sie debattiert. Darum hätte ich mir auf dem Wahlplakat von Friedrich Merz mehr Dynamik gewünscht. Nun denn, Politik ist kein Wunschkonzert, doch während des Wahlkampfs wird viel versprochen und leider hinterher meist wenig davon realisiert. „Schönreden ist keine Wirtschaftsleistung“ verkündet Christian Lindner als FDP-Vorsitzender, und da hat er natürlich recht, doch seine Einsicht lockt immer weniger Wählerinnen und Wähler zu den Liberalen, die sich weit entfernt haben von ihrem Bundespräsidenten Theodor Heuss oder Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Die ungelösten Probleme bei der Steuerung der Migration bringen BSW und AfD Zulauf, wobei letztere hinter der ‚Brandmauer‘ dank der desolaten Politik der Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP ihre Wählerschaft verdoppeln konnte. Für den einen sind Wahlplakate ein Blickfang, für den nächsten ein Aufreger oder gar Polit-Müll, und dies nicht erst, wenn sie zerfetzt am Boden liegen. Studien zeigen, dass Plakate gerade auch bei politisch weniger interessierten Bürgern ein Weg sind, diese auf die jeweilige Wahl anzusprechen.

CDU-Wahlplakat in bläulicher Grundfarbe. Text weiße Buchstaben in schwarzer Fläche: "Fleiß muss sich wieder lohnen". Darunter etwas kleiner "Beide Stimmen für die CDU".
Leider wird im politischen Diskurs unablässig übersehen: Ohne Fleiß kein Preis! Ohne Fleiß geht es mit der Wirtschaft und dann auch der Gesellschaft bergab. Unser Steuersystem muss so umgestaltet werden, dass der engagierte Arbeitnehmer deutlich bessergestellt ist als derjenige, der es sich – obwohl er arbeiten könnte – in der sozialen Hängematte bequem gemacht hat. (Bild: Ulsamer)

Wahlplakate sprechen breite Schichten an

Wahlplakate scheinen in Zeiten von Social Media zwar etwas aus der Zeit gefallen zu sein, doch verschiedene Studien belegen deren Bedeutung. In einer Analyse stellten das Meinungsforschungsinstitut ‚Forsa‘ und die Uni Hohenheim zur Bundestagswahl 2021 fest, dass 62 % der knapp 15 000 Befragten Wahlplakate am häufigsten nannten, über die sie von den Parteien angesprochen wurden. Wahlspots im Fernsehen brachten es auf 50 %, Aktivitäten von Parteien und Abgeordneten über soziale Medien auf 28 %. Professor Frank Brettschneider u.a. betonen: „Wahlplakate werden von Menschen mit geringem politischem Interesse überdurchschnittlich oft wahrgenommen. Internetseiten der Parteien/Kandidierenden sowie Informationen über Parteien und Kandidierende werden überdurchschnittlich oft von Menschen wahrgenommen, die sich sehr stark für Politik interessieren.“ Bei den Wahlplakaten geht es insbesondere darum, die Kandidaten, die Partei und deren Grundaussagen bekannt zu machen. Wortspielereien mögen manchem Parteipolitiker gefallen, doch sie sind wenig geeignet, denn Wahlplakate werden gerade auch im Verkehrsgeschehen oft nur für Sekunden wahrgenommen. Bilder sind eingängiger als Texte, die ohnehin nur holzschnittartig sein können. „Wahlplakate haben eine große Bedeutung in der Wählermobilisierung, aber auch in der Bekanntmachung und Wiedererkennung von Personen”, betonte der Karlsruher Psychologe Dominic Hennig gegenüber dem SWR.

Robert Habeck mit dunkler Oberbekleidung schaut direkt zum Betrachter. Der Hintergrund des Plakats ist grün. Der Text lautet "Zuversicht" in großen Buchstaben und darunter in kleinerer Schrift "Ein Mensch Ein Wort".
„Zuversicht“ und Robert Habeck auf einem Plakat, da musste ich dann doch lachen. Ein Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, der nicht nur das vielzitierte ‚Heizungsgesetz‘ vergeigt hat, mit geplatzten Großansiedlungen wie Northvolt und Intel brillieren wollte und eine stagnierende Wirtschaft zurücklässt, vermittelt für mich keine Zuversicht. Das benutzte Foto zeigt im Grunde eher einen mutlosen Robert! (Bild: Ulsamer)

„Wahlplakate sind keine Bücher. Der Inhalt muss innerhalb von drei bis fünf Sekunden erfassbar sein“, so Professor Brettschneider in einem SWR-Beitrag. Das haben sich die Grünen mit dem Slogan „Zuversicht“ wohl zu Herzen genommen. In der Kürze mag die Würze liegen, doch wie ausgerechnet Robert Habeck zu „Zuversicht“ passt, das erschließt sich vermutlich nur eingefleischten Anhängern von Bündnis90/Die Grünen. Die deutsche Wirtschaft rangiert mit ihrem Nicht-Wachstum am Ende der EURO- bzw. der G7-Staaten, da weiß ich nicht, wo ich aus den Aktivitäten von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck „Zuversicht“ schöpfen soll. Das Heizungsgesetz, um allein dieses Beispiel zu nennen, hat gewiss nicht zu mehr Zuversicht in deutschen Landen geführt. Die plakatierte „Zuversicht“ lösen Bündnis90/Die Grünen mit ihrem Spitzenkandidaten bei mir nicht aus, und das liegt mit daran, dass diese Partei ihre grüne Seele verloren zu haben scheint, denn wo agieren sie augenblicklich stringent im Sinne von Natur-, Umwelt-, Klima- oder Tierschutz? Was ist eigentlich an den Grünen derzeit grün? Als beim letzten Atomkraftwerk in Deutschland der Stecker gezogen wurde, ging den Grünen endgültig die Luft aus. Mit Verboten lässt sich keine Mehrheit für den Klimaschutz gewinnen, und die Solidarität zerbröselt, wenn die zentralen Anliegen breiter Bevölkerungsschichten, so z. B. eine deutliche Reduzierung der irregulären Migration, zerredet werden. Mehr zu diesem Thema finden Sie in meinem Beitrag ‚Bündnis90/Die Grünen: Die grüne Seele bei Natur- und Umweltschutz ist verwelkt‘.

Sahra Wagenknecht auf einem Plakat ihres Bündnissses Sahra Wagenknecht mit dem Text: "Unser Land wünscht sich weniger Migration".
Sahra Wagenknecht, die Gallionsfigur des nach ihr benannten Bündnisses BSW, hat ganz links und weit rechts Programmpunkte zusammengeklaubt, die sie nun für ein Parteiprogramm hält. Erschreckend ist es, wenn sie sich darum herumdrückt, Wladimir Putin als Verursacher des russischen Angriffskriegs zu bezeichnen. Weitere Infos finden Sie in meinem Beitrag: ‚Wladimir Putin: Imperialist und Kriegsverbrecher. Ist der Angriff auf die Ukraine erst der Anfang?‘ Wagenknecht nutzt – wie die AfD – die offene Flanke, die SPD, Grüne und FDP in Sachen Migration entblößt haben. Die Parteien der Mitte müssen die irreguläre Migration weitestgehend eindämmen, nur dann werden zahlreiche Wähler von BSW und AfD in die politische Mitte zurückkehren. (Bild: Ulsamer)

Ungelöste Migrationsprobleme stärken politische Ränder

Neben der wirtschaftlichen Misere steht in vielen Diskussionen und auch auf Wahlplakaten das Thema Migration im Mittelpunkt. Während Robert Habeck mit einem 10-Punkte-Plan seine Partei in Sachen Migration in der politischen Mitte verorten möchte, will die Grüne Jugend die Zuwanderung sogar erleichtern. „Alle Menschen sollten das Recht haben, auf ihrem Fluchtweg keinen Gefahren durch Schlepper, Grenzstaaten oder dem Mittelmeer ausgesetzt zu sein“, unterstrich die Jugendorganisation von Bündnis90/Die Grünen am 5. Februar 2025. „Dafür müssen die Personalkapazitäten der deutschen Auslandsvertretungen dringend ausgeweitet werden“. Das soziale Anliegen teile ich, doch inzwischen sollte auch den Grünen aufgefallen sein, dass Deutschland mit dem Zustrom an Migranten überfordert ist. Es fehlt an Lehrern, Sozialarbeitern und Wohnungen, um allein diese Bereiche anzuführen. Der Wahlparteitag von Bündnis90/Die Grünen setzte sich dafür ein, das Nachholen von Familienangehörigen zu erleichtern. Wer sich weiterhin der Realität verschließt, der besorgt das Geschäft der AfD und des BSW. Selbstverständlich benötigen wir den Zuzug qualifizierter Mitarbeiter und ihrer Familien, aber die irreguläre Migration muss eingedämmt werden. Im September 2015 hatte Bundespräsident Joachim Gauck in einer bis heute lesenswerten Rede unterstrichen: „Inzwischen trauen wir uns, und wenn nicht, dann sollten wir uns trauen, das fundamentale Dilemma dieser Tage offen auszusprechen: Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten, sie sind endlich.“

Wahlplakat der SPD mit einem Bild von Olaf Scholz und dem Text: "Kanzler für mehr Sicherheit" und etwas kleiner "Für innere, äußere und soziale Sicherheit: mehrfürdich.spd.de".
Irgendwie wirkt das SPD-Plakat mit Olaf Scholz etwas weltfremd. Ausgerechnet der Bundeskanzler wirbt mit „Sicherheit“, die er weder im wirtschaftlichen Bereich noch beim Sicherheitsempfinden der Bürger oder der Eindämmung irregulärer Migration vermitteln konnte. Olaf Scholz, den seine Partei überdies nicht mal als Parteivorsitzenden wollte, hat in seiner Amtszeit rapide an Ansehen verloren, und dazu trug auch seine Überheblichkeit bei. Nicht von ungefähr widmete ihm ‚Der Spiegel‘ eine Coverstory mit dem zutreffenden Titel „Absturz eines Besserwissers“. Mehr zur zerfallenen Regierung von Olaf Scholz lesen Sie in meinem Beitrag ‚Laienspielgruppe gastiert als Ampelregierung. Bundesregierung unter Olaf Scholz stürzt in der Wählergunst ab‘. (Bild: Ulsamer)

Haben Sie das sogenannte „TV-Duell“ gesehen, bei dem Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Herausforderer Friedrich Merz in ARD und ZDF aufeinandertrafen? Scholz zeigte sich in ungewohnter Weise kämpferisch und wie immer überzeugt, im Grunde alles richtig gemacht zu haben – auch bei der Eindämmung der Migration. Als Zuschauer musste man den Eindruck gewinnen, man habe etwas verpasst, denn das selbstgefällige ‚Ich‘ aus dem Bundeskanzleramt zeichnete eine Realität, die nicht mit den eigenen Eindrücken übereinstimmte. Gegenteilige Aussagen von Friedrich Merz erschienen Scholz „lächerlich“ oder „doof“. Nun gut, Einbildung ist ja auch was, aber sie bringt unser Land nicht voran, besonders dann nicht, wenn sie sich im aufgeblähten Kanzleramt niedergelassen hat. “Ich bin der Politiker, der in Deutschland am meisten für harte Sanktionen beim Bürgergeld und auch bei der früheren Grundsicherung steht, weil ich glaube: Wer arbeiten kann, soll es auch tun“, so Scholz zum Bürgergeld. Merz entgegnet: “Aufgefallen ist mir das noch nicht, aber vielleicht habe ich etwas übersehen.” So geht es nicht nur Friedrich Merz, sondern Millionen von Wahlbürgern gleichermaßen, denn ansonsten würde die SPD bei der Sonntagsfrage nicht bei 15 % landen. Was würden wohl große Sozialdemokraten wie der erste Reichspräsident der Weimarer Republik, Friedrich Ebert, über die desolate Lage der SPD sagen? Nun gut, abgerechnet wird am Schluss, wenn wir Wähler unsere beiden Kreuzchen gemacht haben. Eines dürfte klar sein: Kann die nächste Bundesregierung die Migration nicht besser steuern und für mehr Sicherheit sorgen, dann wird sich die AfD freuen.

Großplakat der CDU in bläulicher Farbe mit dem Text: "Recht und Ordnung wieder durchsetzen".
Begriffe wie Recht oder Ordnung wirkten auf manche Zeitgenossen lange altbacken, doch die gegenwärtige Entwicklung in Deutschland zeigt überdeutlich, was geschieht, wenn Recht und Ordnung nicht gewährleistet sind. Bereits 2019 sagte die damalige Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Bündnis90/Die Grünen) laut ‚Tagesspiegel‘: „Ich gehe in Berlin durch gar keine Parks, ich weiß ja nicht, wie Sie das handhaben, aber das ist mir als Frau zu gefährlich“. Und als Grüne-Bundesvorsitzende meinte Ricarda Lang auf die Frage, ob sie nachts durch den Görlitzer Park in Berlin laufen würde: „Im Moment nicht.“ Anschläge im Monatsrhythmus durch Asylanten mit Toten und Verletzten erschüttern das Sicherheitsfühl. Freiheit und Demokratie lassen sich nur sichern, wenn Recht und Ordnung zu den Fundamenten gehören. (Bild: Ulsamer)

Ordnung und Fleiß sind unerlässlich

„Recht und Ordnung wieder durchsetzen“, so plakatiert die Union, und dies beziehe ich nicht nur auf die irreguläre Migration, sondern auch auf die innere Sicherheit insgesamt. Dabei geht es um nichts anderes, als mörderische Anschläge wie in Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg oder München zu verhindern, und um die Eindämmung der Gewalt im öffentlichen Raum ganz allgemein. Da wird es nicht reichen, am Wochenende ein Messerverbot für bestimmte städtische Areale zu erlassen, sondern es muss härter und konsequenter gegen Straftäter – woher sie auch stammen – vorgegangen werden. Das zunehmende Gefühl der Unsicherheit lässt sich nicht durch Beileidsbekundungen und politische Sonntagsreden nach jedem weiteren Mordanschlag ins Gegenteil verkehren, sondern lediglich durch eine Stärkung der Polizei, schnellere Gerichtsverfahren und die Ausweisung straffälliger Migranten ohne deutschen Pass in einem möglichst frühen Stadium. Das Gegenteil ist zumeist der Fall: Ein erschreckendes Beispiel griff die ‚Stuttgarter Zeitung‘ am 12. Februar 2025, also über vier Jahre nach der Tat in Freiburg auf. „Eine 18-jährige Frau war im Gebüsch neben einem Freiburger Techno-Club von zehn vor allem syrischstämmigen Männern vergewaltigt worden“, schreibt Eberhard Wein. „Tatsächlich abgeschoben habe man bisher aber nur einen Mann“, so das Regierungspräsidium Freiburg. Selbstredend gilt es, möglichst viele Menschen mit Hilfe von Jugend- und Sozialarbeit in unsere Gesellschaft einzubinden, damit sie erst gar nicht straffällig werden. Und da gibt es bei angestammten Deutschen und zugewanderten Migranten genügend zu tun. Auch dies ist ein Grund dafür, dass der irreguläre Zustrom gestoppt wird, denn bereits die schiere Zahl ist nicht mehr bewältigbar, das sehen wir in den Kommunen jeden Tag.

FDP-Wahlplakat mit einem Foto von Christian Lindner mit dem Text "Schönreden ist keine Wirtschaftsleistung".
Wo er recht hat, hat er recht: „Schönreden ist keine Wirtschaftsleistung“. Aber bei Christian Lindner, dem Vorsitzenden der FDP und von Olaf Scholz geschassten Finanzminister habe ich den Eindruck gewonnen, dass er sich gänzlich auf das Reden konzentriert, und das kann er vorzüglich! Zu lange hatte Lindner im Kabinett von Olaf Scholz mitgespielt und wurde bei seinen Tricksereien vom Bundesverfassungsgericht gestoppt, das die nachträgliche Umbuchung von Kreditermächtigungen aus dem Coronatopf zum Klimaschutz untersagte. Meinen Blog-Beitrag zu diesem entlarvenden Vorgang finden Sie unter ‚Finanzminister Christian Lindner als Hütchenspieler aufgeflogen. Taschenspielertricks der Bundesregierung verfassungswidrig‘. (Bild: Ulsamer)

„Fleiß muss sich wieder lohnen“. Wer möchte hier widersprechen, es sei denn, man hat es sich dank staatlicher Leistungen schon viel zu gemütlich auf dem Sofa gemacht. ‚Fleiß‘ wird schnell zu einer deutschen Tugend deklariert, doch ein Blick in die Fabrikhallen, Werkstätten, Restaurants und Büros zeigt, fleißige Arbeitnehmer und Unternehmer kommen aus allen Teilen unserer Welt. Somit dürfte dieses Wahlplakat bei der weit überwiegenden Mehrheit auf volle Zustimmung treffen, auch wenn es nicht unmittelbar zu einer Wahlentscheidung für die CDU/CSU führt. Mehr „Netto vom Brutto“ plakatieren die ‚Freien Wähler‘, die CDU/CSU Wähler abspenstig machen dürften, ohne dass sich das im Bundestag in Sitzen niederschlägt. Apropos Sitze: Als Folge der von SPD, Grünen und FDP verabschiedeten Wahlreform könnte es geschehen, dass im Wahlkreis gewählte Abgeordnete nicht in den Bundestag einziehen, wenn die Zahl der direkt gewählten Parlamentsmitglieder einer Partei höher ist als ihr nach dem Prozentsatz der Zweitstimmen zustehen würden. Warum das Bundesverfassungsgericht ausgerechnet diesen Teil der Neuregelung nicht beanstandet hat, das ist mir ein Rätsel. Genau darauf bin ich bereits eingegangen in: ‚Wahlrechtsreform: Trotz Direktmandat nicht im Bundestag? Der Vorschlag der Ampelregierung gefährdet die Demokratie‘.

Friedrich Merz auf CDU-Wahlplakat. Er schut mit dunkler Brille nach rechts. Text: "Für ein Land, auf das wieder stolz sein können".
Leicht skurril wirkt auf mich das Wahlplakat, das Friedrich Merz in einer Pose zeigt, die ich beim besten Willen nicht mit Dynamik und Durchsetzungskraft verbinden kann. Wer hat denn dieses Motiv ausgewählt? Mich erinnert das Bild eher an einen Philosophen in seiner Kemenate als an einen zukünftigen Bundeskanzler. (Bild: Ulsamer)

Koalitionäre dürfen nicht auf Weiter-so setzen

Die Wellen des Wahlkampfs werden sich nach der Stimmabgabe verlaufen, auch wenn manche Journalisten die Kompromissfähigkeit der Parteien der Mitte in Zweifel ziehen. Letztendlich geht es nicht nur um die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, sondern Politiker zieht es meist an die Futterkrippen der Macht und nicht so gern in die oppositionelle Ecke. „Die Opposition ist Mist, lasst das die anderen machen. Wir wollen regieren“, betonte Franz Müntefering auf einem Sonderparteitag 2004, bei dem er zum SPD-Vorsitzenden gewählt wurde. 2005 brachte es die älteste demokratische Partei Deutschlands bei den Bundestagswahlen noch auf 34 %, davon kann die SPD gegenwärtig bloß träumen. Vielleicht hätten sich die Sozialdemokraten besser an eine weitere Aussage von Müntefering gehalten: „Wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, das Spiel zu gewinnen, und nicht überlegen, mit wem wir nachher duschen gehen.“ Letztendlich wird wieder eine Koalitionsregierung auf uns alle zukommen, und am ehesten werden sich Union und SPD zusammenraufen. Was nicht passieren darf, ist ein Weiter-so, denn das würde nur die politischen Ränder stärken. Ich habe immer das deutsche Verhältniswahlrecht favorisiert, doch manchmal wünschte ich mir inzwischen ein Mehrheitswahlrecht wie im Vereinigten Königreich, wo die Direktwahl des Abgeordneten entscheidet.

Plakat der MLPD mit einem Bild von Karl Marx und dem Text "Kapitalismus-Kritik: das Original".
Zu den unverbesserlichen Aktivisten gehören wohl die Anhänger der MLPD, die noch immer mit Karl Marx wirbt, obwohl alle Versuche, seine Ideale in verschiedenen Teilen der Welt umzusetzen, in wirtschaftlicher Not oder Unfreiheit endeten. Für die politische Willensbildung ist die maoistisch-stalinistisch geprägte Sekte unbedeutend, denn die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands brachte es bei der Bundestagswahl 2021 auf weniger als 0,1 % der Stimmen. Mehr zu den nimmermüden Marx-Fans lesen Sie in: ‚200. Geburtstag von Karl Marx: In Bronze gegossene Geschichte. Trier und Berlin – Wenn Staatskünstler Geschichte gestalten‘. (Bild: Ulsamer)

Wahlplakate behalten weiter ihre Bedeutung, denn im öffentlichen Raum kommen auch Politikmuffel kaum an ihnen vorbei. Und das ist gut so. Mögen die Plakate nichts als einzelne Impulse setzen, bestimmte Gesichter hervorheben, so können sie durchaus ein Blickfang und so eine Anregung sein, sich intensiver mit den unterschiedlichen politischen Angeboten vertraut zu machen. Das eine oder andere Plakat hat zwar wenig mit der Realität in unserem Land zu tun, doch sie alle zeigen damit die Bandbreite des Denkens und Fühlens in unserer freiheitlichen Gesellschaft. Wer heute noch mit Karl Marx, als dem „Original“ auf Wählerfang geht – wie die maoistische MLPD -, der hat die Wirklichkeit abgeschüttelt und sich in seine eigene kleine Welt zurückgezogen. Aber auch dies gehört zu einer freien und demokratischen Gesellschaft, Andersdenkende kommen zu Wort und können Plakate kleben. Im gelobten Reich der Maoisten zählen dagegen allein die Vorgaben einer Partei. Und das ist gewiss das Letzte, was ich mir wünsche! Alle Bürger sollten dem Grundsatz folgen: Hände weg von Wahlplakaten, selbst wenn sie einem nicht gefallen.

In der Dunkelheit brennnt ein Wahlplakat, das an einem Beleuchtungsmast befestigt wurde.
In diesen Wochen gibt es aus meiner Sicht mehr zerstörte Plakate als bei vorhergehenden Wahlkämpfen. Zerrissen, beschmiert oder gleich angezündet wie im Fall eines Plakates von Volt direkt vor unserer Haustüre. Spät in der Nacht klingelte es gegen 23 Uhr und wir öffneten trotz anfänglicher Bedenken. Ein junges Paar hatte angehalten, denn gegenüber brannte ein Wahlplakat. Feuerwehr, Polizei, Feuerlöscher? Der Laternenmast und der Holzzaun könnten etwas abbekommen, also füllte ich einen Wassereimer und behob das Problem. Wer Plakate zerstört, die ihm nicht gefallen, hat die freiheitliche Demokratie falsch verstanden. Aber ganz neu ist das nicht, denn als ich mit einem Freund zu Studentenzeiten Plakate klebte, waren diese am nächsten Morgen bereits wieder verschwunden oder zerstört. Schmierfinken, die gerne Wände verunstalten, neigen auch dazu, ihr Gekrakel auf Wahlplakaten zu hinterlassen. (Bild: Ulsamer)

Schmierereien gehören nicht auf Wahlplakate, und wer sie gar zerfetzt und anzündet, der vergeht sich am Gedanken der freien Meinungsäußerung. Wahlplakate müssen zuspitzen und sind hoffentlich ein Blickfang, hin und wieder ein Aufreger, als Polit-Müll sollten wir sie nicht betrachten und auch nicht zu solchem machen. Unsere demokratische Grundordnung lässt sich am besten erhalten und stärken, wenn wir offen über alle Probleme debattieren, doch dann müssen auch Taten folgen: Die nächste Bundesregierung muss endlich damit beginnen, Probleme zu lösen, anstatt ausschließlich über diese zu streiten.

 

SPD-Wahlplakat von 2021 mit einem Foto von Olaf Scholz und dem Text "Respekt für dich".
Auf einem seiner Wahlplakate ließ sich Olaf Scholz 2021 mit dem Slogan „Respekt für Dich“ abbilden. Scholz schaffte es wegen gravierender Schwächen der Union ins Kanzleramt, das er – ausgehend von Plänen aus der Regierungszeit von Merkel/Scholz – gerade räumlich verdoppeln lässt. Mit dem Respekt scheint es bei Olaf Scholz gegenüber seinen Mitmenschen so eine Sache zu sein. In der letzten Wahlkampfphase beleidigte Bundeskanzler Scholz im direkten Gespräch Joe Chialo. „Als Joe Chialo einwandte, ob er das wirklich so meine mit dem Rassismus der CDU, jener Partei also, in deren Bundesvorstand er sitzt, fuhr Scholz ihn an, er, der Schwarze, sei nicht mehr als ein Feigenblatt. ‚Jede Partei hat ihren Hofnarren‘, sagte Scholz vor Zeugen an den Berliner Kultursenator Chialo gewandt“, schreibt das Magazin ‚Focus‘. Im TV-Duell mit Friedrich Merz waren dessen Vorschläge mal „doof“, mal „lächerlich“. Eine echte politische Auseinandersetzung sieht anders aus. Entlarvend war es, als Scholz dem FDP-Chef Christian Lindner bei seinem Rausschmiss aus der Ampelregierung vorwarf, er sei „kleinkariert“. Wenn ein bundesdeutscher Politiker für kleinkariertes Denken steht, dann ist das Olaf Scholz, darüber kann sein selbstgefälliges bis herablassendes Grinsen nicht hinwegtäuschen. „Wer den Bundeskanzler am Mittwoch gehört hat, weiß, dass Olaf Scholz der richtige Mann ist“, so sieht Ralf Stegner dagegen den Kanzler in einem ‚Welt‘-Interview. Der ewig sauertöpfisch dreiblickende SPD-Wadenbeißer stand mit seiner Meinung ziemlich einsam in Deutschland da, denn in der Insa-Umfrage für ‚Bild‘ waren 72 % der Befragten unzufrieden mit der Arbeit des SPD-Kanzlers. Wer sich Respekt als Wahlmotto aussucht, wie Olaf Scholz 2021, der sollte auch versuchen, gegenüber seinen Kontrahenten genau diesen Respekt zu zeigen. Ergänzende Ausführungen zum Zerfall der Koalition von SPD, Grünen und Liberalen finden Sie in meinem Blog-Beitrag ‚Bundesregierung unter Olaf Scholz hat ihre Chancen selbst verspielt. Donald Trump siegt und Bundesregierung zerfällt. (Bild: Ulsamer)

 

Wahlplakat Die Linke mit dem Text: "Ist dein Dorf unter Wasser, steigen Reiche auf die Yacht".
Die nach dem Abgang von Sahra Wagenknecht und ihren Getreuen stark gerupfte Linke pflegt weiter ihr simples Weltbild. Eigentlich ist das kein Wunder für eine Nachfolgepartei der SED, die einst die DDR unter ihrer Knute hielt. Die Reichen sind schuld, Milliardäre gehören enteignet, dann ist die Welt gerettet. Nun habe ich gewiss nichts dagegen, wenn Milliardäre mehr zum Steueraufkommen beitragen, doch wird dies die Probleme eines Landes, das über seine Verhältnisse lebt, gewiss nicht lösen. (Bild: Ulsamer)

 

Blaues Plakat der AfD mit dem Text "Zeit für bezahlbare Energie".
Bezahlbare Energie, das ist ein zentrales Thema, doch nicht nur der AfD fehlt es an echten Antworten. Die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel will gar Windräder abreißen, ohne konkrete Wege in die Zukunft zu weisen. Die bei der AfD hoch im Kurs stehende Reanimierung der Kernenergie wird kurz- und mittelfristig keine Alternative sein, auch über Kernfusion wird seit Jahrzehnten folgenlos philosophiert. Und der Kauf von russischem Erdgas, den die AfD fordert, ist ein Ding der Unmöglichkeit, solange Putin am Ruder ist. Das Kernthema der AfD bleibt ein Stopp der illegalen Zuwanderung. (Bild: Ulsamer)
Plakat der Grünen mit dem Text "Natur und Klima schützen".
In Wahlkampfzeiten fallen Parteien gerne ihre Grundanliegen wieder ein, die sie im täglichen Regierungsbetrieb bedauerlicherweise vergessen haben. Natürlich werkelten die Grünen an allerlei Strategien mit, so z. B. zum Schutz der Moore oder der Meere, doch wo sind die konkreten und durchschlagenden Maßnahmen? Fehlanzeige. Wer als grüne Bundesministerin wie Steffi Lemke sich selbst dafür lobt, man habe „eine Regelung beschlossen, die es bundesweit möglich macht, Wölfe nach Rissen auf Weidetiere schnell und unkompliziert abzuschießen“, der hat sich weit von grünen Gründungsidealen entfernt. Und Lemke setzte noch einen drauf: „Diese Schnellabschüsse sind unbürokratisch und praktikabel umsetzbar.“ Entbürokratisierung habe ich mir anders vorgestellt! Der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hatte die Vorgabe von Brachflächen und der Fruchtfolge bereits für 2023 zurückgestellt – und die Bundesregierung hat das für 2024 verlängert. Wo aber sollen Insekten und Vögel leben, wenn die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion ungebremst voranschreitet? Mehr dazu in: ‚Bündnis 90/ Die Grünen: Die grüne Seele bei Natur- und Umweltschutz ist verwelkt‘. (Bild: Ulsamer)

 

Großplakat der Freien Wähler mit dem Text "2000 EURO im Monat steuerfrei. Mehr Netto vom Brutto".
„Mehr Netto vom Brutto“ – wer wünscht sich das nicht? Wenig Zugkraft entwickeln die Freien Wähler bisher auf Bundesebene, denn ihr Spitzenkandidat Hubert Aiwanger sitzt zwar als stellvertretender Ministerpräsident in der bayerischen Landesregierung, aber der bundesweite Zuspruch bleibt gering. (Bild: Ulsamer)

 

Überquellender Mülleimer, Tüten liegen daneben und ein zerrissenes Plakat der Grünen mit dem Text "Natur und Umwelt".
Wahlplakate tragen zur politischen Meinungsbildung bei und sollten trotz unterschiedlicher Ansichten nicht im Müll landen. Generell wird unser Land leider immer mehr vermüllt. ‚Leben wir im Lande der Vandalen? Müllfrevler verdrecken unsere Landschaft‘, so lautet der Titel eines meiner Blog-Beiträge zu diesem leidigen Thema. (Bild: Ulsamer)

 

Mehrere Wahlplakate hängen an einem Lichtmasten. Das CDU-Plakat wurde mit 161 verschmiert, das auf die Antifaschistische Aktion (Antifa) hinweis, das Plakat der Grünen wurde zerrissen, ein anderes unleserlich verknittert.
Demokraten zerstören oder verunstalten keine Wahlplakate, selbst wenn ihnen die geäußerte Meinung nicht gefällt. „161“-Schmierereien findet sich an Gebäuden und auch an Wahlplakaten. Diese Zahlenkombination steht für die ‚Antifaschistische Aktion (Antifa)‘. Schmierfinken, die gerne Wände verunstalten, neigen auch dazu, ihr Gekrakel auf Wahlplakaten zu hinterlassen. Mehr dazu in: ‚Graffiti: Nicht jeder Schmierfink ist ein Künstler. Kommunen müssen schärfer gegen Sprayer vorgehen‘. (Bild: Ulsamer)

 

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An zwei Masten auf einer Verkehrsinseln wurden zahlreiche kleinformatige Wahlplakate befestigt. Links und rechts fahren Autos.Wahlplakate müssen in Sekunden oder auch nur in Bruchteilen davon ihren Impuls vermitteln, was besonders für den Verkehrsbereich zutrifft. Und sie stehen dort in Konkurrenz mit anderen Informationen und Aktivitäten. (Bild: Ulsamer)

 

 

Garten-Blattschneiderbiene ist Wildbiene des Jahres 2025

Eine Blattschneiderbiene fliegt mit einem grünen Blatt unter dem Körper über dunkelgraue Betonziegel zu ihrem Einstieg auf dem Dach.

Blattschneiderbiene als emsige Dekorateurin

Die Garten-Blattschneiderbiene wurde vom Kuratorium ‚Wildbiene des Jahres‘ des Arbeitskreises Wildbienen-Kataster zur Wildbiene des Jahres 2025 gekürt. Ein wichtiges Signal, denn die wilden Verwandten der Honigbienen haben es besonders schwer in einer ausgeräumten Landschaft, in der es an vielfältigen Nahrungspflanzen und gleichfalls an sicheren Nistmöglichkeiten fehlt. So ist es nicht verwunderlich, dass bereits die Hälfte der in Deutschland lebenden Wildbienenarten auf der Roten Liste der gefährdeten Arten steht. Die industrialisierte Landwirtschaft mit Monokulturen und Pestizideinsatz und die Zersiedelung erschweren es den Wildbienen in unserem Land – und in ganz Europa –, sich selbst zu ernähren und ein Plätzchen für den Nachwuchs zu finden. Die Blattschneiderbiene gehört zwar noch nicht zu den akut gefährdeten Wildbienen, doch was heißt das schon? So manche Tier- oder Pflanzenart ist – kaum in die Roten Listen aufgenommen – bereits am Aussterben. Zwar berichten manche Internetseiten, die Blattschneiderbienen seien relativ weit verbreitet, doch allzu oft habe ich die Blattschneiderbienen noch nicht mit einem grünen ‚Blättchen‘ unterm Bauch an mir vorbeischweben sehen. Diese Blattschneiderbienen waren auf dem Weg zu ihrer Nisthöhle, um mit den ausgeschnittenen Teilen der Blätter die Wände zu ‚tapezieren‘ und letztendlich den Zugang zu ihren Brutkammern zu verschließen.

Blattschneiderbiene umklammert mit den Beinen das Blattsegment, das sie gerade mit den Kauwerkzeugen ausschneidet. Die Flügel schlagen.
Gleich geht’s los! Die Blattschneiderbiene – die Wildbiene des Jahres 2025 – hat das Blattsegment fast ausgeschnitten. (Bild: Ulsamer)

Auf dem fliegenden Teppich

Mögen die Blattschneiderbienen an sich nicht besonders auffallend sein, so ist es ihre Arbeitsweise schon und gleiches gilt für ihren Willen, das Nest für die Eier optimal vorzubereiten. Haben sie einen Spalt in einem Haus entdeckt, eine Nistmöglichkeit unter Dachziegeln erspäht oder Fraßgänge von Käfern in einem morschen Stück Totholz, dann machen sie sich an die Vorbereitung des Nests. Blattschneiderbienen sind solitär lebende Insekten, doch manchmal entsteht der Eindruck, sie würden Kolonien bilden, wenn mehrere von ihnen unterm gleichen Dach ihre Nester bauen. Die Männchen sind nur an der Paarung beteiligt, ansonsten ist die weibliche Blattschneiderbiene auf sich selbst gestellt: Sie erkundet einen Nistplatz, um anschließend die Wände mit sorgfältig herausgetrennten Blattstückchen auszukleiden. Ich wollte es erst nicht glauben, als sich neben mir eine Blattschneiderbiene daran machte, mit ihren kräftigen Mundwerkzeugen vom Rand eines Montbretienblattes her ein Stück herauszutrennen: oval und am Rand des langen und schmalen Blatts abgeplattet. Der Ton beim Ausschneiden des gewünschten Pflanzenteils war tatsächlich zu hören! Nicht immer klappt das Abtrennen auf Anhieb, manchmal bleibt das weitgehend herausgeschnittene Teil des Blatts an einer einzigen Pflanzenfaser hängen, und die Blattschneiderbiene, die darauf sitzt, gibt auf. Kaum hat sie ausgeruht, da macht sie sich ans nächste Blättchen, denn der Nistplatz wartet auf die Dekorateurin unter den Wildbienen.

Eine Blattschneiderbiene hat ihr Blattsegment fast abgetrennnt. Daneben ein weiteres ovales Loch im Blatt der Pflanze.
Blätter von Rosen oder hier Montbretien sehen nach der Arbeit der Blattschneiderbienen etwas angeknabbert aus, doch die Pflanzen werden nicht gefährdet. Wildbienen haben es schwer auf Agrarflächen, daher sind oft naturnahe Gärten ein wichtiger Rückzugsort. . Die Insekten werden immer weniger, dennoch verlängerte die EU-Kommission die Zulassung für Glyphosat. Glyphosat tötet alle Pflanzen ab, die besprüht werden, wenn sie nicht zuvor gentechnisch verändert wurden. Nur die resistente, genmanipulierte Feldfrucht überlebt in Monokulturen, Wildblumen und Wildkräuter dagegen haben das Nachsehen und werden abgetötet. Mit den fehlenden Kräutern und Wildblumen verringert sich die pflanzliche Vielfalt, Wildbienen und andere Insekten finden keine Nahrung. Mehr dazu in: ‚EU: Green Deal im Glyphosatnebel verschollen. EU-Kommission hat kein Herz für Insekten und Wildkräuter‘. (Bild: Ulsamer)

Rosenliebhaber sind manchmal nicht gut auf die Blattschneiderbienen zu sprechen, denn sie machen auch vor ihren Sträuchern nicht halt. Doch im Grunde schädigen sie die Pflanze kaum, selbst wenn die Blätter etwas löcherig aussehen. Wir waren trotz der zahlreichen herausgetrennten Blattstücke glücklich, dass Blattschneiderbienen im wahrsten Sinne des Wortes unter unserem Dach ihre Nistplätze eingerichtet hatten. Blattschneiderbienen mögen wärmere Standorte, an denen sie auch mal im Sonnenschein unterwegs sein können. In naturnahen Gärten oder Parks, an Waldrändern oder Lichtungen, auf Streuobstwiesen oder in Weinbergen sind die emsigen Insekten anzutreffen. Faszinierend ist es für mich, wenn diese Wildbienen auf einem grünen Teppich vorbeizugleiten scheinen: wer ist sonst schon mit einem Blattausschnitt unterm Bauch – gleichsam mit dem fliegenden Teppich – unterwegs, der hin und wieder größer ist als die Transporteurin? Der Bau des Nests mit den Brutkammern muss zügig vorangehen, denn in jede Kammer legt die Garten-Blattschneiderbiene (Megachile willughbiella) ein Ei mit entsprechender Nahrung aus Pollen und Nektar. Eine Kammer wird mit Blättchen von der anderen getrennt und zu guter Letzt die ganze Anlage mit weiteren Blattstücken zur Abwehr von Feinden verschlossen. Die Mörtelbienen, die zumeist mit den Blattschneiderbienen zur Gattung Megachile gerechnet werden, bauen dagegen ihre Nester aus Erde und kleinsten Steinchen. Sofern vorhanden, nutzen sie – wie die Blattschneiderbiene – dafür kleine Hohlräume, sie können ihren Nistplatz jedoch auch freistehend anbringen.

Eine Blattschneiderbiene verschließt ein Loch in einem Zaunpfahl aus Beton mit grünen Blattteilen. Diese hat die Wildbiene aufgerollt.
Mit ausgeschnittenen Blattstückchen verschließt die Blattschneiderbiene den Hohlraum, in dem sie die Brutkammern mit jeweils einem Ei und Pollen als Nahrung eingerichtet hat. Die Blattsegmente rollt sie ein und verfestigt den Schutzwall gegen Feinde mit Pflanzenmörtel aus zerkauten Blattteilen. Selbst ein Loch in einem Zaunpfahl aus Beton reicht der genügsamen Blattschneiderbiene für den Nestbau. Sie quartiert sich jedoch auch in Insektenhotels ein, wenn die Hohlräume mit 5 bis 7 Millimetern Durchmesser weit genug sind. (Bild: Ulsamer)

Verarmte Landschaft

Im Regelfall sind die geschäftigen Bienen von Ende Mai bis Ende September unterwegs, und dabei geht es den alleinlebenden Wildbienen im Grunde stets um die Sicherung des Nachwuchses. In ihrer Brutzelle überwintern die voll entwickelten Larven in ihrem Kokon, um dann im kommenden Sommer als nächste Generation das Licht der Welt zu erblicken. Somit ‚treffen‘ die Mütter ihre Kinder nur, wenn von Zeit zu Zeit innerhalb eines Jahres unter sehr günstigen Bedingungen die Entwicklung vom Ei über die Larve zur Biene besonders schnell verläuft. In einem platzmäßig günstigen Nest können die Blattschneiderbienen 10, 20 oder gar 30 Brutzellen hintereinander anlegen, wobei dies eine immense Anstrengung für die Insekten darstellt. Häufig sieht man eine Blattschneiderbiene auf einer Pflanze oder einem Stein ausruhen, wenn sie ein kleines Blattsegment herausgeschnitten hat, denn diese Tätigkeit ist überaus kräftezehrend. Nach einer Ruhepause geht es dann weiter zum eigentlichen Nistplatz.

Eine Blattschneiderbiene schlüpft mit einem grünen Blättchen zwischen zwei Dachziegel aus dunkelgrauem Beton.
Selbst ein enger Schlitz genügt, damit sich Blattschneiderbienen mit ihren Blattstücken einen Nistplatz unter Dachziegeln einrichten können. (Bild: Ulsamer)

Zwar werden alle Wildbienen durch die Bundesartenschutzverordnung geschützt, doch nutzt dies den Blattschneiderbienen und ihre Kolleginnen wenig, wenn sich ihr Lebensraum durch menschliche Eingriffe verkleinert. Längst hätte die Agrarlandschaft wieder stärker mit Hecken, Blühstreifen, Lesesteinriegeln, Totholz oder Brachflächen und Tümpeln aufgelockert werden müssen, doch die EU-Subventionen begünstigen weiter eine industrielle Landwirtschaft. Auf die fehlgeleiteten Agrarsubventionen gehe ich in meinem Beitrag ‚EU-Agrarförderung bleibt grünlackierte Geldverteilmaschine. Familiengeführte Betriebe und die Artenvielfalt sterben‘ näher ein. Viel zu häufig ist aus Wäldern ein Forst geworden, bei dem der Holzeinschlag den Naturschutz zur Seite gedrängt hat. Und wer in Städten die letzte Baulücke schließt, Parks und Gärten mit kurzrasiertem Rasen überzieht oder zu einer überdimensionalen Grillfläche degradiert, der muss sich nicht wundern, wenn Wildbienen den Kürzeren ziehen. Dabei sind Blattschneiderbienen genügsam, denn oft reicht auch ein hohler Brombeerzweig für den Nestbau oder ein überdimensionaler Stängel in einem Ackerrain mit mehrjährigen Pflanzen, notfalls graben sich die emsigen Bienen einfach ein Loch in den Boden oder in Lehmwände. Laubblätter von (Wild-) Rosen, Schlehen, Montbretien – wie in unserem Fall -, Hainbuchen, Eichen oder Birken nutzen die Blattschneiderbienen für die ‚Dekoration‘ ihrer Nester.

Eine Blattschneiderbiene arbeitet an letzten Pflanzenfasern, um das gewüschte Blattsegment herauszutrennen. Sie ist von vorne zu sehen. Ihre Mundwerkzeuge halten das Blatt fest.
Mit ihren kräftigen Mandibeln schneiden die Blattschneiderbienen weitgehend ovale Stückchen aus Blättern aus, um damit ihre Brutkammern zu ‚tapezieren‘ bzw. diese zu verschließen. Wenn sie sich mit ihren Mundwerkzeugen ans Werk machen, ist das aus der Nähe sogar zu vernehmen. (Bild: Ulsamer)

Mehr Lebensraum für Wildbienen

Wildbienen – wie die Blattschneiderbiene – sind kein nettes Accessoire in unserer verbliebenen Rest-Natur, sondern von größter Bedeutung für die Bestäubung zahlreicher Pflanzen. Wer die Vielfalt auch auf seinem Esstisch erhalten möchte, der darf nicht nur auf Honigbienen setzen, sondern muss auch den Wildbienen das Überleben erleichtern. Wenn es in unseren Städten, aber gerade auch auf intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen und im Forst immer weniger summt, dann ist dies ein Alarmzeichen! Der Rückgang der Insekten ist dramatisch und hat seine Folgen nicht nur bei der Bestäubungsleistung, sondern auch tiefgreifende Auswirkungen auf andere Tierarten – wie z. B. die Vögel. Mögen manche Arten der Blattschneiderbiene im Zuge des Klimawandels auch neue Regionen besiedeln, so ist ihre Gesamtzahl dennoch niedrig.

Eine Blattschneiderbiene ruht sich auf ihrem grünen Blattsegment sitzend aus. Dabei hat sie sich auf ein morsches Stück Totholz gesetzt. Die Oberseite der Wildbiene ist weitgehend schwarz, die Unterseite des Hinterkörpers rotbraun.
Für zahlreiche Pflanzen und Tierarten ist Totholz von großer Bedeutung, und es sollte daher in Gärten und Parks, im Wald und am Rand von landwirtschaftlichen Flächen belassen oder abgelegt werden. Mehr dazu in: ‚Totholz ist voller Leben. Macht den Forst wieder zum Wald!‘ (Bild: Ulsamer)

Wildbienen benötigen wieder mehr Lebensraum, und dieser ist nur zu schaffen, wenn die Landschaft vielfältiger wird. ‚Unordentliche‘ – sprich naturbelassene – Ecken in einem Garten, Blühwiesen und Hecken oder Bauminseln mit Totholz in Parks und Grünanlagen können die Lebensgrundlage für Wildbienen verbessern. Trockenmauern mit teilweise geöffneten Fugen oder auch markhaltige Stängel von Holunder, Engelwurz oder Königskerzen auf Brachflächen können ebenso als Kinderstube dienen. Das Insektensterben generell lässt sich jedoch nur stoppen, wenn auf Feldern oder Grünland und im Forst wieder mehr Nistmöglichkeiten geschaffen werden und das Nahrungsangebot steigt. Ich möchte noch möglichst oft Blattschneiderbienen auf ihrem grünen Blättchen vorbeifliegen sehen oder eine Holzbiene auf Pollensuche entdecken! Mit dem Aussterben ganzer Wildbienenarten erodiert auch die Lebensgrundlage von uns Menschen: Der Insektenschwund muss – trotz aller anderen Krisen – weit stärker zu einem Thema der Politik werden, denn nur durch politische Entscheidungen lässt sich die Landnutzung im großen Stil verändern. Darauf sollten wir jedoch nicht warten, sondern bereits im Kleinen unseren Beitrag leisten für eine insektenfreundliche Welt!

 

Eine Blattschneiderbiene 'sitzt' auf einem Blattteil und hält es fest. Nur noch einige Fasern müssen durchgetrennt werden.
Es ist eine harte Arbeit für die Blattschneiderbienen, Blattsegmente abzutrennen. Die meisten Arten der Blattschneiderbienen sammeln Pollen von verschiedenen Pflanzen und sind damit nicht so anfällig für Veränderungen in der Landschaft. Wichtige Bestäuber sind die Wildbienen allemal. In den USA und europäischen Ländern werden sogar eigens Blattschneiderbienen – Megachile rotundata – zur Bestäubung der Luzerne gezüchtet. (Bild: Ulsamer)

 

Blattschneiderbiene versucht, ein sehr großes grünes Teil eines Blatts zu transportieren.
Dieser Blattausschnitt scheint doch etwas groß geworden zu sein. (Bild: Ulsamer)

 

Eine Blattschneiderbiene sitzt auf ihrem grünen Blatt und hat sich auf einer hellbraunen Muschel niedergelassen.
Das Heraustrennen der Blattteile ist sehr anstrengend, daher legen Blattschneiderbienen häufig eine kleine Pause auf dem Rückweg zum Nistplatz ein. Eine vielfältige Landschaft hilft Wildbienen und zahlreichen anderen Insekten beim Überleben. Weitere Ausführungen hierzu finden Sie in meinem Beitrag ‚Insekten lechzen nach Nektar und Pollen. Wild- und Honigbienen auf Nahrungssuche‘. (Bild: Ulsamer)

 

Eine Garten-Blattschneiderbiene verschwindet mit ihrem Blattsegment in einem Loch, das sich in Totholz befindet.
Diese Blattschneiderbiene verschwindet mit ihrem Blättchen im Totholz, wo sie ihr Nest angelegt hat. (Bild: Ulsamer)

 

Garten-Blattschneiderbiene hat Blattsegment herausgetrennt, doch es hängt noch an einer Pflanzenfaser.
Eine dünne Pflanzenfaser macht nicht selten die Arbeit der Blattschneiderbiene zunichte, und so beginnt sie nach einem kurzen Ausruhen mit dem nächsten Blattausschnitt. (Bild: Ulsamer)

 

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Eine Blattschneiderbiene mit einem grünen Blattausschnitt zwischen den Beinen fliegt zu ihrem Nest unter schwarzen Dachziegeln.Wie auf einem fliegenden Teppich nähert sich die Blattschneiderbiene ihrem Nest, das sie unter Dachziegeln eingerichtet hat. Wir haben uns über diese Untermieter gefreut. Insekten benötigen wieder mehr Lebensraum in Stadt und Land. In einer gemeinsamen Pressemitteilung stellten das Kuratorium ‚Wildbiene des Jahres‘, das beim Arbeitskreis Wildbienen-Kataster Baden-Württemberg angesiedelt ist, einer Sektion des Entomologischen Vereins Stuttgart 1869 e.V., das Naturkundemuseum Stuttgart und der NABU Baden-Württemberg die Garten-Blattschneiderbiene als Wildbiene des Jahres 2025 vor. (Bild: Ulsamer)

Deutschland „Außer Betrieb“

Eine silbern glänzende Lifttür mit einem weißen Zettel mit der Aufschrift "Außer Betrieb".

Mängel, Murks und Müll statt Exzellenz und Erstklassigkeit

Fällt es Ihnen auch auf, dass an immer mehr Orten in Deutschland ein Schild prangt mit den beiden Wörtern „Außer Betrieb“? Gerne werden wir im Zeitalter der Digitalisierung im Internet aufgefordert „Versuchen Sie es bitte später wieder“ – und dies zumeist auf Seiten deutscher Unternehmen. Die Bundesregierung von Olaf Scholz (SPD) und unter Federführung von Robert Habeck (Bündnis90/ Die Grünen) fuhr das ‚Heizungsgesetz‘ an die Wand, und traulich vereint funktionieren bundesweit SENEC-Speicher für PV-Anlagen mangelhaft oder gar nicht. Teile der Politik und der Wirtschaft scheinen sich einen Wettkampf zu liefern, wer den größten Pfusch abliefert. Brücken bröseln oder fallen schon mal ein, Straßen verwandeln sich in Holperpisten, und wer den Zug nimmt, der weiß nie so genau, wann und wo er wieder aussteigen wird. Murks, wo immer man hinschaut – in einem Land, das einst bei technischen Innovationen und politischer Kompetenz Maßstäbe setzte. Nicht von ungefähr war ‚Made in Germany‘ ein Gütesiegel. Müll an deutschen Straßenrändern und auf zentralen Plätzen scheint zunehmend weniger Zeitgenossen zu stören. Ist es ein Wunder, dass Deutschland nicht nur wirtschaftlich zurückfällt, wenn Mängel, Murks und Müll überhandnehmen und Meisterleistungen – sprich Exzellenz – verdrängen?

Screenshot aus dem Internet: „Bitte versuche es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal“. Hinweis des Internetanbieters.
Da möchte man nach Jahrzehnten den Mobilfunkanbieter wechseln und scheitert an tagelangen Hinweisen von ‚Aldi Talk‘ „Bitte versuche es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal“. Mit einer solch blamablen Leistung hätten die Albrecht-Brüder ihr Discounter-Unternehmen sicherlich nicht aufgebaut. Mit dem Mobilfunk ist das in Deutschland eh so eine Sache, denn hier meinte die CDU-Wissenschaftsministerin Anja Karliczek: “5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig.“ Mehr zu dieser traurigen Aussage finden Sie in: ‚Deutschland: Bis zur letzten Milchkanne. Leistungsfähiger Mobilfunk und schnelles Internet sind zwingend‘. (Bild: Ulsamer)

Pfusch wird hoffähig

Ich erinnere mich noch gut daran, dass ausländische Besucher im Gespräch die Ordnung und Sauberkeit in unseren Städten hervorhoben. Davon ist heute nicht mehr viel übriggeblieben. Standorte mit Containern für Altglas oder gebrauchte Kleidung verwandeln sich wie von Geisterhand in Müllhalden, doch die Kommunalpolitiker sind nicht gewillt, mit Videoüberwachung und konsequenter Bestrafung gegen die Müllfrevler vorzugehen. Öffentliche Abfallbehälter werden mit Hausmüll gefüllt, als gäbe es keine Müllabfuhr zuhause. Bedenklich stimmt mich nicht in erster Linie die Vermüllung unserer Landschaft, sondern die Tatsache, dass dies zahlreiche Mitmenschen nicht zu stören scheint. So werden auch eifrig die Hinterlassenschaften von Vierbeinern zwar gesammelt, um den Hundekot dann in farbigen Plastiktüten in Wald und Flur abzulegen. Dümmer geht scheinbar immer. Und die Überreste des Silvesterfeuerwerks hinterlassen Müllvandalen auf Straßen und Plätzen, oder vielfach häufiger in der Natur. Mehr dazu finden Sie in meinem Beitrag ‚Das Silvester-Ritual: Tote, Verletzte, Brände, verängstigte Tiere, Feinstaub. Politik drückt sich um ein Böllerverbot‘. Zwei Millionen Bundesbürger fordern in einer Petition der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und zahlreicher anderer Verbände ein Böllerverbot, doch der kläglich gescheiterte Bundeskanzler Olaf Scholz findet das Anliegen höchstens „komisch“.

Dreieckiges Hinweisschild mit rotem Rahmen und einer Bodenwelle im weißen Grund. Darunter "Straßenschäden".
Wenn der Zerfall der Infrastruktur sich fortsetzt wie in den letzten Jahren, dann wird es eines Tages einfacher sein, nur noch die wenigen Straßen ohne Schäden hervorzuheben. (Bild: Ulsamer)

Die Brücken bröseln vor sich hin, die Schiffe stauen sich an kaputten Schleusenkammern, die Straßen werden immer löchriger und die Bahn bleibt gewohnt unpünktlich. Da konnte ich nichts anderes als lachen, als die CDU/CSU in ihrem Bundestagswahlprogramm 2017 verkündete: „Deutschland ist weltweit Vorzeigeland für seine Infrastruktur“. Nur wer durch eine rosa Brille schaut oder im Hubschrauber unterwegs ist, kann solchen Unfug erzählen. Eine Reise in unsere Nachbarländer macht schnell deutlich, dass es auch Straßen ohne Schlaglöcher und pünktliche Züge gibt. Wer jedoch geglaubt hatte, dass auf die vierte Bundesregierung unter Angela Merkel (CDU) – ein wahres Horrorkabinett – eine schlagkräftige Truppe folgen würde, der wurde eines Besseren, nein, eines Schlechteren belehrt. Die Laienspielgruppe unter Olaf Scholz war mehr mit sich selbst als mit den Problemen unseres Landes beschäftigt. Die bereits erwähnte Fortschreibung des Gebäudeenergiegesetzes durch die Bundesregierung aus SPD, Bündnis90/Die Grünen und die FDP wurde zum Flopp: Habeck und sein Heizungsgesetz waren ein unheilvolles Gespann, das eher Gas- und Ölheizungen Auftrieb gab, als den Markt für Wärmepumpen zu stärken. Es ist schon mutig von den Grünen, ausgerechnet den Bundesminister als Kanzlerkandidaten aufzustellen, der in der öffentlichen Wahrnehmung dem Klimaschutz und dem Ansehen der Regierung am meisten geschadet hat. Pfusch in der Politik gelang jedoch nicht nur der Bundesregierung unter Olaf Scholz, den die Sozialdemokraten noch nicht einmal als Parteivorsitzenden haben wollten, sondern beim Murks wirkten auch andere mit. Ein Musterbeispiel ist die Novellierung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes: Im Deutschen Bundestag und den Landtagen sitzen insgesamt rd. 2500 Abgeordnete und in Bundes- und Landesbehörden arbeiten 300 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, da sollte man eigentlich annehmen, Gesetze seien Maßarbeit. So überrascht es schon, wenn es bei der Veränderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) weder im Bundestag noch im Bundesrat irgendjemandem auffiel, dass bei der Nachnutzung von aufgegebenen Bahnanlagen dem „überragenden öffentlichen Interesse“ Rechnung getragen werden muss. Nach der Verabschiedung in beiden Gremien dauerte es sage und schreibe ein Dreivierteljahr – denn diese erfolgte Ende 2023 – bis bei den betroffenen Kommunen der Groschen fiel: Ihre Wohnbauprojekte auf stillgelegten Bahnarealen könnten nach jetzigem Sachstand nicht umgesetzt werden, weil sie juristisch nicht in die Kategorie des überragenden öffentlichen Interesses fallen! Straßen und Energieanlagen könnten gebaut werden, auch die Bundeswehr dürfte zur Landesverteidigung Bedarf anmelden, doch Wohnungs- und Städtebau fallen nach Expertenmeinung nicht darunter. Was machen die Politiker und ihre Berater eigentlich den lieben langen Tag? Mehr dazu in: ‚Bahngesetz: Kein Wohnungsbau auf Ex-Bahngelände? Trickser und Schlafmützen als Gesetzgeber‘. Murks wird immer häufiger zum Markenzeichen Deutschlands. Leider! Pfusch ist hoffähig geworden.

Auf einem Gerät ist ein großes "M" abgebildet, darunter "Regionaler Mobilitätspunkt", auf dem verschmierten Bildschirm ist zu lesen "Vorübergehend außer Betrieb".
Schamhaft heißt es an diesem ‚Regionalen Mobilitätspunkt‘, er sei ‚Vorübergehend außer Betrieb‘. Da kann man so oft vorbeigehen, wie man möchte, ‚vorübergehend‘ nimmt kein Ende. (Bild: Ulsamer)

Bürger wird Lakai des Staats

Wenn an Aufzügen in dicken Lettern „Außer Betrieb“ prangt, ist es vorteilhaft, gut zu Fuß zu sein. Viel zu wenig wird an Mitmenschen gedacht, die im Rollstuhl sitzen, am Stock gehen oder mit einem Kinderwagen unterwegs sind. Gerne ändern sich bei der Deutschen Bahn die am Bahnsteig angezeigten Abfahrtsgleise. Das bedeutet: Treppen rauf und wieder runter, gerne gleich mehrfach – und schnell! Ausgerechnet in einer alternden Bevölkerung scheint die Bahn nur noch die Fittesten mitnehmen zu wollen. An Projekten wie ‚Stuttgart 21‘ werkelt sie seit Jahrzehnten und schickt ihre Fahrgäste auf eine lange Wanderschaft durch die Baustelle. Und im Gütertransport schwächelt der Bahnkonzern unter politischer Aufsicht.  Mehr zu diesem leidigen Thema: ‚DB: Inkompetenz auf Schienen. Ein Tag mit der Chaos-Bahn‘. Aber nicht nur auf althergebrachten Schienenwegen geht es in Deutschland im Bummelzugtempo voran, auch in der Digitalisierung sitzt unser Land im Bremserhäuschen und die Politik freut sich mit der EU, wenn wieder eine neue Verordnung Regeln vorgibt, die innovative Entwicklungen lahmlegen. Die Datenschutz-Grundverordnung trug nicht dazu bei, dass der Datenverkehr sicherer wurde, sondern drangsaliert die gesetzestreuen Bürger und Organisationen: ‚DSGVO: Wenn der Irrsinn zum Programm wird. Da lacht das EU-Bürokratenherz – und wir weinen‘. Kein Wunder, dass ‚Instagram‘, ‚Facebook‘, ‚X – vormals Twitter‘, YouTube oder Windows ihren Ursprung in den USA haben oder TikTok die Welt aus China heimsucht.

Rechts eine Gebäudewand, daneben Müllberge.
Müll und Murks verbinden sich in Deutschland – wie hier in Esslingen am Neckar – zu einem unheilvollen Gemisch, zu dem dann noch Graffiti-Schmierer einen weiteren Beitrag leisten. Weitere Anmerkungen hierzu finden Sie in: ‚Leben wir im Lande der Vandalen? Müllfrevler verdrecken unsere Landschaft‘. (Bild: Ulsamer)

Ein Musterbeispiel für einen Verwaltungsapparat auf Abwegen ist die Grundsteuerreform, die noch immer hohe Wellen schlägt. 36 Mio. Grundstücke mussten im Zuge der Grundsteuerreform neu bewertet werden. Und die politischen Entscheidungsträger hatten zielsicher die Bürgerinnen und Bürger als Erfüllungsgehilfen auserkoren, um Daten zusammenzutragen und zu digitalisieren. Obwohl die Informationen zu Grundstücken und Gebäuden wenigstens teilweise digital oder zumindest in Aktenform bei den Behörden vorliegen, die ja auch bisher die Grundsteuer eingezogen haben, musste der Bürger als Lakai des Staates die Fronarbeit übernehmen. So dürfen die Eigentümer nicht nur bezahlen, sondern zusätzlich noch als Hiwi der Ärmelschonerbrigaden tätig werden. Völlig abwegig ist es, dass sich nicht einmal der Bund und alle Bundesländer auf einheitliche Kriterien zur Bewertung der Grundstücke und Immobilien einigen konnten. Ich bin ein Befürworter des Föderalismus, doch er treibt immer häufiger Stilblüten, die farblich nicht überzeugen, sondern einen Verwesungsgeruch verströmen. Mehr dazu in: ‚Vom Bürger zum Lakaien des Staates. Datensammelei für die Grundsteuer führt zu Verdruss‘. Immer mehr rechtliche Vorgaben kommen von der EU, der Bund wird häufig zum Kostenträger in Landesangelegenheiten, da tun die Landesregierungen und die Landtage alles, um ihre Bedeutung durch Sonderwege zu beweisen. Die Politik sollte stattdessen auf allen Ebenen aktiv werden, um das Leben der Bürgerinnen und Bürger zu erleichtern. Das Gegenteil ist der Fall: Politische Entscheidungsträger haben sich gemeinsam mit der nachgeordneten Verwaltung zu einer Belastung entwickelt, die nebenbei den wirtschaftlichen Erfolg abwürgt. Die Politikverdrossenheit hat eine ihrer Ursachen in der überbordenden Bürokratie. „Außer Betrieb“ scheinen mancherorts nicht nur die Fahrstühle zu sein, sondern auch so manches Bürokratenhirn.

Ein Mann in gelber Warnweste auf einer innerörtlichen Straße, dahinter zwei dicke Stahltrossen, die links und rechts an Betonpollern befestigt sind.
In Magdeburg verloren sechs Menschen bei einem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt ihr Leben, dreihundert Mitbürger wurden bei der Todesfahrt von Taleb A. verletzt. Die Veranstalter und die zuständigen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden hatten schlichtweg die Fluchtwege bzw. die Zufahrt für Rettungsfahrzeuge nicht abgesichert. Rettungs- oder Zufahrtswege müssten doch zumindest durch mobile Poller oder Stahltrossen abgesichert werden, wie ich sie zum Beispiel schon vor sieben Jahren beim Göttinger Weihnachtsmarkt gesehen habe. (Bild: Ulsamer)

Inkompetenz und Schlamperei

Erschreckend ist für mich die Sorglosigkeit, die sich immer wieder mit Pfusch paart, und dies kostete während des Weihnachtsmarkts in Magdeburg sechs Mitbürgern das Leben und 300 wurden zum Teil schwerverletzt. Zwischen einer Ampel und Absperrungen zur Linken und Rechten klaffte jeweils eine Lücke von sechs Metern: Da benötigte der saudi-arabische Todesfahrer Taleb A. kein umfassendes terroristisches Grundwissen, um seinen Mordplan umzusetzen. Rettungs- oder Zufahrtswege müssten doch zumindest durch mobile Poller oder Stahltrossen abgesichert werden, wie ich sie zum Beispiel schon vor sieben Jahren beim Göttinger Weihnachtsmarkt gesehen habe. Auch im Vorfeld wurden Dutzende ernstzunehmende Hinweise aus dem In- und Ausland auf den Attentäter und eine Verurteilung nicht ernstgenommen. Der Behördenwirrwarr hat es Taleb A. erst ermöglicht in Deutschland zu bleiben und ausgerechnet als Psychiater im Maßregelvollzug mit Drogenabhängigen zu arbeiten. In Esslingen am Neckar tötete ein Mieter den Sohn des Hausbesitzers, dessen Freundin konnte sich nur schwerverletzt durch einen Sprung aus dem brennenden Haus retten, das – vom Mieter in Brand gesetzt – niederbrannte. Was hat das mit Magdeburg zu tun, so könnten Sie fragen. Mehrfach versuchten der Vermieter und sein Sohn, aber auch bedrohte Besucher, die Behörden auf den brandgefährlichen Mieter aufmerksam zu machen, doch dort wurden die alarmierenden Aussagen vermutlich zu den Akten gelegt. Wir brauchen nicht mehr Behörden, sondern eine engere Abstimmung, einen schnellen Informationsaustausch und sachgerechtes Handeln. Man darf gespannt sein, ob in Magdeburg oder Esslingen – und bei ähnlich gelagerten Fällen – Versäumnisse wirklich benannt und die richtigen Schlüsse daraus gezogen werden.

Annalena Baerbock wurde verpixelt, drei gleichfalls abgebildete Männer nicht.
Ob die von Annalena Baerbock (Büdnis90/Die Grünen) propagierte „feministische Außenpolitik“ in unserer Welt voller harter Realitäten wirklich hilft, das wage ich zu bezweifeln. Bei ihrer Visite beim syrischen Machthaber Ahmed al-Scharaa, dem Chef der HTS, einer Organisation, die auf den Terrorlisten steht, wollte er ihr als Frau nicht die Hand geben, und in ‚Telegram‘-Nachrichten der HTS wurde die deutsche Außenministerin verpixelt. (Bild: Screenshot, Telegram, ALMHARAR)

Es ist an der Zeit, dass Bürokratien am Bürger orientiert arbeiten und weniger an die eigene Unterbringung und personellen Zuwachs denken. Das Landratsamt in Esslingen am Neckar ist sicherlich nicht der Nabel der Welt, doch dort zeigte sich exemplarisch, wie politische Entscheidungsträger nicht mit einem Gebäude umgehen sollten: Nach kaum 44 Jahren ‚Dienstzeit‘ rollten die Bagger an und machten den sogenannten ‚Altbau‘ dem Erdboden gleich. So gingen weder private Hausbesitzer noch mittelständische Unternehmer mit einem Gebäude um. Auf diesen Irrweg bin ich in meinem Beitrag ‚Landratsamt Esslingen: Abriss statt Sanierung. Würden Sie Ihr Haus nach 44 Jahren abreißen?‘ eingegangen. In besonderer Weise ist die Politik gefragt, die mit ihren Vorgaben letztendlich die Bürokratien wuchern lässt. Ich hoffe, die politischen Entscheidungsträger orientieren sich wieder mehr an Max Weber, der betonte: „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ So mancher Politiker und Bürokrat scheint jedoch das Brett direkt vor dem Kopf zu haben, und dementsprechend lässt es sich schlecht bohren. Während viele Mitbürger sich im eigenen Land unsicher fühlen und die Migration als nicht gelöst betrachten, machten sich politische Dünnbrettbohrer in der Bundesregierung aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen selbst eine Freude, indem sie per Gesetz eine jährliche Geschlechtsänderung bzw. den legalen Anbau von drei Cannabispflanzen pro Nase ermöglichten. Ob hier die richtigen Prioritäten gesetzt wurden, wage ich zu bezweifeln, was für eine „feministische Außenpolitik“ gleichermaßen zutrifft, die sich die grüne Außenministerin Annalena Baerbock aufs Panier schrieb. Hauptsache, man stellt die eigene Klientel rhetorisch zufrieden, auch wenn man persönlich ohne Einfluss und Erfolg durch die Welt jettet. Der neue Machthaber in Syrien, Ahmed al-Scharaa, der Chef der HTS, einer Organisation, die auf den Terrorlisten steht, reichte Baerbock bei ihrem kürzlichen Besuch noch nicht einmal die Hand und im Nachgang wurde sie bei ‚Telegram‘-Veröffentlichungen der islamistischen HTS verpixelt – wie andere Frauen übrigens auch. Dies alles lässt wenig Gutes erwarten – weder für die syrische Bevölkerung noch für Israel und die freie Welt. Die deutsche Außenpolitik passt seit Jahren in die Rubrik Murks, man denke nur an Heiko Maas (SPD), der eine krasse Fehlbesetzung im Auswärtigen Amt war, oder den Sozialdemokraten Frank-Walter Steinmeier, der als Bundespräsident dem iranischen Präsidenten „herzliche Glückwünsche“ zum Nationalfeiertag übermittelte, obwohl die Gründung der islamischen Republik die Unterdrückung der Frauen einläutete. Es waren sicherlich bessere Zeiten, als der Liberale Hans-Dietrich Genscher als Außenminister unterwegs war! Heute habe ich in so manchen politischen Bereichen den Eindruck, dass sich Inkompetenz und Schlamperei zu einer politischen Pfusch-Brühe vereinigen, die niemand auslöffeln möchte. Wie kann man einem Staat zum Gründungsjubiläum „herzliche Glückwünsche“ übermitteln, wo Frauen totgeschlagen werden, wenn das Kopftuch nicht richtig sitzt? Und besonders dreist ist es, dass Steinmeier „auch im Namen meiner Landsleute“ gratuliert. Ich würde niemals einem Staat herzlich zu dessen Gründung gratulieren, der Raketen nach Israel schießt und islamistische Terrororganisationen fördert.

In blauer Schrift heißt es auf der abgebildeten Internetseite "Einige Webservices sind zurzeit nicht erreichbar".
Die Stadtwerke Esslingen baten, man möge zum 31. 12. den Verbrauch von Strom und Gas melden, doch daraus wurde nichts: „Einige Webservices sind zurzeit nicht erreichbar“. Leider beziehen sich solche Hinweise nicht auf Stunden, sondern auf Tage. Wir brauchen für eine erfolgreiche Digitalisierung mehr Innovationen und weniger Gängelung. Dies gilt für Deutschland und die EU insgesamt. EU-Parlament und -Kommission sowie die nachgeordnete Verwaltung müssen sich auf sachgerechte Lösungen konzentrieren, anstatt unablässig bürokratische Monster wie die Datenschutz-Grundverordnung in die Welt zu setzen. Hinweise zur EU-Bürokratisierung lesen Sie in ‚DSGVO: Wenn der Irrsinn zum Programm wird. Da lacht das EU-Bürokratenherz – und wir weinen‘. (Bild: Ulsamer)
Müll und Murks verbinden sich in Deutschland zu einem unheilvollen Gemisch, zu dem dann noch Graffiti-Schmierer einen weiteren Beitrag leisten. Weitere Anmerkungen hierzu finden Sie in: ‚Leben wir im Lande der Vandalen? Müllfrevler verdrecken unsere Landschaft‘. (Bild: Ulsamer)

Exzellenz statt Murks

Pünktlich wollte ich – wie von den Stadtwerken Esslingen gewünscht – zum 31. Dezember den Zählerstand übermitteln, doch tagelang hieß es bei der Eingabe per Internet: „Einige Webservices sind zurzeit nicht erreichbar“. Auch der Wechsel des Mobilfunkanbieters endete bei ‚Aldi Talk‘ über Tage hinweg mit „Bitte versuche es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal“. Die verstorbenen Aldi-Brüder würden sich vermutlich im Grab umdrehen, wenn sie solchen Dilettantismus mitbekämen. Da kann man sich über die Dominanz von ‚Amazon‘ in manchen elitären Milieus ereifern, dort allerdings habe ich solche Hinweise auf IT-Inkompetenz noch nie gelesen. Schilder, die auf Straßenschäden hinweisen sind sicherlich ein Verkaufsschlager, denn sie vermehren sich wie Pilze im feuchtwarmen Wald. Aufzüge funktionieren nicht, bei so mancher Handwerkerleistung grüble ich inzwischen darüber, ob die mehrjährige Ausbildung vergeblich war. Murks und Müll ergänzen sich im Alltag, so dass ich mich zunehmend frage, ob wir wirklich in einer Bananenrepublik leben. Eigentlich hatte ich den Titel meines Blogs ironisch gemeint und zur geliebten Bananenrepublik ergänzt. In der Politik sind wir mit dem letzten Kabinett Merkel und der hoffentlich einzigen Scholz-Regierung auf ein Niveau abgesunken, das ich mir vor einem Jahrzehnt nicht vorstellen konnte. Wir brauchen Politiker, die sich ausgehend von einem festen Wertefundament an der Realität orientieren und nicht versuchen, sich die Welt zurechtzubiegen.

Figuren in grau und gold mit dem Aussehen von Gottlieb Daimler stehen auf einer Grasfläche vor einem Gebäude mit rotem Ziegeldach.
500 Daimler-Figuren hatte der Konzeptkünstler Ottmar Hörl im württembergischen Schorndorf, dem Geburtsort Gottlieb Daimlers, aufmarschieren lassen. Und bei all den stahlblauen, eisengrauen und goldenen Daimlers wurde mir erneut bewusst, dass wir in Deutschland technologisch zurückfallen. Keine nennenswerte Batteriezellenfertigung, zu geringe Investitionen in die Wasserstofftechnologie oder in Stromspeicher, kaum Präsenz unter den Internet-Dienstleistern und die IT-Hardware kommt auch noch aus Asien. Wir brauchen wieder mehr eigenwillige Innovatoren wie Gottlieb Daimler, Carl Benz, Robert Bosch oder Werner von Siemens – und weniger technologiefeindliche Regulatoren. Weitere Anmerkungen dazu in: ‚Ottmar Hörl: 500mal Gottlieb Daimler in Schorndorf. Ach könnte man geniale Konstrukteure doch multiplizieren‘. (Bild: Ulsamer)

Mängel, Murks und Müll dürfen nicht die Zukunft unseres Landes bestimmen: Vielmehr sollte Exzellenz und Erstklassigkeit in möglichst vielen Bereichen angestrebt werden. Was wäre unser Land ohne wirtschaftliche und technische Innovatoren wie Carl Benz, Gottlieb Daimler, Robert Bosch und Werner von Siemens oder Politiker wie Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Helmut Schmidt oder Helmut Kohl? Gemessen an diesen herausragenden Persönlichkeiten haben sich zu häufig mittelmäßige Bürokraten breitgemacht, die nur Sand ins wirtschaftliche, politische oder gesellschaftliche Getriebe streuen. Unseren Lebensstandard und den unserer Kinder und Enkel können wir nur sichern, wenn Pfusch zurückgedrängt und exzellente Leistungen belohnt und nicht behindert werden. Wer den Klimawandel zumindest bremsen möchte, um ausgerechnet dieses Beispiel zum Schluss anzusprechen, der darf nicht länger auf eine Flut an Gesetzen und Verordnungen bzw. auf die Maßregelung der Bürgerschaft setzen, sondern muss Innnovationen vorantreiben. Zu einseitig wurde auf den batterieelektrischen Antrieb gesetzt, anstatt die Wasserstofftechnologie schnell auszubauen und gleichfalls synthetische Kraftstoffe zu nutzen. Wo sind die Großspeicher für nicht benötigten Strom aus regenerativen Quellen, den wir bei Dunkelflaute dringend benötigten? Wo ist die Strategie für Gas- bzw. Wasserstoffkraftwerke als Ergänzung von Wind- und Sonnenenergie? Wo sind die notwendigen Stromnetze? Warum hat die Politik als Übergangstechnologie nicht stärker auf Hybridfahrzeuge gesetzt? Fragen über Fragen bei nur einem Thema, das überlebenswichtig ist. Statt klaren Konzepten zumeist Murks. Und damit bin ich wieder beim SENEC-Speicher, aus einem Tochterunternehmen der EnBW, der im eigenen Keller keine volle Leistung erbringt.

An einer Ladesäule für E-Fahrzeuge klebt ein Schild "Außer Betrieb".
„Außer Betrieb“ wird in Deutschland zu einem gängigen Schild und könnte eines Tages der Warnung vor „Straßenschäden“ den Rang ablaufen. (Bild: Ulsamer)

Murks im Großen und Kleinen darf sich nicht länger in unserem Land ausbreiten! Nur mit exzellenten Leistungen lässt sich die Zukunft sichern! Innovatoren brauchen Luft zum Atmen und weniger bürokratische Fesseln. Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat lassen sich allein mit einer Politik sichern, die sich nicht am eigenen bequemen Sessel orientiert, sondern Zusammenhalt, Solidarität und Gemeinsinn sowie die Schaffenskraft unserer Gesellschaft im Blick hat. Ich esse zwar gerne Bananen, aber ich möchte ungern in einer Bananenrepublik leben!

 

Umfänglicher Karton eines abgeschossenen Batteriefeuerwerks liegt im Gras.
Der gescheiterte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) findet das geforderte Böllerverbot „komisch“. Dann können Chaoten weiterhin mit Böllern und Raketen auf Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter oder in die nächste Wohnung schießen, und die Vandalen lassen ihren Feuerwerksmüll in der Landschaft zurück. Mehr dazu in: ‚Das Silvester-Ritual: Tote, Verletzte, Brände, verängstigte Tiere, Feinstaub. Politik drückt sich um ein Böllerverbot‘. (Bild: Ulsamer)

Das Silvester-Ritual: Tote, Verletzte, Brände, verängstigte Tiere, Feinstaub

Abgebranntes Batteriefeuerwerk liegt am Wegesrand, dahinter eine grüne Wiese.

Politik drückt sich um ein Böllerverbot

Jedes Jahr spielt sich in Deutschland ein bizarres Ritual rund um Silvester ab. Einige Tage vor dem Jahreswechsel kommen die Gegner und Befürworter von Böllern und Feuerwerksraketen in den Medien zu Wort, großformatige Anzeigen locken die Böllerfreunde in die Läden. Dann kracht es am 31. Dezember 2024 wieder und fünf Mitbürger kommen zu Tode, Tausende werden verletzt, Häuser in Brand gesetzt, allein in Berlin 300 Randalierer festgenommen. Politik und Verwaltung sprechen angesichts dessen allerdings von einem überwiegend friedlichen Verlauf. Es ist schon pervers, wenn unterm Jahr über Feinstaub und das klimaschädliche CO2 gar eifrig diskutiert wird, doch wenn Böller krachen und Raketen in den Nachthimmel zischen, setzt bei vielen Bürgern scheinbar der Verstand aus. Ganz nebenbei bemerkt: Es geht nicht um einige kleine Knallfrösche, mit denen Kinder oder Jugendliche das neue Jahr begrüßen, sondern um die Einkaufswägen voller Feuerwerksartikel, die häufig nicht gerade die betuchtesten Mitbürger nach Hause schleppen, um minutenlanges Dauerfeuer erschallen zu lassen bzw. um Kugelbomben, die nicht nur Finger und Hände abreißen, sondern ganze Hausfassaden erschüttern. Halbgare Kommentare aus Politikermund beeindrucken die Missetäter nicht, die mit Böllern und Raketen ihre Mitmenschen bombardieren und besonders gerne Polizisten, Feuerwehrleute oder Sanitäter unter Beschuss nehmen. Und sind die Silvester-Vandalen alkoholtrunken abgezogen, darf auf Kosten des Steuerzahlers der ganze Müll eingesammelt werden, denn zum Aufräumen hat dann doch die Kraft gefehlt. Sind die Böller-Toten begraben, die Verletzten aus dem Krankenhaus entlassen, der Feuerwerksmüll eingesammelt, dann schläft die Debatte bis zum nächsten Jahr wieder ein. Und das Ritual beginnt zum Jahresende aufs Neue.

Reste von Feuerwerkskörpern liegen im Gras, rechts eine Kunststofftragetasche von Kaufland.
Wer seine Feuerwerkskörper in Tüten in die Natur trägt, der sollte seinen Müll zumindest wieder mitnehmen. Die Fotos zu diesem Beitrag entstanden alle während eines Spaziergangs am Neujahrstag 2025 am Rand eines Wohnquartiers der Stadt Esslingen am Neckar. (Bild: Ulsamer)

Feiern nur mit Krach und Umweltschäden?

Auf die Schattenseiten der Silvesterknallerei bin ich bereits mehrfach in meinem Blog eingegangen, daher möchte ich hier nur noch auf einige besonders gravierende Folgen eingehen. „Jährlich werden rund 2.050 Tonnen Feinstaub (PM10) – davon rund 1.700 Tonnen PM2.5 – durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern freigesetzt, der größte Teil davon in der Silvesternacht“, so das Umweltbundesamt. „Diese Menge entspricht in etwa einem Prozent der gesamt freigesetzten PM10-Menge in Deutschland.“ Dies ist stets eine Steilvorlage für die Böllerfans, denn sie meinen, was sei denn schon ein Prozent des jährlichen Feinstaubs. Dabei vergessen diese Zeitgenossen gänzlich, dass die ganze Menge in gerade mal einer Stunde anfällt und dass in der Automobilindustrie um jedes Mikrogramm Feinstaub gerungen wird, wovon qualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland abhängen. Obskur ist es, wenn die gleichen Politikerinnen und Politiker, die fleißig über den von Fahrzeugen verursachten Feinstaub philosophieren, bei der Silvesterknallerei verstummen. Wer möchte ohnehin einer bestimmten Klientel ihre fragwürdige Feierlaune verderben? Und so kehrt jedes Jahr das Ritual zurück: Über Böller und Raketen wird diskutiert, aber es geschieht nichts. Trotz der Folgen für Mensch, Tier und Natur.

Zwei ganzseitige Zeitungsanzeigen von Lidl bzw. Kaufland nur mit Feuerwerksartikeln. "Richtig feiern ins neue Jahr", so die Überschrift.
„Richtig feiern“, das geht wohl nach Meinung der ‚Kaufland‘-Verkaufsstrategen nur mit lautem Krach und Lichtblitzen, die Haus- und Wildtiere in Panik versetzen und deren Hinterlassenschaften Mensch und Natur gefährden. (Bild: Ulsamer)

Wer wüsste nicht, dass sich Wild- und Haustiere bei lauten Explosionen und künstlichen Lichtblitzen fürchten, dennoch lebte die Ballerei auch nach den Coronajahren wieder auf. Und nach meinem Empfinden geht es immer mehr um den Krach, der sich mit Batteriefeuerwerk hervorrufen lässt, und weniger um die Schönheit einer bunt explodierenden Rakete am Himmel. Viel zu wenige Einzelhändler weigern sich bisher, Feuerwerksartikel in ihr Sortiment aufzunehmen, so dominieren die ganzseitigen farbenfrohen Anzeigen der Supermärkte und Discounter. „Richtig feiern ins neue Jahr“, betitelte ‚Kaufland‘ eine seiner Anzeigen. Geht „richtig feiern“ nur, indem man Tiere verängstigt, Menschen gefährdet und Feinstaub in die Luft bläst? Da bin ich nun ganz anderer Meinung und wundere mich sehr, dass der Besitzer von ‚Lidl‘ und ‚Kaufland‘, der Multimilliardär Dieter Schwarz, als Mäzen für Bildungsprojekte auftritt, aber keinerlei Bedenken zu haben scheint, wenn seine Unternehmen die Unkultur der Böller und Raketen propagieren.

Abgebrannte Reste von Feuerwerksartikeln liegen auf einem braunen Acker.
Werden die Böllerfreunde aus historischen Innenstädten vertrieben, dann zieht es sie auf Äcker und Wiesen. Als wären die Böden nicht ohnehin bereits belastet genug, dürfen es noch Plastikreste und anderer Unrat sein. Mehr zur Lage unserer Böden lesen Sie in ‚Der Boden macht sich vom Acker. Erosion und Versiegelung zerstören die natürlichen Böden‘. Es ist eine Unverschämtheit, dass manche Zeitgenossen meinen, der Landwirt könne den von ihnen zurückgelassenen Müll ja wieder einsammeln. (Bild: Ulsamer)

Haus- und Wildtiere brauchen Schutz

Eine drastische Reduzierung der verkauften Feuerwerksartikel muss in Deutschland durchgesetzt werden, ein Verbot in historischen Innenstädten reicht nicht aus. Je weniger in den engen Gassen geböllert werden darf, desto mehr Feuerwerksartikel werden in den Randgebieten oder in Parks gezündet. Aus den Rückständen gelangt Mikroplastik in die Böden und die größeren Überbleibsel muss der Landwirt von Hand aufklauben. So darf weder mit den Bauern noch der Umwelt umgegangen werden. “Feuerwerk bedeutet einen Lichtblick und markiert einen kurzen und besonderen Moment der Ausnahme vom Alltag“, meint Ingo Schubert, Vorsitzender des Bundesverband Pyrotechnik, im WDR. Für so manchen endet dieser ‚Lichtblick‘ im Krankenhaus, da er von einer Rakete oder einem Böller im Gesicht getroffen wurde. Wenn der einzige ‚Lichtblick‘ im Jahr ein Batteriefeuerwerk ist, das nicht nur Hunde, Katzen und Vögel, sondern auch viele Menschen erschreckt, sollten wir schleunigst über Veränderungen in unserer Gesellschaft nachdenken!

Abgebranntes Batteriefeuerwerk auf einem Gehweg vor einer Mauer.
Selbst in gut bürgerlichen Vierteln scheint mancher seinen Silvestermüll nicht mehr nach Hause tragen zu können. So stellt sich häufig die Frage: ‚Leben wir im Lande der Vandalen? Müllfrevler verdrecken unsere Landschaft‘. (Bild: Ulsamer)

Bei Umfragen ergibt sich seit einigen Jahren jeweils eine Mehrheit für ein Böllerverbot an Silvester, doch die politischen Entscheider scheint dies nicht zu grämen. So bleibt den Befürwortern guter Luft nur, rechtzeitig alle Fenster zu schließen, und Tierfreunde können für ihre Haustiere einen Rückzugsraum schaffen und sich an Silvester besonders intensiv um ihre tierischen Mitbewohner kümmern. Wildtiere haben es in einer häufig ausgeräumten und intensiv genutzten Landschaft oder im urbanen Bereich ohnehin nicht leicht. Insekten haben um bis zu 70 % abgenommen und darauffolgend machen sich sogar frühere ‚Allerweltsvögel‘ rar. Das Letzte, was unsere gefiederten Freunde brauchen, ist daher im Winter eine zusätzliche Störung durch von Menschenhand gezündete Böller und Raketen. Wildgänse finden nur noch wenige Wiesen und Äcker, auf denen sie nach Nahrung suchen können, wenn sie vor der Kälte nach Deutschland migrieren. Die Nahrung reicht häufig gerade so fürs Überleben. „Es ist schockierend zu sehen, wie viel weiter die Vögel in der Silvesternacht flogen“, sagt Andrea Kölzsch, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und Erstautorin einer bemerkenswerten Studie. „Einige Tiere legten Hunderte von Kilometer in einer einzigen Winternacht zurück, Distanzen, die sie normalerweise nur während des Zuges absolvieren.“ Die Wildgänse versuchen dem Lärm auszuweichen, indem sie weniger von Menschen besiedelte Gebiete anfliegen, und vermutlich wollen sie auch der hohen Feinstaubbelastung entgehen, die sich laut der Studie durch das Feuerwerk an den Schlafplätzen um bis zu 650 % erhöhte. Feststellen ließ sich, dass die Vögel in den zwölf Tagen nach Silvester in der Tat zehn Prozent länger fraßen und sich tagsüber deutlich weniger bewegten. „Die Tiere versuchen wahrscheinlich, die Energie zu kompensieren, die sie in der Nacht des Feuerwerks ungeplant aufwenden mussten“, sagt Bart Nolet, Wissenschaftler am Niederländischen Institut für Ökologie und Mitautor der Studie. Die Studie ‚Wild goose chase: Geese flee high and far, and with aftereffects from New Year’s fireworks‘ erschien in ‚Conservation Letters‘. Mehr zu dieser interessanten Untersuchung finden Sie in meinem Beitrag ‚Silvester: Tierfreunde böllern nicht. Wildgänse fliehen vor Feuerwerk‘.

Neben Altglascontainern liegen die Reste abgebrannten Feuerwerks.
Container mit Altglas ziehen nicht nur nach Silvester den Müll magisch an. Mehr dazu in: ‚Glascontainer sind keine Müllkippe. Videoüberwachung könnte abschreckend wirken‘. (Bild: Ulsamer)

Mehrheit für Böllerverbot

Die einen lassen es krachen, und die anderen sammeln den Müll ein, so scheinen sich nicht wenige unserer Zeitgenossen Silvester vorzustellen. Dürfen wir den einschlägigen Statistiken glauben, dann konnten sich bereits 2023 bei einer YouGov-Befragung über 60 % der Teilnehmer für ein Verbot des privaten Silvesterfeuerwerks erwärmen. Feuerwehrleute, Sanitäter und Polizisten, die ohnehin ganzjährig hoch belastet sind, könnten an Silvester mit weniger Zusatzarbeit leben, wenn die Politik endlich privates Feuerwerk verbieten würde. Dabei könnte ich mir durchaus eine Erlaubnis für kleine und ungefährliche Objekte vorstellen. Tiere in den Wohnungen und in der freien Wildbahn könnten in Ruhe die Silvesternacht verbringen. Wer Böller und Raketen in Privathand verbietet, der leistet auch noch einen Beitrag zur Reduzierung unserer Abhängigkeit von China, denn „Die chinesischen Importe nach Deutschland machten in den vergangenen 20 Jahren durchgängig mehr als 90 % der insgesamt eingeführten Menge an Feuerwerkskörpern aus“, so das Statistische Bundesamt. 2023 wurden knapp 40 000 Tonnen Feuerwerksartikel nach Deutschland eingeführt.

Aschehaufen mit Plastikresten aus verbrannten Resten von Feuerwerksartikeln.
Die Überreste des Feuerwerks vor Ort zu verbrennen ist natürlich keine Lösung, denn Mikroplastik und andere Stoffe geraten mit Regen und Wind auf die angrenzenden Wiesen und Äcker. (Bild: Ulsamer)

Die Natur, unsere Atemluft, Wild- und Haustiere sowie die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wären danken, wenn die Politik in Deutschland endlich ein Verbot des privaten Feuerwerks an Silvester durchsetzen würde. Verhindert würde durch ein Verbot menschliches Leid, denn Böller, Raketen und Kugelbomben töten und verletzen Mitmenschen. Trotz der Forderungen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und 30 weiterer Organisationen für ein Böllerverbot kann sich die Noch-Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht für ein generelles Böllerverbot erwärmen, sondern schiebt den Kommunen den Schwarzen Peter zu: “Die richtige Antwort sind nicht bundesweite Feuerwerksverbote, sondern mehr gezielte Handlungsmöglichkeiten vor Ort”. Der gescheiterte SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz betonte gegenüber dem Magazin “Stern”: “Ich bin dafür, dass wir ordentliche Regeln haben für das Zeug, das da hergestellt wird. Aber ein Böllerverbot finde ich irgendwie komisch.” Was daran komisch ist, wenn Menschen durch Böller sterben oder schwer verletzt werden, das weiß ich nicht. Die von ihm angesprochenen ‚ordentlichen Regeln‘ hätte Scholz ja erarbeiten lassen und umsetzen können, doch außer heißer Luft entwich nichts aus dem Kanzleramt. Von der nächsten Bundesregierung dürfte ebenfalls kaum ein Böllerverbot ausgehen. Bedauernde Worte und Beileidsbekundungen aus Politikermund sind leider zumeist die einzige Reaktion auf Böllerattacken. Und so dürfte es Ende des Jahres wieder das gleiche Ritual geben: Kurze Diskussion mit medialem Interesse über brandgefährliches Feuerwerk, dann werden erneut Tote, Verletzte und abgetrennte Finger durch Böller und Raketen zu beklagen sein, gefolgt vom Ruf nach einem Verbot. Sind einige Tage ins Land gegangen, scheint der Spuk vergessen.

 

Zahlreiche Plastik- und Kartonreste von abgebranntem Feuerwerk liegen rund um einen grauen Abfallbehälter für Hundekot.
So mancher hält sich wohl für vorbildlich, wenn er den Silvestermüll am nächstgelegenen Behälter für Hundekot ablegt. Die Faulheit scheint immer häufiger zu siegen oder haben die Böllerfans keinen Mülleimer zuhause? (Bild: Ulsamer)

 

Reste von Silvesterfeuerwerk liegen auf einer Grünfläche vor einem Garten.
Die einen zünden Böller und Raketen, die anderen sollen den Müll einsammeln. (Bild: Ulsamer)

 

Umfänglicher Karton eines abgeschossenen Batteriefeuerwerks liegt im Gras.
Batteriefeuerwerk versetzt Haus- und Wildtiere in Panik, daher muss sein Einsatz verboten werden. Eine Studie von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz und des Niederländischen Instituts für Ökologie über Wildgänse belegte erneut, dass auch Wildgänse durch explodierende Böller und farbenfrohe Raketen aufgeschreckt und zu eiliger Flucht in größere Höhen und über weite Strecken getrieben werden. Weitere Informationen zu dieser Untersuchung finden Sie in ‚Silvester: Tierfreunde böllern nicht. Wildgänse fliehen vor Feuerwerk‘. (Bild: Ulsamer)

 

 

 

Winfried Kretschmann und sein Grombiera-Trauma

Mehrere Kartoffeln liegen als Häufchen auf einer dunklen Platte. Die Kartoffelschale ist hell.

Zeit und Kosten explodieren bei der Staatstheater-Sanierung

Es gab Zeiten, da habe ich Winfried Kretschmann ein klein wenig bewundert, denn er hatte es vom maoistischen Studenten bis zum grünen Ministerpräsidenten gebracht, und dies ausgerechnet in Baden-Württemberg, wo die CDU lange als unbesiegbar galt. Kretschmann verstand es, den Christdemokraten Wählerinnen und Wähler abspenstig zu machen, indem er einen innovations- und wirtschaftsfreundlichen Kurs einschlug. Seine Bodenständigkeit bewies er nicht nur mit seinem Wohnsitz in Laiz, einem Ortsteil von Sigmaringen im Naturpark Obere Donau am südlichen Rand der Schwäbischen Alb, sondern auch mit seinem schwäbischen Dialekt. Spätestens in der dritten Amtsperiode zeigen sich allerdings immer deutlichere Abnutzungserscheinungen, die mich an die letzte Amtszeit von Angela Merkel erinnern. So manches Mal soll das Schwäbische im Grunde nur die Eigenwilligkeit übertünchen und dem ‚Basta‘ eines Gerhard Schröders ein freundliches Mäntelchen umlegen. Dies wird bei den Diskussionen um die Sanierung und Erweiterung des Stuttgarter Opernhauses besonders deutlich: „Grombiera statt Kunscht gibt es mit mir nicht“, beschied er Journalisten und Öffentlichkeit, als laut und vernehmlich die Frage gestellt wurde, ob denn anderthalb, vielleicht auch 2 Mrd. Euro nicht etwas viel seien, um die Räumlichkeiten für Oper und Ballett in Stuttgart auf Vordermann zu bringen. Über die üppig wachsenden Kosten habe ich bereits in meinem Blog berichtet, als Kritik noch unter den Teppich gekehrt werden sollte. Je unwirscher Ministerpräsident Kretschmann auf Nachfragen reagiert, desto lauter werden die Fragen nach dem Umfang, den Kosten und den angedachten Zeiträumen für die Sanierung. Wenn man sich Teile des Opernpublikums auf den teureren Plätzen anschaut, dann ist die Wiedereröffnung des Littmann-Baus im Jahr 2044 oder später schon so eine Sache. Mit meinen 72 Jahren warte ich ungeduldig auf die Eröffnung des neuen Tiefbahnhofs in Stuttgart und die direkte Fahrt nach Ulm über die Schnellbahntrasse, die sich ebenfalls seit Jahren verzögert. Stuttgart braucht ganz gewiss kein weiteres Projekt, das sich mühsam bei explodierenden Kosten in eine ungewisse Zukunft schleppt.

Breitseite des Opernhauses in Stuttgart. Rötlicher Stein dominiert. Links steht ein Baum ohne Blätter.,
Der Littmann-Bau der Württembergischen Staatstheater, in dem Oper und Ballett vereint sind, muss saniert werden. Das ist richtig. Doch muss es gleich eine Milliarde Euro oder 1,5 Mrd. Euro kosten? Ich halte es für einen Skandal, dass bei dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude aus dem Jahr 1912 die dem Landtag zugewandte Fassade wegen des Einbaus einer Kreuzbühne um zwei Meter verschoben werden soll. Braucht man wirklich eine Kreuzbühne, wenn man Werke wie die Opernperformance ‚sancta‘ von Florentina Holzinger auf die Bühne bringt? „Magie und religiöse Wunder erfahren eine Neudeutung in einer ekstatischen Feier der Gemeinschaft und der Selbstbestimmung, in der Bach auf Metal trifft, die Weather Girls auf Rachmaninow – und nackte Nonnen auf Rollschuhe“, so heißt es im Theaterprogramm. Mehr dazu in: ‘Opernhaus Stuttgart: ‚Sanka statt Sancta. Steuergelder für Florentina Holzingers Performance sind nicht gerechtfertigt‘. (Bilder: Ulsamer)

Denkmalschutz ausgehebelt

Irgendwie amüsiert es mich wahrlich, dass Winfried Kretschmann und Gleichgesinnte zwar über die steigenden Kosten bei Stuttgart 21 schimpfen und nicht gewillt sind, sich an den Mehrkosten für den Stuttgarter Hauptbahnhof zu beteiligen, dass aber bei der Opernsanierung Geld keine Rolle zu spielen scheint – ausgerechnet in einer Zeit, in der die öffentlichen Haushalte wenig Spielraum haben. Bei Kosten in Milliardenhöhe für die Sanierung und Erweiterung des Littmann-Baus aus dem Jahre 1912 sollten Nachfragen nach der Sinnhaftigkeit des Vorhabens nicht mit einem „Grombiera“-Vergleich – ein Wort für ‚Kartoffeln‘ auf erz-schwäbisch – vom Tisch gewischt werden. Es geht nicht darum, die Sanierung des Opernhauses zu stoppen, ganz im Gegenteil: Hätten Landesregierung und Stadt Stuttgart nicht über Jahre ein allumfassendes Projekt zusammengebastelt, hätte längst Schritt um Schritt saniert werden können. Erschreckend ist beim grünen Ministerpräsidenten Kretschmann und dem Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister Frank Nopper auch das fragwürdige Verständnis des Denkmalschutzes. „Der Littmann‐Bau ist eines der wenigen historischen Gebäude in Stuttgart, das im Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet erhalten geblieben ist“, so heißt es zutreffend auf der Internetseite der Stadt Stuttgart, und dennoch soll für den Einbau einer Kreuzbühne die dem Landtag zugewandte Seite des historischen Gebäudes verschoben werden. Da ist der Denkmalschutz bei privaten Gebäuden pingeliger.

Blick von oben auf Finanzministerium, Landtag und Opernhaus. Dahinter sind weitere Gebäude zu sehen.
Rechts im Bild ist gerade noch ein Ausläufer des baden-württembergischen Finanzministeriums, dahinter der Landtag von Baden-Württemberg zu sehen und daneben das Stuttgarter Opernhaus: Hier haben wir die Entscheider über die Opernsanierung für eine oder anderthalb Milliarden Euro im Blick. Zwar ergab eine Befragung keine Mehrheit für diese Sanierung im Goldstandard, doch es wurde flugs auf eine ‚Bürgerbeteiligung‘ gesetzt, die keine ist. 40 bis 50 zufällig ausgewählte Bürger durften als Bürgerräte über die geplante Sanierung des Opernhauses in Stuttgart diskutieren. Im Grunde waren die Entscheidungen längst gefallen, und so bekommt Bürgerbeteiligung – „dialogische Bürgerbeteiligung“ – einen faden Beigeschmack. Mehr dazu in: ‚Bürgerbeteiligung wird zum Deckmäntelchen. Sanierung des Opernhauses in Stuttgart ohne echte Debatte‘. (Bild: Ulsamer)

In meinem Beitrag ‚Stuttgart: Erst vergammeln lassen, dann teuer sanieren. Opernhaus, Villa Berg und Villa Moser wurden sträflich vernachlässigt‘ bin ich auf die unrühmliche Vorgeschichte der Milliarden-Sanierung eingegangen, daher möchte ich mich an dieser Stelle nicht nochmals ausführlich damit befassen. Früh übte der Bund der Steuerzahler Kritik am ausufernden Prestigeprojekt und belegte mit einer repräsentativen Umfrage, dass in Stadt und Land – den beiden hälftigen Kostenträgern – eine Dreiviertelmehrheit für eine Neuplanung votiert hatte. Um eine Neuorientierung drückten sich die Entscheider in der Villa Reitzenstein und im Stuttgarter Rathaus allerdings herum: Eine breite Bürgerbeteiligung wurde durch Gesprächsrunden mit 50 zufällig ausgewählten Bürgern ersetzt! Wer so handelt, der vertritt eine Vorstellung von Demokratie, die nicht die meine ist. Eine umfassende Bürgerbeteiligung aller betroffenen oder interessierten Bürgerinnen und Bürger hätte friedensstiftend wirken können. Miteinander zu reden statt übereinander, das hilft allemal! Mehr dazu in: ‚Stuttgart: Keine Mehrheit für milliardenteure Opernsanierung. Volksabstimmung sollte Klarheit bringen‘. Eine Volksabstimmung scheuten besonders die Grünen, denn sie hatten sich zumindest in der Frühzeit ihrer Partei für mehr direkte Bürgerbeteiligung eingesetzt, doch bei der Abstimmung über Stuttgart 21 zogen sie den Kürzeren und scheuen Volksabstimmungen seither wie der Teufel das Weihwasser.

Blick auf die Vorderseite des Opernhauses aus rötlichem Stein. Auf der Dachbrüstung sind Skulpturen zu sehen.
Von außen sieht das 110 Jahre alte Gebäude des Architekten Max Littmann noch gut aus, obgleich der Zahn der Zeit im Innern des Opernhauses eifrig genagt hat, was fehlender Instandhaltung geschuldet ist. Ob allerdings eine Milliarde Euro oder gar zwei für Sanierung, Erweiterung und Interimsspielstätte ausgegeben werden sollten, zweifelte die Mehrheit in einer Civey-Befragung an, die vom Bund der Steuerzahler in Auftrag gegeben worden war. Die Kritiker mehren sich. Indessen wird derjenige, der sich äußert, schnell als Kulturbanause abgestempelt. (Bild: Ulsamer)

Grombiera nicht unterschätzen

Wehe, wenn man andere wichtige, vielleicht sogar bedeutsamere Aufgabenfelder mit den immensen Ausgaben für die Opernsanierung in Verbindung setzt, dann schleudert der grummelnde Polit-Zeus aus der Villa Reitzenstein seine Blitze gegen jedermann: „Schulen haben wir Tausende, Staatstheater haben wir zwei“. Diese Art der Verteidigung von Finanzmitteln für die Württembergischen Staatstheater erschließt sich mir nun gar nicht! Sind Schulen mit gammeligen Toiletten und angejahrten Klassenzimmern, weil es viele davon gibt, weniger wichtig? Gerade im Musikunterricht dürfte sich mitentscheiden, ob sich auch in Zukunft die Ränge im Opernhaus füllen! „Wenn wir Spitzenkräfte hier haben wollen, dann wollen die gute Kultur geboten bekommen“, raunte Kretschmann. Das mag sein, aber sie kamen auch in den letzten Jahren nach Stuttgart, obwohl der Littmann-Bau zunehmend hinfälliger wurde und die Politik zu wenig Geld für dessen Instandhaltung bereitstellte. Nun hatte ich reichlich mit hochqualifizierten Zuzüglern zu tun, die in die baden-württembergische Hauptstadt kamen, und die erste Frage galt nicht dem Opernhaus, sondern dem Angebot an Schulen und Universitäten, angemessenem Wohnraum und dem Verkehr.

Der etwas herablassend geäußerte Gegensatz von Kunst und den besagten Grombiera passt nun wirklich nicht nach Stuttgart und zum Landesherrn in der Villa Reitzenstein, der seine Gäste gerne im Neuen Schloss empfängt. Dabei denke ich nicht nur an die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich im nicht allzu weit entfernten Tafelladen anstellen oder im Sozialamt anstehen – früher vor dem Gebäude, jetzt im Internet -, sondern an die Geschichte unseres Bundeslandes. Das Stuttgarter Volksfest wurde als „Landwirtschaftliches Fest zu Kannstadt” ins Leben gerufen, um nach Jahren des Hungers 1818 neue landwirtschaftliche Produktionsmethoden voranzutreiben. König Wilhelm I. und seiner Frau, der Zarentochter Königin Katharina, war die Bedeutung von Grombiera und anderen Feldfrüchten – nach Hungerjahren – wohl klarer als dem grünen Ministerpräsidenten.  Weitere Gedanken hierzu finden Sie in: ‚Zwischen Hungersnot und Volksfest. Was verband Württemberg und Irland im 19. Jahrhundert?‘ Da mag sich Ministerpräsident Kretschmann in einen künstlichen Gegensatz von Grombiera und Kunst verspinnen, doch eines dürfte klar sein, Mehrheiten lassen sich nicht mit Milliarden für das Opernhaus oder eine räumliche Verdopplung des Kanzleramts gewinnen, sondern Menschen müssen sicher sein, dass sie sich Grombiera und ihre Lebenshaltung weiter leisten können.

Ein großer Knäuel aus grün-braunem Kupferblech in einem See.
Das während eines Sturms im Juni 2021 teilweise abgerissene Dach des Opernhauses ließ der grüne Finanzminister Danyal Bayaz als Hausherr im Eckensee aufstellen. Und die SPD-Politiker Martin Rivoir und Martin Körner sahen im zerknäulten Operndach ein „Mahnmal“ für die Folgen des Klimawandels. Wir müssen mehr tun, um die Erderwärmung und somit den Klimawandel zu verlangsamen, das ist für mich keine Frage. Allerdings darf sicher nicht jeder Sturmschaden flugs dem Klimawandel zugeschrieben werden. „Das Dach stammt aus dem Jahr 1911 und galt bereits vor dem Sturm im vergangenen Juni als marode“, so war in T-Online zu lesen. Und Tilmann Häcker,  Abteilungsleiter im landeseigenen Betrieb Vermögen und Bau, zuständig auch für die Oper, betonte gegenüber dem SWR unter Bezugnahme auf den ‚Dachschaden‘: “Es ist bestimmt ein Motor, weil man sieht, das Haus hat einen Sanierungsbedarf.“ So ist es: Der Abflug des Operndachs war ein Symbol für die mangelhafte Instandhaltung des Gebäudes. Mehr dazu in: ‚Stuttgart: Wenn das Operndach als Knäuel endet … und der Klimawandel schuld sein soll‘. Der eingangs erwähnte SPD-Landtagsabgeordnete Martin Rivoir, der sich sehr für die Kunst einsetzt, fordert mit seiner Partei, dass die Planungen für die Opernsanierung nochmals auf den Prüfstand kommen. (Bild: Ulsamer)

Dem Vergammeln zugesehen!

Wer heute Kritiker abkanzelt, der möchte nur vergessen machen, dass seit Jahren, sogar Jahrzehnten, Zeit gewesen wäre, in überschaubaren Schritten das Opernhaus instand zu halten, doch drängelten sich weder Ministerpräsident Kretschmann noch Oberbürgermeister Nopper bzw. deren jeweilige Vorgänger ans Mikrofon, um den Einzug der Handwerker zu verkünden. In unseren Tagen, die gravierende wirtschaftliche, technologische und politische Herausforderungen mit sich bringen, sind Milliarden für ein Opernhaus oder die Verdopplung des Kanzleramts in Berlin nicht akzeptabel und dies gilt in gleicher Weise für den befürchteten Zuwachs an Parlamentariern im baden-württembergischen Landtag. Den Grünen war ein neues Wahlrecht eine Herzensangelegenheit, denn mit einer zweiten Stimme für Landeslisten lassen sich besser die gewünschten Kandidaten in den Landtag bringen als beim bisherigen Einstimmenverfahren. Werden wir Bürger eigentlich nur noch als Melkkühe betrachtet? Steuerzahler sollen Prestigeprojekte der Parteien und Regierungen finanzieren, die nicht in unsere Zeit passen, allein deshalb, weil eine rechtzeitige, schrittweise Instandhaltung der Infrastruktur des Opernhauses oder anderer Baulichkeiten verschlafen worden war. Wer sich dann über Politikverdrossenheit und die Stärkung der politischen Ränder echauffiert, der übersieht die Ursachen im Politikbetrieb.

Wie abgehoben manche Politiker sind, ließ sich auch am baden-württembergischen Finanzminister Danyal Bayaz (Bündnis90/ Die Grünen) ablesen, der Dachteile, die vom Opernhaus bei einem Sturm abgehoben hatten, zu einem Kunstwerk stilisierte. Auf allen anderen umliegenden Gebäuden war nichts passiert, doch Segmente des Kupferdachs landeten als Knäuel auf dem Boden und wurden als Mahnmal gegen den Klimawandel im Eckensee platziert – natürlich auf Kosten von uns Steuerzahlern. Der Bund der Steuerzahler monierte das zurecht in seinem Schwarzbuch. Nicht der Klimawandel trug die Schuld am Dachschaden, sondern die vernachlässigte Instandhaltung des Opernhauses. Mehr dazu in: ‚Stuttgart: Wenn das Operndach als Knäuel endet … und der Klimawandel schuld sein soll.‘

Auch Ministerpräsident Kretschmann hat dem Vergammeln des Opernhauses in den bisherigen Amtsperioden zugesehen, da helfen jetzt zur Ablenkung auch keine Grombiera-Aversionen. Kretschmann durfte ich anhand von Projekten kennenlernen, bei denen es um den technologischen Fortschritt in der Automobilindustrie ging, und er zeigte sich stets aufgeschlossen für die politische Diskussion. Umso bitterer ist es, wenn er zunehmend Debatten mit zweifelhaften Vergleichen abzuwürgen versucht. Grombiera sind wichtig für uns alle, und sicherlich auch für den Mittagstisch des Ministerpräsidenten. Daher sollte Winfried Kretschmann offen für Kritik an den monströsen Kosten für die Sanierung des Opernhauses sein, denn mit dem Abbügeln kritischer Äußerungen leistet der Ministerpräsident der Kunst und gerade den sozial schlechter gestellten Mitbürgern einen Bärendienst. Es geht nicht um „Grombiera statt Kunst“ – wie der Ministerpräsident befürchtet -, sondern um die Erkenntnis, dass es sich mit Kartoffeln im Bauch um so besser künstlerisch tätig sein lässt oder man der ‚Kunst‘ folgen kann.

 

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Mehrere Kartoffeln liegen als Häufchen auf einer dunklen Platte. Die Kartoffelschale ist hell.„Grombiera statt Kunst“ gibt es mit Ministerpräsident Kretschmann nicht, doch die Frage muss durchaus erlaubt sein, ob ein oder zwei Milliarden Euro für die Sanierung und Erweiterung des Stuttgarter Opernhauses nicht etwas viel sind. Wer am Tafelladen für Kartoffeln ansteht, der dürfte wenig Sinn für die Sprüche des baden-württembergischen Ministerpräsidenten haben. Wo sind nur die Offenheit und gewisse Leichtigkeit des grünen Politikers geblieben, der im einst CDU-regierten „Ländle“ bereits in der dritten Amtsperiode an der Spitze steht. Apropos „Ländle“: Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg hat sich einer Imagekampagne verschrieben, die mit dem Motto „The Länd“ national und insbesondere global hochqualifizierte Menschen ins Land holen soll. Für 21 Mio. Euro an Steuergeldern bekommen die nicht englischsprachigen Bürgerinnen und Bürger auch noch amtliche Aussprachehilfe: „Ganz einfach Thunge thwischen die Thähne – und dann The Länd“. Mehr dazu in: ‘Vom Ländle in „The Länd“. Baden-Württemberg startet skurrile Imagekampagne. (Bild: Ulsamer)

Schottland – vom Öl zum Wind

Das Foto wurde von einer Anhöhe aus aufgenommen. Der Blick öffnet sich auf eine weite Meeresbucht.Zu sehen sind drei Plattformen für die Öl- und Gasförderung in unterschiedlicher Entfernung. Drei Schiffe werden im Bildtext beschrieben. Rechts ragen Teile für die Türme von Windkraftanlagen in die Höhe.

Wandlungsfähiger Energieproduzent im Norden Europas

Die Schotten haben so manches in ihrer Geschichte erlebt: mal wurden die Kleinbauern von den englischen Landherrn vertrieben, um Platz für großflächige Schafzucht zu schaffen, dann setzte ihnen die Londoner Zentralregierung einen Schnellen Brüter an die Nordküste, ihr schwankender Wunsch nach Unabhängigkeit wurde in Zeiten des Ölbooms abgeschmettert, doch die Schotten griffen immer wieder wirtschaftlich interessante Zukunftschancen auf. Mögen die Öl- und Gasquellen vor der schottischen Ostküste auch versiegen oder fossile Energieträger nicht mehr in die Zeit des Klimawandels passen, der Naturraum bietet wieder neue Perspektiven: statt Öl und Gas kommt zunehmend Windstrom aus dem Norden der britischen Hauptinsel. Die Bevölkerung ist gewachsen, allein dies ist für zahlreiche Schotten eine Trendumkehr, denn weite Regionen – gerade in den Highlands – waren entvölkert worden: viele Menschen sahen ihre einzige Chance in der Auswanderung nach Amerika. Bei unserer jüngsten Reise nach Schottland sprangen die Neubauviertel auch in ländlichen Kommunen ebenso ins Auge wie die Hinwendung zu regenerativen Energien. In Häfen, in denen ab den späten 1970er Jahren die Versorgungsschiffe für die Ölplattformen überwogen, lagern zunehmend Bauteile für Windkraftanlagen und ankern Spezialschiffe für die Errichtung der Offshore-Windparks. Nun ist das halbe Jahrhundert unserer Besuche in Schottland fast voll und die Veränderungen in fünf Jahrzehnten sind interessant, wobei gerade der fließende Übergang von einer Form der Energiegewinnung zur nächsten beachtlich ist. Daneben ist Platz geblieben für Tourismus, Landwirtschaft, Fischfang, Lachszucht, Whisky und viel Natur.

Windkraftanlagen weit vor der Küste erheben sich aus dem dunkelblauen Meer.
Ohne Windkraft kann aus derzeitiger Sicht die Energiewende nicht gelingen, doch sollten wir an Land und auf dem Meer achtsam mit der Natur umgehen. Regenerative Energie ist von zentraler Bedeutung, um den Klimawandel zumindest zu bremsen, doch dies darf nicht zu Lasten der Meerestiere oder überfliegender Vögel gehen und die Artenvielfalt weiter bedrohen. Mehr dazu in: ‚UN-Hochseeschutzabkommen: Leerformel oder konkreter Fortschritt? Die Zerstörung der Ozeane muss gestoppt werden!‘ (Bild: Ulsamer)

Zukunftsfähiges Stromnetz

Auffällig war bei unserem jetzigen Besuch, mit welchem Tempo die Verbesserung der Stromtrassen angegangen wird, die die Energie aus den Windparks in der Nordsee nach England transportieren sollen. Deutsche Planer würden sofort die Hand abwehrend heben und betonen, weite Leitungssektoren könnten im Meer verlegt werden und da gäbe es weniger Einsprüche als bei deutschen Südlink-Aktivitäten. Das erinnert ein wenig daran, dass Vertreter der Bundesregierung bei der Fahrt durch den Gotthardt-Basistunnel meinten, so ein Bahntunnel lasse sich leichter unter den Alpen hindurch buddeln als die Zulaufstrecken in deutschen Landen fertigstellen. Faule Ausreden – zum Fremdschämen – gibt es leider in unserem Land mehr als genügend, wenn es schleppend mit dem Ausbau der Infrastruktur vorangeht, doch Ausflüchte tragen nur dazu bei, dass Deutschland wirtschaftlich und technologisch zurückfällt. Nun aber wieder zurück nach Schottland und zwar nach Boddam bei Peterhead. Dort werden gewissermaßen in Sichtweite eines 1 180-MW-Gaskraftwerks die Konverter für die Umsetzung der Windenergie in Gleichstrom errichtet, da sich dieser verlustärmer über den ‚Eastern Green Link‘ rd. 500 km nach Drax ins englische North Yorkshire transportieren lässt. Das Leitungssystem ist auf zwei Gigawatt ausgelegt und soll den Strom für zwei Millionen Haushalte übertragen. Das Vereinigte Königreich und Deutschland haben ein ähnliches Problem, denn der Strom lässt sich in großen Mengen dort produzieren, wo wenig Bedarf ist, und daher müssen entsprechende Verbindungen in die Ballungszentren aufgebaut werden. Der ‚Eastern Green Link‘ wird 69 km über Land und 436 km unterseeisch verlaufen, wobei das Kabel dort zahlreiche Pipelines und andere Verbindungen von und zu den Ölplattformen in der Nordsee queren muss.

Ein sogenannter Halbtaucher, eine schwimmende Plattform für die Ölförderung im Cromarty Firth in Warteposition. Der Bohr- bzw. Förderturm ist rot-weiß.
Die Öl- und Gasfunde in der Nordsee brachten Schottland wirtschaftliche Vorteile und den Aufbau von Know-how, das nun teilweise beim Bau von Windparks von Vorteil ist. „Die ölbedingten Veränderungen in der Kulturlandschaft der schottischen Ostküste haben einige negative Auswirkungen mit sich gebracht, doch die beachtlichen positiven Entwicklungen müssen erkannt, weiter ausgebaut und für die Zukunft bewahrt werden“, schrieb meine Frau – Cordula Ulsamer – 1980 in der ‚Geographischen Rundschau‘. Es scheint in den letzten Jahrzehnten gelungen zu sein, die Vorteile für Schottland und das gesamte Vereinigte Königreich zu nutzen, ohne die Natur – vor Ort – zu sehr zu beeinträchtigen. Natürlich sind wir uns alle heute bewusster als noch vor einem halben Jahrhundert, dass wir auf regenerative Energiequellen umschwenken müssen, und genau dies erfolgt in Schottland. Dass sich das Ölzeitalter in Schottland dem Ende zuneigt, das lässt sich auf den leerstehenden Plattformwerften erkennen. (Bild: Ulsamer)

Die Eindrücke aus unseren Besuchen in Schottland im Zeitraum 1974 bis Ende der 1980er Jahre haben sich in einem 500-seitigen Buch niedergeschlagen, das einen Reiseführer zu historischen Orten und Zentren der Ölindustrie ebenso umfasst wie Kapitel zur englischen und schottischen Politik. Unser 1991 erschienenes Buch ‚Schottland, das Nordseeöl und die britische Wirtschaft. Eine Reise zum Rande Europas‘ ist nur noch antiquarisch erhältlich. Im Mittelpunkt standen bei unseren damaligen Recherchen die Auswirkungen der Offshore-Ölförderung auf das Festland. Fischerboote wurden damals aus manchen Häfen verdrängt, denn es wurde Platz gebraucht für die Versorgungsschiffe, die Material zu den Plattformen brachten. In Aberdeen entstand aus einem kleinen Regionalflughafen eine Drehscheibe für Helikopter, die die Mitarbeiter zu den Bohrinseln flogen. Aberdeen beherbergt seit 1988 den größten kommerziellen Heliport der Welt. 1967 hob der erste Helikopter in Aberdeen ab, um sich auf den Weg zu einer Ölplattform zu machen. Heute verzeichnen die Heliports in Aberdeen jährlich 35 000 Starts und Landungen von Hubschraubern, nach Spitzenzeiten mit 40 000 Flügen. Helikoptern kommt auch bei der Wartung von Windkraftanlagen im Meer eine große Bedeutung zu, so lässt sich das bisher gewonnene Know-how weiterhin einsetzen. Die Ölindustrie zog in ihren Boomjahren zahlreiche Arbeitskräfte an – aus Schottland und England, aber auch weit darüber hinaus.

Ein rot-weißer Fischtrawler hat rückwärts am Kai angelegt. Eines der Netze wurde auf dem Kai ausgelegt. Zahlreiche Möwen durchsuchen die Maschen des Netzes nach Fischen.
Peterhead ist der größte Fischereihafen im Vereinigten Königreich, sowohl die angelandete Menge an Fisch bzw. deren Wert betreffend. Im Jahr 2022 wurden 155 000 Tonnen Fisch über den Hafen umgeschlagen. Möwen sind eifrige Helferinnen bei der Reinigung der Netze. Auf die Überfischung unserer Ozeane bin ich in meinem Blog bereits mehrfach eingegangen und auch auf die Bedrohung einzelner Arten, so z. B. auf den Riesenhai, dessen Population sich in den zurückliegenden 100 Jahren um 80 % verringert hat: ‚Der Riesenhai – ein friedlicher Koloss. Mikroplastik statt Plankton landet zwischen den Kiemen‘. (Bild: Ulsamer)

Wie gefährlich einträgliche Jobs in der Ölindustrie sein können, mussten wir erfahren, als in der Nacht vom 6. auf den 7. Juli 1988 Explosionen die Bohrinsel ‚Piper Alpha‘ – 170 km nordöstlich von Aberdeen – erschütterten und 167 Menschen das Leben kosteten. Als uns diese Nachricht die Landlady in unserem B&B am nächsten Morgen überbrachte, bekamen die Recherchen für unser Buch einen bitteren Beigeschmack. Die Öl- und Gasförderung wurde trotz aller Risiken – für Mensch und Umwelt – zu einem wichtigen Standbein der schottischen Wirtschaft, obwohl die Zentralen der Ölunternehmen nicht in Aberdeen oder einer anderen schottischen Stadt residierten. Mit dem Ölboom kamen Beschäftigte mit entsprechenden Qualifikationen nach Schottland, denn lokal hätte sich der Arbeitskräftebedarf nicht decken lassen. Ganze Siedlungen wurden hochgezogen – wie z.B. die Holzhäuser in Cruden Bay -, um die Zuwanderer unterbringen zu können. Bis heute haben Serviceleistungen mit Bezug zur Öl- und Gasförderung in Häfen wie Aberdeen oder Peterhead große Bedeutung, doch viele Aspekte deuten darauf hin, dass die Chancen der Windkraft aufgegriffen werden. So ließe sich zumindest teilweise der rückläufige Bedarf an Beschäftigten in der Öl- und Gasindustrie ausgleichen. In der britischen Offshore-Ölindustrie sind rd. 200 000 Mitarbeiter beschäftigt.

Zwei Hafenbecken im Hafen von Aberdeen. Rote und blaue Versorgungsschiffe mit langer Ladefläche. Im Mittelpunkt weiße Treibstofftanks.
Der Hafen Aberdeens hat in besonderer Weise von der Suche nach Öl und Gas in der Nordsee profitiert. Von der schottischen Ölhauptstadt stechen zahlreiche Schiffe in See, um die Plattformen mit Material zu versorgen. Das Ölzeitalter begann für Aberdeen bereits zu Beginn der 1960er Jahre, als Schiffe für seismische Untersuchungen von dort aus ihre Forschungsaktivitäten starteten. Die ersten beiden großen Ölfunde in der Nordsee, die Felder ‚Montrose‘ (1969) und ‚Forties‘ (1970) brachten Aberdeen dann den Aufschwung. Die Fischerei ging bereits in den 1980er Jahren deutlich zurück und verlagerte sich z. B. nach Peterhead. Dies war jedoch insbesondere eine Folge des Gewerkschaftseinflusses, der das Entladen der Trawler in Aberdeen deutlich teurer machte als in Peterhead. (Bild: Ulsamer)

Never put all eggs in one basket

Bereist man die schottische Ostküste, dann zeigt es sich, dass es kaum gelungen ist, produzierende Industrieunternehmen oder Dienstleister anzusiedeln, die nicht mit den vorhandenen Schwerpunkten – wie früher Fischfang, jetzt Öl- und Gasförderung – verbunden sind. Eine echte Diversifikation wurde immer wieder versucht, doch weitgehend vergeblich. Daher ist es wirtschaftlich betrachtet wichtig, die vorhandenen Qualifikationen möglichst ohne Brüche für die Windenergie einzusetzen. Ausflüge in andere Geschäftsfelder schlugen meist fehlt, so z. B. die in Invergordon errichtete Aluminiumhütte der British Aluminium Company. Bereits in den 1940er Jahren wurde Invergordon als möglicher Kristallisationspunkt für größere industrielle Ansiedlungen betrachtet, doch erst 1971 nahm die von Königin Elizabeth II. eingeweihte Aluminiumhütte ihre Produktion auf. 400 Mio. Pfund entpuppten sich allerdings als schlechtes Investment, denn der preisgünstige Strom aus dem Kernkraftwerk Hunterston ‚B‘ in North Ayrshire an der schottischen Westküste ließ auf sich warten. Schon ein Jahrzehnt später wurde dieser Industrialisierungsversuch aufgegeben: 900 Mitarbeiter der Aluminiumhütte und 700 Beschäftigte bei Zulieferern und in Servicebetrieben hatten ihren Job verloren. „Die wie eine metallen glänzende Trutzburg gegen Arbeitslosigkeit und Unterentwicklung geplante und gebaute Aluminiumhütte von Invergordon stellt sich heute dem Besucher als industrielle Ruine dar“, schrieben meine Frau und ich in unserem oben angeführten Buch. Nur noch ein langer Steg erinnert in der Bucht an das Förderband für die Bauxit-Anlandung. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher war in ihrer Amtszeit von 1979 bis 1990 wenig geneigt, strauchelnde Unternehmen – ob Aluminiumhütte oder Bergwerk – mit Steuergeldern über Wasser zu halten, dies zeigte sie auch beim Zinnbergbau in Cornwall. Weitere Infos finden Sie in meinem Artikel ‚Cornwall: Die Burgen des Zinnzeitalters. Vom Industriestandort zum Eldorado für Touristen‘.  Im Grunde macht es volkswirtschaftlich keinen Sinn, Betriebe zu erhalten, die nicht aus eigener Wirtschaftsleistung leben können, dies wird leider in unseren Tagen immer wieder vergessen. Man kann nur hoffen, dass sich der Staatseinstieg bei der Meyer Werft in Papenburg durch die inzwischen zerbrochene Bundesregierung aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen nicht zu einem Fass ohne Boden entwickelt. Mehr zu diesem Thema finden Sie in meinem Beitrag ‚Olaf Scholz als Kreuzfahrt-Kapitän. Übernahme der Meyer Werft ist ein wirtschaftspolitischer Irrweg‘. Nur wenige staatliche Fördermaßnahmen für Fabriken, die regionalpolitisch auf den ersten Blick interessant erscheinen, sind auf Dauer wirtschaftlich tragfähig. In Invergordon, wo die Schiffe einst Bauxit anlandeten, machen in unseren Tagen während der Saison fast täglich Kreuzfahrtschiffe fest, deren Passagiere per Bus das Cawdor Castle oder das Loch Ness besuchen. Nessi ist eben immer jung und anziehend geblieben und schlägt daher so manches kurzlebige Projekt, das nur mit Steuergeldern aufblühen konnte und dann schnell verwelkt.

Das neue Hafenbecken von Aberdeen. Zwei Schiffe haben angelegt. Details siehe Bildtext.
Im Süden des bisherigen Hafens entstand bei Aberdeen ein zusätzliches Hafenbecken für 400 Mio. Pfund. Hier finden weitere Versorgungs- und Spezialschiffe für Offshore-Aktivitäten einen Anlegeplatz, aber es bietet auch Platz für größere Kreuzfahrtschiffe. Zu sehen sind die MPV Everest (links), die Unterkünfte für 140 Mitarbeiter bietet und bei Baumaßnahmen im Offshore-Bereich zum Einsatz kommt, und die Boka Polaris, die u. a. Taucheinsätze unterstützen kann und über 100 Schlafplätze verfügt. Die MPV-Everest kann baulich selbst in eisbedeckten Gewässern unterwegs sein (Ice Class). (Bild: Ulsamer)

„Never put all eggs in one basket“, ist ein Sprichwort, das aus dem Mund zahlreicher Einwohner Aberdeens und der ganzen Region zu hören ist. Mag es in der Literatur Miguel Cervantes, dem Autor des Don Quixote, im frühen 17. Jahrhundert zugeschrieben werden, so ist dieser Grundsatz sicherlich in allen Epochen nicht falsch. Nicht alles auf eine Karte zu setzen, war in Schottland bedeutsam, denn diverse von Politikern aus dem Ärmel geschüttelte ‚Asse‘, so manche feurige Idee – wie die Aluminiumöfen – pustete der Wind bald aus. Der Wind bläst im hohen Norden Europas meist heftiger, und so ist er die Basis der regenerativen Stromerzeugung, doch als Wind der Veränderung trennt er auch die Spreu vom Weizen. Gut beraten war, wer trotz des Ölbooms, der Invergordon oder Nigg am Cromarty Firth zu wichtigen Zentren für den Bau und die Unterhaltungsarbeiten von Ölplattformen machte, andere wirtschaftliche Möglichkeiten nicht aus den Augen verlor. Kreuzfahrttourismus gehört hier ebenso dazu wie die Fischerei, und dies trotz der schwindenden Fischschwärme. Ein Trawler in Fraserburgh ähnelte auf den ersten Blick eher der Luxusjacht eines Oligarchen, als dem Arbeitsinstrument einer Crew von Fischern. Aber auch die Whiskydestillerien oder die Herstellung von Shortbread, um nur diese beiden traditionellen schottischen Exporterzeugnisse zu nennen, tragen seit Jahr und Tag zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei – und dies ohne staatliche Förderung. Viele Bürger in den ländlichen Regionen der Highlands and Islands könnten ohne Touristen, die den Spuren der Geschichte folgen oder die Natur suchen, ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten. Nicht alle ‚Eier‘ in denselben ‚Korb‘ zu legen, ist auf alle Fälle richtig, was sich auch in Schottland unschwer erkennen lässt.

Ein Kreuzfahrtschiff hat angelegt. Der Rumpf ist balu, die Etagen mit Kabinen sind weiß. Im Hintergrund sind Häuser zu sehen.
Der Kreuzfahrttourismus hat sich in verschiedenen schottischen Häfen zu einer interessanten Einnahmequelle gemausert. So landen während der Sommersaison in Invergordon nahezu täglich Kreuzfahrtreisende an, wo ab 1971 für ein Jahrzehnt Bauxit für eine Aluminiumhütte gelöscht wurde. Das Bild zeigt die Balmoral der norwegischen Fred. Olsen Cruise Line im Hafen von Rosyth, in dem jährlich rd. 30 Kreuzfahrtschiffe anlegen. Der Hafen gehört – ebenso wie Dundee, Leith, Grangemouth u. a. – zur Forth Ports Group, dem größten schottischen Hafenbetreiber. (Bild: Ulsamer)

Wirtschaft und Gesellschaft internationaler

Nicht erst mit der Förderung von Öl und Gas in der Nordsee zeigte es sich, dass selbst eher abgelegene Regionen in Schottland über wirtschaftliche Beziehungen international vernetzt waren. In Dundee gehen – wie in Invergordon oder im Firth of Forth – Kreuzfahrtschiffe vor Anker, Komponenten von Windkraftanlagen werden bereitgestellt, um mit Spezialschiffen zu den im Aufbau befindlichen Windparks transportiert zu werden, wobei internationale Lieferanten und Dienstleister tätig sind. Schiffe, die in der britischen Nordsee Ölplattformen versorgen, schippern nach Libyen oder Australien, um dort ähnlichen Service anzubieten.

Blick in das Dachgeschoss des Jutemuseums in Dundee. Weiß gestrichene senkrechte Balken und das holzfarbene Dachgebälk dominieren. In der Bildmitte liegen einige Juteballen. Der Blick öffnet sich auch in das untere Geschoss.
Die Zeit der Jute ist in Dundee längst vorbei, doch im Verdant Works Museum wird die Geschichte ihrer Verarbeitung und weltweiten Vermarktung wieder lebendig. Dieses Museum ist für historisch Interessierte einen Besuch wert. Als die Spinnerei 1833 für David Lindsay, einen Händler und Flachsspinner gebaut wurde, war sie noch umgeben von grünen Wiesen und Feldern, daher der Name ‚verdant‘ für ‚grün‘. Auf Flachs folgte Jute als Grundmaterial, das z. B. für Säcke oder als Trägermaterial für Linoleum benutzt wurde. Jute war im 19. Jahrhundert der König und Dundee sein Königreich, so wird es zumindest tradiert. Mit dem Ende der Herstellung von Juteartikeln kam für Dundee ein tiefer Fall, von dem es sich nur langsam erholte. Auch die produzierende Elektronikbranche, die der Region von Dundee an der Ostküste bis Glasgow im Westen einige Jahre lang den Beinamen “silicon glen” eingebracht hatte, folgte im Zuge der Globalisierung der Verlagerung nach Osteuropa bzw. Asien. (Bild: Ulsamer)

Weit über Schottland oder die britischen Inseln gingen die wirtschaftlichen Aktivitäten in Dundee bereits in früheren Jahrhunderten hinaus: Walfang und Schiffbau, die Fertigung von Leinengewebe und später von Juteprodukten schufen Wohlstand. Flachs kam aus Russland, den baltischen Staaten und den Niederlanden, ab 1830 wurde zunehmend Jute importiert, um daraus Säcke, Matten oder Seile herzustellen. Um 1900 arbeiteten in Dundee 93 % aller britischen Jutespinnereien, und 65 % aller Jutewebstühle liefen in Dundee. Als Indien als damaliger Teil des britischen Kolonialreichs die Juteverarbeitung selbst vorantreiben konnte, mauserte sich Kalkutta zur führenden Stadt der Produktion von Juteartikeln. Preislich konnten die Spinnereien in Dundee nicht mehr mithalten und verloren ihre weltweiten Märkte. Dundee hatte den Grundsatz, nicht alle Eier in einen Korb zu legen, zu wenig beachtet und erlebte einen wirtschaftlichen Niedergang. Wirtschaftliche Impulse konnten die Öl- und Gasfelder in der Nordsee vermitteln, wobei Versorgungsschiffe dominierten, aber der Bau von Komponenten für Plattformen nicht reüssierte. Bei der Windkraft wird es nicht nur in Dundee darauf ankommen, ob zunehmend Komponenten in der eigenen Region gefertigt werden oder der Hafen nur ein Umschlagplatz ist, über den Teile aus anderen Ländern transportiert werden.

Ein gelbes Schild steht auf einer Grünfläche, dahinter eine gelbliche Heuwiese. Auf dem Schild steht in schwarzen Buchstaben: Stronger for Scotland - SNP.
„Conference believes that the next UK General Election should be used as an opportunity to advance the cause of independence“, so heißt es in einem Strategiepapier der Scottish National Party (SNP) vom Oktober 2023, doch die Unterhauswahlen am 4. Juli 2024 stellten einen dramatischen Rückschlag für die SNP dar. Das britische Mehrheitswahlrecht (‘the winner takes it all’) unterstrich den Trend überdeutlich. Auf die SNP entfielen gerade noch neun Sitze im britischen Unterhaus statt 48 bei den Wahlen zum House of Commons im Jahr 2019. Viele Schotten wählten die Labour Party, da sie die Konservativen als Regierungspartei ablösen wollten. Die SNP schien ihnen als ewige Oppositionspartei im Londoner Parlament nicht als hilfreich. Der Wunsch nach Unabhängigkeit ist in Schottland leiser geworden, und dazu hat die SNP selbst beigetragen – durch eine wenig vorteilhafte Personalpolitik und politische Winkelzüge. Weitere Informationen zur Unterhauswahl finden Sie in meinem Artikel ‘Premierminister Sunak fährt Tories gegen die Wand. Die schottischen Nationalisten als zweiter Wahlverlierer‘. (Bild: Ulsamer)

Der wirtschaftliche Aufschwung durch die Förderung von Öl und Gas gab dem Wunsch nach Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich bei vielen Schotten neuen Auftrieb: ‚It’s Scotland’s Oil‘. Die britischen Regierungen in London verstanden es, das Streben nach einem eigenen schottischen Staat immer wieder zu bremsen, und als 2014 mit Zustimmung aus London ein Referendum durchgeführt werden konnte, stimmte eine Mehrheit von 55,3 % gegen die Loslösung Schottlands von Britannien. Durch den von Premierminister Boris Johnson durchgedrückten Brexit bekam der Wunsch nach Eigenständigkeit neuen Aufschwung, da die Schotten mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt hatten, und sie hofften, als schottischer Staat in die EU zurückkehren zu können. Inzwischen hat die Scottish National Party (SNP) durch Skandale und Personalwechsel an der Parteispitze viele Anhänger eingebüßt. Nicht unterschätzt werden darf, dass mit der Zuwanderung aus anderen Landesteilen der harte Kern an nach Unabhängigkeit strebenden Schotten ‚verwässert‘ wurde. Wer ganze Wohnquartiere an den Ortsrändern hochwachsen sieht, der erkennt leicht, dass sich Schottland auch von der Sozialstruktur her verändert hat. Der Wunsch nach einem eigenen schottischen Staat hat an Sprengkraft verloren.

Windrotoren im Meer in Küstennähe, dazwischen Versorgungsschiffe.
Die Windkraft prosperiert in Schottland – on- und offshore. Versorgungsschiffe werden – wie bei der Öl- und Gasförderung – beim Aufbau und Betrieb von Windparks eingesetzt. Intensiver als bisher müssen die notwendigen Eingriffe in die Natur im Verhältnis zum Energieertrag abgewogen werden. Die Meere dürfen nicht beliebig weiter belastet werden, und dies bedeutet auch, dass im süddeutschen Raum mehr Windkraftanlagen aufgebaut werden müssen. Hier besteht Nachholbedarf. Mehr dazu in: ‚Windkraft: Aufgeblasene Backen, aber wenig Windenergie. Baden-Württemberg hinkt hinter Regierungsverlautbarungen her‘. (Bild: Ulsamer)

Die Zukunft liegt beim Wind

Der Ausbau der Windkraft schiebt an verschiedenen Orten die Sanierung und Umwidmung von Flächen und Gebäuden an, die ursprünglich für den Bau von Förderplattformen oder entsprechenden Komponenten genutzt wurden. So entsteht bei Ardersier in der Nähe von Inverness auf 180 Hektar Fläche ein Hafen mit einem 650 Meter langen Kai. Der Projektentwickler Haventus – im Besitz der Quantum Capital Group – hat rd. 400 Mio. Pfund von Investoren und an Zuschüssen eingeworben, um einen Hafen speziell für den Umschlag von Bauteilen für Windkraftanlagen zu errichten. Der Vorteil dieses Vorhabens ist die Nutzung einer Industriebrache – brownfield -, denn in den 1970er Jahren war dort eine Plattformwerft des Unternehmens McDermott entstanden. In den Hochzeiten wurden 4 500 Menschen in der Plattformwerft beschäftigt, die 2001 geschlossen wurde. Die Auswirkungen auf die Natur fallen bei der Reaktivierung des Geländes relativ gering aus.  Mit jedem zusätzlichen Hafen steigt natürlich der Konkurrenzdruck, und es wird sich erst langfristig zeigen, welche Häfen sich als Dienstleister für die Windenergie dauerhaft etablieren können. Zu bedenken ist beim Vergleich der Öl- und Gasförderung mit Windparks, dass für die Instandhaltung von Windkraftanlagen deutlich weniger Mitarbeiter benötigt werden als für den Betrieb von Öl- und Gasplattformen. Sollten keine weiteren wirtschaftlichen Betätigungsfelder hinzukommen, dann hätte dies Auswirkungen auf das Arbeitsplatzangebot und den benötigten Wohnraum in den betroffenen Regionen. Der Ausbau der Windkraft ist zumindest so lange gesetzt, wie keine neuen Formen der Gewinnung von regenerativer Energie breit zum Einsatz kommen. Auflaufende Wellen, eine kaum erkennbare Dünung oder die Gezeitenströme mit Ebbe und Flut bieten interessante Ansatzpunkte für die Stromerzeugung aus Meeresenergie. Einzelne Projekte – auch vor den schottischen Küsten – haben bewiesen, dass die Ozeane einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten können – nicht nur als Standort für Windräder.  Mehr zu diesen bisher unterschätzten Formen der Energiegewinnung finden Sie in meinem Beitrag ‚Ebbe und Flut als Energieträger. Die Kraft des Meeres naturverträglich nutzen‘.

Neue zweistockige Gebäude mit Werbefahnen und Informationstafel zur neuen Siedlung. Davor eine Grünfläche mit weißen Blümchen.
Neubauten schießen an den Ortsrändern mancher Kommunen wie Pilze aus dem Boden, während innerorts – wie in Deutschland – nicht selten der Leerstand bei Ladengeschäften grassiert. Die Bevölkerung Schottlands lag Anfang der 1970er Jahre bei gut 5,2 Mio. Einwohnern, bis in die frühen 2000er Jahre ging sie auf 5,06 Mio. zurück, und 2021 lag sie bei 5,48 Mio., in den Jahren danach zeichnet sich lt. ‚statista.com‘ wieder eine fallende Tendenz ab. Das Foto zeigt ein neues Wohnquartier in Winchburgh Grange, 16 km von Edinburgh entfernt. Hier handelt es sich überwiegend um eine Schlafstadt für Pendler aus der schottischen Hauptstadt. (Bild: Ulsamer)

Neue Nutzungen für ausgebeutete Öl- und Gasfelder könnte die Einlagerung von klimaschädlichem CO2 sein, wobei aus meiner Sicht noch viele Fragen beim Carbon Capture and Storage (CCS) ungeklärt sind. Einerseits haben die Öl- und Gasunternehmen Erfahrung, denn sie leiten seit 50 Jahren bei der Aufbereitung von Erdgas anfallendes CO2 in die Bohrlöcher, um weiteres Gas und Öl herauszupressen, doch andererseits haben die zahlreichen Bohrungen den Meeresboden durchlöchert und das Verpressen großer Mengen von Klimagasen könnte zu zusätzlichen Rissen führen, aus denen dann die Gase wieder austreten könnten. Die Vereinigung ‚Offshore Energies UK (OEUK)‘ betont, das Vereinigte Königreich habe die besten Voraussetzungen dafür, der größte Markt für das Einlagern von CO2 in Europa zu werden, denn es ließen sich 78 Gigatonnen an Klimagasen verpressen, und dies entspräche nahezu dem britischen Ausstoß in 200 Jahren. Generell ist der sichere Rückbau von Fördereinrichtungen eine umfangreiche Aufgabe, so sind die Unternehmen dabei, im schottischen Sektor jährlich 200 aufgelassene Öl- und Gasquellen zu verschließen. Das Ölzeitalter mag sich seinem Ende zuneigen, doch die Einstellung der Fördermaßnahmen muss so erfolgen, dass sich daraus keine negativen Folgen für Natur und Umwelt ergeben.

Links im Bild die Exkalibur, ein schwimmender Öltank. In der Mitte hohe Hallen aus der Zeit, in der Ölplattformen gebaut wurden. Rechts weiße Komponenten für Windkraftanlagen. Dahinter bläuliches Meer und am oberen Bildrand Berge.
Den steilen Aufstieg einer Plattformwerft lässt sich in Nigg nachzeichnen, wo Highland Fabricators 1972 eine spezielle Werft mit einem der größten Trockendocks in Europa eröffneten. In den Hochzeiten wurden 5 000 Mitarbeiter beschäftigt, doch dann kam der freie Fall und die Anlagen wurden eingemottet. Heute werden in Nigg Komponenten für Windkraftanlagen bereitgestellt. Das Foto zeigt die sich überlappenden Öl- und Windzeitalter. Links die Excalibur, die seit 2022 in Nigg liegt, gewissermaßen arbeitslos geworden. Eigentlich sollte der schwimmende Ölspeicher – im Besitz eines malaysischen Unternehmens – bereits am Avalon-Ölfeld wieder eingesetzt werden. Beim nächsten Einsatz, der auf sich warten lässt, soll ein Windgenerator für elektrischen Strom auf der Excalibur – früher Sevan Hummingbird – sorgen. Excalibur kann 270 000 Barrel Öl speichern und täglich 30 000 Barrel aufbereiten. Rechts liegen Komponenten für Windkraftanlagen und warten auf ihren Abtransport zum Aufbau eines Windparks in der Nordsee vor der schottischen Küste. In der Öl- und Gasindustrie sind im Vereinigten Königreich noch 200 000 Menschen beschäftigt. Wie sich die Erteilung weiterer Förderlizenzen auf den Bedarf an neuen Plattformen auswirkt, dies lässt sich noch nicht absehen. (Bild: Ulsamer)

Aber auch beim Aufbau und Betrieb von Offshore-Windparks muss stärker als in der Vergangenheit auf das Meer und dessen Bewohner oder überfliegende Vögel geachtet werden. An manchen Stellen kann man vor lauter Windrotoren und Schiffen kaum noch ein freies Fleckchen sehen, und da kommen mir durchaus Zweifel, ob der Zubau von Windkraftanlagen ungebremst so weitergehen kann. Selbstredend wird es ohne Windstrom derzeit keine Energiewende geben, doch Rücksicht auf die Natur darf nicht zur Nebensächlichkeit werden. Die Ozeane sind durch die Einleitung von Abwässern, unsachgemäße Entsorgung von Müll und Überfischung ohnehin bereits bedroht. Mehr dazu in ‚Seevögel in Not. Leergefischte und vermüllte Meere zerstören die Vogelwelt‘.

Runde, weiße Teile für die Türme von Windkraftanlagen recken sich in den blauen Himmel. Am Boden warten weitere Bauteile auf den Abstransport.
Der Aufbau und Betrieb von Windparks löst die zurückgehenden Aktivitäten bei der Öl- und Gasförderung zunehmend vor der schottischen Küste ab. Im Hafen von Dundee warten Komponenten für Windkraftanlagen auf den Weitertransport. (Bild: Ulsamer)

Vorteile des Naturraums genutzt

Schottland hat Vorteile aus dem Nordseeöl gezogen, so z. B. durch eine verbesserte Infrastruktur oder den Zuzug qualifizierter Arbeitnehmer und deren Familien, und ich kann nur hoffen, dass der Übergang zum Wind als neuer Energiequelle die positive Situation sichern kann. Die volatile Entwicklung bei der Öl- und Gasförderung überstanden die Schotten in den zurückliegenden 50 Jahren recht gut, denn sie haben die angestammten Wirtschaftsbereiche nicht vernachlässigt. In diesem Beitrag stehen die wirtschaftlichen Veränderungen an der schottischen Ostküste im Vordergrund, doch es handelt sich meist um punktuelle Eingriffe, denn außerhalb der Zentren gibt es noch immer viel Landschaft mit wenig Menschen. Das ist wohltuend. In den Highlands, aber auch in den Küstenregionen der Lowlands von Dundee über Montrose nach Aberdeen und weiter nach Peterhead und Fraserburgh hat die Natur ihren Platz behalten. Im Fowlsheugh Nature Reserve bei Stonehaven, um nur dieses zu erwähnen, brüten mehr als 115 000 Seevögel.

Schwarz-weiße Vögel sitzen auf einem Felsen. Tordalke und Lummen.
Im Fowlsheugh Nature Reserve bei Stonehaven brüten nach Angaben der Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) mehr als 115 000 Seevögel. Ein Besuch lohnt sich für Vogelfreunde immer, allerdings stehen nur zwölf Parkplätze zur Verfügung. Tordalke und Trottellummen – wie auf dem Foto -, aber auch Dreizehenmöwen und einige Papageientaucher und Eissturmvögel drängen sich zur Brutzeit auf den schmalen Felsbändern der Klippen. Mehr zur Situation der Seevögel in: ‚Papageientaucher: Die bunten ‚Clowns‘ der Meere werden immer seltener. Seevögel leiden unter Überfischung, Plastikmüll und Klimawandel‘. (Bild: Ulsamer)

Mit der Windenergie ziehen die Schotten nach Öl und Gas einen weiteren Vorteil aus dem Naturraum Nordsee. Sie packen die Chancen der regenerativen Energie beim Schopfe und sind dabei, die Netze für die Weiterleitung des Stroms nach England und Kontinentaleuropa auszubauen.

 

Kühltürme und Kamine aus grauem Beton ragen in den blauen Himmel. Sie sind umgeben von weiteren technischen Anllagen der Raffinerie. Im Vordergrund ein grüner Acker auf einer Anhöhe.
Die einzige schottische Raffinerie in Grangemouth kann auf eine lange Geschichte zurückblicken, denn unter dem Namen Scottish Oils nahm sie 1924 ihre Produktion auf. Die Raffinerie ist über zwei Pipelines mit dem Finnart Oil Terminal am Loch Long (ab 1952) an der Westküste und seit den 1970er Jahren mit dem Ölfeld ‚Forties‘ in der Nordsee verbunden. BP veräußerte die Raffinerie 2005 an Ineos, die den Geschäftsbereich 2011 in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der staatlichen chinesischen Petrochina einbrachte. Das 50/50 Joint Venture bekam den Namen Petroineos. Petroineos hat bekannt gegeben, dass die Raffinerie in Grangemouth 2025 wegen nachlassender Nachfrage geschlossen werden soll. Ein Ölterminal soll erhalten bleiben. Wie sich dies auf andere petrochemische Unternehmen auswirken wird, dürfte erst die Zukunft zeigen. Ineos wurde in Deutschland weniger als petrochemische Firmengruppe denn als Käufer des Smart-Werks von Mercedes-Benz im französischen Hambach bekannt, wo sich der Vorstandsvorsitzende und Multimilliardär James A. Ratcliffe einen Wunschtraum erfüllte: Er lässt dort  ‚Grenadier‘-Geländewagen fertigen. (Bild: Ulsamer)

 

Zwei graue hohe Hallen, davor Kranen und Metallteile.
Still geworden ist es nicht nur in Burntisland, wo Plattformen gebaut wurden. Burntisland Fabrications (BiFab), eine Gesellschaft des kanadischen Unternehmens DF Barnes ging im Herbst 2020 das Geld aus, die Hoffnungen auf einen Neustart mit Komponenten für die Windparks hatten sich zerschlagen, und dies auch für die Ableger in Methil und auf der Isle of Lewis. 2017 hatte die schottische Regionalregierung BiFab noch mit 34 Mio. Pfund an Steuergeldern gerettet, doch nun wurde der Geldhahn nicht wieder aufgedreht. Gary Smith, schottischer Sekretär der GMB-Gewerkschaft, und Pat Rafferty, ‚Unite Scotland‘-Sekretär, betonten in ‚Energy Voice‘: „A decade on from the promise of a ‘Saudi Arabia of renewables’ and 28,000 full time jobs in offshore wind manufacturing, we’ve been left with industrial ruins in Fife and Lewis.“ Wo früher Plattformen gebaut wurden, herrscht heute gähnende Leere und Gebäude oder Flächen harren eines Prinzen, der Dornröschen wachküsst. (Bild: Ulsamer)

 

An einem Hang mit Gebüsch ziehen sich in mehreren Reihen Portacabins entlang, die an Touristen vermietet werden. Unterhalb liegt eine Straße, dann Sandstrand und Meer.
Über Geschmäcker lässt sich trefflich streiten, doch ob es auf Dauer ein touristisches Highlight ist, wenn ganze Berghänge oder Strandbereiche mit Portacabins vollgestellt werden, das wage ich zu bezweifeln. In den Highlands und auf den vorgelagerten Inseln gibt es jetzt schon genügend Quartiere, die sich besser ins Landschaftsbild einpassen. Im Bild der Pettycur Bay Holiday Park zwischen Kinghorn und Burntisland. (Bild: Ulsamer)

 

Links ein Türmchen mit weißer Uhr auf einem Gebäude aus Granit. Dahinter eine blau-weiße Autofähre. Im Hintergrund ein Hochhaus.
Der Hafen von Aberdeen ist laut des ‚Guinness Book of Business Records‘ das älteste Unternehmen Britanniens, denn 1136 wurde dieser von König David I. von Schottland gegründet. Heute ist der Port of Aberdeen mit 7 600 Meter Kaianlagen der größte Hafen Schottlands. Schiffe bis zu 300 Metern Länge können den Hafen anfahren, wobei auf        2 800 Metern am Kai Schiffe mit bis zu 14,8 Metern Tiefgang anlegen können. Hinter dem Gebäude des Aberdeen Harbour Boards liegt die Fähre zu den Orkney-Inseln, rechts ein Forschungsschiff der Firma G-TEC, die z. B. geologische Untersuchungen durchführt. (Bild: Ulsamer)

 

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Das Foto wurde von einer Anhöhe aus aufgenommen. Der Blick öffnet sich auf eine weite Meeresbucht.Zu sehen sind drei Plattformen für die Öl- und Gasförderung in unterschiedlicher Entfernung. Drei Schiffe werden im Bildtext beschrieben. Rechts ragen Teile für die Türme von Windkraftanlagen in die Höhe.Halbtaucher-Plattformen warten im Cromarty Firth auf einen neuen Einsatz auf Öl- und Gasfeldern. Der Rohrleger ‚Deep Energy‘– das rote Schiff – passiert gerade die erste Plattform. Dieses Schiff kann flexible Pipelines bis in eine Meerestiefe von 3 000 Metern legen. Der Schiffseigner TechnipFMC hat sein Portfolio – aus dem Öl- und Gassektor kommend – um die Energiegewinnung aus Wind, Wellen oder Gezeiten sowie um die Erzeugung von grünem Wasserstoff und dem Verpressen von CO2 in den Untergrund erweitert. Das blaue Schiff neben den aufrechtstehenden Turmteilen für Windturbinen, die ‚Siemens Gamesa‘, bringt Komponenten zu einem im Aufbau befindlichen Windpark. Am Kai liegt ungenutzt die ‚EnQuest Producer‘, ein Schiff, das Öl speichern und für den Weitertransport aufbereiten kann. (Bild: Ulsamer)