Fähren nach Irland: Sind Passagiere keine Kunden?

Zwei weiße Fährschiffe mit rotem Kamin liegen im Hafen von Rosslare in Irland.

Der Service lässt häufig zu wünschen übrig

Seit über 30 Jahren fahren wir regelmäßig mit Fähren nach Irland. Mal vom französischen Roscoff oder Cherbourg aus oder von den walisischen Häfen Holyhead und Fishguard bzw. von Cairnryan in Schottland. Und wenn es über England geht, dann kommen häufig noch Fährverbindungen über den Ärmelkanal oder auch von Amsterdam nach Newcastle hinzu. Dabei sind und waren wir uns immer bewusst, dass eine Nutzung dieser Fähren – zumindest überwiegend – eher einer Fahrt mit dem ÖPNV gleicht als einer gehobenen Schiffspassage. Ein echter Konkurrenzdruck fehlt, denn nicht wenige Strecken bedient nur ein Anbieter oder zwei Fährgesellschaften scheinen sich auf zweifelhafte Servicestandards geeinigt zu haben. Bei so mancher Fährverbindung ist das Ankommen wohl bereits die eigentliche Leistung, die man sich ganz ordentlich bezahlen lässt. Da findet sich die Verpackung eines vom Vorgänger gemampften Riegels eingeklemmt in der Koje. Gelenkig wie man noch ist, musste ich bei DFDS nach Newcastle über die Mittelkonsole des Autos mit der Schaltung auf die Beifahrerseite klettern, um dort auszusteigen, weil die Fahrzeuge extrem eng an die Wand gepackt wurden! Oder man bezahlt für eine Leistung, die gar nicht erbracht wird, so jüngst bei einer Reise mit der Stena Line von Rosslare nach Cherbourg geschehen. Mal kommt man sich wie in einer Spielhalle mit zahllosen Automaten vor, mal ist man froh, wenn man bei Sonne draußen sitzen kann und sich die Enge im Schiffsinneren erspart. Würden Hoteliers ihre Häuser so führen wie manche Fähre über die Meere schippert, dann wären sie schnell pleite.

Farbige Spielautomaten nebeneinander.
Was haben Spielautomaten auf Fähren – wie der Stena Vision – zu suchen, die häufig von ganzen Schulklassen oder Jugendgruppen genutzt werden? Diese Frage hat sich mir bereits auf anderen Schiffen gestellt. ‚Ulysses: Spielhalle auf großer Fahrt. Irish Ferries und ein spezielles Family Entertainment‘. Gerade bei unserer Überfahrt mit der Stena Vision überwogen Schulkinder unter den Passagieren. (Bild: Ulsamer)

Kritik trifft auf taube Ohren

Im Grunde waren wir gewarnt, als wir Stena wählten, um von Irland nach Frankreich zu reisen, denn diese schwedische Fährgesellschaft bringt es auf ziemlich unterirische Bewertungen, so reichte es bei ‚Trustpilot‘ (Stand: 22. November 2024) nur zu 2,6 von 5 Sternen, und sage und schreibe 47 % der Bewerter haben überhaupt nur einen Stern vergeben. So mancher hätte am liebsten gar keinen Stern markiert, doch das geht im System nicht. Bei ‚Tripadvisor‘ reichte es immerhin zu 3,5 von 5 Punkten. Bei ‚HolidayCheck‘ vergaben die Reisenden 2,6 von 6 Punkten. Das sind keine verlockenden Reviews, und ganz bestimmt würden wir bei entsprechenden Kritiken nie in ein solchermaßen beurteiltes B&B oder ein Hotel einchecken. Bei Fähren hat man aber meist keine Wahl, und die Fährverbindung vom irischen Rosslare ins französische Cherbourg reizte uns, da wir noch das eine oder andere Ziel in der Normandie ansteuern wollten. So buchten wir für den 17. April 2024 eine Überfahrt mit der ‚Stena Vision‘.

Auf dem offenen Deck stehen Pkw. Zu sehen ist der rote Kamin mit dem Stena-Zeichen 'S'. Das Deck ist blau und mit gelben Linien unterteilt. Am blauen Himmel einige weiße Wolken.
Trotz der nicht überzeugenden Performance von Stena buchten wir für den 10. September 2024 nochmals die Passage vom irischen Rosslare ins französische Cherbourg. Steil ging es mit unserem Auto aufs oberste Deck, und dort gab’s viel frische Luft für unseren fahrbaren Untersatz. Zum ersten Mal in den zurückliegenden Jahrzehnten fanden sich Fahrzeug und Passagiere auf dem gleichen Deck: Meine Frau und ich hatten zumindest ein Dach über dem Kopf und konnten durch unser Fenster die Wellen beobachten, die sich von ‚moderate to rough‘ aufbäumten. Unser Auto wies nach der Überfahrt eine komplette Salzschicht auf und brauchte erst mal eine ‚Dusche‘. Die ‚Stena Horizon‘ ist zwar jünger als die ‚Stena Vision‘, denn sie befuhr erst ab 2006 als ‚Cartour Beta‘ das Mittelmeer und wurde dann zur ‚‘Celtic Horizon‘. Der Horizont ist weit, gerade auf den Ozeanen, doch eine Fähre, die in der Irischen See unterwegs ist mit Fahrzeugen auf dem offenen Deck, das ist ganz schön mutig. Eigentlich würde man da einen Gutschein für die nächstgelegene Waschanlage erwarten. (Bild: Ulsamer)

Über Visionen kann man trefflich streiten, aber das ganze Schiff mutete eher wie von vorgestern an, ganz bestimmt nicht wie eine maritime Zukunftsvision und das ist auch kein Wunder, denn die Fähre wurde bereits 1981 auf einer Werft im polnischen Gdynia (Gdingen) auf Kiel gelegt. Nicht das Alter des Schiffs war allerdings das Problem, sondern der Verkauf einer Leistung, die nicht erbracht wurde. Deshalb schrieb ich am 22. April 2024 an das Stena-Servicecenter: Bei Stena hat uns diesmal überrascht, dass uns eine Leistung angeboten und verkauft wurde, die dann nicht erbracht wurde. Bei unserer Buchung hieß es: „Abendbuffet inkl. Bier, Tischwein u. Softdrinks“.   Auf unseren Hinweis an die Mitarbeiter bei der Essensausgabe auf die eingepreisten Getränke folgte ein sehr freundliches Gespräch mit dem zuständigen Manager. Er kannte das Problem, dass auf der deutschen Internet-Seite auf Getränke verwiesen würde, die im Preis eingeschlossen seien, doch dieses Leistungsversprechen konnte an Bord nicht erfüllt werden. Es liege keine Schankgenehmigung in irischen Gewässern vor. Kein Problem, denn das Essen schmeckte nicht nur zahlreichen Schulklassen, die das Büfett stürmten, sondern auch uns. Ich erkundigte mich nach der Rückkehr bei Stena, warum Leistungen verkauft werden, die nicht erbracht werden können. Nachdem eine Antwort ausblieb, erinnerte ich per Mail an die Beschwerde. Ebenfalls keine Antwort. Stena verwies vorbeugend darauf, dass „Die Beantwortung von Reklamationen … aktuell bis zu acht Wochen in Anspruch nehmen“ kann. Vielleicht werden bei Stena auch Wochen und Monate verwechselt. Wer weiß! Oder liegt es daran, dass das 1981 auf Kiel gelegte Schiff erst Ende 1986 fertiggestellt wurde? Da werden sich wohl nicht seit dem verspäteten Stapellauf alle Zeiten verschoben haben? Aber Spaß beiseite: Am 23. Oktober 2024 schrieb ich an den Geschäftsführer der deutschen Stena Line GmbH, Mikko Juelich. Und was geschah? Vier Wochen nichts! Doch dann trudelte eine Mail ein, in der schlichtweg erklärt wurde, man habe eine neue Buchung übermittelt und damit sei es wohl auch gut. Dass die angehenden Passagiere auf einer mehrmonatigen Reise sind, das wird nicht ins Kalkül gezogen, und mit Sicherheit lese ich bei Buchungshinweisen nur, ob Tag, Uhrzeit und Hafen noch stimmen. Denn man weiß ja nie. Sieben Monate für eine solche Antwort sind reichlich lang, aber Schwamm drüber. Nicht ganz passend ist es, dass der Gesamtpreis der Überfahrt der gleiche geblieben war, obwohl in der nachgereichten Buchung die Kosten für das Abendessen reduziert worden waren, worauf Lutz Lippmann, Travel Contact Center Agent der Stena Line, mit einem roten Strich hingewiesen hatte. Leider hat er die Zeile darüber nicht zusätzlich markiert, denn dort kostete das Frühstück für zwei Personen plötzlich statt 30 nun 36 Euro. Was für ein Zufall!  Damit war diese schräge Geschichte aber noch nicht zu Ende. Kommentarlos wurden am 27. November über die Kreditkarte sechs Euro rückerstattet, um die sich der Preis fürs Abendessen reduziert hatte. Diesen Betrag nachträglich beim Frühstück aufzuschlagen, dies war als Trickserei wohl doch zu durchsichtig. Eine kleine und zeitnahe Entschuldigung hätte gereicht, doch bei Stena geht man lieber den umständlichen Weg. Ich bin zwar nicht pingelig, und der Betrag ist minimal, doch so sollte man mit Kunden nicht umspringen. Deshalb wundern mich die miesen Bewertungen, die zuhauf für Fahrten mit Stena abgegeben werden, nicht im Geringsten. Mich persönlich würden negative Kritiken stören, bei Stena sehen das manche Mitarbeiter und wohl auch die Eigentümer anders.

Schwarzer Qualm kommt aus zwei Schiffskaminen.
Wenn wir zwei Monate in Irland verbringen können, dann benutzen wir Fähren, denn Fliegen erscheint uns ökologisch noch fragwürdiger und die An- und Abreise lässt sich mit historisch oder kulturell interessanten Örtlichkeiten verbinden. Dicke Qualmwolken – wie hier bei Brittany Ferries von Roscoff nach Cork– sollten allerdings der Vergangenheit angehören (Bild: Ulsamer)

Fehlender Wettbewerb

Fehler können überall passieren, das weiß ich aus meiner eigenen jahrzehntelangen Erfahrung in einem Ministerium und in der Industrie, doch dann sollte man als Unternehmen schnell reagieren und sich zumindest entschuldigen und den Ausgleichsbetrag für die nächste Reise gutschreiben. Dass Deutschland und weite Teile Europas häufig als eine Servicewüste bezeichnet werden, das wundert mich nach den Erfahrungen mit Stena und anderen Fährunternehmen nicht. Die soziale und ökologische Marktwirtschaft kann in unserer wettbewerbsintensiven Welt nur bestehen, wenn Unternehmen nicht allein die eigene Kasse klingeln hören wollen, sondern die Kunden als Partner betrachten! Verwunderlich ist es, dass die EU-Kommission seit Jahren die Automobilindustrie mit ständig neuen Anforderungen am Gängelband durch die Manege führen will, doch bei Fähren darf es aus den Kaminen qualmen. Natürlich kommen technologische Neuerungen bei Fähren wegen der langen Nutzungszeit zögerlicher voran als beim Pkw, das steht außer Frage, aber es reicht nicht, wenn man – wie bei Stena – „Connecting Europe for a Sustainable Future“ auf den weißen Schiffsbauch pinselt. Nachhaltigkeit habe ich mir anders vorgestellt, und diese Kritik gilt gleichermaßen für andere Fährunternehmen.

Vier Fährschiffe im Hafen von Dover, im Hintergrund die weißen Kreideklippen.
Auf der Strecke Calais-Dover hat sich nach unserer Meinung durch den Konkurrenzdruck der Service verbessert. Dazu trägt auch die Zugverbindung unter dem Ärmelkanal bei. (Bild: Ulsamer)

In weiten touristischen Bereichen und so auch bei Fahrten über den Ärmelkanal hat sich nach unseren Erfahrungen das Angebot in den letzten Jahrzehnten eher verbessert, denn dort ist der Konkurrenzdruck über und unter Wasser – Kanaltunnel – erheblich. Und Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft! Für Fähren, die nach Irland fahren, scheint das offensichtlich eher nicht zu gelten. Dies ist in technischer Sicht nicht verwunderlich, denn so manche Fähre befuhr erst das Mittelmeer oder verkehrte zu nordeuropäischen Destinationen, um dann auf ihre alten Tage nach Irland eingesetzt zu werden. Hier gab es auch früher schon negative Ausreißer, denn die bereits vor Jahren eingestellte Fähre, die zwischen dem walisischen Swansea und Cork in der Republik Irland pendelte, war so betagt, dass sich vor dem Internetzeitalter das Reisebüro weigerte, Tickets zu verkaufen mit der Begründung: „Da hört man es ja rosten.“

Eine gebrochene rötlichbraune Holzreling auf einem angerosteten Metallgeänder.
Eine gebrochene Reling bei der Stena Vision, die vor sich hin vibrierte, ist sicherlich kein Alarmsignal, aber irgendwie passt sie zur mangelnden Kundenfreundlichkeit bei Stena. (Bild: Ulsamer)

Bei zahlreichen Ladeabläufen in den vergangenen Jahrzehnten hatte ich bei unterschiedlichen Fährgesellschaften den Eindruck, dass bei jeder Fahrt Neulinge am Werk waren, und dies am wenigsten in Calais oder Dover bzw. Cairnryan (P&O). Dort spielt der Faktor Zeit wohl eine größere Rolle als bei den Fähren, die über eine längere Distanz unterwegs sind. Manches Mal müssen Fahrzeuge unmittelbar an die Wand geparkt werden, dass man beispielsweise bei DFDS auf der Fahrt von Amsterdam nach Newcastle das Vergnügen hat, über die Mittelkonsole zu klettern und durch die Beifahrertür auszusteigen. Bei Stena ging es auf der ‚Horizon‘ mit dem Auto steil aufs Oberdeck, dann im Rückwärtsgang in die Parkbucht. Und so konnte unser Fahrzeug auf dem gleichen Deck mit uns parken, immerhin hatten wir zumindest ein Dach über dem Kopf. Bei jeder Verladung verfestigt sich bei mir der Eindruck, dass Touristen im Zeitalter von Billigfliegern eine beständig kleinere Rolle spielen und es im Grunde um Lkw oder deren Aufleger geht. Speditionen bringen eben rund ums Jahr Geschäft für die Fährgesellschaften. So müssen sich die Pkw-Gäste an Lkw auf dem Weg zum Aufgang vorbeidrücken.

Ein Sonnenuntergang mit viel gelb-orange Tönen über dem Meer. Rechts ein Teil der Fähre.
Kritik halte ich für wichtig, wenn der Service nicht stimmt, doch stets gibt’s auch solche Momente bei einer Überfahrt. (Bild: Ulsamer)

Überfahrt als erträgliches Übel

Irish Ferries gibt sich zwar gerne als ‚echt‘ irische Fährgesellschaft zu erkennen, doch seit 2005 fahren die Schiffe unter zypriotischer Flagge und damit einher ging die Anwerbung von preisgünstigerem Personal aus Asien oder Nordeuropa. Die anderen Fährgesellschaften eiferten nach, und so kann man nur hoffen, dass im Ernstfall an Bord kein babylonisches Sprachgewirr entsteht. Da ich in der Automobilindustrie tätig war, bin ich mir bewusst, dass zumeist kein Fahrzeug ohne Mitarbeiter mit Migrationshintergrund fertiggestellt würde, doch die Kommunikation erschien mir trotz Sprachbarrieren flüssiger als auf vielen Fährschiffen. Einem Verwirrspiel gleichen die Namenswechsel bei Irish Ferries & Co. Manchmal haben wir den Eindruck, die Fährschiffe würden an einer Tauschbörse weitergereicht. So hat die ‚Oscar Wilde‘ von 2007-2013 nichts mit dem gleichnamigen Schiff zu tun, das 2003 unterwegs war bzw. seit 2004 die Strecke Calais-Dover bedient, wobei es sich wieder um ein anderes Schiff handelt. Aber auch zahlreiche weitere Fährschiffe sind für unterschiedlichste Eigner unter wechselnden Flaggen unterwegs. Im Grunde wäre das positiv, wenn sich bei den Fähren jeweils ein Aufwärtstrend bei Qualität und Service erkennen ließe. Irgendwie passend, dies nur nebenbei bemerkt, beherbergte die ehemalige ‚Oscar Wilde‘, die vom neuen Eigner Mediterranean Shipping Company (MSC) den Namen ‚GNV Allegra‘ verpasst bekam, Migranten, die an der italienischen Küste anlandeten. Oscar Wilde suchte – wegen Homosexualität verfolgt – in Paris Zuflucht, wo er als Migrant 1900 verarmt starb. Inzwischen pendelt die ‚Ex-Oscar-Wilde‘ zwischen Barcelona und dem größten Naturhafen Europas auf Menorca, dem Port de Maó.

Auf einer ansteigenden Straße fährt im Vordergrund ein brauner Lkw mit der weißen Aufschrift 'www.NolanTransport.com'. Links stehen fast auf Meereshöhe wartende Lkw. Rechts hat ein weißes Fährschiff von Irish Ferries angelegt.
Speditionen bringen – wie hier im irischen Rosslare Harbour – ganzjährig Ladung für die Fährgesellschaften und Touristen schwerpunktmäßig nur über wenige Monate, daher lässt der Service für letztere Gruppe wohl auch zu wünschen übrig.

Es ist ernüchternd, aber alles Meckern über mangelnde Leistungen von Fährgesellschaften nutzt wenig, denn wenn man ein bestimmtes Ziel im Vereinigten Königreich oder in der Republik Irland erreichen möchte, dann muss man – trotz schlechter Bewertungen und eigener Erlebnisse – mitfahren! So gesehen haben es Fährunternehmen besser als Automobilverkäufer oder der Bäcker gegenüber, denn es gibt in deren Umfeld reichlich Konkurrenz. Der mangelnde Wettbewerb bei verschiedenen Strecken, die auf dem Weg nach Irland nützlich sein können, führt leider häufig zu einem spärlichen Service. Die Mängel scheinen bereits einkalkuliert zu sein, denn sie sind vom Ausmaß her so, dass man sich aufregt, vielleicht eine negative Bewertung im Internet abgibt, aber auf den Weg zum Anwalt verzichtet. Und mangels Alternativen geht man wieder an Bord einer Fähre, obwohl man bei der letzten Fahrt unzufrieden war. Eigentlich ist es schade, dass nicht auch die Überfahrt, sondern nur die historischen und kulturellen Ziele bei der An- und Weiterreise die schönen Momente ergeben.

 

Blick auf eine kleine Stadt mit einer markanten Kirche, die sich in den blauen Himmel erhebt und zahlreichen farbenfrohen Häusern über dem blauen Hafenbecken.
Der Ärger über Unzulänglichkeiten an Bord der einen oder anderen Fähre verfliegt schnell, wenn sich der blaue Himmel über eine solche ‚Kulisse‘ spannt. Das Städtchen Cobh bei Cork hat sich seinen Charme erhalten. Hier machte die ‚Titanic‘ Station, ehe sie Kurs auf New York City nahm und bei der Jungfernfahrt von einem Eisberg versenkt wurde. Nicht die Natur wurde dem Schiff und seinen Passagieren zum Verhängnis, sondern die menschliche Hybris. Die als unsinkbar geltende ‚Titanic‘ jagte mit Höchstgeschwindigkeit dem ‚Blauen Band‘ hinterher, das bei einer Rekordfahrt über den Atlantik winkte. In Cobh erinnert ein ‚Titanic Trail‘ an die ‚Titanic‘, aber auch an die ‚Lusitania‘, die im Ersten Weltkrieg von einem deutschen U-Boot versenkt wurde. Wer über das nordirische Belfast anreist, der sollte einen Besuch von ‚Titanic Belfast‘ einplanen, einem Museum, in dem nicht nur das Schiff, sondern auch sein Bau, sowie das soziale Umfeld der Werftarbeiter erlebbar werden. Die Werft Harland & Wolff beschäftigte in ihren Hochzeiten 30 000 Mitarbeiter und baute u. a. die ‚Titanic‘. In ‚Nordirland: Wenn Samson und Goliath in die Knie gehen. Die Titanic-Werft in Belfast ist pleite‘ finden Sie weitere Informationen. Der Name der Werft ‚Harland & Wolff‘ lebt nach der Insolvenz 2019 in einer neuen Konstellation weiter, wobei es sich um unterschiedliche maritime Dienstleistungen dreht. (Bild: Ulsamer)

 

Links die MPI Adventure mit einem stabilen weißen Kran und absenkbaren Stützen, die jetzt weit aus dem Wasser ragen. Rechts zwei Versorgungsschiffe mit der langen Ladefläche.
Bei mancher Fahrt mit einer Fähre bringt mich das Serviceangebot ins Grübeln, doch zum Glück gib es in den Häfen oder auch auf dem Meer meist etwas zu entdecken. So z. B. die ‚MPI Adventure‘ im nordirischen Hafen Larne. Mit der ‚MPI Adventure‘, die letztendlich dem holländischen Familienunternehmen Van Oord gehört, können Bauteile für Windparks transportiert und die Fundamente bzw. Windturbinen installiert werden. Mehr zur Entwicklung der Windkraft auf See lesen Sie in meinem Beitrag ‚Schottland – vom Öl zum Wind. Wandlungsfähiger Energieproduzent im Norden Europas‘. (Bild: Ulsamer)

 

Ein langgezogener, steinzeitlicher Bau aus Natursteinen mit mehreren Zugängen.
Eine knappe Autostunde vom Fährhafen Roscoff in der Bretagne entfernt liegt eine imposante jungsteinzeitliche Grabanlage, der Cairn von Barnenez. Wenn schon die Be- und Entladung der Fahrzeuge bei Fähren nach Irland im Ablauf zu wünschen übriglässt und der gesamte Service häufig nicht unserer Zeit entspricht, so bieten sich zahlreiche historische Orte bei der An- und Abreise für einen Abstecher an. Beispielsweise dieser: Von seiner Dimension und Lage her ist der Cairn von Barnenez ein beeindruckendes Hügelgrab. Die sesshaft gewordenen Menschen der Jungsteinzeit schufen vor rd. 6 500 Jahren eine der ältesten Megalithanlagen. Der ältere Cairn dürfte um 4 800 bis 4 500 v. Chr. errichtet worden sein, die jüngere Erweiterung einige Jahrhunderte später. Die 75 m lange, bis zu 28 Meter breite und acht Meter hohe Gesamtkonstruktion liegt auf einer heute zum Meer hin abfallenden Fläche, zur Bauzeit lag der Meeresspiegel deutlich niedriger. Mehr zu diesem Thema finden Sie in ‚Bretagne: Die jungsteinzeitliche Hochkultur der Hügelgräber. Wird die europäische Frühgeschichte unterschätzt?‘ (Bild: Ulsamer)

 

Ein rötlicher Pkw ist extrem nahe an die Wand abgestellt. Der nächste ebenfalls. Ein Ausstieg ist auf der Fahrerseite nicht möglich.
So wird das nichts mit dem Ausstieg auf der Fahrerseite. Bei der Fahrt mit DFDS-Seaways von Amsterdam nach Newcastle mussten die Fahrzeuge derart eng eingeparkt werden, dass man seine Kletterkünste beweisen konnte. (Bild: Ulsamer)

 

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Zwei weiße Fährschiffe mit rotem Kamin liegen im Hafen von Rosslare in Irland.Die schwedische Stena Line ist eines der größten Fährunternehmen der Welt und steht nicht nur nach meiner Meinung mit dem Kundenservice auf Kriegsfuß, was sich bei einem Blick in verschiedene Bewertungsportale erkennen lässt. Zwei Fährschiffe der Stena Line im irischen Hafen Rosslare. (Bild: Ulsamer)

Winfried Kretschmann und sein Grombiera-Trauma

Mehrere Kartoffeln liegen als Häufchen auf einer dunklen Platte. Die Kartoffelschale ist hell.

Zeit und Kosten explodieren bei der Staatstheater-Sanierung

Es gab Zeiten, da habe ich Winfried Kretschmann ein klein wenig bewundert, denn er hatte es vom maoistischen Studenten bis zum grünen Ministerpräsidenten gebracht, und dies ausgerechnet in Baden-Württemberg, wo die CDU lange als unbesiegbar galt. Kretschmann verstand es, den Christdemokraten Wählerinnen und Wähler abspenstig zu machen, indem er einen innovations- und wirtschaftsfreundlichen Kurs einschlug. Seine Bodenständigkeit bewies er nicht nur mit seinem Wohnsitz in Laiz, einem Ortsteil von Sigmaringen im Naturpark Obere Donau am südlichen Rand der Schwäbischen Alb, sondern auch mit seinem schwäbischen Dialekt. Spätestens in der dritten Amtsperiode zeigen sich allerdings immer deutlichere Abnutzungserscheinungen, die mich an die letzte Amtszeit von Angela Merkel erinnern. So manches Mal soll das Schwäbische im Grunde nur die Eigenwilligkeit übertünchen und dem ‚Basta‘ eines Gerhard Schröders ein freundliches Mäntelchen umlegen. Dies wird bei den Diskussionen um die Sanierung und Erweiterung des Stuttgarter Opernhauses besonders deutlich: „Grombiera statt Kunscht gibt es mit mir nicht“, beschied er Journalisten und Öffentlichkeit, als laut und vernehmlich die Frage gestellt wurde, ob denn anderthalb, vielleicht auch 2 Mrd. Euro nicht etwas viel seien, um die Räumlichkeiten für Oper und Ballett in Stuttgart auf Vordermann zu bringen. Über die üppig wachsenden Kosten habe ich bereits in meinem Blog berichtet, als Kritik noch unter den Teppich gekehrt werden sollte. Je unwirscher Ministerpräsident Kretschmann auf Nachfragen reagiert, desto lauter werden die Fragen nach dem Umfang, den Kosten und den angedachten Zeiträumen für die Sanierung. Wenn man sich Teile des Opernpublikums auf den teureren Plätzen anschaut, dann ist die Wiedereröffnung des Littmann-Baus im Jahr 2044 oder später schon so eine Sache. Mit meinen 72 Jahren warte ich ungeduldig auf die Eröffnung des neuen Tiefbahnhofs in Stuttgart und die direkte Fahrt nach Ulm über die Schnellbahntrasse, die sich ebenfalls seit Jahren verzögert. Stuttgart braucht ganz gewiss kein weiteres Projekt, das sich mühsam bei explodierenden Kosten in eine ungewisse Zukunft schleppt.

Breitseite des Opernhauses in Stuttgart. Rötlicher Stein dominiert. Links steht ein Baum ohne Blätter.,
Der Littmann-Bau der Württembergischen Staatstheater, in dem Oper und Ballett vereint sind, muss saniert werden. Das ist richtig. Doch muss es gleich eine Milliarde Euro oder 1,5 Mrd. Euro kosten? Ich halte es für einen Skandal, dass bei dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude aus dem Jahr 1912 die dem Landtag zugewandte Fassade wegen des Einbaus einer Kreuzbühne um zwei Meter verschoben werden soll. Braucht man wirklich eine Kreuzbühne, wenn man Werke wie die Opernperformance ‚sancta‘ von Florentina Holzinger auf die Bühne bringt? „Magie und religiöse Wunder erfahren eine Neudeutung in einer ekstatischen Feier der Gemeinschaft und der Selbstbestimmung, in der Bach auf Metal trifft, die Weather Girls auf Rachmaninow – und nackte Nonnen auf Rollschuhe“, so heißt es im Theaterprogramm. Mehr dazu in: ‘Opernhaus Stuttgart: ‚Sanka statt Sancta. Steuergelder für Florentina Holzingers Performance sind nicht gerechtfertigt‘. (Bilder: Ulsamer)

Denkmalschutz ausgehebelt

Irgendwie amüsiert es mich wahrlich, dass Winfried Kretschmann und Gleichgesinnte zwar über die steigenden Kosten bei Stuttgart 21 schimpfen und nicht gewillt sind, sich an den Mehrkosten für den Stuttgarter Hauptbahnhof zu beteiligen, dass aber bei der Opernsanierung Geld keine Rolle zu spielen scheint – ausgerechnet in einer Zeit, in der die öffentlichen Haushalte wenig Spielraum haben. Bei Kosten in Milliardenhöhe für die Sanierung und Erweiterung des Littmann-Baus aus dem Jahre 1912 sollten Nachfragen nach der Sinnhaftigkeit des Vorhabens nicht mit einem „Grombiera“-Vergleich – ein Wort für ‚Kartoffeln‘ auf erz-schwäbisch – vom Tisch gewischt werden. Es geht nicht darum, die Sanierung des Opernhauses zu stoppen, ganz im Gegenteil: Hätten Landesregierung und Stadt Stuttgart nicht über Jahre ein allumfassendes Projekt zusammengebastelt, hätte längst Schritt um Schritt saniert werden können. Erschreckend ist beim grünen Ministerpräsidenten Kretschmann und dem Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister Frank Nopper auch das fragwürdige Verständnis des Denkmalschutzes. „Der Littmann‐Bau ist eines der wenigen historischen Gebäude in Stuttgart, das im Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet erhalten geblieben ist“, so heißt es zutreffend auf der Internetseite der Stadt Stuttgart, und dennoch soll für den Einbau einer Kreuzbühne die dem Landtag zugewandte Seite des historischen Gebäudes verschoben werden. Da ist der Denkmalschutz bei privaten Gebäuden pingeliger.

Blick von oben auf Finanzministerium, Landtag und Opernhaus. Dahinter sind weitere Gebäude zu sehen.
Rechts im Bild ist gerade noch ein Ausläufer des baden-württembergischen Finanzministeriums, dahinter der Landtag von Baden-Württemberg zu sehen und daneben das Stuttgarter Opernhaus: Hier haben wir die Entscheider über die Opernsanierung für eine oder anderthalb Milliarden Euro im Blick. Zwar ergab eine Befragung keine Mehrheit für diese Sanierung im Goldstandard, doch es wurde flugs auf eine ‚Bürgerbeteiligung‘ gesetzt, die keine ist. 40 bis 50 zufällig ausgewählte Bürger durften als Bürgerräte über die geplante Sanierung des Opernhauses in Stuttgart diskutieren. Im Grunde waren die Entscheidungen längst gefallen, und so bekommt Bürgerbeteiligung – „dialogische Bürgerbeteiligung“ – einen faden Beigeschmack. Mehr dazu in: ‚Bürgerbeteiligung wird zum Deckmäntelchen. Sanierung des Opernhauses in Stuttgart ohne echte Debatte‘. (Bild: Ulsamer)

In meinem Beitrag ‚Stuttgart: Erst vergammeln lassen, dann teuer sanieren. Opernhaus, Villa Berg und Villa Moser wurden sträflich vernachlässigt‘ bin ich auf die unrühmliche Vorgeschichte der Milliarden-Sanierung eingegangen, daher möchte ich mich an dieser Stelle nicht nochmals ausführlich damit befassen. Früh übte der Bund der Steuerzahler Kritik am ausufernden Prestigeprojekt und belegte mit einer repräsentativen Umfrage, dass in Stadt und Land – den beiden hälftigen Kostenträgern – eine Dreiviertelmehrheit für eine Neuplanung votiert hatte. Um eine Neuorientierung drückten sich die Entscheider in der Villa Reitzenstein und im Stuttgarter Rathaus allerdings herum: Eine breite Bürgerbeteiligung wurde durch Gesprächsrunden mit 50 zufällig ausgewählten Bürgern ersetzt! Wer so handelt, der vertritt eine Vorstellung von Demokratie, die nicht die meine ist. Eine umfassende Bürgerbeteiligung aller betroffenen oder interessierten Bürgerinnen und Bürger hätte friedensstiftend wirken können. Miteinander zu reden statt übereinander, das hilft allemal! Mehr dazu in: ‚Stuttgart: Keine Mehrheit für milliardenteure Opernsanierung. Volksabstimmung sollte Klarheit bringen‘. Eine Volksabstimmung scheuten besonders die Grünen, denn sie hatten sich zumindest in der Frühzeit ihrer Partei für mehr direkte Bürgerbeteiligung eingesetzt, doch bei der Abstimmung über Stuttgart 21 zogen sie den Kürzeren und scheuen Volksabstimmungen seither wie der Teufel das Weihwasser.

Blick auf die Vorderseite des Opernhauses aus rötlichem Stein. Auf der Dachbrüstung sind Skulpturen zu sehen.
Von außen sieht das 110 Jahre alte Gebäude des Architekten Max Littmann noch gut aus, obgleich der Zahn der Zeit im Innern des Opernhauses eifrig genagt hat, was fehlender Instandhaltung geschuldet ist. Ob allerdings eine Milliarde Euro oder gar zwei für Sanierung, Erweiterung und Interimsspielstätte ausgegeben werden sollten, zweifelte die Mehrheit in einer Civey-Befragung an, die vom Bund der Steuerzahler in Auftrag gegeben worden war. Die Kritiker mehren sich. Indessen wird derjenige, der sich äußert, schnell als Kulturbanause abgestempelt. (Bild: Ulsamer)

Grombiera nicht unterschätzen

Wehe, wenn man andere wichtige, vielleicht sogar bedeutsamere Aufgabenfelder mit den immensen Ausgaben für die Opernsanierung in Verbindung setzt, dann schleudert der grummelnde Polit-Zeus aus der Villa Reitzenstein seine Blitze gegen jedermann: „Schulen haben wir Tausende, Staatstheater haben wir zwei“. Diese Art der Verteidigung von Finanzmitteln für die Württembergischen Staatstheater erschließt sich mir nun gar nicht! Sind Schulen mit gammeligen Toiletten und angejahrten Klassenzimmern, weil es viele davon gibt, weniger wichtig? Gerade im Musikunterricht dürfte sich mitentscheiden, ob sich auch in Zukunft die Ränge im Opernhaus füllen! „Wenn wir Spitzenkräfte hier haben wollen, dann wollen die gute Kultur geboten bekommen“, raunte Kretschmann. Das mag sein, aber sie kamen auch in den letzten Jahren nach Stuttgart, obwohl der Littmann-Bau zunehmend hinfälliger wurde und die Politik zu wenig Geld für dessen Instandhaltung bereitstellte. Nun hatte ich reichlich mit hochqualifizierten Zuzüglern zu tun, die in die baden-württembergische Hauptstadt kamen, und die erste Frage galt nicht dem Opernhaus, sondern dem Angebot an Schulen und Universitäten, angemessenem Wohnraum und dem Verkehr.

Der etwas herablassend geäußerte Gegensatz von Kunst und den besagten Grombiera passt nun wirklich nicht nach Stuttgart und zum Landesherrn in der Villa Reitzenstein, der seine Gäste gerne im Neuen Schloss empfängt. Dabei denke ich nicht nur an die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich im nicht allzu weit entfernten Tafelladen anstellen oder im Sozialamt anstehen – früher vor dem Gebäude, jetzt im Internet -, sondern an die Geschichte unseres Bundeslandes. Das Stuttgarter Volksfest wurde als „Landwirtschaftliches Fest zu Kannstadt” ins Leben gerufen, um nach Jahren des Hungers 1818 neue landwirtschaftliche Produktionsmethoden voranzutreiben. König Wilhelm I. und seiner Frau, der Zarentochter Königin Katharina, war die Bedeutung von Grombiera und anderen Feldfrüchten – nach Hungerjahren – wohl klarer als dem grünen Ministerpräsidenten.  Weitere Gedanken hierzu finden Sie in: ‚Zwischen Hungersnot und Volksfest. Was verband Württemberg und Irland im 19. Jahrhundert?‘ Da mag sich Ministerpräsident Kretschmann in einen künstlichen Gegensatz von Grombiera und Kunst verspinnen, doch eines dürfte klar sein, Mehrheiten lassen sich nicht mit Milliarden für das Opernhaus oder eine räumliche Verdopplung des Kanzleramts gewinnen, sondern Menschen müssen sicher sein, dass sie sich Grombiera und ihre Lebenshaltung weiter leisten können.

Ein großer Knäuel aus grün-braunem Kupferblech in einem See.
Das während eines Sturms im Juni 2021 teilweise abgerissene Dach des Opernhauses ließ der grüne Finanzminister Danyal Bayaz als Hausherr im Eckensee aufstellen. Und die SPD-Politiker Martin Rivoir und Martin Körner sahen im zerknäulten Operndach ein „Mahnmal“ für die Folgen des Klimawandels. Wir müssen mehr tun, um die Erderwärmung und somit den Klimawandel zu verlangsamen, das ist für mich keine Frage. Allerdings darf sicher nicht jeder Sturmschaden flugs dem Klimawandel zugeschrieben werden. „Das Dach stammt aus dem Jahr 1911 und galt bereits vor dem Sturm im vergangenen Juni als marode“, so war in T-Online zu lesen. Und Tilmann Häcker,  Abteilungsleiter im landeseigenen Betrieb Vermögen und Bau, zuständig auch für die Oper, betonte gegenüber dem SWR unter Bezugnahme auf den ‚Dachschaden‘: “Es ist bestimmt ein Motor, weil man sieht, das Haus hat einen Sanierungsbedarf.“ So ist es: Der Abflug des Operndachs war ein Symbol für die mangelhafte Instandhaltung des Gebäudes. Mehr dazu in: ‚Stuttgart: Wenn das Operndach als Knäuel endet … und der Klimawandel schuld sein soll‘. Der eingangs erwähnte SPD-Landtagsabgeordnete Martin Rivoir, der sich sehr für die Kunst einsetzt, fordert mit seiner Partei, dass die Planungen für die Opernsanierung nochmals auf den Prüfstand kommen. (Bild: Ulsamer)

Dem Vergammeln zugesehen!

Wer heute Kritiker abkanzelt, der möchte nur vergessen machen, dass seit Jahren, sogar Jahrzehnten, Zeit gewesen wäre, in überschaubaren Schritten das Opernhaus instand zu halten, doch drängelten sich weder Ministerpräsident Kretschmann noch Oberbürgermeister Nopper bzw. deren jeweilige Vorgänger ans Mikrofon, um den Einzug der Handwerker zu verkünden. In unseren Tagen, die gravierende wirtschaftliche, technologische und politische Herausforderungen mit sich bringen, sind Milliarden für ein Opernhaus oder die Verdopplung des Kanzleramts in Berlin nicht akzeptabel und dies gilt in gleicher Weise für den befürchteten Zuwachs an Parlamentariern im baden-württembergischen Landtag. Den Grünen war ein neues Wahlrecht eine Herzensangelegenheit, denn mit einer zweiten Stimme für Landeslisten lassen sich besser die gewünschten Kandidaten in den Landtag bringen als beim bisherigen Einstimmenverfahren. Werden wir Bürger eigentlich nur noch als Melkkühe betrachtet? Steuerzahler sollen Prestigeprojekte der Parteien und Regierungen finanzieren, die nicht in unsere Zeit passen, allein deshalb, weil eine rechtzeitige, schrittweise Instandhaltung der Infrastruktur des Opernhauses oder anderer Baulichkeiten verschlafen worden war. Wer sich dann über Politikverdrossenheit und die Stärkung der politischen Ränder echauffiert, der übersieht die Ursachen im Politikbetrieb.

Wie abgehoben manche Politiker sind, ließ sich auch am baden-württembergischen Finanzminister Danyal Bayaz (Bündnis90/ Die Grünen) ablesen, der Dachteile, die vom Opernhaus bei einem Sturm abgehoben hatten, zu einem Kunstwerk stilisierte. Auf allen anderen umliegenden Gebäuden war nichts passiert, doch Segmente des Kupferdachs landeten als Knäuel auf dem Boden und wurden als Mahnmal gegen den Klimawandel im Eckensee platziert – natürlich auf Kosten von uns Steuerzahlern. Der Bund der Steuerzahler monierte das zurecht in seinem Schwarzbuch. Nicht der Klimawandel trug die Schuld am Dachschaden, sondern die vernachlässigte Instandhaltung des Opernhauses. Mehr dazu in: ‚Stuttgart: Wenn das Operndach als Knäuel endet … und der Klimawandel schuld sein soll.‘

Auch Ministerpräsident Kretschmann hat dem Vergammeln des Opernhauses in den bisherigen Amtsperioden zugesehen, da helfen jetzt zur Ablenkung auch keine Grombiera-Aversionen. Kretschmann durfte ich anhand von Projekten kennenlernen, bei denen es um den technologischen Fortschritt in der Automobilindustrie ging, und er zeigte sich stets aufgeschlossen für die politische Diskussion. Umso bitterer ist es, wenn er zunehmend Debatten mit zweifelhaften Vergleichen abzuwürgen versucht. Grombiera sind wichtig für uns alle, und sicherlich auch für den Mittagstisch des Ministerpräsidenten. Daher sollte Winfried Kretschmann offen für Kritik an den monströsen Kosten für die Sanierung des Opernhauses sein, denn mit dem Abbügeln kritischer Äußerungen leistet der Ministerpräsident der Kunst und gerade den sozial schlechter gestellten Mitbürgern einen Bärendienst. Es geht nicht um „Grombiera statt Kunst“ – wie der Ministerpräsident befürchtet -, sondern um die Erkenntnis, dass es sich mit Kartoffeln im Bauch um so besser künstlerisch tätig sein lässt oder man der ‚Kunst‘ folgen kann.

 

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Mehrere Kartoffeln liegen als Häufchen auf einer dunklen Platte. Die Kartoffelschale ist hell.„Grombiera statt Kunst“ gibt es mit Ministerpräsident Kretschmann nicht, doch die Frage muss durchaus erlaubt sein, ob ein oder zwei Milliarden Euro für die Sanierung und Erweiterung des Stuttgarter Opernhauses nicht etwas viel sind. Wer am Tafelladen für Kartoffeln ansteht, der dürfte wenig Sinn für die Sprüche des baden-württembergischen Ministerpräsidenten haben. Wo sind nur die Offenheit und gewisse Leichtigkeit des grünen Politikers geblieben, der im einst CDU-regierten „Ländle“ bereits in der dritten Amtsperiode an der Spitze steht. Apropos „Ländle“: Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg hat sich einer Imagekampagne verschrieben, die mit dem Motto „The Länd“ national und insbesondere global hochqualifizierte Menschen ins Land holen soll. Für 21 Mio. Euro an Steuergeldern bekommen die nicht englischsprachigen Bürgerinnen und Bürger auch noch amtliche Aussprachehilfe: „Ganz einfach Thunge thwischen die Thähne – und dann The Länd“. Mehr dazu in: ‘Vom Ländle in „The Länd“. Baden-Württemberg startet skurrile Imagekampagne. (Bild: Ulsamer)

Des Landrats Bimmelbahn – zweiter Akt

Eine Art langgezogener Kasten aus Holz und Plastikfolie führt zum Portal eines Tunnels. Die Eisenbahnschienen liegen bereits.

Steuerbürger und Fledermäuse zahlen die Zeche

Glauben wir manchen Planern, Politikern oder Medienvertretern, dann sind Fledermäuse und Eidechsen schuld, wenn es mit Infrastrukturprojekten in unserem Land nicht vorangeht. Diese Meinung halte ich – auch aus eigener Erfahrung – für völlig absurd! Der Fehler liegt nicht bei nächtlichen Flattertieren oder tagsüber krabbelnden Miniechsen, sondern bei der Hybris politischer Entscheider. Ja, Hochmut kommt vor dem Fall, doch das Dumme ist nur, dass wir Steuerbürger und die Natur die Zeche bezahlen und nicht die Amtsträger auf Abwegen. Ein Musterbeispiel ist die Hermann-Hesse-Bahn, die in Baden-Württemberg sage und schreibe siebzehn Buskilometer durch eine Bimmelbahn ersetzen soll, und die Kosten liegen bereits jetzt bei 160 Mio. Euro. Während es bei den wichtigen Zulaufstrecken zum Gotthardt-Basistunnel auf deutscher Seite nicht richtig vorangeht, haben Landes- und Regionalpolitiker ihr Herz für die Reaktivierung aufgelassener Bahnstrecken entdeckt, und dabei übersehen sie gerne, dass sich nach vier Jahrzehnten die Natur die Bahntrassen zurückerobert hat. Genau das ist in besonderer Weise bei den Tunneln der früheren Württembergischen Schwarzwaldbahn passiert, durch die seit 1988 kein Güterzug mehr rollte. Der letzte Personenzug befuhr die Gleise zwischen Calw und Weil der Stadt sogar schon 1983. Die alten Tunnel sind heute ein Überwinterungs- und Schwärmquartier von rd. 1 000 Fledermäusen. 18 der 23 in Baden-Württemberg vorkommenden Fledermausarten haben in den Tunneln eine Heimat gefunden und machen diese zu einem der bedeutendsten Quartiere in Süddeutschland. Das war beim Projektstart bekannt, doch weder der Calwer CDU-Landrat Helmut Riegger noch der baden-württembergische grüne Verkehrsminister Winfried Hermann waren bereit, der Natur den Vorrang zuzubilligen oder Alternativen sachgerecht in den Blick zu nehmen. So fließen unsere Steuergelder in ein fragwürdiges Bimmelbahn-Projekt, obwohl sich ein innovatives Busnetz kostengünstiger und schneller hätte realisieren lassen.

Eine breite Betonwand mit einer kleinen Tür und Einflugloch. Dahinter Waldbäume mit herbstlichen Blättern, davor liegen gefällte Baumstämme.
Dieses ‚schmucke‘ Ausweichquartier soll die Fledermäuse mit dazu anregen, den Hirsauer Tunnel zu verlassen und sich in diesem Betonkeller häuslich niederzulassen. „Klein- und mittelräumig ist ein gutes Raumgedächtnis für Flugrouten wichtig, welches sich Fledermäuse über wiederkehrende Flüge einprägen“, schreibt Dr. Christian Dietz in seinem Gutachten zur Bedrohung der Fledermäuse durch die Nutzung der Tunnel. „Daneben spielen beim Fledermauszug die Orientierung an Landmarken, der Horizontlinie und anhand von Magnetfeldern eine Rolle“. Ein lichter Wald ist für Fledermäuse attraktiv, doch ob man gleichzeitig Bäume fällen und Fledermäuse zum Umzug drängen sollte, das wage ich dann doch zu bezweifeln. (Bild: Ulsamer)

Fledermäuse vergrämen und Steuerbürger schröpfen

Über lange Jahre wurden Schienen demontiert und Bahnhöfe verhökert, doch immer mehr Rathauschefs und Landräte wollen wieder ihre Eisenbahn. Und zwar nicht in der Spielzeugvariante von Märklin für ihr trautes Heim, sondern leider in Originalgröße und auf Kosten der Steuerzahler. Als ich im Juni 2017 in einem Blog-Beitrag kritisch auf die Hermann-Hesse-Bahn eingegangen bin, sollten die Baukosten noch bei 50 Mio. Euro liegen, jetzt haben sie sich bereits auf 160 Mio. Euro mehr als verdreifacht, obwohl kein einziger Zug die Strecke befahren hat. Aber die Zweifel an diesem „Jahrhundertprojekt“ – wie es die Befürworter hochtrabend nennen – kommen in der Politik weiterhin zu kurz. Allenfalls wird in den Medien über die Mehrkosten berichtet, die vorschnell den Fledermäusen zugerechnet werden. In der Stuttgarter Zeitung betitelte Andreas Geldner seinen Beitrag „Triumph der Fledermäuse“, obwohl diese derzeit mit Vergrämungsaktionen dazu gebracht werden sollen, den ursprünglichen Tunneleingang nicht mehr zu benutzen, sondern durch ein kleines Loch in die angedachte doppelte Decke zu fliegen. Nach meiner Meinung müsste ein solcher Artikel eher mit ‚Triumph der Ignoranz‘ überschrieben werden, denn die Befürworter der Hermann-Hesse-Bahn sind sehenden Auges in ein finanzielles Fiasko gedampft. In einem ganzseitigen Zeitungsbeitrag hätte ich erwartet, dass zumindest die Sinnhaftigkeit des Vorhabens hinterfragt wird. Fehlanzeige. Zumindest wird von Andreas Geldner die Frage aufgeworfen, ob man nicht besser neue Tunnel gebuddelt hätte. Sicherlich richtig, doch auf einer völlig neuen Trasse wäre dieses ‚Bahn-Projektle‘ vermutlich kritischer betrachtet worden und hätte sich schon ohne die jetzigen Mehrkosten nicht mehr gerechnet. Auf meine kritischen Anmerkungen schrieb Andreas Geldner: „Wissen Sie: Das Ergebnis ist, dass man andernorts jetzt schaut, dass solche Biotope auf außer Betrieb befindlichen Bahnstrecken erst gar nicht mehr entstehen. Ob das im Sinne der Natur ist, weiß ich nicht.“ Das wäre selbstredend nicht im Sinne der Natur, doch die Grundfrage bleibt, ob einige Eisenbahnfans jede aus guten Gründen längst stillgelegte Nebenstrecke wieder reaktivieren und uns Steuerzahler dann die Zeche bezahlen lassen dürfen. Die Änderungen am Allgemeinen Eisenbahngesetz, die im Bundestag eine Mehrheit gefunden hatten und im Bundesrat durchgewunken wurden, zielen darauf ab, dass stillgelegte Bahnanlagen nur im Ausnahmefall anderweitig genutzt werden können. Mehr zu diesem Schildbürgerstreich finden Sie in meinem Beitrag ‚Bahngesetz: Kein Wohnungsbau auf Ex-Bahngelände? Trickser und Schlafmützen als Gesetzgeber‘.  Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass ich für die Ertüchtigung des Schienennetzes eintrete, allerdings müssen klare Prioritäten gesetzt werden, und dann haben sich solche Bimmelbahnen auf reaktivierten Kurzstrecken für mich erledigt.

Ein neu verlegtes Bahngleis auf hellem Schotter. Dahinter Bäume und Gebäude.
Die Reaktivierung der Bahnstrecke zwischen Weil der Stadt und Calw kostet inzwischen statt knapp 50 Mio. über 160 Mio. Euro. Da wäre es günstiger gewesen, die Busverbindung zu verbessern, denn ab Weil der Stadt fährt ohnehin die S-Bahn. Mit niedrigen Kosten in die politische Diskussion einsteigen und dann die explodierenden Mehrkosten dem Steuerzahler aufbürden, das scheint bei zahlreichen Vorhaben der öffentlichen Hand der Grundsatz zu sein. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt haben die Sanierung und Erweiterung des Opernhauses noch gar nicht begonnen, doch die Fertigstellung soll jetzt bereits auf 2044 verschoben werden, und die Kosten gehen nach einem neuen Bericht der Stuttgarter Zeitung in Richtung 1,5 Mrd. Euro. Mehr zu diesem leidigen Thema finden Sie in: ‚Stuttgart: Keine Mehrheit für milliardenteure Opernsanierung. Volksabstimmung sollte Klarheit bringen‘. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Bunds der Steuerzahler hatte gezeigt, dass in Stuttgart und in Baden-Württemberg insgesamt eine Mehrheit der Befragten angesichts der Kosten für eine Neuplanung eintraten. (Bild: Ulsamer)

Warum wurde, so wird sich mancher Ortskenner fragen, nicht einfach die        S-Bahn von Weil der Stadt nach Calw verlängert? Die Antwort findet sich sogar auf der Internetseite der Befürworter des Bahnanschlusses: „Diese Variante hatte der Landkreis Calw bereits in den Jahren 2008 bis 2012 verfolgt. Damals konnte jedoch kein positiver Nutzen-Kosten-Faktor zur Wirtschaftlichkeit nachgewiesen werden, der eine Förderung gerechtfertigt hätte.“ Aber für die Fans von Nebenstrecken, die kaum rentabel sein dürften, findet sich immer ein Schlupfloch: Es wird so lange gerechnet, bis das Ergebnis passt. Das scheint im öffentlichen Bereich nicht nur für die Hermann-Hesse-Bahn zu gelten, sondern auch für das Landratsamt in Esslingen. Da wurde der sogenannte Altbau nach gerade mal vier Jahrzehnten abgerissen, denn allein das Konzept eines neuen Gebäudes sei zukunftsfähig. Mehr dazu in meinem Artikel ‚Landratsamt Esslingen: Abriss statt Sanierung. Würden Sie Ihr Haus nach 44 Jahren abreißen?‘ Der Steuerzahler lässt sich ja gerne schröpfen, um die finanziellen Höhenflüge mancher Bürokraten und ihrer regionalen Gefolgsleute in Gemeinde- oder Kreistagen, Landtagen oder im Bundestag zu begleichen.

Ein großer, dunkler Fledermauskasten mit der weißen Nummer 13 hängt an einer Kiefer.
Zahlreiche Fledermauskästen sollen Ersatzquartiere für die Flattertiere bieten, die an und in den Tunneln vergrämt werden. „Zusammenfassend ist für beide Bestandstunnel von einem deutlich höheren Überwinterungsbestand als bei den visuellen Kontrollen und der Lichtschrankenerfassung auszugehen. Der Überwinterungsbestand dürfte im Bereich des geschätzten Schwärmbestandes (Nagel 2014a) von minimal 2700 Tieren am Hirsauer und minimal 1000 Tieren am Forsttunnel liegen“, so das Gutachten von Dr. Dietz. „Ohne eine Vertreibung bzw. Vergrämung der derzeit in den Tunneln anwesenden Fledermäuse ist weder eine Besiedlung der neugeschaffenen Quartiere zu erwarten (die Tiere würden einfach weiter die Tunnel nutzen) noch eine Vermeidung oder zumindest Reduktion der Massentötung erreichbar.“ Ob die Vergrämung der streng geschützten Tiere für eine regionale Bimmelbahn angemessen ist, das wage ich zu bezweifeln. (Bild: Ulsamer)

Explodierende Kosten

Immer wieder läuft es bei öffentlichen Projekten nach identischem Schema ab: Mit niedrigen Kosten in die politische Diskussion einsteigen und so die Zustimmung der entsprechenden Gremien erlangen, aber das bittere finanzielle Ende kommt nach, denn die Kosten explodieren. In der Internetpräsentation der Projektpartner heißt es auch im Oktober 2024 noch: „Das (Die – Anm. d. Autors) Wiederinbetriebnahme der Hermann-Hesse-Bahn kostet nach derzeitigem Stand rund 49 Millionen Euro.“ Nach Medienberichten belaufen sich die Kosten inzwischen auf 164 Mio. Euro. Der unter dem Begriff ‚Stuttgart 21‘ zusammengefasste Tiefbahnhof in Stuttgart und die Schnellbahntrasse von Stuttgart nach Ulm sollten 1995 noch 2,5 Mrd. Euro kosten, jetzt wird mit 11,5 Mrd. Euro gerechnet. Die Kosten sind das eine, weit schwerwiegender allerdings ist die Frage, ob man solche Projekte nicht anders hätte steuern können und müssen, denn es geht nicht nur um das Finanzielle, sondern um die Zeiträume zwischen Planung und Fertigstellung. Ausgerechnet Infrastrukturprojekte geraten in Deutschland häufig zur unendlichen Geschichte. Kurios ist es, dass die Hermann-Hesse-Bahn aus Calw kommend ab Weil der Stadt auf dem gleichen Gleiskörper wie die vorhandene S-Bahnlinie 6 fährt, daher war die Begeisterung der S-Bahn-Verantwortlichen wenig ausgeprägt, denn es drohen zusätzliche Nutzungskonflikte und Verspätungen. Der spätere Abmangel beim Zugverkehr und bei der Erhaltung der Infrastruktur dürfte bei der Hermann-Hesse-Bahn nicht gerade klein ausfallen. Sollte sich das nicht bewahrheiten, so würde ich mich als Steuerzahler freuen.

Eine schmale Straße führt unter einer Bahnbrücke hindurch. Ein Schild zeigt die Durchfahrtshöhe von 3,7 Metern an.
Es ist richtig, Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, doch würde ich mir dabei mehr Sachverstand und eine Priorisierung wünschen. Die bundesweiten Trassen werden zu langsam ertüchtigt, so hinkt Deutschland z. B. bei den Zulaufstrecken zum Gotthard-Tunnel hinterher, dafür reaktivieren manche Politiker und Bürokraten Nebenstrecken für viel Steuergeld, die jedoch keinen oder kaum Nutzen bringen. Und versuchen sich Bahn und öffentliche Hand an einem Großprojekt wie dem neuen Tiefbahnhof in Stuttgart und der Schnellbahntrasse von Stuttgart nach Ulm, dann wird daraus eine unendliche Geschichte. Mehr zu dazu in ‘Stuttgart 21 hat endlich Fahrt aufgenommen. Infrastrukturprojekte: Wie wird man die rote Laterne los?‘ (Bild: Ulsamer)

Die Projektpartner haben für ihr Bähnle den Namen des Literaturnobelpreisträgers Hermann Hesse ausgewählt, der konnte sich bekanntlich nicht wehren. Gerne wird in diesem Zusammenhang ein Zitat aus seinem Roman ‚Unterm Rad‘ angeführt und der Württembergischen Schwarzwaldbahn zugeschrieben: „Die Eisenbahn lief vorüber — nicht im Sturm, denn die Linie steigt dort gewaltig, sondern schön behaglich, mit lauter offenen Fenstern und wenig Passagieren, eine lange, fröhliche Fahne von Rauch und Dampf hinter sich flattern lassend.“ Nun ‚Rauch und Dampf‘ wird es nicht mehr geben, denn es sollen auf der reaktivierten Trasse batterieelektrische Züge eingesetzt werden. Zumindest ein Lichtblick, denn anfänglich waren Diesellokomotiven vorgesehen. Warum dieses Zitat von Bahnbefürwortern verkündet wird, weiß ich nicht, denn Hermann Hesse spricht von „wenig Passagieren“. Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen. „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, um nochmals Hermann Hesse, der in Calw geboren wurde, zu zitieren, dieses Mal aus seinem Gedicht ‘Stufen‘. Häufig hat der Autor damit sicherlich recht, doch ausgerechnet bei dem nach ihm benannten Bahnvorhaben konnte ich den ‚Zauber‘ noch nie erkennen.

Eine Art Holzverschlag führt auf ein altes Tunnelportal aus Naturstein zu. Darüber aus Beton ein weiterer Tunnelabschluss. Ein rechteckiges Loch soll den Fledermäusen den neuen Weg weisen.
Die alten Tunnel, die nun für die Hermann-Hesse-Bahn wieder befahren werden sollen, werden von mindestens 1 000 Fledermäusen als Quartier genutzt. Darunter sind Abendsegler, Bartfledermaus, Bechsteinfledermaus, Braunes Langohr, Breitflügelfledermaus, Fransenfledermaus, Graues Langohr, Große Hufeisennase, Mausohr, Mopsfledermaus, Mückenfledermaus, Rauhhautfledermaus, Wasserfledermaus, Wimperfledermaus, Zwergfledermaus. Zur Partnersuche kommen Fledermäuse aus der weiteren Region hinzu, somit “ergeben sich Bestandschätzungen des Schwärmbestandes von 1022-2400, im Mittel 1675 Tieren für den Forsttunnel und 2777-8040, im Mittel 5021 Tieren für den Hirsauer Tunnel“, so Dr. Dietz in seinem bereits zitierten Gutachten. Der Calwer Landrat Riegger und seine Bahnfans hätten sich viel Ärger und uns Steuerzahlern stark steigende Kosten ersparen können, wenn sie auf die Reaktivierung der aufgelassenen Bahntrasse verzichtet und stattdessen auf ein innovatives Bussystem gesetzt hätten. (Bild: Ulsamer)

Fledermäuse brauchen Schutz

Für die Fledermäuse, die die seit fast vier Jahrzehnten ungenutzten Tunnel bevölkern, wurden Ausweichquartiere geschaffen, doch im Gegensatz zu Zauneidechsen können sie nicht eingefangen und in ein anderes Habitat verbracht werden. Zahlreiche Fledermauskästen hängen schön nummeriert an Bäumen, und ein Betonkeller mit Einflugloch sticht dem Wanderer ins Auge. Ob es wirklich glücklich ist, dass sich das Umfeld dieser neuen ‚Unterkunft‘ wegen umfassender Holzfällarbeiten ständig verändert, das wage ich zu bezweifeln. Ein langer Vorbau vor dem alten Portal des Welzbergtunnels, der auch als Hirsauer Tunnel bezeichnet wird, soll die Fledermäuse davon abhalten, in diesen hineinzufliegen. Mit weiteren Vergrämungsmaßnahmen – wie Schallwellen – sollen die Fledermäuse zukünftig über ein bescheidenes Einflugloch in das obere Segment des Tunnels gelangen. Eine Zwischendecke würde sie dann vom Zugverkehr trennen. Der Vorbau soll, wenn die Fledermäuse die Umleitung akzeptieren, in Beton ausgeführt werden. Sollten manche Nachtschwärmer partout direkt in die Tunnelöffnung einfliegen wollen, könnte man die jetzige Tür etwas solider ausführen. Landrat Riegger und der bald in Rente gehende Verkehrsminister Hermann könnten sich ja abwechseln, und das Tor alle 30 Minuten für die Bimmelbahn öffnen!

Schienen auf hellem Schotter führen in Richtung Wald. Rechts ein kleines technisches Gebäude.
Mehr als 160 Mio. Euro an Steuergeldern für die Hermann-Hesse-Bahn, um Busse auf 17 Straßenkilometern zu ersetzen, das ist ein Skandal. Bin mal gespannt, wie stark die Züge zwischen Calw und Weil der Stadt (in Baden-Württemberg) ausgelastet sein werden! Wenn Infrastrukturprojekte nicht richtig in die Gänge kommen, dann müssen häufig Zauneidechsen oder Fledermäuse als Begründung herhalten. Meine Erfahrungen aus einem technisch orientierten Projekt auf einer Fläche von 500 Hektar in Baden-Württemberg zeigen aber, dass sich Lösungen – Eingriffsminimierung und Ersatzhabitate – finden lassen, wenn man rechtzeitig die wichtigen naturschutzfachlichen Probleme angeht. (Bild: Ulsamer)

Ich kann dem baden-württembergischen NABU-Vorsitzenden Johannes Enssle nur zustimmen, der sich engagiert für die Fledermäuse einsetzt: „Für eine regionale Bahnstrecke untergeordneter Bedeutung können wir nicht das Überleben seltener Arten riskieren.“ Es gehe darum, dass die Population der Fledermäuse nicht beeinträchtigt werde. „Die Bahn fährt entweder mit Fledermäusen oder gar nicht.“ Der NABU hatte im Übrigen Klagen gegen das Projekt zurückgezogen, da die Projektträger entsprechende Schutzmaßnahmen zugesagt hatten. Diese müssen vollumfänglich greifen, ehe der erste Zug fahren kann, was für mich außer Frage steht. Sicherlich haben die Befürworter des Projekts artenschutzrechtliche Fragen unterschätzt oder gehofft, die Bimmelbahn würde trotz der Untermieter rollen. Fledermäuse sind – wie Eidechsen auch – nicht der Grund für Verzögerungen bei Infrastrukturprojekten, sondern Planungen und politische Entscheidungen, die zu spät realisieren, dass die Natur nicht als zweitrangig zu betrachten ist. Im ersten Akt dieses politischen Trauerspiels hatten sich die Projektträger der Hermann-Hesse-Bahn bereits verrannt, indem sie ein vermutlich unwirtschaftliches Vorhaben durchdrückten und die historische Trasse als gegeben ansahen. Im zweiten Akt, an dem wir jetzt alle teilhaben dürfen, zeigt sich, dass der Artenschutz und die Gesamtkosten des Projekts unterschätzt und alle Zeitpläne obsolet wurden. Sollten die Züge der Bimmelbahn von Calw nach Weil der Stadt und Renningen im Jahr 2025 wirklich fahren, dann hoffe ich nur, es finden sich so viele Passagiere ein, dass diese nicht mit batterieelektrischen oder Brennstoffzellenbussen hätten transportiert werden können. Ein dauerhaftes finanzielles Fiasko wäre der dritte Akt dieses politischen Trauerspiels.

Die Fledermäuse dürfen nicht die Leidtragenden einer Bimmelbahn sein, die ganz gewiss unsere verkehrspolitischen Probleme nicht lösen wird. Bedrohte Arten brauchen mehr Schutz, ansonsten siecht die Biodiversität weiter vor sich hin!

 

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Eine Art langgezogener Kasten aus Holz und Plastikfolie führt zum Portal eines Tunnels. Die Eisenbahnschienen liegen bereits.Dieser nicht ins Landschaftsbild passende Vorbau soll Fledermäusen den ‚richtigen‘ Weg in ihr beschnittenes Quartier zeigen. Zukünftig sollen die Flattertiere nicht mehr in den alten Hirsauer-Tunnel der früheren Württembergischen Schwarzwaldbahn einfliegen, denn dort sollen die Züge der Hermann-Hesse-Bahn nach vier Jahrzehnten wieder Passagiere transportieren. Die Fledermäuse werden genötigt, durch ein kleines Einflugloch zu ihren Schlaf- und Winterquartieren oberhalb einer Zwischendecke zu fliegen. Eines der wichtigsten Fledermausquartiere in Süddeutschland wird durch des Landrats Bimmelbahn gefährdet. In seinem Gutachten zur Reaktivierung der aufgelassenen Bahntrasse schrieb Dr. Christian Dietz bereits 2016 über die dadurch betroffenen Fledermäuse: „Mit dem hohen Lebensalter gehen eine konservative Lebensweise und eine ausgeprägte Traditionsbildung einher: sehr gut geeignete Quartiere und Lebensräume werden über Jahrzehnte genutzt und an nachfolgende Generationen weitervermittelt, so kann es zur Nutzung von Quartieren über viele Jahrhunderte kommen.“ Die Befürworter der Hermann-Hesse-Bahn scheinen im Übrigen auch andere Aussagen des Gutachters auf die leichte Schulter genommen zu haben. Hier der Link zum überaus lesenswerten Fachgutachten ‚Artenschutzrechtliches Konfliktpotential bei einer Wiederinbetriebnahme der Bahnstrecke Weil der Stadt – Calw als Hermann-Hesse-Bahn im Hinblick auf Fledermäuse in den Bestandstunneln‘. Wenn die Fledermäuse durch den Tunnelvorbau und weitere Vergrämungsmaßnahmen zum Einflugloch ‚umgeleitet‘ werden können, dann soll das Konstrukt aus Holz und Kunststofffolie durch ein Betongebilde ersetzt werden! (Bild: Ulsamer)

Opernhaus Stuttgart: Sanka statt Sancta

Blick auf die Vorderseite des Opernhauses aus rötlichem Stein. Auf der Dachbrüstung sind Skulpturen zu sehen.

Steuergelder für Florentina Holzingers Performance sind nicht gerechtfertigt

Wohnen in Stuttgart und Umgebung die zarteren Gemüter? Ich weiß es nicht, kann es mir allerdings nicht vorstellen. Umso überraschter war ich, dass im Opernhaus der Staatstheater Stuttgart zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauern so mulmig wurde, dass ein Arzt gerufen werden musste. Das hing nicht mit dem baulichen Zustand zusammen, denn der sogenannte Littmann-Bau aus dem Jahre 1912 soll für rd. eine Milliarde Euro saniert und erweitert werden, sondern mit der Opernperformance ‚Sancta‘ von Florentina Holzinger. „Magie und religiöse Wunder erfahren eine Neudeutung in einer ekstatischen Feier der Gemeinschaft und der Selbstbestimmung, in der Bach auf Metal trifft, die Weather Girls auf Rachmaninow – und nackte Nonnen auf Rollschuhe“, so heißt es im Theaterprogramm. Nun gut, das klingt noch nicht nach Notarzt, doch es gibt den Hinweis, Besucher seien erst ab 18 Jahren zugelassen und: „Diese Aufführung zeigt explizite sexuelle Handlungen sowie Darstellungen und Beschreibungen von (sexueller) Gewalt. Zudem sind echtes Blut sowie Kunstblut, Piercingvorgänge und das Zufügen einer Wunde zu sehen. In der Vorstellung werden Stroboskopeffekte, Lautstärke und Weihrauch eingesetzt.“ Weihrauch war, obwohl katholisch, nie mein Fall und auf „echtes Blut“ kann ich getrost im Theater verzichten. Die Kunst ist frei, und dieser Grundsatz ist für mich sehr wichtig, nicht nur weil er im Grundgesetz steht. Für mich stellt sich jedoch die Frage, ob „nackte Nonnen auf Rollschuhen“ und „Piercingvorgänge“ durch uns Steuerzahler finanziert werden müssen. Und wenn statt ‚Sancta‘ der Sanka kommen muss, tanzt das Stuttgarter Opernhaus in eine Sackgasse.

Blick von oben auf Finanzministerium, Landtag und Opernhaus. Dahinter sind weitere Gebäude zu sehen.
Rechts im Bild ist gerade noch ein Ausläufer des baden-württembergischen Finanzministeriums, dahinter der Landtag von Baden-Württemberg zu sehen und daneben das Stuttgarter Opernhaus: Hier haben wir die Entscheider über die Opernsanierung für eine Milliarde Euro im Blick. Zwar ergab eine Befragung keine Mehrheit für diese Sanierung im Goldstandard, doch es wurde flugs auf eine ‚Bürgerbeteiligung‘ gesetzt, die keine ist. 40 bis 50 zufällig ausgewählte Bürger durften als Bürgerräte über die geplante Sanierung des Opernhauses in Stuttgart diskutieren. Im Grunde waren die Entscheidungen längst gefallen, und so bekommt Bürgerbeteiligung – „dialogische Bürgerbeteiligung“ – einen faden Beigeschmack. Mehr dazu in: ‚Bürgerbeteiligung wird zum Deckmäntelchen. Sanierung des Opernhauses in Stuttgart ohne echte Debatte‘. (Bild: Ulsamer)

Trash – und wir alle bezahlen

100 Mio. Euro schießen die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg jährlich an Steuergeldern beim Württembergischen Staatstheater zu, und eine Milliarde Euro sollen Renovierung und Erweiterung des Opernhauses kosten. Natürlich werden kunstbeflissene Zeitgenossen sofort den Finger heben, wenn man Kultur und Geld in einem Atemzug nennt, doch das hat mich noch nie geschreckt. Selbstredend ist bei der Verteilung von Steuergeldern stets abzuwägen, ob soziale und künstlerische Belange, um allein diese zu nennen, ihrer gesellschaftlichen Bedeutung entsprechend berücksichtigt werden. Da habe nicht nur ich bei der Sanierung des Opernhauses in Stuttgart meine Zweifel, sondern auch bei der ‚Kulturscheune‘ in Berlin. Bei einer vom Bund der Steuerzahler in Auftrag gegebenen Umfrage sprach sich in Baden-Württemberg eine Dreiviertelmehrheit – angesichts der Kosten – für eine Neuplanung aus. Details dazu finden Sie in meinem Beitrag ‚Stuttgart: Keine Mehrheit für milliardenteure Opernsanierung. Volksabstimmung sollte Klarheit bringen‘. Nun vom schnöden Mammon wieder zur Kunst oder das, was manche dafür halten. „Florentina Holzingers Opernperformance verquickt Paul Hindemiths Operneinakter Sancta Susanna und Elemente der katholischen Liturgie zu einer radikalen Vision der heiligen Messe“, heißt es weiter auf der Internetseite des Staatstheaters. Es zieht immer weniger Katholiken und Protestanten in die Gottesdienste, ob wir da eine „radikale Vision der heiligen Messe“ im Stuttgarter Opernhaus brauchen, wage ich zu bezweifeln. Und weiter: „Mit ihren Performerinnen* begibt sie sich in spektakuläre körperliche Grenzerfahrungen und erkundet individuelle Spiritualität und Glaube, Sexualität und Schmerz, Scham und Befreiung.“ Das lockt mich nicht ins sogenannte ‚Große Haus‘, denn auf eine solche künstlerisch verbrämte ‚schwarze Messe‘ kann ich getrost verzichten. Der Intendant Victor Schoner sieht das erwartungsgemäß anders: „Grenzen auszuloten und lustvoll zu überschreiten war von jeher eine zentrale Aufgabe der Kunst.“ Nackte Performerinnen mit Nonnenhäubchen helfen also dabei „Grenzen …lustvoll zu überschreiten“. Vor nicht allzu langer Zeit wäre ein solcher Spruch höchstens am Stammtisch möglich gewesen und hätte ansonsten die Frauenbeauftragte alarmiert.

Breitseite des Opernhauses in Stuttgart. Rötlicher Stein dominiert.
Das Dreispartenhaus der Württembergischen Staatstheater in Stuttgart beschäftigt 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, da frage ich mich schon, ob man statt ‚Sancta‘ von Florentina Holzinger keine andere Idee hätte umsetzen können. Die geschröpften Steuerzahler schießen jährlich um die 100 Mio. Euro für das Staatstheater zu, und die Sanierung und Erweiterung des Opernhauses soll eine Milliarde Euro verschlingen. Wollten die vier Intendanten – alles Männer! – zum Dank ihrem Publikum mal nackte Frauenkörper und reichlich Blut bieten? Mehr zu Kulturgütern mit Sanierungsrückstand finden Sie in: ‚Stuttgart: Erst vergammeln lassen, dann teuer sanieren. Opernhaus, Villa Berg und Villa Moser wurden sträflich vernachlässigt‘. (Bild: Ulsamer)

Die künstlerische Leiterin und Mitperformerin Holzinger hat für alle Skeptiker einen guten Ratschlag: „Wer es nicht sehen will soll nicht kommen“, bemerkt Florentina Holzinger auf ihrer Instagramseite. Das fehlende Komma habe ich im Übrigen nicht aus Boshaftigkeit verschwinden lassen, sondern der Text steht so bei ‚floholzinger‘ weiß auf schwarz. Da hat die Vorturnerin der nackten Nonnen sicherlich recht, doch sie übersieht, dass wir alle indirekt anwesend sind: als Steuerzahler, die den ganzen Trash finanzieren! Die Kunst ist frei, aber für solcherlei Spektakel wie Holzingers ‚Sancta‘ wäre ein experimentelles Theater – möglichst ohne öffentliche Zuschüsse – besser geeignet als das hoch subventionierte Opernhaus in Stuttgart. Solange Mitbürger am Tafelladen anstehen, Wohnungsnot herrscht und so manche Schule über Lehrermangel oder marode Toiletten klagt, sollten die Steuergelder bevorzugt dorthin fließen und ganz gewiss nicht in Ramsch, der sich als Kunst tarnt und nur Beifall von einer kleinen Schickeria einheimst.

 

Tische und Sitzgelegenheiten unter Laubbäumen. Im Hintergrund das Opernhaus mit hohen Säulen im Eingangsbereich.
Da die ‚Fleischbeschau‘ bei ‚Sancta‘ im Opernhaus erfolgt, kann in der lange umstrittenen Außengastronomie des Staatstheaters ja zukünftig auf vegane und vegetarische Gerichte gesetzt werden. Ich habe auf Fotos von Florentina Holzingers Instagramseite verzichtet, weil ich mich nicht an deren Verbreitung beteiligen möchte. Zu finden sind die Bilder unter ‚floholzinger‘ bei Instagram. (Bild: Ulsamer)

 

Ein großer Knäuel aus grün-braunem Kupferblech in einem See.
Dass das Stuttgarter Opernhaus aus dem Jahr 1912 einen hohen Sanierungsbedarf hat, steht außer Frage, doch wer als verantwortlicher Politiker dafür eine Milliarde Euro bewilligt, der hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Als ein Teil des Daches bei einem Sturm abhob, ließ der baden-württembergische grüne Finanzminister Danyal Bayaz das zurückgebliebene Kupferknäuel als Mahnmal für den Klimawandel ausstellen, doch es war ein Symbol für die Vernachlässigung öffentlicher Gebäude und mangelnder Instandhaltung der Infrastruktur. Mehr zu dieser Aktion, die der Satire nahekommt, finden Sie in meinem Blog-Beitrag ‚Stuttgart: Wenn das Operndach als Knäuel endet … und der Klimawandel schuld sein soll‘. Der Schrotthaufen bzw. sein Auf- und Abbau schaffte es ins ‚Schwarzbuch 2024‘ des Bunds der Steuerzahler: zurecht, wie ich meine. (Bild: Ulsamer)

 

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Blick auf die Vorderseite des Opernhauses aus rötlichem Stein. Auf der Dachbrüstung sind Skulpturen zu sehen.Auch wer sich ‚Sancta‘ im Stuttgarter Opernhaus nicht anschaut, ist als Steuerzahler mit dabei, denn rd. 100 Mio. Euro fließen jährlich von Stadt und Land in die Württembergischen Staatstheater. Wenn Kritik an ihrem Werk aufkommt, reagiert Florentina Holzinger auf bezeichnende, altbewährte Weise: „Ich will mich auf keinen Fall zensieren lassen“. Darum geht es mir selbstverständlich nicht, allerdings ist die Frage berechtigt und darf gestellt werden, was auf Kosten von uns Steuerzahlern in hoch alimentierten Häusern gespielt wird. Ich habe auf Fotos von Florentina Holzingers Instagramseite verzichtet, weil ich mich nicht an deren Verbreitung beteiligen möchte. Zu finden sind die Bilder unter ‚floholzinger‘ bei Instagram. (Bild: Ulsamer)

Bahngesetz: Kein Wohnungsbau auf Ex-Bahngelände?

Sechs gelb-orangene Baukräne recken sich in den Himmel. Im Hintergrund der Turm des Hauptbahnhofs von Stuttgart aus Naturstein. Im Vordergrund eine Baustelle.

Trickser und Schlafmützen als Gesetzgeber

Im Deutschen Bundestag und den Landtagen sitzen insgesamt rd. 2500 Abgeordnete und in Bundes- und Landesbehörden arbeiten 300 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, da sollte man eigentlich annehmen, Gesetze seien Maßarbeit. So überrascht es schon, wenn es bei der Novellierung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) weder im Bundestag noch im Bundesrat irgendjemandem auffiel, dass bei der Nachnutzung von aufgegebenen Bahnanlagen dem „überragenden öffentlichen Interesse“ Rechnung getragen werden muss. Nach der Verabschiedung in beiden Gremien dauerte es noch ein Dreivierteljahr – denn diese erfolgte Ende 2023 – bis bei den betroffenen Kommunen der Groschen fiel: Ihre Wohnbauprojekte auf stillgelegten Bahnarealen könnten nach jetzigem Sachstand nicht umgesetzt werden, weil sie nicht in die Kategorie des überragenden öffentlichen Interesses fallen! Straßen und Energieanlagen könnten gebaut werden, auch die Bundeswehr dürfte zur Landesverteidigung Bedarf anmelden, doch Wohnungs- und Städtebau fallen nach Expertenmeinung nicht darunter. Nun bin ich kein Jurist und würde Wohnungsbau in unseren Tagen gewiss dem überragenden öffentlichen Interesse zuordnen, Fachjuristen allerdings scheinen das anders zu sehen. Danach könnte plötzlich das durch den unterirdischen Durchgangsbahnhof in Stuttgart freiwerdende Gleisvorfeld usw. nicht mehr bebaut werden, eines der wichtigsten Argumente für den Umbau! Und somit würde Stuttgart 21, ein Monsterprojekt, das sich durch überlange Planungs- und Bauzeiten auszeichnet, einen Teil seines Charmes verlieren. Hat hier jemand getrickst, der auch den letzten Bahndamm für die Nachwelt sichern möchte, oder handelt es sich um Schlamperei vermischt mit Schlafmützigkeit bei der Erarbeitung der Gesetzesänderungen?

Bahnsteig ohne Menschen und Gleis ohne Zug. Der Bereich ist überdacht.
Würde man den Zeitgenossen folgen, die Bahnanlagen auch nach deren Stilllegung nicht für andere Zwecke nutzen wollen, dann würden bereits jetzt recht trostlos aussehende Bahnsteige eingemottet. Da bin ich doch für die Erweiterung der Parkanlagen und für Wohnungsbau auf den betreffenden Arealen. (Bild: Ulsamer)

Einmal Bahn – immer Bahn?

Nun habe ich zu Beginn meines Berufswegs im Stuttgarter Sozialministerium gearbeitet und kann mir beim Allgemeinen Eisenbahngesetz daher durchaus beides vorstellen: Trickser und Schlafmützen waren am Werk. Einen interessanten Hinweis gibt die linksorientierte und Stuttgart 21 wenig zugeneigte ‚Wochenzeitung Kontext‘: „Im Verkehrsausschuss des Bundestages, auf dessen ‚expliziten Wunsch‘ laut Bundesverkehrsministerium die Verschärfung von Paragraf 23 zustande gekommen sei, hatte die Auswirkungen auf S 21 dem Vernehmen nach kaum jemand auf dem Schirm. Der Nürtinger Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel, für die Grünen im Ausschuss, aber offensichtlich schon. So argumentierte Gastel bereits am 16. Juni bei einer Veranstaltung in Singen: ‚Wir haben Entwidmungen von Eisenbahnflächen erschwert, indem wir die Beweislast umgedreht haben. Wer Schieneninfrastruktur auflösen und aus der rechtlichen Situation herausnehmen möchte, tut sich heute wesentlich schwerer. Wir wollen nämlich als Ampel-Koalition ausbauen und zusätzliche Infrastruktur schaffen.‘ Und er fügt hinzu: ‚Das könnte auch für Stuttgart 21 noch ein Thema sein.‘“ War es nun ein politischer Kniff des Bundestagsabgeordneten Gastel und Gleichgesinnter, die zwar den Tiefbahnhof in Stuttgart nicht verhindern konnten, die oberirdischen Gleisanlagen aber nicht aufgeben wollen und deswegen die Begrifflichkeit des überragenden öffentlichen Interesses in das Allgemeine Eisenbahngesetz geschmuggelt haben? Das kann ich nicht beurteilen, doch es würde zur Fraktion derer passen, die jede längst aufgegebene Bahntrasse reaktivieren wollen – wie der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann – und für zukünftige Bahnzwecke schon mal stillgelegte Flächen der Bahn vorbehalten wollen.

Blick von der Höhe des Chinesischen Pavillions auf die Stadt Stuttgart im Umfeld des Hauptbahnhofs. ZU sehen sind Kräne auf der Baustelle, links ein modernes Bankgebäude, rechts die ehemalige Bahndirektion.
Im Stuttgarter Talkessel ist es eng, da würde es sowohl den Parkanlagen als auch dem Wohnungsbau helfen, wenn baldmöglichst die jetzigen Gleisflächen freigegeben werden könnten. (Bild: Ulsamer)

Gerne habe ich als Kind mit meiner elektrischen Eisenbahn gespielt und sie erweitert, doch manche Politiker scheinen das erst im späteren Leben tun zu wollen, und statt sich um wichtige Hauptstrecken zu kümmern, schlägt ihr Herz für aufgelassene Nebenstrecken. „Ein Jahrhundertprojekt mit Geschichte“, so hieß es auf der Internetseite der Projektträger, die eine frühere Bahntrasse wieder mit Leben füllen wollten. Dabei ging es im Übrigen nicht um die Zulaufstrecken für den Gotthardt-Tunnel, bei denen die deutschen Akteure im Bummelzugtempo unterwegs sind, sondern um die Verbindung von Calw nach Weil der Stadt. Selbst Ortskundige fragten sich früh, ob diese vor vier Jahrzehnten aufgelassene Strecke unerlässlich sei für die beiden Kommunen, die nicht mal zehn Kilometer auseinanderliegen. Mehr zu jenem aus meiner Sicht fragwürdigen Vorhaben finden Sie in meinem bereits 2017 veröffentlichten Artikel ‚Des Landrats Bimmelbahn. Eisenbahn treibt Fledermäuse in die Flucht‘. Inzwischen sind die Kosten dieses ach so wichtigen Bahnprojets auf über 160 Mio. Euro angewachsen, und die Fledermäuse wollen noch immer nicht begreifen, dass sie in den Tunneln und vor dem Portal nicht mehr gelitten sind. Naturschutz wird leider bei so mancher Planung als Nebensache angesehen, und das führt zu Verzögerungen und kostet Steuergelder. Völlig abwegig ist es, wenn ohne gründliche Voruntersuchungen die Politik ein Bauvorhaben durchwinkt – wie dies beispielsweise auch in Brandenburg geschah.  Mehr dazu in: ‚Brandenburg: Tesla walzt die Natur nieder. Umweltverträglichkeitsprüfung wird zur Farce‘. Es ist schwierig, Natur und Technik unter einen Hut zu bekommen, dessen bin ich mir aus eigener Erfahrung bewusst. Für ein Prüf- und Technologiezentrum eines Automobilunternehmens konnten wir einen Standort mit 500 Hektar finden und entwickeln, und dies in Baden-Württemberg. Von Anbeginn gab es einen engen Austausch mit der Bürgerschaft und Behörden, aber insbesondere auch mit den Naturschutzverbänden.

Die jetzige Ampelregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz oder ihr Nachfolger wird den gesetzlichen Stolperstein im Allgemeinen Eisenbahngesetz auf die Seite räumen, dessen bin ich mir sicher, denn zahlreiche Projekte in Deutschland kommen durch den aktuellen Text des Gesetzes ins Stolpern. Denkbar ist es, den Gesetzestext zu belassen und den Wohnungsbau zum allgemeinen öffentlichen Interesse zu erheben, was mit Sicherheit in einer Zeit des Zuzugs und der ohnehin vorhandenen Wohnungsnot sachlich richtig wäre. Im Grunde ist es nicht verwunderlich, dass das Allgemeine Eisenbahngesetz ins Ressort des FDP-Bundesverkehrsministers Volker Wissing fällt, der nach fast 20 Jahren Planung den Ausbau der Neckarschleusen ad acta legte. Mehr dazu in: ‚Neckar: Schleusenverlängerung fällt ins Wasser. Ertüchtigung der Infrastruktur kommt in Deutschland zu kurz‘. Überaus ärgerlich ist es für mich, dass im XXL-Bundestag bzw. Bundesrat Gesetze durchgewunken werden, die entweder kaum einer gelesen oder die Bedeutung des Textes verstanden hat. Politikverdrossenheit entsteht auch, wenn Gesetze und Verordnungen der Nachbearbeitung bedürfen, kaum dass sie beschlossen wurden. Trickser und Schlafmützen sollten sich nicht an Gesetzesvorhaben beteiligen.

 

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Sechs gelb-orangene Baukräne recken sich in den Himmel. Im Hintergrund der Turm des Hauptbahnhofs von Stuttgart aus Naturstein. Im Vordergrund eine Baustelle.Selbst als Befürworter von Stuttgart 21 tut man sich mit dem Schneckentempo schwer, mit dem die Planung sowie die politischen Entscheidungsprozesse und dann noch der Bau ablaufen. Es ist sicherlich nicht einfach, mitten in der Stadt und unter laufendem Betrieb einen Tiefbahnhof zu bauen und eine Schnellbahntrasse von Stuttgart nach Ulm mit langen Tunneln fertigzustellen, doch die Vorstellung des Projekts erfolgte in der Öffentlichkeit bereits vor 30 Jahren. Mehr zu dieser unendlichen Geschichte: ‚Stuttgart 21 hat endlich Fahrt aufgenommen. Infrastrukturprojekte: Wie wird man die rote Laterne los?‘ (Bild: Ulsamer)

Schützt die Igel vor den Mährobotern!

Ein grauer Mähroboter mit einem roten Kunststoffteil im hinteren Bereich und Grasschnitt an den Rädern fährt über eine ohnehin kurze Rasenfläche.

Stadt Köln: Vorbildliches Verbot für Mähroboter bei Nacht

Im Grunde meines Herzens bin ich der Meinung, dass Mähroboter zu den sinnlosesten Erfindungen unserer Welt gehören, speziell, wenn sie quasi rund um die Uhr Rasenflächen auf militärischen Bürstenhaarschnitt trimmen. Igel, aber auch Eidechsen, Frösche oder Kröten und Insekten werden von den rotierenden Messern getötet oder schwer verletzt. Gerade in der Dämmerung oder gar bei Nacht geraten Igel unter die Mähroboter, weil sie bei Gefahr nicht das Weite suchen, sondern sich zu einer Kugel zusammenrollen. Gegen Mähroboter nutzen jedoch die Stacheln leider nichts. Vorbildlich hat die Stadt Köln mit einer Allgemeinverfügung gehandelt, die den Einsatz von Mährobotern in der Dämmerung und bei Nacht verbietet. Ich hoffe sehr, dass andere Kommunen ebenfalls den Kölner Weg beschreiten. Besser wäre es, Mähroboter gänzlich zu verbannen, aber zumindest in der Dämmerung und bei Nacht sollten sie ihr Unwesen nicht länger treiben dürfen. Natürlich bin ich mir bewusst, dass ein Nachtfahrverbot für Mähroboter nur ein Schritt für die Verbesserung des Igelschutzes sein kann, denn den stachligen Sympathieträgern fehlt es in unserer ausgeräumten Landschaft an Versteckmöglichkeiten in Hecken, es mangelt an Laubhaufen und Totholz für ein Winterquartier, im Zeichen des Insektensterbens verhungern zahlreiche Igel, und selbst zugängliche Wasserstellen sind in Stadt und Land rar geworden. So ist es kein Wunder, dass sich der bei uns beheimatete Westigel auf der Vorwarnliste der Roten Liste findet. Der Schutz der Igel muss in Deutschland deutlich verbessert werden!

Zwei Igel nahe beieinander. Sie schauen sich an. Das Foto ist in Grautönen, da es mit einer Wildkamera bei Nacht aufgenommen wurde.
In unserem kleinen Gärtchen, das kaum 25 Quadratmeter umfasst, treffen sich immer wieder zwei oder drei Igel auf dem Weg zum Wasser oder zum Futterschälchen. Obwohl Igel Einzelgänger sind, bleibt es friedlich. Und natürlich kommen auch Steinmarder, Waschbären, mal ein Dachs oder Fuchs vorbei, denn das Gartentor steht dauerhaft offen. Mehr dazu in: ‚Wenn es Nacht wird im Gärtchen. Ein kleines Stück Natur für tierische Gäste‘. Viele kleine Gärten können zusammen auch ein Paradies für Wildtiere im städtischen Umfeld sein! (Bild: Ulsamer)

Wenn Igel unter den Mähroboter geraten

Von Herstellern und Nutzern der Mähroboter wird immer wieder behauptet, die Geräte würden Igel erkennen, doch die Menschen, die sich um verletzte Igel kümmern, können ein trauriges Lied von den brutalen Verletzungen singen, die diesen von den rotierenden Messern zugefügt werden. Vielen stachligen Freunden ist nicht mehr zu helfen, zahllose verenden irgendwo, wenn sie sich noch von der Rasenfläche schleppen konnten. Ich habe ganz bewusst auf Fotos der grausamen Verstümmelungen verzichtet, die sich jedoch im Internet auf den Facebookseiten von Igelstationen und anderen Helferinnen und Helfern finden lassen. Die Stiftung Warentest hat mehrfach Mähroboter getestet und kam zu dem Schluss, dass diese Geräte weder Igeln noch anderen kleineren Gegenständen ausweichen: „Die meisten Rasenmähroboter erkennen einen simulierten liegenden Kinder­arm nicht: Ihre Messer stoppen nicht, wenn ein mehrere Zenti­meter dicker Stab aus Buchen­holz unter den Roboter geschoben wird. Einige reagieren auch gar nicht oder zu spät bei der Fuß-Attrappe eines krabbelnden Kindes, einzelne ignorieren sogar einen stehenden Erwachsenenfuß.“ Die Ergebnisse der Stiftung Warentest decken sich mit einer Studie von Sophie Lund Rasmussen, die unter dem Titel ‚Wildlife Conservation at a Garden Level: The Effect of Robotic Lawn Mowers on European Hedgehogs (Erinaceus europaeus)‘ im Internet-Wissenschaftsjournal MDPI erschienen ist. Bei Tests mit tot aufgefundenen Igeln zeigte es sich, dass keiner der Mähroboter in der Lage war, junge Igel zu erkennen. Aber auch ausgewachsene Igel wurden erst nach Berührung als Hindernis erkannt, und dann dürfte es in den meisten Fällen bereits zu schwerwiegenden oder tödlichen Verletzungen gekommen sein.

Ein Igel frisst aus einer kleinen Tonschale unter einem kleinen Dach.
In den brandenburgischen Gemeinden Nuthetal und Borkheide wurde bereits vor der Verordnung der Stadt Köln der nächtliche Einsatz von Mährobotern untersagt. Es ist an der Zeit, dass weitere Kommunen nachziehen. Aber nicht nur die Besitzer von Mährobotern sind gefragt, sondern wir alle: Naturnahe Gärten schaffen Lebensraum für Igel und andere Wildtiere, und die Bereitstellung von Futter und Wasser hilft gleichfalls. (Bild: Ulsamer)

Am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) werden Meldungen von Igeln wissenschaftlich ausgewertet, die Schnittverletzungen durch Mähroboter erlitten haben, und das Ergebnis ist erschreckend: „Wir gehen zudem von einer sehr hohen Dunkelziffer aus, da viele Tiere erst gar nicht gefunden bzw. gemeldet werden“, betonte Dr. Anne Berger vom Leibniz-IZW, die die Sammlung der Fälle wissenschaftlich begleitet, im Juni 2023. „Zudem berichten die Igelstationen, dass seit diesem Frühjahr ein Anstieg der Fälle um 30 bis 50 Prozent zu verzeichnen ist. Dies steht mutmaßlich mit den jährlich um 12 Prozent steigenden Absatzzahlen von Mährobotern in Zusammenhang.“ Selbst leichtere Schnittverletzungen können später zu schweren Entzündungen führen oder zur Ablage von Fliegeneiern in den Wunden. Wenn ein verletzter Igel nicht schnell genug Hilfe findet, ist es um ihn geschehen. „Die Verletzungen haben in den letzten Monaten ein Ausmaß angenommen, das viele Stationen physisch, psychisch und finanziell überfordert“, sagt Dr. Berger. „Nicht wenige stehen kurz vor der Aufgabe, wenn nicht von politischer Seite Unterstützung kommt.“ So viel zum vermeintlich problemlosen Einsatz von Mährobotern! Wer zu faul ist, seinen Rasen hin und wieder selbst zu mähen, oder schlicht keine Zeit hat, der sollte sich für eine Blühwiese entscheiden, die keinen Dauereinsatz von Mährobotern benötigt.

Zwei Igel an einer flachen Vogeltränke.
Anstehen an der Vogeltränke. Wasser darf gerade an heißen Tagen an Bedeutung für Wildtiere nicht unterschätzt werden. Wo gibt es in erreichbarer Entfernung noch einen Bachlauf oder einen Weiher, an dem Igel oder andere Wildtiere gefahrlos trinken können? Mehr dazu in: ‚Von Pfützen, Tümpeln, Weihern und Seen. Die kleinen Paradiese sind bedroht‘. (Bild: Ulsamer)

Igel leiden Hunger und Durst

Der deutliche Rückgang der Igelpopulation in Deutschland lässt sich auch an der Zahl überfahrener Igel ermitteln. Ein trauriges Kapitel der Welt, in der die Igel heute leben. So heißt es in der ‚Roten Liste‘ „Der Westigel war früher überall zahlreich vertreten. Langzeitzählungen überfahrener Igel in Bayern über einen Zeitraum von fast 40 Jahren (Reicholf 2015, LBV 2018) zeigen einen stetigen Rückgang der Funde auf etwa ein Fünftel der 1976 vorhandenen Bestände. Ob diese Entwicklung für das ganze Bundesgebiet gilt, ist nicht gesichert, weil vergleichbare Zählungen nicht vorliegen. Gelegenheitsbeobachtungen in Nordrhein-Westfalen deuten ebenfalls auf einen Rückgang des Westigels. Durch den zunehmenden Einsatz von Mährobotern werden Igel häufiger verletzt (LBV o.D.).“ Igel kommen nicht nur unter die unsinnigen Mähroboter oder werden überfahren, sondern sie verhungern in großer Zahl, weil es an Insekten fehlt. Insekten sind nun mal die Hauptnahrung der Igel, und deren Zahl ist dramatisch zurückgegangen, wie zahlreiche Studien belegen. Die Biomasse der Insekten hat sich um bis zu 75 % reduziert, wie der Entomologische Verein Krefeld in einer Langzeitstudie von 1989 bis 2016 feststellte. Mehr dazu in: ‚Insekten verlieren ihre Heimat. Schmetterlinge, Hummeln, Bienen und Käfer sind akut bedroht‘. Laufkäfer und ihre Larven schmecken den Igeln besonders gut, doch sie werden – wie wiederum Studien belegen – immer weniger. Fressen die Igel aus Hunger zu viele Schnecken und Regenwürmer, nehmen sie für sie schädliche Parasiten zu sich. Es fehlt aber nicht nur an Nahrung, sondern gleichfalls am Zugang zu trinkbarem Wasser. Künstlerisch gestaltete Brunnen bieten zwar einen netten Anblick, das Wasser ist allerdings für Igel und andere Wildtiere zumeist nicht erreichbar, und ein betoniertes Wasserbecken – ob Swimmingpool oder Wasserspiele – eignen sich nur zum Ertrinken. An unserem Vogelbecken und einer Hühnertränke drängeln sich bei Tag und Nacht die Tiere, seien es Vögel, Igel oder Steinmarder und Eichhörnchen. Weitere Infos hierzu finden Sie in meinem Beitrag ‚Wildtiere: Jede Pfütze zählt! Den Zugang zu Wasser erleichtern‘.

Ein Igel läuft am Boden zwischen grünen Efeublättern usw. Sein Auge und der Rücken sind zu sehen.
Sind Igel tagsüber unterwegs, dann wurden sie häufig aufgeschreckt oder es plagt sie der Hunger. Bei uns steht ein Schälchen mit Futter bereit. Natürlich darf es an Wasser nicht fehlen. (Bild: Ulsamer)

Wir bieten in unserem kleinen Vorstadtgärtchen rund ums Jahr Vögeln Futter und Wasser an, und dies tun wir ebenfalls für Igel in den Jahreszeiten, in denen sie unterwegs sind. Jede kleine Hilfe zählt, und so haben wir auch mit den Nachbarn vereinbart, einen Durchschlupf für Igel zwischen den Gärten zu schaffen. Zwei Igelhäuschen laden zum Überwintern oder als Versteck tagsüber ein. Letztendlich ist die negative Entwicklung nur zu stoppen, wenn wir den Lebensraum für Igel zielgerichtet erweitern. Auf landwirtschaftlichen Flächen braucht die Natur wieder Vorrang vor einer ständigen Effizienzsteigerung, die zu immer größeren Flächen ohne Hecken, Bauminseln oder Lesesteinhügel geführt hat. Die Förderung der EU-Landwirtschaft ist weiterhin eine grünlackierte Subventionsmaschine, bei der die kleinen bäuerlichen Betriebe ebenso unter die Räder geraten wie Insekten, Vögel und eben der Igel. Im urbanen Raum müssen wir auf naturnahe Gärten setzen, die trostlosen Schotterflächen, die mit Mährobotern oder anderem Gerät abrasierten Rasenstücke und die akkurat zurechtgeschnittenen ‚Hecken‘, sollten der Vergangenheit angehören. Mehr zum zunehmend trostlosen Dasein der Igel lesen Sie in meinem Artikel ‚Igel: Stacheln helfen nicht gegen Verlust des Lebensraums. Igelfreundliche Felder, Parks und Gärten sind wichtig‘, auf den ich an dieser Stelle gerne verweise.

Ein Igel läuft bei Nacht zwischen kurzen Grashalmen und Blättern.
Der Lebensraum von Igeln wurde immer kleiner, und dies gerade auch auf landwirtschaftlichen Flächen, wo Nahrung, Wasser und Versteckmöglichkeiten kaum zu finden sind. So sind naturnahe Gärten und Parkanlagen nicht selten ein letzter Zufluchtsort. Dort finden sie noch eher Insekten und Wasser oder ein Plätzchen für den Winterschlaf. (Bild: Ulsamer)

Bei allen landwirtschaftlichen oder städtebaulichen Entscheidungen und Handlungen muss häufiger an den Igel und andere Wildtiere gedacht werden. Es reicht eben nicht, Igel als ‚niedliche‘ Stachler zu betrachten, sondern sie müssen auch dauerhaft ausreichenden Lebensraum und genügend Wasser und Insekten finden. Solange dies nicht gewährleistet ist, zählt jedes Schälchen mit Igelfutter bzw. Wasser. Das Letzte, was die bedrohten stacheligen Freunde in einer Situation größter Not benötigen, sind Mähroboter, die bei Tag und Nacht Rasenflächen zur Todeszone für Igel machen! Das Verbot der Stadt Köln, Mähroboter in der Dämmerung und bei Nacht fahren zu lassen, ist vorbildlich. Es ist an der Zeit, dass sich alle Kommunen anschließen, um das Leben von Igeln zu retten!

 

Igel trinkt aus einer flachen Vogeltränke, die von niedrigem Gras umgeben ist.
Wasser ist Leben, dies gilt auch für Igel. In unserer ausgeräumten Feldflur und in betonierten urbanen Quartieren fehlt der Zugang zu Wasser. Mehr dazu in: ‚Wildtiere: Jede Pfütze zählt! Den Zugang zu Wasser erleichtern‘. (Bild: Ulsamer)

 

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Ein grauer Mähroboter mit einem roten Kunststoffteil im hinteren Bereich und Grasschnitt an den Rädern fährt über eine ohnehin kurze Rasenfläche.Mähroboter laufen zum Teil rund um die Uhr und vor allem in der Dämmerung oder bei Nacht werden von den Schneidemessern Igel schwer verletzt oder getötet. (Bild: Ulsamer)

Die Wertmaßstäbe verschwimmen

Der historische Schlossplatz in Stuttgart mit dem Neuen Schloss im Hintergrund. Davor in blauer Farbe Einzäunung, Großbildvideowand.

Torjubel wichtiger als Wohltätigkeit?

Nun gut, es ist schon sechs Jahre her, doch beim Anblick des für die Europameisterschaft verunstalteten Schlossplatzes in Stuttgart ging mir Rudolf Diebetsberger durch den Kopf. Er hatte 2018 am Kleinen Schlossplatz, nur acht Meter von einer Stelle entfernt, die ihm vom Ordnungsamt zugewiesen worden war, für erblindete indische Kinder ins Horn gestoßen, und als er die verhängte Strafe wegen dieser ‚Ordnungswidrigkeit‘ nicht bezahlen wollte, wanderte er allen Ernstes in die Justizvollzugsanstalt in Stammheim. Mehr zu diesem Skandal finden Sie in meinem damaligen Beitrag ‚Justizposse: Für ‚ins Horn blasen‘ gibt’s jetzt Knast – Stuttgart: Ordnungsamt und Justiz auf Abwegen‘. Einst saßen im Übrigen in Stammheim die RAF-Terroristen ein! So zügig wie der sozial engagierte Rudolf Diebetsberger atmeten in Stammheim die Randalierer nicht gesiebte Luft, die im Jahr 2020 rund um den Schlossplatz Polizisten attackierten und Geschäfte plünderten. In ‚Stuttgart Riots: Sozialer Hintergrund der Täter ist für Prävention wichtig‘ bin ich auf die problematische Aufarbeitung der Krawallnacht eingegangen. Nun aber zurück zu einer friedlicheren Nutzung des Schlossplatzes als ‚Fan Zone‘ für die Europameisterschaft im Fußball 2024: 30 000 stimmgewaltige Fußballanhänger erfreuen scheinbar die Stadtoberen meiner Geburtsstadt, doch der Hornist Diebetsberger wurde kriminalisiert, obwohl er deutlich weniger Lärm erzeugte.

Ein Mann im schwarzen Mantel mit schwarzem Zylinder sitzt auf einem Stuhl und bläst ins Horn.
Dass die Stadtverwaltung in Stuttgart und die Justiz auch schnell und unbarmherzig vorgehen können, das belegte 2018 die Justiz-Posse um Rudolf Diebetsberger: Er spielte nur acht Meter entfernt vom vorgegebenen Kleinen Schlossplatz, um Spenden für blinde indische Kinder zu sammeln, doch schon sollte er eine Geldbuße begleichen. Als er sich weigerte, die als ungerecht empfundene Strafe zu bezahlen, wanderte er in den Knast. (Bild: Screenshot, „Facebook“, 12.1.2018)

Besser mal ins Horn stoßen

Ich warte bereits auf den typisch deutschen Hinweis, die Fußballfreunde hätten ja eine Erlaubnis für ihr Rufen, Schreien, Grölen – je nach Grad des Alkoholkonsums. Und Rudolf Diebetsberger hätte höchst ‚illegal‘ seinen Standort leicht verändert, weil am vorgesehenen Platz eine Musikgruppe auftrat. Als ich an der ‚Fan Zone‘ vorbeikam, spielte niemand Horn oder ein anderes Instrument am Kleinen Schloßplatz, dafür schlief auf einer der Steinstufen ein Obdachloser. Er hätte sich vielleicht über Zuwendung durch Sozialarbeiter der Stadt Stuttgart gefreut.

„Die ganze Stadt wird zum Stadion“, so die Eigenwerbung der ‚Sportregion Stuttgart‘, und dagegen spricht im Grunde nichts, allerdings würde ich mir etwas mehr Offenheit gegenüber sozialem Engagement wünschen, wie es z. B. Rudolf Diebetsberger gezeigt hatte. Nicht geschadet hätte eine offizielle Entschuldigung der Stadt Stuttgart bei Rudolf Diebetsberger für die überzogene Vorgehensweise – zu jener Zeit noch unter dem grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn.

Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass in Deutschland immer häufiger die Wertmaßstäbe verschwimmen, denn ansonsten dürfte man nicht einen sozial aktiven Bürger mit einer Strafe belegen, weil er am Schlossplatz Horn spielt und dann bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit den Schlossplatz für deutlich lärmintensivere Großveranstaltungen nutzen. Nicht fehlen dürfen natürlich die Klohäuschen, die einen Schutzwall um die historischen Brunnen auf dem Schlossplatz bilden. Nun, über Geschmack kann man streiten, aber Klohäuschen versperrten schon bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Berlin den Blick aufs Brandenburger Tor. Historische Orte haben es nicht leicht in unserem Land!

Eine schwarze Tüte mit Hundekot liegt auf einem Baumstamm.
Die Hinterlassenschaft eines Hundes gehört nicht – fein in eine Kunststofftüte verpackt – in den Wald, noch weniger in ein Haus der Kultur und noch weniger in das Gesicht einer Theaterkritikerin! Dies hatte Marco Goecke als Ballettdirektor der Staatsoper in Hannover wohl gänzlich vergessen, als er die FAZ-Journalistin Wiebke Hüster mit dem Kot seines Dackels attackierte. Sich aufregen über Bewertungen der eigenen Arbeit – wer kennt dies nicht? Ich aber wäre niemals  auf die Idee gekommen, journalistische Kritiker oder politisch Andersdenkende handgreiflich anzugehen. Mehr dazu in: ‚Der Choreograph und sein Hundekot. Marco Goeckes Attacke auf eine Ballettkritikerin ist entwürdigend‘. (Bild: Ulsamer)

Am Rande möchte ich noch ein anderes Beispiel anführen, das zeigt, wie schnell Wertmaßstäbe verschwimmen: Marco Goecke hatte sich als Ballettdirektor der Staatsoper in Hannover so über die Texte der FAZ-Ballettkritikerin Wiebke Hüster echauffiert, dass er ihr 2023 den Kot seines Dackels ins Gesicht schmierte, den er im Theater mit sich geführt hatte! Zwischen Künstler und Kritikerin mag sich über die Jahre ein Spannungsfeld aufgebaut haben, doch wer wie Marco Goecke handelt, der begibt sich selbst ins gesellschaftliche Abseits. Dort musste er nicht lange ausharren, denn ab Sommer 2025 wird Goecke Ballettchef am Theater in Basel. Mal sehen, wen er dort mit Hundekot angreifen wird. Da scheinen nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz Wertmaßstäbe zu verschwimmen.

 

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Der historische Schlossplatz in Stuttgart mit dem Neuen Schloss im Hintergrund. Davor in blauer Farbe Einzäunung, Großbildvideowand.Blick auf die ‚Fan Zone‘ auf dem Schlossplatz in Stuttgart zur Fußball-Europameisterschaft. Die zahlreichen Klohäuschen im Mittelpunkt des Bildes schützen einen der historischen Brunnen. Ja, historische Orte haben es nicht leicht in unserem Land, denn meist dienen sie nur als Kulisse. (Bild: Ulsamer)

 

Zoos sind keine Arche Noah

Ein Koala mit grauem Fell sitzt in einer Astgabel in einem geschlossenen Gehege.

Lebensräume schützen statt Wildtiere einsperren

800 zoologische Einrichtungen ziehen in Deutschland jährlich rd. 45 Mio. Besucher an, und bis heute zähle ich auch dazu. Allerdings muss ich zugeben, dass mich schon lange das Gefühl beschleicht, dass Wildtiere ein anderes Leben verdient hätten. Eingesperrt hinter Gittern, Zäunen oder Glasscheiben fristen sie zumeist ein Leben, das ihrem ursprünglichen Lebensraum nicht einmal annährend entsprechen kann. Ich bin mir durchaus bewusst, dass sich die Verhältnisse in deutschen Zoos deutlich verbessert haben, denn ich erinnere mich selbst noch an Braunbären, die in der Stuttgarter Wilhelma in einer engen Mauernische unweit des Eingangs dahinvegetierten. Später sangen dort Kleinvögel ihr trauriges Lied, heute mutet kein Zoodirektor einen solchen Anblick seinen Gästen zu. Mehr Raum für die Tiere, so lautet seit Jahrzehnten die Devise, doch im Grunde bleibt es bei der Gefangenschaft von Wildtieren, die ansonsten viele Kilometer fliegen oder laufen würden, um Nahrung oder einen Partner zu finden. Jetzt kommt täglich der Tierpfleger mit vorbereiteten ‚Häppchen‘ und über eine Paarungschance bestimmt nicht die Natur, sondern das Zuchtbuch. Andererseits sehen die Besucher Tiere, die sie ansonsten nur im Fernsehen oder in Zeitschriften zu Gesicht bekämen, denn nicht jeder von uns kann – wie so mancher Politiker – in ferne Regionen jetten. Steht bei der Präsentation im Zoo der Unterhaltungscharakter im Vordergrund oder nehmen Jung und Alt wirklich mehr Wissen mit und setzen sich darauf aufbauend für den Artenschutz und den Erhalt der Lebensräume für Wildtiere ein? Tierschützer fordern immer wieder die Auflösung der Zoos, deren Leiter philosophieren dagegen über den Beitrag zur Erhaltung bedrohter Arten, den sie mit ihrer Einrichtung leisten.

Mehrere Basstölpel - gänsegroße Vögel - sitzen aud Steinplatten am Rand eines Beckens.
Eine Gruppe von Basstölpeln hat bei der Vergabe der Lebenschancen eine Niete gezogen: sie sitzen an einem kleinen betonierten Becken in der Wilhelma, dem zoologisch-botanischen Garten in Stuttgart. Auf einer Informationstafel ist zu lesen, dass ihr Lebensraum „Felsküsten, offenes Meer“ seien und als Besonderheit wird „Stoßtauchen aus großer Höhe“ genannt. Mit diesen wenigen Begriffen wird klar, dass die Basstölpel in der Wilhelma ein trauriges Dasein fristen, da wird nicht getaucht und Nistplätze auf Klippen gibt es ebenso wenig wie einen Ausflug aufs offene Meer. Wenn ich im Stuttgarter Zoo Wilhelma an die Basstölpel denke, die ich in Freiheit gesehen habe, dann kommen mir bei den armen gefiederten Freunden die Tränen. Mehr zu diesem Aspekt in: ‘Papageientaucher: Die bunten ‚Clowns‘ der Meere werden immer seltener. Seevögel leiden unter Überfischung, Plastikmüll und Klimawandel‘ (Bild: Ulsamer)

Zufriedene Gefangene?

Über Sinn und Unsinn von Zoos und Tierparks kann man trefflich streiten, und bei manchen Aspekten bin ich mir selbst nicht ganz sicher, wie ich sie beurteilen soll. In letzter Zeit habe ich vermehrt den Eindruck gewonnen, dass der ein oder andere Zoodirektor uns an der Nase herumführen will. Als Tanzbär bin ich aber nicht geeignet, daher diese Zeilen und der Versuch einer Diskussion. Thomas Kölpin, Direktor der Wilhelma, des zoologisch-botanischen Gartens in Stuttgart, verkündet: „Wir brauchen mehr Zoo, nicht weniger.“ Und Kölpin meint: „Diese ‚freie Wildbahn‘, in der Tiere uneingeschränkt Freiheit genießen, ist ja sowieso ein Aberglaube.“ Das erinnert mich an so manche Aussage von Landwirten, die glauben, Schweine, Rinder und Hühner müssten sich doch in engen Massenställen wohlfühlen, denn sie hätten ja ein Dach über dem Kopf und bekämen nach wissenschaftlichen Kriterien ausgewähltes Futter und selbstredend auch Partner für die Nachzucht. Na, dann scheint ja alles paletti zu sein! Oder? Und Kölpin setzt noch eins drauf: „Es ist immer eine etwas blöde Frage, aber ich glaube, dass viele Tiere, wenn sie das entscheiden könnten, ein Leben im Zoo wählen würden.“ Deshalb wackeln manche Großkatzen vermutlich mit dem Kopf, wenn sie nach wenigen Metern in ihrem Gehege wieder umdrehen müssen, weil sie sonst gegen die Wand laufen würden! „Ein geordnetes Leben mit gutem Zugriff auf Nahrungsmittel, Paarungspartner, funktionierende soziale Gruppen – das ist doch was!“ Irgendwie erinnern mich solche fragwürdigen Aussagen an die Lobpreisungen von Diktaturen, in denen Menschen doch prima leben könnten, allerdings fehlt ihnen die Freiheit. Genau diese können auch Zootiere nicht erleben, und dabei denke ich nicht nur an Elefanten oder Löwen, sondern in der Wilhelma z.B. an eine kleine Gruppe von Basstölpeln. Vielfach werden diese im Flug majestätischen Seevögel mit Flügelspannweiten von 170-200 cm in der Wilhelma übersehen, denn sie sitzen – flugunfähig gemacht – an einem kleinen Wasserbecken gegenüber dem Bassin der Publikumslieblinge Seelöwen. Ganz anders ihre wilden Artgenossen, die jeden Tag gerne mal 50 oder 100 Kilometer fliegen, um Nahrung für die Küken heranzuschaffen. Ohne Probleme überholen sie eine Fähre und fliegen dann vor dem Bug in die gewünschte Richtung. Vermutlich übersehe ich dabei, dass die Basstölpel in der Wilhelma eigentlich ganz zufrieden sein müssten, denn sie bekommen doch regelmäßig Futter! So die schöne neue Welt der Zoodirektoren. Für mich eher ein Anblick des Jammers!

Ein Basstölpel, ein weißer Vogel mit schwarzen Flügelspitzen im Flug über dem blauen Meer.
Ein Basstölpel in Freiheit ist ein erhebender Anblick – besonders im Flug. Wir müssen um den Lebensraum für die Seevögel kämpfen: Überfischung und Vermüllung muss gestoppt werden. Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie in meinem Artikel ‚UN-Hochseeschutzabkommen: Leerformel oder konkreter Fortschritt? Die Zerstörung der Ozeane muss gestoppt werden!‘ (Bild: Ulsamer)

Der Wilhelma-Chef Kölpin ist mit seinen abwegigen Aussagen nicht allein, denn wie heißt es auf der Internetseite des Münchner Tierparks Hellabrunn: „Die begrenzten Anlagen im Tierpark scheinen – verglichen mit der Natur recht klein zu sein.“ Sie scheinen nicht so, sie sind es! „In Dokumentationen staunt man über kilometerlange Wanderungen, die einige Tierarten auf der Suche nach Nahrung, Fortpflanzungspartnern oder einem neuen Revier auf sich nehmen. Dies ist in Zoos nicht möglich. Um das zu bewerten, müssen gleichwohl die Ursachen dieses Verhaltens betrachtet werden. Dass ein Tier sich bewegt, dient zum größten Teil dem Zweck, Nahrung zu finden und diese aufzunehmen. Im Zoo ist die Nahrungszufuhr gesichert. Auch der Fortpflanzungspartner befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft. Sieht man sich die Anatomie und Physiologie der Tiere an, lässt sich erkennen, dass Tiere großartige Energiesparer sind. Alle Körperfunktionen sind darauf ausgelegt, so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen und auf diese Weise die Menge an benötigter Nahrung gering zu halten. Für Zootiere gibt es – genau wie für Wildtiere – keinen Grund, mehr Energie zu verbrauchen als nötig. Also bewegen sie sich nur so viel, wie notwendig ist.“ Wenn man solchen Phrasen glaubt, dann ist der Zoo ein Paradies für Wildtiere: Warum herumlaufen, wenn das Futter angereicht oder mal im Gehege versteckt wird? Nach dieser These dürfen sich die bereits angeführten Basstölpel glücklich schätzen, dass sie nicht mehr auf dem Meer überwintern und sich bei stürmischem Seegang auf der Jagd nach Fischen in die Tiefe stürzen müssen. Nun bin ich weder Zoologe noch Wildtierökonom, aber jedes Jahr haben wir für einige Monate Schafe auf unserer Weide. Wenn sie zu uns auf die Wiese mit allerlei Blümchen kommen, müssten sie nach der These von Kölpin oder Hellabrunn gleich hinterm Tor anhalten und dort das grüne Gras fressen, denn dies würde Energie sparen. Das Gegenteil ist richtig und natürlich lange bekannt: Die Schafe bewegen sich auf der ganzen Fläche, fressen mal hier, mal dort. Und die Weiden unseres benachbarten Schafhalters sind noch größer, und dort das gleiche Verhalten.  Aber Elefanten, Antilopen, Zebras oder Bisons sollen sich im Zoo besonders wohlfühlen, weil sie sich nicht groß bewegen müssen? Wer diese These vertritt, der will uns alle für dumm verkaufen.

Zwei Löwen laufen in getrennten Räumen von Wand zu Wand und werden von Zuschauern betrachtet.
Die beiden asiatischen Löwen in der Stuttgarter Wilhelma gehören zu einer – laut IUCN – stark gefährdeten Art. Dank entsprechender Schutzmaßnahmen im Nordwesten Indiens ist der Bestand von nur noch 18 Tieren wieder auf rd. 500 angestiegen. Dies zeigt erneut: es gilt, die Lebensräume der Wildtiere intensiver zu schützen. Das Brüderpaar in Stuttgart hat im Innenbereich ihres Käfiggebäudes zwei getrennte Räume, in denen ihnen nach wenigen Schritten eine Wand den Weg versperrt. Und sie scheinen auch wenig Gefallen daran zu finden, wenn sich größere Menschentrauben vor ihren Gehegen versammeln. (Bild: Ulsamer)

Zugeteiltes Gehege als Revier?

In Gefangenschaft lebende Wildtiere sollen sich einerseits – glaubt man Kölpin & Co. – in Zoos und Wildparks wohlfühlen, weil sie keine Feinde oder Hunger zu befürchten haben, andererseits sind sie eine „Reservepopulation“, dienen der Arterhaltung und eignen sich bestens zur Auswilderung. „Mit adäquaten Auswilderungsprogrammen ist es jedoch sehr wohl möglich, Tiere aus menschlicher Obhut auf das Leben in der Wildnis vorzubereiten“, so der Tierpark Hellabrunn. Selbstverständlich ist es möglich, Wildtiere so aufzuziehen, dass sie ausgewildert werden können, doch dies sind eher Einzelfälle und in Anbetracht der Besucherscharen in Zoos kaum umsetzbar. Wer auf wenigen Quadratmetern statt auf Quadratkilometern als Zootier lebt, der dürfte sich schwertun, plötzlich ohne freundlichen Pfleger auskommen zu müssen und auf sich selbst gestellt zu sein. Was mich hauptsächlich ärgert ist die Tatsache, dass in einem einzigen Text völlig widersprüchliche Aussagen – wie bei Hellabrunn – gemacht werden, denn dort heißt es: „Tiere sind es gewohnt, in ihren Revieren zu leben und verlassen angestammte Bereiche nur unter Zwang, wie zum Beispiel zur Futter- und Partnersuche, oder wenn sie von ranghöheren Tieren vertrieben werden.“ Da frage ich mich, warum man Vögeln die Flügel stutzt oder Elefanten und Löwen in ein Gehege steckt, wenn sie dort doch gar nicht wegwollen. „Dabei bemisst sich ihre Reviergröße daran, dass all ihre Bedürfnisse, insbesondere ausreichend Futter und Geschlechtspartner dort vorhanden sind.“ Nach dieser Logik müsste in der industriellen Landwirtschaft ein 100 Kilogramm schweres Schwein glücklich sein, wenn es einen Quadratmeter Platz hat, denn für Futter ist gesorgt und ehe die Muttersau in den Kastenstand gesperrt wird, kommt der Tierarzt zur Besamung vorbei. „Deshalb ist die Einrichtung der Tieranlagen so gewählt, dass die Tiere sich wohlfühlen, ihre Bedürfnisse erfüllt sind und sie ihre Anlage als ihr Revier annehmen. So haben sie keinen Grund, diese zu verlassen.“ Irgendwie erinnert mich diese Aussage an Politiker, die uns Bürgern vorschreiben wollen, wie viele Quadratmeter Wohnraum uns denn zusteht und ob wir in einer Doppelhaushälfte oder im Wohnsilo unsere Zukunft sehen.

Zwei Elefanten stehen leicht versetzt nebeneinander. Im Hintergrund ein Metalltor.
Zwei alte Elefantendamen leben in der Stuttgarter Wilhelma in einer recht tristen Umgebung. Geplant ist für die Zukunft ein größeres Gehege, doch wäre es nicht besser, auf Elefanten ganz zu verzichten? Zumindest dürfen Pama und Zella, die beide über 40 Jahre alt sind, ihr Seniorendasein erleben, denn in manchem Zoo oder Tierpark trennt man sich vorzeitig von alten Bewohnern, die nicht so zugkräftig sind wie ‚putzige‘ Jungtiere. Mehr dazu in meinem Blog-Beitrag ‚Alt oder zeugungsunfähig: Todesurteil für manche Zootiere. Zoos müssen eine pädagogische Einrichtung sein‘. (Bild: Ulsamer)

Glauben Zoodirektoren wirklich daran, dass sich in menschlicher Obhut vom Aussterben bedrohte Wildtiere so lange erhalten lassen, bis die zerstörten Lebensräume wieder zur Verfügung stehen? Scheinbar tun sie dies, wenn man den Aussagen führender Köpfe folgt. Zitieren wir erneut Kölpin, der über die Asiatischen Elefanten in einem Interview mit dem Wilhelma-Magazin sagt: „Ich bin der festen Überzeugung, dass sein Überleben von der europäischen Zoo-Population abhängen wird. … Vielleicht noch nicht 2050, aber 2100 könnte die Situation in Asien sich wieder entspannen, sodass größere Flächen renaturiert werden und wieder Wälder für Elefanten da sind – nur gibt es dann womöglich keine Elefanten mehr.“ Schon die zeitliche Perspektive lässt für mich erkennen, dass die Zoos keine Arche Noah für bedrohte Wildtiere sein können. Wer soll denn eine steigende Zahl von Wildtieren, die auf Roten Listen landen, gewissermaßen in Obhut nehmen und über ein Jahrhundert oder mehr weiter züchten? Da helfen kein Zuchtbuch und der eifrige Austausch von Zootieren, Inzucht wird sich so nicht verhindern lassen. Tiere, denen es in ihrem bescheidenen Gehege nach Meinung der Zooverantwortlichen zu gefallen scheint und die sich aus Faulheit – pardon zur Energieeinsparung – nicht über weite Strecken selbständig bewegen wollen, fühlen sich plötzlich wohl, wenn sie auf menschliches Geheiß zur Arterhaltung in der Transportkiste um den Globus reisen. Spätestens an dieser Stelle endet mein Verständnis für Zoodirektoren, die öffentliches Geld akquirieren und ihre Stelle sichern wollen, indem sie über Arterhaltung palavern und doch eher an die Eintrittsgelder denken.

Ein Schneeleopard mit geflecktem Fell hinter Gittern.
Schneeleoparden schleichen durch asiatische Hochgebirgsregionen in Höhen von bis zu 5500 Metern, und ihr Fell tarnt sie im „felsigen, verschneiten“ Lebensraum, so der WWF, sehr gut. Hochgebirge haben wir in deutschen Zoos zwar keine zu bieten, und auch der Schnee bleibt meist aus, ganz zu schweigen von eisigen Temperaturen. Ist die Haltung im Zoo dann nicht eine Zumutung für die Tiere? (Bild: Ulsamer)

Lebensräume erhalten

Wildtieren können wir nur helfen, wenn wir für den Erhalt ihres Lebensraums kämpfen – hier und überall in der Welt! Einen kleinen finanziellen Beitrag zu Schutzprojekten leisten manche Zoos mit einem Euro, den sie mit dem Eintrittsgeld kassieren. Das mag das Image heben, im Verhältnis zu den Gesamtmitteln der deutschen Zoos ist es andererseits wenig. Neben Artenschutz und Erholung beanspruchen die Zoos, sich für Forschung und Umweltbildung einzusetzen. Hier hat sich vieles getan, das möchte ich nicht leugnen, man denke nur an die ‚Zooschulen‘, doch ob Zoos wirklich dafür geeignet sind, die Entfremdung von der Natur aufzuhalten, das bezweifle ich: Mit der Natur haben Zootiere nun mal wenig zu tun. Natürliches Verhalten lässt sich nur sehr eingeschränkt beobachten, was in gleichem Maße für Besucher und Forscher zutrifft, obwohl Wilhelma-Direktor Kölpin unterstreicht: „Intensive Langzeitbeobachtungen sind in der Natur in dieser Form gar nicht möglich.“ Das mag sein, doch das bei in Gefangenschaft lebenden Tieren beobachtete Verhalten lässt sich nur schwer auf deren wilde Verwandte übertragen. Deshalb gewann die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall ihr Wissen über Schimpansen nicht im Zoo, sondern in deren natürlichem Lebensraum.

Informationstafel mit dem Bild eines Armurtigers und einem Lageplan, der das geplante Gehege zeigt.
Darf’s ein bisschen größer sein? Der Sibirische Tiger – auch Amurtiger – ist die größte lebende Katze der Welt. In freier Wildbahn – im Fernen Osten Russlands und angrenzenden chinesischen Regionen – sollen nach WWF-Angaben nur noch rd. 760 Amurtiger leben, doch berechtigt das dazu, sie in Gefangenschaft zu züchten, um sie irgendwann wieder auswildern zu können? Die Reviere der Weibchen umfassen 200 bis 400 Quadratkilometer, die Männchen durchstreifen 1300 Quadratkilometer. Aber wenn wir den Zoo-Chefs folgen, dann reicht auch ein überschaubares Gehege, denn die Sibirischen Tiger werden ja gefüttert. Leider ist dies keine Ironie, manche Zeitgenossen meinen das ernst. „Dank den Anstrengungen der Naturschutzbehörden in China und Russland und des WWFs für den Tigerschutz wächst der Bestand der Amur-Tiger in den letzten Jahrzehnten wieder erfolgreich an. … Obwohl das Verbreitungsgebiet der Amur-Tiger aufgrund der Lebensraumzerstörung nie wieder seine ursprüngliche Größe erreichen kann, bietet die Amur-Region der Meinung von Expert:innen zur Folge in Zukunft immerhin Platz für mindestens 800 Tiger“, so der WWF. Bleibt der Lebensraum erhalten und die Sibirischen Tiger werden geschützt, dann werden keine Zuchttiere aus Zoos gebraucht. (Bild: Ulsamer)

Heiko Werning beklagt im Wilhelma-Magazin zurecht das Artensterben und nennt Vaquita-Schweinswale, Loa-Frösche und die Jangtse-Riesenweichschildkröten: „Die einzige Chance, sie zu retten, wäre gewesen, sie rechtzeitig in menschlicher Obhut zu züchten. Doch die Menschheit hat versäumt, solche Reservepopulationen aufzubauen.“ Wenn rd. eine Million Arten laut Weltbiodiversitätsrat (IPBES) vom Aussterben bedroht sind, dann dürfte sich jeder verheben, der versucht, diese zu züchten. Auch in Europa landen immer mehr Tier- und Pflanzenarten auf den Roten Listen, darauf bin ich bereits mehrfach eingegangen, so z. B. in meinem Blog-Beitrag ‚Tieren und Pflanzen beim Aussterben zusehen? Rote Listen: Die Biodiversität schmilzt dahin‘. Ich bin mir der Probleme bewusst, doch die einzige Lösung, um das Artensterben zu stoppen, ist die Erhaltung der Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Hier hätte ich mehr als salbungsvolle Reden sowohl von der Bundesregierung unter Beteiligung der Grünen oder der EU im Zeichen des von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen propagierten Green Deals erwartet. Wer jedoch die Herausnahme von lediglich vier Prozent der Agrarfläche aus der Produktion nicht umsetzt und den Einsatz von Glyphosat um ein Jahrzehnt verlängert, der beschleunigt das Artensterben!

Zwei Wisente zwischen Bäumen auf einer Wiese. Sie fressen an Ästen.
In der Gehegezone des Nationalparks Bayerischer Wald werden Wildtiere gehalten, die in dieser Region einst lebten oder heute noch vorkommen. Die Wisente haben in ihrem Gehege relativ viel Platz, um sich zu bewegen, als Gruppe zusammen zu finden oder sich aus dem Weg zu gehen. Ziel muss es jedoch sein, Wisente wieder in freier Wildbahn in Deutschland ein Leben zu ermöglichen. Ein trauriges Beispiel für die Entfremdung von der Natur war es, als ein friedlicher Wisent von Polen über die Oder nach Deutschland schwamm und schon ging es ihm an den Kragen. Selbst mit Namen hatten die Dörfler den Wisent bedacht, durch die er zog: „Gozubr“ oder „Nasz Zubr“ (unser Wisent) oder „Zubr Wedrowniczek“ nannten sie ihn, und gerade der letzte Name – wandernder Wisent – unterstreicht, dass er seit Jahren bekannt und beliebt war. In Brandenburg wurde er vom zuständigen Amtsdirektor postwendend auf die Abschussliste gesetzt und eilfertig erschossen. Mehr dazu in: „Lebensrecht für Wildtiere in der Natur. Nur hinter Gittern eine Zukunft?“ Sollten Sie sich für die interessante Entwicklung des ersten deutschen Nationalparks interessieren, weise ich Sie gerne hin auf meinen Beitrag ‚Nationalpark Bayerischer Wald: Wald wird Wildnis. Die Natur bügelt forstwirtschaftliche Fehler aus‘. (Bild: Ulsamer)

Tiere sind Mitlebewesen

Einzelne Projekte zur Züchtung von Wildtieren, die dann wieder ausgewildert werden können, hatten positive Effekte, auf die Zooverantwortliche gerne hinweisen. Wisent, Przewalski-Pferd oder Waldrapp können in Europa genannt werden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs lebten noch rd. 30 Przewalski-Pferde in menschlicher Obhut, u. a. im vormals erwähnten Tierpark Hellabrunn. In der Mongolei und weiteren Regionen gibt es heute Auswilderungen und wieder Bestände in Schutzgebieten. Werden Waldrappe flügge und von ihren menschlichen Begleitern gen Süden geführt, fallen sie nicht selten im Winterquartier Vogeljägern zum Opfer. Und verirrt sich mal ein Wisent aus Polen nach Brandenburg, dann wird er auf behördliche Anordnung hin erschossen. Was uns fehlt, ist somit nicht die Nachzucht von gefährdeten Tieren, sondern eine veränderte Einstellung vieler Menschen, die leider Wildtieren keinen ausreichenden Lebensraum zubilligen. So habe ich in diesem Blog kürzlich die Frage gestellt: ‚Lebensrecht für Wildtiere in der Natur. Nur hinter Gittern eine Zukunft?‘ Völlig absurd ist es, wenn die für den Naturschutz zuständige Bundesministerin Steffi Lemke zwar die Einfuhr von Jagdtrophäen aus Afrika einschränken möchte, doch in Deutschland „Schnellabschüsse“ von Wölfen als Großtat preist – sogar als Mitglied von Bündnis 90/ Die Grünen! Hierzu finden Sie weitere Ausführungen in ‚Ministerin Lemke: Wölfe abschießen, Elefanten schützen. Die grüne Doppelmoral ist politisch gefährlich‘. Als Wölfe nach Deutschland zurückkehrten, auf leisen Pfoten und ohne Nachzucht, wurde das als Erfolg des Naturschutzes gefeiert, doch kaum überwindet ein Wolf einen unzulänglichen Zaun und reißt ein ‚Nutztier‘, da steht er mit ministeriellem Segen auf der Todesliste.

Ein Wolf mit relativ hellem Fell zwischen grünen Blättern.
Nicht jede Haltung von Wildtieren halte ich für bedenklich, denn Bären, Wölfe oder Luchse aus schlechter Haltung können kaum ausgewildert werden und benötigen daher ein neues Zuhause. Im Alternativen Wolf- und Bärenpark in Bad Rippoldsau-Schapbach im Schwarzwald finden solche geschundenen Kreaturen eine Aufnahme. In Sachen Wildtierschutz müssen wir vor der eigenen Haustüre beginnen, denn kaum wurde die Rückkehr des Wolfs in deutsche Wälder als Erfolg des Naturschutzes gefeiert, da wird die Forderung nach seinem Abschuss laut. Mehr dazu unter: ‚Kunterbunte Jagdgesellschaft bläst zur Wolfshatz. Die ganz große Koalition legt auf die Wölfe an ‘. (Bild: Ulsamer)

Wir brauchen eine offene Diskussion über die zukünftige Stellung und Bedeutung der Zoos und Tierparke. Dabei bin ich mir bewusst, dass 2019 bei einer Forsa-Umfrage 82 % der 1500 Befragten Zoos befürworteten und lediglich 12 % diese ablehnten. Nicht förderlich ist es für eine sachliche Debatte, wenn Heiko Werning im Wilhelma-Magazin schreibt: „‘Artgerecht ist nur die Freiheit‘, skandierten Tierrechtler, die ihr eigenes Gefühlsleben ungefragt auf andere Spezies projizierten, obschon ihnen Nashorn, Orang-Utan und Lemur-Laubfrosch angesichts der Zustände in dieser angeblichen Freiheit sicherlich den Vogel gezeigt hätten.“ Denkt man solche Sätze weiter, dann wird es mir als Sozialwissenschaftler angst und bange, denn so ähnlich argumentieren auch Regierungen, die ihren Untertanen den Freiheitswillen absprechen. „Gefühligkeit siegte über Fakten“, so Werning weiter. „Eine zoologische Einrichtung nach der anderen wurde geschlossen.“ Bei 800 großen und kleinen zoologischen Einrichtungen in Deutschland stellt sich mir die Frage, welche Gesamtzahl mit welchen Budgets Heiko Werning vorschwebt.

Ein rotes Plakat mit weißer Schrift an den Gittern eines leeren Geheges mit dem Text: Unsere Weißhandgibbons und Haubenlanguren sind in andere Zoos umgezogen. Das Schwingaffenhaus bleibt geschlossen und macht in Zukunft Platz für Neues.
Irgendwie ist es schon grotesk, da wird Wildtieren der Drang abgesprochen, sich frei bewegen zu können, doch ganz ohne ihr Zutun ‚wandern‘ sie durch die Welt. (Bild: Ulsamer)

Ja, wir sollten über Zoos und Tierparks diskutieren und das Für und Wider abwägen. Artenschutz ist unerlässlich, doch er muss in erster Linie in den Lebensräumen der Wildtiere stattfinden. Wer glaubt, eifriges Nachzüchten von ‚Wildtieren‘ in menschlicher Obhut sei ein gewichtiger Teil der Lösung, um das Artensterben aufzuhalten, der marschiert in eine Sackgasse! Und die Züchtungsfraktion liefert den Zeitgenossen – ungewollt – Argumente, die meinen, der Schwund an Tier- und Pflanzenarten sei nicht so schlimm, denn man könne sie ja züchten und gewissermaßen im Zoo oder der Samenbank für bessere Tage ‚archivieren‘. Ein Zoo ist keine Arche Noah, denn Tiere werden dort Generation für Generation gehalten, ohne dass sie in nennenswertem Ausmaß die Freiheit erlangen. Zootiere sind wie Nutztiere in der Landwirtschaft oder Haustiere wie Hunde, Katzen, Vögel, Fische usw. Mitlebewesen, die es verdienen, möglichst artgerecht zu leben. Zoos haben sich verändert, denn statt steriler Betonstrukturen und getäfelten Wänden gibt es jetzt strukturierte Gehege, doch den Weg in die Freiheit versperren Gräben, Sicherheitsglas, Zäune und Gitter. Dürfen dauerhaft Wildtiere als Anschauungsobjekt gehalten werden? Ich neige aus ethischen Gründen immer deutlicher zu einem Nein!

 

Ein Geier sitzt hinter Gittern auf seinem Nest und verschiebt mit seinem Schnabel sanft sein Ei.
Geier hinter Gittern: Im Zoo fühlen sich die Tiere wohl, wenn wir manchen Aussagen in Veröffentlichungen zoologischer Einrichtungen folgen. Seit ich Geier im Baskenland in großer Höhe habe fliegen sehen, mag ich noch weniger glauben, dass sich diese majestätischen Vögel in einer engen Voliere wohlfühlen. (Bild: Ulsamer)

 

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Ein Koala mit grauem Fell sitzt in einer Astgabel in einem geschlossenen Gehege.Zoos konkurrieren mit anderen Freizeiteinrichtungen, und so gilt es, mit immer neuen Attraktionen die Besucher anzulocken. Die Wilhelma setzt dabei auf eine ‚Terra Australis‘. Ob diese dauerhaft ein Publikumsmagnet sein kann, wage ich zu bezweifeln: Koalas gehören eher zu den ‚ruhigen‘ Tieren. Ergänzend können die Besucher ‚eine Tür weiter‘ im Dunkeln mit etwas Glück nachtaktive Tiere erspähen, was sicher nicht jedermanns Sache ist, denn dazu gehört Geduld und Zeit! Aber ganz nebenbei: Das Überleben der Koalas und anderer Wildtiere hängt vom Erhalt ihres Lebensraums in Australien ab und nicht von Zoos, die gerne über die Erhaltung von Arten und deren Nachzucht philosophieren. Nicht nur der Klimawandel gefährdet die Koalas, sondern auch verzögertes Eingreifen bei Busch- und Waldbränden. Mehr dazu in: ‚Australien brennt, und das Feuer wird mit einem Feuerwerk begrüßt. Premierminister Scott Morrison auf Abwegen‘. (Bild: Ulsamer)

Ministerin Lemke: Wölfe abschießen, Elefanten schützen

Grau-brauner Wolf schaut aus Brombeergebüsch.

Die grüne Doppelmoral ist politisch gefährlich

Immer häufiger frage ich mich, welch verquere Gedanken sich in den Köpfen mancher Politikerinnen und ihrer männlichen Kollegen bzw. in deren Ministerien breitmachen. Ein Musterbeispiel für eine ausgeprägte Doppelmoral ist für mich Steffi Lemke, ihres Zeichens grüne Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. In deutschen Landen lobt sie sich selbst, man habe „eine Regelung beschlossen, die es bundesweit möglich macht, Wölfe nach Rissen auf Weidetiere schnell und unkompliziert abzuschießen“. Und sie setzt noch einen drauf: „Diese Schnellabschüsse sind unbürokratisch und praktikabel umsetzbar“. Wenn in Afrika Elefanten oder andere Wildtiere abgeschossen werden, dann soll die Einfuhr von ‚Trophäen‘ erschwert oder unmöglich gemacht werden. Nun, ich greife nicht zur Waffe, lege weder auf Wölfe noch auf Elefanten an oder würde mir jemals ein ausgestopftes Tier an die Wand hängen, aber warum sind 1 000 Wölfe in Deutschland eine Gefahr, 130 000 Elefanten in Botswana für die dortigen Menschen dagegen keine? Wer Wölfe in deutschen Landen, wenn sie Schafe oder Rinder reißen, gleich zum Abschuss freigibt, der sollte zumindest Verständnis dafür aufbringen, dass Botswana die Zahl der Elefanten als zu hoch ansieht, weil sie auf der Nahrungssuche die Felder der Bauern zertrampeln. Im Gegensatz zu Wolfsrissen in Deutschland sind Entschädigungen in afrikanischen Staaten sicherlich weniger häufig.

Zwei Elefanten in einem Gehege der Wilhelma.
Im Gegensatz zu grünen Spitzenpolitikern jette ich nicht durch die Welt, daher kenne ich Elefanten nur aus dem Zoo. 20 000 wilde Elefanten aus Botswana, das wäre mal was in Deutschland! Doch Scherz beiseite, wer anderen Staaten erklärt, wie Tierschutz geht, der sollte sich mit gleicher Energie um Wild-, Zoo- und Nutztiere in Deutschland kümmern. Ansonsten trifft der Vorwurf der Doppelmoral ins Schwarze – nein, ins Grüne. In der Wilhelma, dem Zoologisch-Botanischen Garten in Stuttgart, fristen zwei alte Elefantendamen ein bescheidenes Leben, dies scheint die Politik allerdings wenig zu grämen. Diese Elefanten haben es noch relativ gut erwischt, denn manche Zoos und Tierparks setzen auf Jungtiere, die viele Besucher anlocken. Mehr dazu in: ‘Alt oder zeugungsunfähig: Todesurteil für manche Zootiere. Zoos müssen eine pädagogische Einrichtung sein‘.(Bild: Ulsamer)

20 000 Elefanten als Geschenk

In den 1980er Jahren lebten in Botswana noch rd. 50 000 Elefanten, doch die Regierungen setzten auf den Kampf gegen die Wilderei und den Schutz der Tiere. Heute sollen in Botswana wieder 130 000 Elefanten unterwegs sein, und bei schwindendem Lebensraum kommt es vermehrt zu Konflikten mit Menschen. Vor diesem Hintergrund erlaubte die botswanische Regierung nach einem fünfjährigen Jagdverbot erneut den Abschuss: „Rund 300 Lizenzen für den Abschuss von Elefanten vergibt das Land jährlich und nimmt damit etwa drei Millionen Dollar ein“, so die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Naturschutzministerin Lemke, die sich bereits vor ihrer ministerialen Zeit für eine Einfuhrbeschränkung für Jagdtrophäen ausgesprochen hatte, scheint nun an deren Umsetzung zu arbeiten. Lemkes Ministerium bestätigte gegenüber dpa, man wolle „die Importe von Jagdtrophäen geschützter Arten möglichst insgesamt reduzieren“ bzw. auch ganz verbieten. Der demokratisch gewählte Präsident von Botswana, Mokgweetsi Masisi, wollte sich von Steffi Lemke nicht belehren lassen und ihr botswanischer Amtskollege Dumezdweni Mthimkhulu witterte laut Bild-Zeitung „rassistische Tendenzen, neokoloniale Tendenzen“. Ich habe großes Verständnis für diese Aussage, denn der Gedanke, andere erziehen zu wollen, scheint bei manchen Grünen zum Markenkern zu gehören. So soll weniger Fleisch gegessen werden, dafür darf man seinen Joint jetzt in aller Öffentlichkeit rauchen. Nur um eines klarzustellen, mein Fleischkonsum ist minimal und ich werde auch auf keinen Elefanten schießen, aber muss es immer die Erziehungskeule sein?

Ein Fischotter springt über einen Sandstrand ins Meer.
Der Schutz von Wildtieren muss im eigenen Land beginnen! Wenn in Deutschland neben Rehen und Hasen, Hirschen und Rebhühnern auch Biber und Fischotter getötet werden dürfen, dann stellt sich schon die Frage, mit welcher Berechtigung die grüne Ministerin für Naturschutz Steffi Lemke betont, dass Elefanten in Botswana tabu sein müssen. Wildtiere sollen gefälligst die anderen in der Welt schützen, so scheint der Leitgedanke mancher Politikerinnen und Politiker zu lauten. Vertieft habe ich die Thematik in: ‘Fischotter und Biber auf der Abschussliste. Erfolge des Naturschutzes werden konterkariert‘. (Bild: Ulsamer)

Präsident Masisi betonte gegenüber ‚Bild‘ „Es ist sehr einfach, in Berlin zu sitzen und eine Meinung zu haben zu unseren Angelegenheiten in Botswana. Wir zahlen den Preis dafür, dass wir diese Tiere für die Welt erhalten – und sogar für Lemkes Partei.“ Damit Steffi Lemke und andere Zeitgenossen, denen jeder Wolf, der in Deutschland über einen Zaun springt, schon zu viel ist, einmal auf einen Elefanten treffen können, bot Präsident Masisi „20 000 wilde Elefanten für Deutschland“ an. Und man wolle natürlich, dass die Elefanten in Deutschland in freier Wildbahn leben können. Damit legt Masisi den Finger in die Wunde, denn wenn ein Wolf in Deutschland ein Schaf reißt, dann ruft selbst Lemke nach dem finalen Todesschuss. Was wäre wohl los, wenn Elefanten Felder zertrampeln oder mal ein Dorf besuchen oder gar vor dem Reichstag lagern? Aber keine Sorge, der Deutsche Bundestag sichert sich mit einem tiefen Graben gegen Zwei- und Vierbeiner ab. Die Doppelmoral springt bei diesem Thema wirklich ins Auge, und sie trifft man natürlich nicht nur bei Steffi Lemke an, sondern in weiteren Kreisen. Elefanten, Tiger, Löwen, Gorillas sind von anderen Staaten zu schützen, was ich auch so sehe, aber Wölfe, die sich in Deutschland an einem Nutztier vergreifen, Biber, die beim Dammbau übereifrig sind oder Fischotter, die sich in einer Fischzucht bedienen, dürfen mit amtlichem Siegel abgeschossen werden. Wer ‚gute‘ Ratschläge für andere hat, der sollte in Deutschland gleichfalls das Gewehr im Schrank lassen. Mehr zur Hatz auf Wölfe in Deutschland finden Sie in meinem Blog-Beitrag: ‚Kunterbunte Jagdgesellschaft bläst zur Wolfshatz. Die ganz große Koalition legt auf die Wölfe an‘.

Ein Luchs sitzt im Halbschatten.
Luchse gehören zu den heimlichen Bewohnern unserer Wälder. Im Luchsgehege bei Bad Harzburg lassen sich mit etwas Glück Luchse blicken. Und sie tun gut daran, versteckt zu leben, denn so mancher Luchs fällt in Deutschland der Wilderei zum Opfer. Weil Grünbrücken und Schutzzäune häufig fehlen, fordert auch der Verkehr Opfer unter der ohnehin schwächelnden Luchspopulation. Weitere Hinweise finden Sie in ‚Luchse: Heimkehrer auf leisen Pfoten. Für die Akzeptanz der Luchse werben‘. (Bild: Ulsamer)

Ganz neu ist der Streit um das Einfuhrverbot von Jagdtrophäen nicht, denn bereits 2023 hatte Pohamba Shifeta als Namibias Umweltminister darauf hingewiesen, dass mit der limitierten Jagd auf Wildtiere finanzielle Mittel geschöpft würden, die Vorteile für die Regionen und Dörfer bringe, die ansonsten wenig Interesse am Wildtierschutz hätten. Die Wildtierbestände hätten in der ehemaligen deutschen Kolonie zugenommen. Wenn Deutschland uns die Trophäenjagd unmöglich machen will, ist das eine gesetzeswidrige, neokoloniale Einmischung, die der internationalen Rechtslage zuwiderläuft“, so Shifeta gegenüber ‚Bild‘. „Wir können uns eigentlich nicht vorstellen, dass Deutschland uns das antut. Unsere Länder sind ja Freunde. Wer Tiere schützen will, muss kontrollierte Jagd erlauben.“ Über den Sinn und Unsinn der Jagd kann man gewiss diskutieren, aber die früheren Kolonialmächte tun gut daran, sich mit den betroffenen Regierungen an einen Tisch zu setzen und ihnen nicht aus Paris, London oder Berlin Vorschriften machen zu wollen.

Zwei junge Braunbären spielen in einem kleinen Teich miteinander.
Hätte Bruno gewusst, dass ihm die (zeitweilige) Migration aus Italien über Österreich nach Bayern schlecht bekommen würde, hätte er die deutsche Grenze nicht überschritten. Auf staatliches Geheiß wurde er erschossen und muss sich jetzt im Münchner Museum Natur und Mensch ausgestopft begaffen lassen. Die Aufnahme oben stammt aus dem Wolf- und Bärenpark im Schwarzwald, in dem Tiere aus schlechter Haltung ein neues Zuhause finden. Mehr dazu in: „Wildtiere: Ein scheuer Bär ist ein schlauer Bär. Bayerischer Bären-Zuwanderer schafft es in die Londoner ‚Times‘“ (Bild: Ulsamer)

Wildtiere in Deutschland schützen

Der Schutz von Wildtieren ist wichtig und richtig, doch Steffi Lemke & Co. sollten mit ihren Forderungen nicht nur in die Ferne schweifen, sondern diesen auch vor der eigenen Haustüre durchsetzen! Wer wie Steffi Lemke von unbürokratischen „Schnellabschüssen“ schwärmt, wenn es um Wölfe in Deutschland geht, der hat im Grunde das moralische Recht verwirkt, sich gegen Abschüsse von anderen Wildtieren, so z. B. Elefanten, oder die Einfuhr von Jagdtrophäen zu wenden. Den Bürokratieabbau hatte ich mir im Übrigen anders vorgestellt, aber die Bundesregierung unter Olaf Scholz ist ja immer wieder für eine peinliche Überraschung gut. Ich halte es für politisch gefährlich, wenn Steffi Lemke und große Teile der Ampel-Regierung gerne anderen Staaten erklären, wie sie zu handeln haben, an die eigene Arbeit jedoch nicht die gleiche Richtschnur anlegen!

Ein Wisent geht über Gras unter herbstlich gefärbten Blättern.
Da schwimmt ein friedlicher Wisent von Polen über die Oder nach Deutschland und schon geht es ihm an den Kragen. Selbst mit Namen hatten die Dörfler den Wisent bedacht, durch die er zog: „Gozubr“ oder „Nasz Zubr“ (unser Wisent) oder „Zubr Wedrowniczek“ nannten sie ihn, und gerade der letzte Name – wandernder Wisent – unterstreicht, dass er seit Jahren bekannt und beliebt war. In Brandenburg wurde er vom zuständigen Amtsdirektor postwendend auf die Abschussliste gesetzt und eilfertig erschossen. Mehr dazu in: ‘Lebensrecht für Wildtiere in der Natur. Nur hinter Gittern eine Zukunft?“ Das Foto habe ich in der Gehegezone des Nationalparks Bayerischer Wald aufgenommen. Sollten Sie sich für die interessante Entwicklung des ersten deutschen Nationalparks interessieren, weise ich Sie gerne hin auf meinen Beitrag ‚Nationalpark Bayerischer Wald: Wald wird Wildnis. Die Natur bügelt forstwirtschaftliche Fehler aus‘. (Bild: Ulsamer)

Wo bleiben denn die Verbesserungen für Wildtiere in Deutschland und der Ausbau echter Schutzgebiete – seien es Naturschutzgebiete oder Nationalparks usw. Kaum vergreift sich ein Wolf an einem Pony von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, besucht Bruno Bär einen Hühnerstall oder kommt ein friedlicher Wisent aus Polen über die Oder nach Brandenburg geschwommen, dann knallen die Büchsen, und dies im offiziellen Auftrag. Selbstverständlich bin ich für den Schutz gefährdeter Wildtiere auf der ganzen Welt, aber es stünde der deutschen Politik – und gerade auch Ministerin Lemke und der Koalition aus SPD, Bündnis90/ Die Grünen und FDP gut an, zuerst mal vor der eigenen Haustüre zu kehren!

 

An einem Metallpfahl sind mehrere Schilder befestigt, so Landschaftsschutzgebiet, Verbotsschild für Fahrzeuge, frei für Traktoren. Dahinter einige Weinstöcke und Industrieansiedlungen.
Botswana hat nach eigenen Angaben 40 % der Landesfläche unter Schutz gestellt. Da muss sich die Ampelregierung aber beeilen, um gleichzuziehen. Doch in Deutschland gilt ja bereits jedes Landschaftsschutzgebiet als Erfolg, obwohl dort im Grunde für Wildtiere wenig Lebensraum vorhanden ist. Mehr dazu in meinem Artikel ‚Schutzgebiete dürfen keine Mogelpackung sein. Weltnaturgipfel: 30 % des Landes unter Schutz stellen‘. (Bild: Ulsamer)

 

Zum BeitragsbildEin Wolf in einem niedrigen Gebüsch.

Feuer frei auf Wölfe, wenn sie über einen meist unzureichenden Zaun setzen und sich an Ziegen, Schafen oder Kälbern – oder gar dem Pony der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen vergreifen? Wer – wie Ministerin Lemke – „Schnellabschüsse“ von Wölfen positiv bewertet, der sollte sich bei der Jagd auf Wildtiere in anderen Weltregionen mit seiner Kritik besser zurückhalten. Mehr zu den merkwürdigen Wolfsjägern finden Sie in meinem Beitrag: ‚Kunterbunte Jagdgesellschaft bläst zur Wolfshatz. Die ganz große Koalition legt auf die Wölfe an‘. Das Foto habe ich in der Gehegezone des Nationalparks Bayerischer Wald aufgenommen. (Bild: Ulsamer)