Bundesregierung zwischen Stuhlkreis und Teambuilding

Das große Kennenlernen in Schloss Meseberg und auf der Zugspitze

Soll man eigentlich nur lachen oder den Kopf schütteln? Zuerst treffen sich die Mitglieder der Bundesregierung im Schloss Meseberg bei Berlin zu einer ‚Klausur‘, doch damit die Damen und Herren nicht so alleine sind, laden sie sich allerlei Gäste von der NATO, der EU, von Gewerkschaft und Unternehmensverbänden ein. Aber im Zentrum stehe das Gespräch untereinander, da wird vom Kennenlernen der Mitglieder der Bundesregierung gesprochen, doch eigentlich müssten sie sich mit ganz wenigen Ausnahmen vertraut sein. Zumindest haben sie sich nicht selten in der Vergangenheit wortreich beharkt. Und dann treffen sich die Fraktionsvorstände von Union und SPD auch noch auf der Zugspitze, aber nicht um über den Klimawandel zu diskutieren oder um auf Deutschlands höchstem Berg hochfliegende Pläne für die Zukunft zu schmieden, sondern um sich kennenzulernen!

Bundesregierung im Stuhlkreis beim Kennenlernen

Irgendwie erinnert mich dies an mein erstes Semester Soziologie, da setzten viele Teilnehmer auch auf den ‚Stuhlkreis‘ – wie in Meseberg -, um sich kennenzulernen. So saß dann der Maoist vom KBW neben mir in Tübingen, doch so ganz unbekannt war ich ihm nicht, denn die Marxistisch-Leninistischen Schülergruppe aus Böblingen hatte mich schon als ‚Konservativen‘ angekündigt. Da nutzte auch der Stuhlkreis wenig: Die Fronten waren klar und spätestens als ein Wollknäuel hin- und her geworfen wurde, damit dann jeweils der Fänger dem Werfer eine ‚tiefschürfende‘ Frage stellt, da machten wir beide uns – ganz solidarisch – vom Acker.  Während die freischwebenden Linken sich gegenseitig über Karl Marx ‚aufklärten‘, haben sich der KBW-Jünger und ich aufgemacht, um konkrete politische und publizistische Aktivitäten voranzutreiben. Es würde mich nicht wundern, wenn so mancher Plauderkreis von damals noch heute philosophiert und nicht versteht, dass sich die Welt inzwischen weitergedreht hat. Einige haben darüber auch ganz vergessen, ihr Studium abzuschließen.

"Zwischen Teambildung und Himbeergeist": Bundesregierung trifft sich in Meseberg.
Unter einer echten Klausur hätte ich mir etwas anderes vorgestellt: Kennenlernen im Stuhlkreis und dann möglichst schnell viele Gäste zur Ablenkung. Da hätte die Bundesregierung aber auch in einem Regierungsgebäude in Berlin bleiben können und hätte sich den Ausflug ins Barockschloss Meseberg sparen können. (Bild: Screenshot, „tagesschau.de“, 10.4.18)

Nun mag der Vergleich mit manchen Bundespolitikern etwas hinken, aber mir erscheint er doch recht passend: Die Bürgerinnen und Bürger erwarten nach einer längeren Zeit des Stillstands konkretes politisches Handeln, doch die Polit-Truppe versammelt sich im Barockschloss Meseberg „zum besseren Kennenlernen“, wie auch der Regierungssprecher Steffen Seibert laut „bundesregierung.de“ zu berichten weiß. Wer hat denn bisher nicht gemeinsam in unserem XXL- Bundestag gesessenen, sich im Bundesrat oder bei vielen anderen Gelegenheiten getroffen? Gerade auch die Lautstarken kennen sich seit Jahr und Tag. Und so liegt die bisherige schwache Performance der Bundesregierung doch nicht daran, dass man sich erst kennenlernen muss, sondern an auseinanderstrebenden politischen Ansichten, verhärteten Fronten, dem (verständlichen?) Schielen auf die eigene politische Klientel.

Selbstfindungstrip auf die Zugspitze

Ich hätte noch freundlich, nein, doch eher mit missmutigem Gesicht, über das Treffen in Meseberg hinweggesehen, das mich auch noch an den Stuhlkreis im Kindergarten erinnert, wenn sich führende Vertreter der ungewollten Koalition aus Union und SPD – nämlich die Fraktionsvorstände – nicht auch noch auf der Zugspitze versammelt hätten. Neben einigen inhaltlichen Fragen wieder die gleiche Aufgabe: „Kennenlernen will man sich und mit der Arbeit loslegen. Darum werden Konflikte zunächst im Tal gelassen“, berichtet die „Tagesschau“. Nicht nur bei mir erreichte der Dampfkessel da den Siedepunkt! Zuerst basteln die Koalitionäre wochenlang einen 170seitigen Vertrag zusammen, der sich leider allzu häufig im Kleinkarierten verheddert, und dann kommt die Phase des Kennenlernens – und wann werden zukunftsorientierte Entscheidungen in die Tat umgesetzt?

Nahles, Dobrindt und Kauder auf der Zugspitze.
Selbstfindungstrip auf die Zugspitze statt konkreter Politik. Die Fraktionsvorstände von Union und SPD scheinen sich aus früheren Zeiten oder aus der Arbeit am Koalitionsvertrag nicht zu kennen, denn ansonsten müssten sie sich wohl nicht zum Teambuilding auf Deutschlands höchstem Berg treffen. Der gemeinsame Aufstieg, wenn auch nur ein kleines Stück des Wegs, wäre da für Nahles, Dobrindt und Kauder eine echte Herausforderung gewesen, aber so übertreiben wollten die Politikerinnen und Politiker dann doch nicht. (Bild: Screenshot, „tagesschau.de“, 7.5.18)

Da sieht man aber auch, wie gut es Deutschland geht! Nach einer für die alte GroKo desaströsen Bundestagswahl gehen Monate ins Land, in denen sich eine Koalition aus Union, FDP und Grünen selbst ein Bein stellt, dann kommt die Runde mit dem noch unwilligeren Partner SPD, der durch den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zur Zwangsehe verdonnert wird, und alles läuft weiter wie gewohnt. Ja, alles läuft weiter wie gewohnt, aber der Weg in die Zukunft wird so nicht beschritten. Interessant ist es auch, dass Union und SPD zwar über die gleichen Themen sprechen, sei es Hartz IV, befristete Arbeitsverträge, Europa und Migration, Innere Sicherheit oder Digitalisierung, dass sie jedoch – trotz Koalitionsvertrag – gänzlich andere Inhalte in den Mittelpunkt stellen und die Zielvorstellungen auseinanderdriften. Dies ist auch nicht verwunderlich, wenn die CSU auf die anstehenden Landtagswahlen schielt, die SPD verzweifelt den Rettungsring sucht, der sie vor dem Untergang in die Bedeutungslosigkeit bewahrt und die CDU mit Bundeskanzlerin Angela Merkel den Machterhalt zum obersten Ziel erkoren hat.

Nun sind wir Bürgerinnen und Bürger nicht bei diesen ominösen Selbstfindungstreffen dabei, doch die mediale Vermittlung, die auf Aussagen der Beteiligten beruhen, ist entmutigend. Wir brauchen Politikerinnen und Politiker, die nach vorne schauen, unser Land – gemeinsam mit der Bürgerschaft – fit machen für die Zukunft. Wir können es uns bei allen wirtschaftlichen Erfolgen nicht leisten, auch den Rest der Legislaturperiode zu vergeuden. Politik ist kein Selbstfindungstrip, sondern das „Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“, um mit Max Weber zu sprechen.

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