Die Hürden für Weiterbildung werden erhöht
Hat es die Bundesregierung unter Angela Merkel schon so nötig, dass nun auch Bildungsveranstaltungen der Volkshochschulen und anderer Träger in öffentlicher Verantwortung mit 19 % Mehrwertsteuer belegt werden sollen, um die Bundeskasse zu füllen? Zwar halte ich die schwarze Null, die sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz als Erfolg zurechnet, ohnehin für Fake News, denn er hat sie nur mit Entnahmen aus einer Flüchtlings-Rücklage und dank der niedrigen Kreditzinsen erreicht. Aber so leer ist die Bundeskasse nun auch wieder nicht, dass sie mit Steuern auf Bildungsseminare aufgefüllt werden müsste. Und so lässt die Bundesregierung verlauten, sie erfülle EU-Vorgaben, wenn sie nur noch solche Bildungsangebote unbesteuert lassen will, die direkt der Berufsausübung dienen. Da haben wir es mal wieder – die EU ist schuld! Oder vielleicht doch nicht? Und wenn doch, dann ist dies für manchen Bürger wieder ein Minuszeichen, das er hinter der Europäischen Union vermerkt.
Sozial schwächere Teilnehmer besonders betroffen
Es sei, wie es wolle: In einem Zeitalter, in dem das lebenslange Lernen propagiert wird, da hätte man die Bildungsangebote der Volkshochschulen und anderer freier Träger gewiss zuletzt mit dem vollen Mehrwertsteuersatz belegen sollen. Bei enger Auslegung müssten alleine bei den Volkshochschulen 2 Millionen Teilnehmer mit höheren Gebühren rechnen! Zumindest alle Rentner wären mit höheren Kosten für Seminarangebote belastet, denn sie stehen nicht mehr im Berufsleben. Wie war das nochmal: Sollten nicht Rentner nach Meinung der Union – wenn möglich – länger arbeiten? Aber vorbereiten auf mögliche Einsätze nach dem Rentenalter – z.B. neudeutsch als Senior Experts – sollen sie sich nur mit höheren Gebühren? Leicht abstrus ist es – darauf hat auch Peter Kurz als Präsident des Städtetags Baden-Württemberg hingewiesen – dass nun ein Kurs zur gesunden Ernährung mit 19 % Mehrwertsteuer belegt werden soll, ein Burger zum Mitnehmen vor den Toren des Volkshochschulgebäudes dagegen fällt weiterhin unter den verminderten Mehrwertsteuersatz von 7 %. So ganz passt die Vorlage der Bundesregierung somit weder zum lebenslangen Lernen noch zu einer gesünderen Lebensweise.
Gerade finanziell schwächere Bürger werden es sich nicht mehr leisten können, Weiterbildungskurse zu belegen, wenn diese auf einen Schlag um fast ein Fünftel teurer werden. So richtig fügt sich eine Mehrwertsteuer auf Bildungsangebote der VHS und anderer Träger auch nicht in das immer wieder propagierte Bild des mündigen politischen Bürgers. Denn Kurse zu politischen Fragestellungen dürften nur in den wenigsten Fällen als beruflich verwertbar gelten. Nach jeder verlorenen Wahl stimmen die schrumpfenden Volksparteien das hohe Lied der Stärkung der politischen Mitte an. Aber ausgerechnet Kurse, die alteingesessene Bürger und Migranten mit den demokratischen Strukturen und Gepflogenheiten noch besser vertraut machen, bekommen einen abschreckenden Preisaufschlag von 19 %! Die innere Logik eines solchen politischen Handelns erschließt sich mir nicht!
Bundesrat muss steuerpolitischen Irrweg stoppen
Kompliziert wird es für die Finanzbehörden, die im Einzelfall entscheiden müssen, welcher Kurs denn für den ausgeübten Beruf wichtig ist. Zählen dann beim Buchhalter nur ökonomische Themen und vielleicht noch die digitalen Techniken? Oder kann er sich auch auf Führungsaufgaben vorbereiten? Welche Kurse gelten für eine Mutter oder einen Vater als beruflich verwertbar, die sich einige Jahre auf die Kindererziehung konzentriert haben, und nun ventilieren wollen, wo sie wieder ins Erwerbsleben einsteigen möchten? Orientiert sich dann die Mehrwertsteuer am früheren Job oder an möglichen Perspektiven? Gelten Englisch oder Französisch bei einem gelernten Kfz-Mechaniker als Hobby bzw. Vorbereitung für den nächsten Urlaub oder doch als beruflich verwertbar? Was ist bei einem jugendlichen Arbeitslosen als beruflich orientiert anzusehen? Arme Finanzbehörden! Wer möchte da im Einzelfall den Mehrwertsteuersatz festlegen?
Öffentlich verantwortete und nicht gewinnorientierte Weiterbildung muss umfassend weiterhin von der Mehrwertsteuer befreit bleiben, um einen breiten Zugang für alle Schichten zu ermöglichen. Der Slogan ‚Bildung für alle‘ kann nur Realität werden, wenn keine zusätzlichen Steuerhürden errichtet werden. Und es darf auch keine Diskriminierung von Menschen geben, die zum gegebenen Zeitpunkt nicht oder nicht mehr erwerbstätig sind. Ich kann mir darüberhinaus eine klare Trennung von allgemein- und berufsbildenden Angeboten nur schwer vorstellen – abgesehen von klar erkennbaren ‚esoterischen‘ Bildungsausflügen. Aber wer soll entscheiden, für wen IT-Kurse oder ein Seminar zur Digitalisierung beruflich relevant ist? Und wie steht es mit dem Klimaschutz?
Lebenslanges Lernen für alle muss erleichtert und nicht erschwert werden. Daher hoffe ich, dass der gesetzgeberische Irrweg der Bundesregierung in Sachen Mehrwertsteuer auf Bildungsangebote im Bundesrat gestoppt wird.
Sehr geehrter Herr Dr. Ulsamer,
Ihrer Ansicht möchte ich mich anschließen. Bildung ist ein Teil der Daseinsfürsorge, die eine staatliche Leistung darstellt, die wir Bürger zurecht erwarten können.Berufliche Bildung ist wichtig und wird deshalb auch steuerlich als Werbungskosten berücksichtigt.
Für viele Ruheständler bietet der Volkshochschulkurs auch die Möglichkeit, neben dem Erkenntnisgewinn und dem Training der geistigen Fähigkeiten, soziale Kontakte aufzubauen und zu erhalten.
Beides leistet einen Beitrag zur Erhaltung der Gesundheit und ist deshalb kostendämpfend.
Das Zauberwort lautet aber auch hier “anderer Kostenträger”.
Mit Steuern kann der Staat steuern, er sollte nur die richtige Richtung bestimmen.
Bildung des Einzelnen nutzt der Gemeinschaft immer.
Gerhard Walter, Immendingen