Plan B: Theresa May führt den 2. Aufguss im Land der Teetrinker ein
Woche um Woche vergeht ergebnislos in Theresa Mays Chaos-Spektakel: Und so brachte auch der Plan B keine Neuigkeiten gegenüber ihrem im Parlament durchgefallenen Brexit-Deal. Dies konnte aber von der britischen Premierministerin auch kaum erwartet werden, die gebetsmühlenartig äußert, sie handle im Interesse des Landes, und es sei ihre Pflicht, das Ergebnis aus dem ersten Referendum umzusetzen. Es ist geradezu erschreckend, wieder einige Stunden des traurigen Schauspiels mitzuverfolgen, das Theresa May im Unterhaus aufgeführt hat. Eigentlich könnte man auch einen Sprachcomputer auf zwei Beinen entsenden, denn mögen die Fragen auch unterschiedlich und differenziert sein, ihre Antworten sind schablonenhaft gleich. So äußerte auch ein Abgeordneter, die Tür für Gespräche möge bei Theresa May zwar offen sein, doch ihr Geist sei verschlossen für neue Ansätze. Ausgerechnet im Land der Freunde des Schwarzen Tees scheint Theresa May den zweiten Aufguss einführen zu wollen: Zuerst bei ihren halbseidenen Vorschlägen und dann doch hoffentlich nicht auch noch beim Tee.
Brexiteers reden irische Frage klein
Nicht übersehen werden darf auch die Aggressivität mancher hard Brexiteers gegenüber einer Backstop-Lösung, die eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindern soll. Bei manchem konservativen Brexit-Befürworter schimmert eine koloniale Weltsicht durch, in der die Iren bis zur Bildung eines eigenen Staates keine Rolle spielten. Manche Angeordnete der Conservative and Unionist Party scheinen sich mit dem Brexit auf den Weg nicht in die ‚goldene‘ Zukunft, sondern in die koloniale Vergangenheit aufgemacht zu haben.
Für viele der hard Brexiteers ist der Backstop für Nordirland schwerer zu akzeptieren als ein gemeinsamer Markt oder die Freizügigkeit. Zwar lehnen sie auch diese beiden Grundsätze der Europäischen Union ab, doch eine Sonderregelung für Nordirland treibt sie endgültig auf die Polit-Palme. Dabei ist ihnen auch völlig gleichgültig, dass durch eine harte Grenze zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und der Republik Irland der blutige nordirische Konflikt wieder aufflammen könnte. Die im Brexit-Deal vorgesehene Notfallregelung – und darum handelt es sich -, würde nur greifen, wenn sich die Europäische Union (EU) und das Vereinigte Königreich in der Übergangszeit nicht auf ein (Frei-) Handelsabkommen einigen können. Dies hielte ich für eher unwahrscheinlich, da es auf beiden Seiten des Ärmelkanals gewichtige Argumente für ein Freihandelsabkommen gibt: Jeder würde leiden, wenn sich neue Zollschranken auftun würden. Somit geht es den hard Brexiteers im Grunde darum, jeden Eindruck zu vermeiden, Nordirland und der Rest des Vereinigten Königreichs könnten in irgendeiner Phase des Brexits anders behandelt werden: Jacob Rees-Mogg oder Boris Johnson haben diesen Backstop zu einem solchen Popanz aufgeblasen, dass es mit jedem Tag schwerer wird, eine sachgerechte Lösung zu finden.
Nordirland ohne Regionalregierung
Der Backstop selbst würde solange gelten, bis eine Handelslösung gefunden würde, die eine Grenze auf der grünen Insel unnötig macht. Das gesamte Vereinigte Königreich würde dann in der Zollunion der EU bleiben und Nordirland zusätzlich im Binnenmarkt (mit all seinen Regeln). Aus der Ferne werden viele Kontinentaleuropäer den Aufruhr nicht verstehen, den viele Konservative inszenieren. Wer jedoch schon einmal nordirische Städte wie Belfast oder Derry besucht hat, der kann spüren, dass die Mehrheit der Protestanten in Nordirland weiterhin auf eine volle Integration ins Vereinigte Königreich Wert legen. Daher haben sie auch die Democratic Unionist Party (DUP) mit ihren Wählerstimmen zur stärksten protestantischen Partei gemacht. Unter den Katholiken mehren sich die Stimmen für eine Wiedervereinigung mit der Republik Irland: diese WählerInnen vertritt Sinn Fein.
Seit zwei Jahren konnten die nordirischen Parteien in Belfast die im Januar 2017 zerbrochene Koalition zwischen der protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) und Sinn Fein, der Vertretung der Katholiken, nicht wieder neu bilden. So werden die Amtsgeschäfte überwiegend von London aus geführt, und dies obwohl die nordirischen Abgeordneten der Regionalregierung gewählt wurden. Dieses Fiasko ist zu einem nicht geringen Teil auch der Politik von Theresa May zuzuschreiben: Sie stützt sich im Londoner Unterhaus auf die DUP, und damit wurde die Regierung des Vereinigten Königreichs von den Katholiken als noch parteiischer empfunden als zuvor. Damit haben sie nicht ganz Unrecht. Erwähnenswert ist auch, dass die in Nordirland gewählten Abgeordneten von Sinn Fein ihre Sitze im House of Commons traditionell nicht einnehmen, da sie im britischen Parlament einen Eid auf Königin Elizabeth leisten müssten. Würde Sinn Fein im Unterhaus aktiv, dann könnte es für die britische Premierministerin noch enger werden, aber davon ist trotz intensiver Diskussionen unter den katholischen Gruppierungen wohl nicht auszugehen.
Karfreitagsabkommen sichern
Wenn es in Nordirland auch ohne Regionalregierung geht, was soll dann das Gezeter, so werden sich gerade auch die Anhänger eines hard Brexits fragen. Aber eine stabile nordirische Regierung ist von elementarer Bedeutung, denn die verstärkte Abhängigkeit von britischen Regierungsinstitutionen macht für manche katholische Gruppierungen deutlich, dass der mit dem Karfreitagsabkommen 1998 eingeschlagene Weg in eine politische Sackgasse führt. Ausgerechnet jetzt, wo den Nordiren der Austritt aus der EU aufgedrückt werden soll, den sie beim Referendum mehrheitlich abgelehnt hatten, fehlt eine eigenständige Regierungskraft im Stormont. Wenn dann noch eine harte Grenze käme, dann könnten alte Gegensätze wieder aufbrechen und auch in neue Gewalt münden. So ganz ruhig ist es in den vergangenen beiden Jahrzehnten ohnehin nie geworden.
Dies machen nicht nur vereinzelte Gewaltakte deutlich, sondern auch die in manchen Stadtteilen nordirischer Städte weiterhin gepflegten Vorurteile auf katholischer und protestantischer Seite. Auf den ersten Blick könnten sich Murals an vielen Fassaden als historische Reminiszenzen missdeuten lassen, doch in Gesprächen zeigt sich schnell, dass sich diese Wandbilder auch in vielen Köpfen festgesetzt haben. Und 3 500 Tote während der ‚Troubles‘ genannten bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Nordirland sprechen eine deutliche Sprache. Das Karfreitagsabkommen muss unbedingt in seiner Gesamtheit gesichert werden. Dies betont zwar auch Theresa May, aber sie ist eine Meisterin der Sprechblasen. Und wer weiß schon, wer nach ihr im Sessel des Premierministers sitzen wird.
Der Frieden hat noch keine tiefen Wurzeln
Die jüngst im nordirischen Derry gezündete Autobombe sollte politisch nicht überstrapaziert werden, da nie auszuschließen ist, dass sich eine militante Splittergruppe – hier vermutlich die New IRA – gewalttätig zu Wort meldet. Aber auch an anderen Orten in Nordirland beziehen militante Gruppen ihre Kraft aus dem aufgestauten Unwillen gegen die politische Entwicklung. Und dies ist in manchen Stadtvierteln auf protestantischer und katholischer Seite spürbar.
In den Innenstädten von Belfast oder Derry – die protestantischen Einwohner nennen die Stadt ‚Londonderry‘ – ist die Rückkehr des Friedens deutlich spürbar. Die Wunden auch baulicher Art sind in den letzten beiden Jahrzehnten verschwunden, doch es bleiben Narben. Dies trifft insbesondere auf zwei parallel verlaufende Straßen zu: Die von Katholiken bewohnte Falls Road und die Shankill Road, in der die Protestanten dominieren. Diese beiden Straßenzüge sind ein Musterbeispiel für Segregation. Eigentlich ähnelt sich das tägliche Leben in den pro-irischen und pro-britischen Hochburgen, denn Wohnhäuser, kleine Geschäfte, Pubs sind kaum zu unterscheiden – wären da nicht Murals mit ganz unterschiedlichen politischen Aussagen. Aber nicht nur die Wandbilder machen klar, wer in welchem Bezirk wohnt, sondern auch Gedenkstätten, die an die eigenen Toten der Unruhen erinnern.
In der Shankill Road schlagen die Herzen der Bewohner für das Vereinigte Königreich und die Königsfamilie. Und um dies zu unterstreichen haben sie auch gleich eine ganze Hauswand mit Konterfeis von Königin Elizabeth II. aus allen Phasen ihrer Regierungszeit geschmückt. In der Falls Road dagegen käme sicherlich niemand auf die Idee, sich mit diesem Symbol der britischen Unterdrückung gemein zu machen. Stattdessen geht es um die Wiedervereinigung Nordirlands mit der Republik. Deutlich wird aus den Murals auch, dass der bewaffnete Kampf zwar seit 1998 durch das Karfreitagsabkommen beendet wurde, letztendlich betrachten sich jedoch beide Seiten, Katholiken und Protestanten, weiterhin als Verlierer. Irgendwie fühlen sich viele Bewohnerinnen und Bewohner noch immer unter Belagerung der jeweiligen Gegenseite. Und „No surrender“ taucht zwar eher bei protestantischen Gruppen auf, so z.B. auch in Derry, doch keiner der Beteiligten möchte aufgeben – wobei auch immer.
Theresa May und ihre Brandstifter-Truppe
Dieser Zwischentitel mag manchen von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, doch etwas überzogen erscheinen. Die Angriffe auf die Backstop-Regelung, die dazu beitragen soll, den Frieden in Nordirland zu sichern, zeigen jedoch die Rücksichtslosigkeit eines Teils der hard Brexiteers. Und die geschwächte Premierministerin kann diese politischen Brandstifter nicht stoppen: Ob sie es überhaupt möchte, kann man ihren Äußerungen nicht entnehmen. Ganz generell scheint es bei Theresa May ohnehin keine grundsätzlichen Wertvorstellungen zu geben, es sei denn, ihre Meinung, die Zuwanderung müsse begrenzt werden, sei ein Wert an sich. Ein Bonbon für die EU-Arbeitsmigranten hatte May dann doch dabei: bei einer Registrierung nach dem Brexit sollen keine Gebühren anfallen! Das Niveau, auf dem zum Teil über Europa, die EU oder europäische BürgerInnen im Parlament diskutiert wird, ist geradezu unterirdisch.
Dennoch: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Dabei setze ich nicht auf Theresa May, ihre schwindende Entourage oder die zündelnden hard Brexiteers, sondern auf die anderen Abgeordneten des britischen Parlaments. Die Premierministerin hat mit ihrem vom Parlament geforderten Plan B nur einen neuen Aufguss von Plan A offeriert. Ein zweiter Aufguss sollte bekennenden Teetrinkern eigentlich zuwider sein. Wenn sich die Abgeordneten im House of Commons zu einer parteiübergreifenden Koalition der Vernünftigen zusammenraufen können, dann wird es auch einen Ausweg aus dem von David Cameron – dem Vorgänger im Amt des Premierministers – und Theresa May veranstalteten Chaos geben. Auf keinen Fall darf die EU beim Backstop nachgeben, denn der Frieden in Nordirland ist ein hohes Gut und nicht verhandelbar. Zeitlich sollte sich die EU jedoch flexibel zeigen, denn ein hard Brexit lässt sich kaum bis Ende März verhindern. Es hätte vermutlich Sinn gemacht, die Grundzüge eines (Frei-) Handelsabkommens detaillierter bereits während der Verhandlungsphase zu skizzieren, um so den Backstop-Gegnern die Angst zu nehmen, mit diesem Hebel würde das Vereinigte Königreich erpressbar. Hier sollte nachgelegt werden, auch von Seiten der EU, denn dann würde alsbald sichtbar, dass der Backstop politisch notwendig ist, dass jedoch alles getan wird, um ihn überflüssig zu machen.
Einzelne EU-Staaten sollten den Gesamtprozess nicht dadurch gefährden, dass sie den Backstop mit einer Frist versehen wollen. So hatte dies der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz vorgeschlagen: Der Backstop ist eine Art Versicherung, auf die hoffentlich nicht zurückgegriffen werden muss. Eine Befristung würde die hard Brexiteers auf die Idee bringen, sich über die Zeit zu retten und einen Backstop sowie eine weitere Anbindung an die EU über ein Handelsabkommen zu verhindern.
Wenn Common Sense nicht zur Begriffshülse werden soll, dann wird das britische Parlament mehrheitlich die Polit-Brandstifter in die Schranken weisen. Und das Spiel auf Zeit von Theresa May muss gestoppt werden, denn sie versucht, alle Entscheidungen so lange hinauszuzögern, bis die EU einknickt, um den hard Brexit doch noch zu verhindern. Diese Zockerei von Theresa May und David Cameron – aber auch von Jeremy Corbyn, der Neuwahlen durchdrücken möchte – darf nicht zum Erfolg führen. Letztendlich sollte bei weiterer Uneinigkeit des Parlaments in London nochmals das Volk im Vereinigten Königreich die Entscheidung in einem zweiten Referendum über den Brexit treffen.
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