Bretagne: Die jungsteinzeitliche Hochkultur der Hügelgräber

Wird die europäische Frühgeschichte unterschätzt?

Die Pyramiden in Ägypten haben mich wirklich beeindruckt, nicht weniger faszinieren mich europäische Hügelgräber, die unsere steinzeitlichen Vorfahren aus gewaltigen Steinplatten und großen Mengen an Bruchsteinen oder Erde errichtet haben – in der Bretagne beispielsweise deutlich vor den Pyramiden am Nil. Kommen diese europäischen Zeugnisse steinzeitlicher Kulturen in der historischen oder kulturgeschichtlichen Diskussion nicht immer wieder zu kurz? Im Titel des Beitrags habe ich bewusst den Begriff ‚Hochkultur‘ für die Ganggräber benutzt, obwohl dieser zumeist nur für Kulturen mit einer ausgeprägten Schrift benutzt wird. Aber darf es wirklich davon abhängen, ob eine Gesellschaft über schriftliche Ausdrucksformen verfügt, wenn sie als ‚Hochkultur‘ bezeichnet wird? Daran habe ich zunehmend Zweifel. Als die Pyramiden von Gizeh um 2 600 bis 2 500 vor Christus Stein auf Stein gesetzt wurden, da hatten die Ganggräber in der Bretagne bereits 1 000 bis 2 000 Jahre auf dem ‚Buckel‘, das Ganggrab im irischen Newgrange erhob sich bereits ein halbes Jahrtausend über dem Fluss Boyne, das südenglische Stonehenge dürfte in der gleichen Periode wie die Pyramiden in der überlieferten steinernen Version entstanden sein. Die keltische Heuneburg demonstrierte um 600 vor unserer Zeitrechnung gegenüber heranreisenden Menschen die Macht der Einwohner. Ist es nicht an der Zeit, mehr wissenschaftlichen Forschergeist auf die Geschichte der Kulturen in Europa zu konzentrieren und diese in einen objektiveren Vergleich mit den Bauten am Nil und am Euphrat einzubringen? Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die imposanten steinzeitlichen Grabanlagen von Menschen errichtet wurden, die sich nicht als Sklaven, sondern aus freien Stücken in ihrer Familie oder ihrem Clan und weit darüber hinaus in die Arbeiten an Grabstätten und kultischen Bauwerken eingebracht haben.

Eine Axt mit breiter Schneidefläche eingraviert in die Decke des Table des Marchands.
Auf der Deckplatte des Table des Marchands findet sich u. a. die Gravur einer großen polierten Axtklinge. Nach Ansicht der Archäologen wurde diese Ritzzeichnung auf der Halbinsel Locmariaquer verschiedentlich weiter ausgearbeitet. (Bild: Ulsamer)

Cairn, Tumulus und Dolmen – herausragende steinzeitliche Werke

Auf Newgrange und Stonehenge als steinzeitliche Zeugnisse oder die Steinreihen von Carnac bin ich in meinem Blog bereits ausführlich eingegangen, ebenso auf die bronzezeitliche Himmelsscheibe aus Nebra im heutigen Sachsen-Anhalt. Der Kultur der Kelten hatte ich ebenfalls einen Blog-Beitrag gewidmet, daher konzentriere ich mich an dieser Stelle auf die Hügelgräber unserer steinzeitlichen Vorfahren in der Bretagne. Exemplarisch gehe ich u. a. auf die Ganggräber auf der heutigen Insel Gavrinis und der Halbinsel Locmariaquer mit beeindruckenden Ornamenten steinzeitlicher Künstler und das gewaltige Hügelgrab von Barnenez im Norden der Bretagne ein. Vorab einige Anmerkungen zu den Begrifflichkeiten. Zumeist benutze ich ‚Hügelgräber‘. Bei den einzelnen Monumenten übernehme ich aber auch die örtlichen Begriffe, um die Verwirrung nicht noch zu steigern. Hügelgräber werden häufig als ‚Cairn‘ bezeichnet: Hier wird die eigentliche Grabkammer von einer Deckschicht aus Steinen bedeckt. Die Trockensteinmauern sind ohne Mörtel aufgeschichtet worden. Wurde für die Deckschicht überwiegend Erde verwandt, wird dies zumeist als Tumulus bezeichnet. Wenn wir heute in der Karte einen Dolmen eingezeichnet sehen, dann handelt es sich um die Steine an den Seiten und die Deckplatte der ursprünglichen Grabkammer. In der Steinzeit war diese Struktur nach der Fertigstellung der Anlage nicht mehr sichtbar, da die Erbauer sie zum Schutz mit Steinen oder Erde bedeckten. Der Dolmen, ein ‚Steintisch‘ im bretonischen Sinne, ist nicht selten das Überbleibsel, weil die Deckschicht von Wind und Regen oder von Menschenhand abgetragen wurde. Im Grunde trifft aber auch der Begriff Ganggräber zu.

Ein steinzeitliches Hügelgrab aus Natursteinen. Es liegt auf einer schrägen Fläche, die zum Meer führt.
Über die Bucht von Morlaix erhebt sich im Norden der Bretagne der Cairn von Barnenez. Dieses jungsteinzeitliche Mausoleum hat eine Länge von 75 Metern und eine Breite von 28 Metern. Die ältesten Teile der steinernen Grabanlage sind rd. 6 500 Jahre alt. (Bild: Ulsamer)

Von seiner Dimension und Lage her ist der Cairn von Barnenez ein beeindruckendes Hügelgrab. Die sesshaft gewordenen Menschen der Jungsteinzeit schufen vor rd. 6 500 Jahren eine der ältesten Megalithanlagen. Der ältere Cairn dürfte um 4 800 bis 4 500 v. Chr. errichtet worden sein, die jüngere Erweiterung einige Jahrhunderte später. Die 75 m lange, bis zu 28 Meter breite und acht Meter hohe Gesamtkonstruktion liegt auf einer heute zum Meer hin abfallenden Fläche, zur Bauzeit lag der Meeresspiegel deutlich niedriger. Die Erbauer ‚bändigten‘ die Druckkräfte, die durch das schräge Gelände hervorgerufen werden, und sie bauten mit flachen Steinen Kraggewölbe für die Grabkammern. In unserer schnelllebigen Zeit ist es verwunderlich, dass unsere Vorfahren noch Hügelgräber für die Ewigkeit zu schaffen vermochten, wo doch heute in Esslingen am Neckar bereits nach 40 Jahren das Landratsamt als nicht mehr zeitgemäß abgerissen wird. Vielleicht verstanden die Steinzeitmenschen schon mehr von Nachhaltigkeit als so mancher politische Entscheidungsträger unserer Tage.

Ein steinzeitliches Hügelgrab aus Natursteinen. Sichtbar sind Öffnungen - ehemalige Grabkammern -, die von einem Bagger aufgerissen wurden.
Die Bagger hatten bereits zugebissen, um die Steine des Cairns von Barnenez für den Straßenbau zu nutzen, als der in Morlaix ansässige Journalist Fanch Gourvil den zuständigen Konservator Pierre-Roland Giot alarmierte, welcher die Arbeiten stoppen ließ. Die ‚Wunde‘, die dem Cairn zugefügt wurde, erlaubt auch nach der Restaurierung gewissermaßen einen Blick ins Innere mehrerer Grabkammern. (Bild: Ulsamer)

Für Jahrtausende gebaut

Nicht der Zahn der Zeit gefährdete die Grabanlage in Barnenez, sondern der Bau einer nahegelegenen Straße zur Belebung des Tourismus. Für die Gewinnung von Baumaterial hatte ein Unternehmer zwei Hügel erworben und den ersten bereits im Jahr 1954 abgetragenen. Dabei wurden steinzeitliche Gräber zerstört. Dass es dem Cairn von Barnenez besser erging, verdanken wir einem Journalisten in Morlaix, der den zuständigen Konservator alarmierte. Letztendlich wurde die Grabanlage gerettet, in die bereits die Bagger hineingebissen hatten und der Bauunternehmer wurde zu einer saftigen Geldstrafe verurteilt. Gänzlich unbekannt dürften weder dem Unternehmer noch der weiteren Öffentlichkeit der vermutliche Ursprung der beiden Hügel nicht gewesen sein, denn bereits 100 Jahre zuvor hatte „Herr de Kersauzon, Bürgermeister von Plouézoc’h, bei einem Treffen des bretonischen Kulturvereins in Morlaix auf ‚zwei riesige, in etwa 100 m Entfernung voneinander gelegene Tumuli bei der Ortschaft Barnenez-ar-Sant‘“ hingewiesen, so die Konservatoren Charles-Tanguy Le Roux und Yannick Lecerf in ihrem kleinen Büchlein ‚Der große Cairn von Barnenez. Ein neolithisches Mausoleum‘.

Eine christliche Kapelle mit weißer Fassade und dunklem Dach erhebt sich auf einem Hügel. An der Basis des Hügels ist eine Tür zu erkennen.
Dieser Hügel bei Carnac wurde von sesshaft gewordenen Anwohnern in der Jungsteinzeit über einer Grabanlage aufgeschüttet und später von christlichen Bewohnern als Zeichen des neuen Kultes überformt. Die bei archäologischen Grabungen geöffneten Grabkammern sind aus Sicherheitsgründen nicht zugänglich. Beilklingen und Perlen wurden als Grabbeigaben gefunden. Die christliche Kapelle St. Michel auf dem neolithischen Tumulus wurde nach den Plänen aus dem Jahr 1664 zweimal wieder aufgebaut (1813 und 1925). Leider ist die dem Heiligen Michael geweihte Kapelle verschlossen und in einem erbärmlichen baulichen Zustand. (Bild: Ulsamer)

Die Erbauer des Cairns von Barnenez lebten vermutlich in der fruchtbaren Ebene vor dem Hügel, wo heute die Wellen in der Bucht von Morlaix auflaufen. Statt Feldfrüchten werden nun im Zuge des Anstiegs des Meeresspiegels unterhalb des gewaltigen Hügelgrabs Austern gezüchtet. Den Dorfbewohnern der Region muss der Hügel über den elf Grabkammern so wichtig gewesen sein, dass sie zahlreiche Arbeiter das ganze Jahr oder außerhalb der besonders intensiven landwirtschaftlichen Perioden für den Bau freistellten. Insgesamt umfasst der Cairn von Barnenez rd. 6 000 Kubikmeter: Somit mussten ca. 12 000 Tonnen überwiegend an Gesteinsmaterial herangeschafft und verbaut werden. Mehrere zehntausend Arbeitstage kamen für die getrennt errichteten Hügelgräber zusammen, und diese mussten ohne größere technische Hilfsmittel durch zahlenmäßig überschaubare Gemeinschaften geleistet werden. In der Jungsteinzeit dürften in der ganzen Bretagne 30 000 bis 100 000 Menschen gelebt haben, d. h. nur ein bis zwei Bewohner pro Quadratkilometer. Damit wird augenscheinlich, dass es einer großen gesellschaftlichen und organisatorischen Anstrengung bedurfte, die geschilderten Arbeiten zu erledigen.

Auf einer Steinplatte, die Teil des Zugangs zum Cairn ist, sind zahlreiche Axtklingen eingraviert.
Die eingeritzten Beilklingen im Cairn auf der Insel Gavrinis und insbesondere ihre Anordnung hatten mit Sicherheit eine kultische Bedeutung. (Bild: Ulsamer)

Steinzeitliche Kunst

Im angesprochenen Cairn von Barnenez sind in den Stein eingearbeitete Motive überliefert, doch befinden sich diese in den nicht zugänglichen Abschnitten. Ganz anders verhält es sich in den Grabkammern des ‚Table des Marchands‘ und im nahegelegenen Hügelgrab ‚Mané Lud‘ auf der Halbinsel Locmariaquer sowie auf der Insel Gavrinis im Golf von Morbihan. Dort sind Gravuren erhalten, die ganze Steinplatten bedecken und für die Besucher noch relativ gut zu erkennen sind. Wer in Ruhe diese Ritzzeichnungen betrachten möchte, dem sei ein Abstecher zur Grabanlage Mané Lud empfohlen, in der sich nicht wie auf Gavrinis oder am Table des Marchands immer wieder die Besucher drängeln. Auf der steinernen Platte, die die Rückwand der Grabkammer darstellt, ist in Mané Lud ein Pottwal abgebildet. Das Tageslicht fällt so in die Kammer, dass dieses Motiv gut beleuchtet wird. An den Wänden des kurzen Gangs, der zur Grabkammer führt, ritzten die Künstler der Jungsteinzeit Boote ein, auf denen Personen stehen, aber auch Vögel, Krummstäbe oder Äxte.

Im rötlichen Gestein ist ein stilisierter Pottwal zu erkennen, der Luft ausbläst.
Der Tumulus Mané Lud ist einen Abstecher wert, denn er ist weniger besucht als der einige hundert Meter entfernte Table des Marchands. Im überwiegend aus Erde aufgeschütteten Hügel befindet sich eine zugängliche Grabkammer mit interessanten Gravuren. An sonnigen Tagen fällt ausreichend Licht in die Kammer, ansonsten hilft eine Taschenlampe oder das Handy. Ins Auge sticht die aufrechtstehende Platte an der Stirnseite der Grabkammer aus Orthogneis: Die Ritzzeichnung eines ausblasenden Pottwals ist recht gut zu erkennen. Aber auch die anderen Wandplatten sind mit vielen Ornamenten verziert. (Bild: Ulsamer)

Die künstlerische Gestaltung der imposanten Grabanlagen lag den Steinzeitmenschen am Herzen, die mit ihren eingravierten Darstellungen die Bedeutung der Hügel- und Ganggräber unterstrichen. In den Gräbern wurden vermutlich einzelne besonders bedeutsame Persönlichkeiten bestattet, doch in manchen Anlagen fanden auch mehrere Menschen ihre letzte Ruhe. Überreste der Bestatteten wurden zumeist nicht gefunden, da der Boden in der Bretagne sehr sauer ist, wozu zerfallendes Granitgestein aus der Umgebung einen Beitrag leistet, das für die Grabstätten genutzt wurde. Bemerkenswert ist die immer wieder erkennbare Nachnutzung bereits aufgestellter Monolithe in Grabanlagen oder der erneute Einbau gewaltiger Steinplatten als Decke. In den Table des Marchands wurde eine Steinplatte integriert, die ursprünglich Teil einer Stele in einer Reihe von Menhiren in der Nähe war. Und beim Tumulus auf Gavrinis wurde eine tonnenschwere Deckplatte eingebaut, die ursprünglich zum gleichen Menhir gehörte, der in der Nähe des Grand Menhirs auf der Halbinsel Locmariaquer stand. Dieser einst 21 Meter hohe Menhir liegt heute zerbrochen neben dem bereits erwähnten Cairn Table des Marchands.  Zwar liegen der Tumulus und der Cairn von Gavrinis nur rd. fünf Kilometer Luftlinie auseinander, heute Meer, doch auch über diese relativ kurze Strecke war es eine enorme Kraftanstrengung, die über 20 Tonnen schwere Deckplatte zu transportieren – ohne Kran und Tieflader. Noch nicht einmal das Rad war erfunden! Interessant ist besonders die Langlebigkeit vieler Grabanlagen, und in gleichem Maße der mehrfache Einsatz großer Steinplatten im Sinne eines kulturellen Recyclings. Auf Gavrinis wurde das Deckplattenteil allerdings so eingebaut, dass die Gravuren vom Gang oder der Grabkammer aus nicht zu sehen waren, sondern erst bei Ausgrabungen an der Oberseite entdeckt wurden. Hatte sich die kulturelle oder religiöse Orientierung verändert, und waren die Zeichnungen somit nicht mehr bedeutsam oder gar unerwünscht? Fragen, die bisher ohne Antwort bleiben müssen. Auch in ägyptischen Grabanlagen oder Tempeln wurden nicht selten in Ungnade gefallene Personen von den Wänden wieder entfernt, d.h. ihre Namenskartuschen wurden ausgekratzt.

Zwei tonnenschwere Teile eines früheren Megalithen. Dazwischen öffnet sich der Blick auf den Table des Marchands - einen Cairn aus Natursteinen.
Zwischen zwei Teilen des umgestürzten Grand Menhir ist der Table des Marchands zu sehen, der sich bei der Restaurierung wieder vom Dolmen zum Cairn verwandelte. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ähnelte der Table des Marchands dem Dolmen La Roche aux Fées bei Rennes, doch in der Folge bekam er wieder einen steinernen Überbau. Der Grand Menhir brisé war mit seinen 21 Metern der höchste bisher aufgefundene Monolith. Ob er bereits in der Steinzeit bewusst zerstört wurde oder einem Erdbeben zum Opfer fiel, ist bis heute nicht geklärt. Zum Ensemble gehört auch der Tumulus Er Grah, eine Grabstätte, die bis 4 000 v. Chr. immer wieder erweitert worden war, und eine Gesamtlänge von 135 Metern hat. Der Zugang zur Grabkammer wurde sehr früh mit Granitblöcken versperrt. (Bild: Ulsamer)

Wie weit dürfen Restauratoren gehen?

Zwar haben viele neolithische Bauwerke die Jahrtausende überstanden, doch nicht wenige wurden als Steinbruch benutzt und sind so für die Nachwelt verlorengegangen. Aber auch bei Restaurierungen wurden umfangreiche Veränderungen vorgenommen, so manches Hügelgrab wurde nachträglich wieder in den – vermeintlichen – Urzustand versetzt. Dies gilt u. a. für den Table des Marchands, der sich noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts als eine Art ‚Tisch‘ darstellte. So findet er sich auf Postkarten jener Zeit: Eine gewaltige Steinplatte ruht auf mehreren starken Felsbrocken. Beginnend im Jahr 1883 wurden zum Schutz der Ritzzeichnungen Mauern um den eigentlichen Dolmen hochgezogen, und bei weiteren archäologischen Untersuchungen fanden sich Tonscherben, Feuersteinfragmente und polierte Äxte. Nach und nach wandelte sich der Dolmen wieder zum Cairn. Im Jahr 1938 ließ der Archäologe Zacharie Le Rouzic weitere Steine aufschütten, die sich vor Ort noch befanden, um so wieder ein Hügelgrab mit Überdeckung und darunter den Gang mit der Grabkammer – dem Dolmen – zu formen. Bereits zu jener Zeit war diese Umgestaltung zurecht nicht unumstritten.

Eine gewaltige steinerne Deckplatte liegt auf aufrecht stehenden Steinen. Darunter öffnet sich der Gang in den Dolmen. Über dem Monument ist Laubwald zu sehen.
La Roche aux Fées bei Essé entstand 2 500 v. Chr., und war damals noch mit Erde und Steinen bedeckt und somit unter einem Tumulus verborgen. Seine Bezeichnung verdankt die Grabanlage der Sage, Feen hätten die Steinplatten in ihren Schürzen transportiert und auf diese Weise das Bauwerk in einer Nacht errichtet. Ganz so leicht dürften es die steinzeitlichen Menschen nicht gehabt haben, denn die schwerste Schieferplatte bringt es auf rd. 45 Tonnen. (Bild: Ulsamer)

Die Hügelgräber hatten vermutlich eine über die Grablege hinausgehende Bedeutung. Zumeist blieben die Grabkammern zugänglich, so dass weitere Bestattungen stattfinden konnten oder kulturelle und religiöse Zeremonien möglich waren. Anders ist dies beim Tumulus von Er Grah, der sich auf dem gleichen Gelände wie der Table des Marchands und der Grand Menhir befindet. Hier wurde der Zugang nach dem Begräbnis mit schweren Granitblöcken versperrt. Blendmauern, die später aufgeschichtet wurden, verdeckten sogar den Zugang gänzlich. Somit ähnelt dieser Tumulus späteren keltischen Ganggräbern, die ebenfalls verschlossen wurden. Hier mögen Sicherheitsaspekte oder auch religiöse Motive eine Rolle gespielt haben. Bei Er Grah gestalteten spätere Restaurateure das Bauwerk in der Hoffnung, die ursprüngliche Form zu finden. Wenig lässt sich über die steinzeitlichen Bewohner der Region sagen, die mit ihrer Hände Arbeit technische Höchstleistungen vollbrachten und die künstlerische Ausgestaltung mancher Hügelgräber vornahmen. Nicht selten liegen die Überbleibsel dörflicher Strukturen heute unter dem Meeresspiegel oder wurden durch das Näherrücken neuzeitlicher Wohnanlagen zerstört. Der Meeresspiegel lag in der Jungsteinzeit fünf bis zehn Meter tiefer als heute. Wo jetzt die Wellen auflaufen, da war vor 6 000 Jahren die Küstenlinie noch nicht einmal zu sehen.

In einer gewaltigen hellen Steinplatte sind drei Löcher zu erkennen. Die Ornamente sind kreisförmig.
Die Wände des Hügelgrabs sind auf Gavrinis mit zahlreichen Ornamenten künstlerisch gestaltet worden. Die Aushöhlungen sind allerdings der Natur zu verdanken und nicht von steinzeitlichen Künstlern eingearbeitet. (Bild: Ulsamer)

Kunstfertige Vorfahren

Die Steinreihen in Carnac, der gewaltige Cairn von Barnenez, die steinzeitlichen Strukturen auf der Halbinsel Locmariaquer oder auf der Insel Gavrinis mit ihren Ritzzeichnungen, aber auch der Dolmen La Roche aux Fées bei Rennes, …, sie stehen stellvertretend für zahlreiche weitere jungsteinzeitliche Strukturen: Sie alle belegen bis heute, dass die Menschen im Neolithikum herausragende technische und kulturelle Werke schufen, und dies bei einer überschaubaren Bevölkerungszahl. Mit Sicherheit ging es nicht nur um den Bau von Grabstätten oder das Errichten von Menhiren, sondern um religiöse und kulturelle Wertvorstellungen. Ansonsten hätten die steinzeitlichen Bauern nicht so viel Zeit und Arbeit aufgebracht, um Orte zu schaffen, die die Jahrtausende überdauerten. Und noch einmal möchte ich betonen: nach heutigem Wissensstand waren das keine Fronarbeiter und Leibeigene oder Unfreie, wie beispielsweise in Ägypten.

Der Cairn auf der Insel Gavrinis wurde aus Natursteinen aufgeschichtet. Der Zugang erfolgt durch einen Steinplatten.
Frontseite des Cairns auf der Insel Gavrinis im Golf von Morbihan. Der Gang öffnet sich nach Südosten, allerdings scheint er nicht auf die Wintersonnenwende hin ausgerichtet zu sein. (Bild: Ulsamer)

Viele Fragen sind noch offen, daran konnten archäologische Forschungen bis heute nur partiell etwas ändern. Ich würde mir wünschen, dass weitere Untersuchungen nachhaltig vorangetrieben werden, denn die europäische Kultur in der Steinzeit wurde bisher viel zu geringgeschätzt. Und auch bei der publikumswirksamen Aufarbeitung der vorhandenen Erkenntnisse besteht noch Nachholbedarf. Dabei denke ich besonders an meine heimatliche Region. Auf der Schwäbischen Alb steht der Archäopark in Niederstotzingen aus finanziellen Gründen vor dem Aus. Gezeigt wird dort u. a. ein Mammut aus Elfenbein, das ein Künstler in der Steinzeit vor 40 000 Jahren geschnitzt hat. Der UNESCO-Welterbestatus wird jetzt gefährdet, da die kleine Gemeinde verständlicherweise einen jährlichen Abmangel von 300 000 Euro nicht dauerhaft tragen kann, und das Land Baden-Württemberg sich bisher geweigert hat, einzuspringen.

Eine große Steinplatte deckt die Grabkammer ab. Seitlich sind die tragenden aufrechten Steine zu sehen.
Am Dolmen Mané Rethual (auch Rutual oder Retuel), der nun schon sechs Jahrtausende auf dem Buckel hat, lässt sich ablesen, wie wenig geschichtsbewusst häufig gehandelt wird. Einst war auch diese Grabanlage unter einem Hügel verborgen, der jedoch seiner Steine wegen geplündert wurde und durch die näher gerückte Bebauung verschwunden ist. Die kleine Erdaufschüttung erfolgte im Rahmen von Restaurierungsmaßnahmen. Die eigentliche Grabkammer bedeckt eine gewaltige Steinplatte mit einer Länge von 11,30 Metern und vier Meter Breite. Es könnte sich um einen früheren Monolithen gehandelt haben, der hier eine zweite Nutzung erfuhr. Dieser Stein musste einst aus der Nähe von Auray immerhin über eine Strecke von zehn Kilometern herangeschafft werden. Geschlossen wurde die Anlage, da verschiedentlich Lagerfeuer in der Grabkammer entzündet wurden und weiterer Vandalismus zu beobachten war. So manchem Zeitgenossen scheint es an der notwendigen Sensibilität und dem Respekt gegenüber historischen Orten zu mangeln. Trotz eindeutiger Hinweise klettern immer wieder Besucher auf den jahrtausendealten Monumenten herum. (Bild: Ulsamer)

Nun nochmals zurück zu den historischen Orten in der Bretagne, die einen vielfältigen Einblick in die jungsteinzeitliche Kultur vermitteln: Gerade die Hügelgräber, ob als Cairn, Tumulus oder Dolmen erhalten, aber auch die einzelnen Menhire und die Steinreihen sind auf jeden Fall einen Besuch wert. Die Menschen in der Steinzeit kamen ohne Schrift aus, dennoch würde ich ihre Gesellschaften dank ihrer kulturellen Schaffenskraft als Hochkultur bezeichnen. Religiöse Überzeugungen waren mit die Grundlage für das Gestalten der Hügelgräber, und ohne gesellschaftliche Strukturen, ausdifferenzierte Fähigkeiten und einer komplexen Organisation konnten Großprojekte wie die Hügelgräber in der Bretagne, die Grabanlage im irischen Newgrange oder der Steinkreis in Stonehenge nicht realisiert werden.

 

Kreisförmige Ornamente, die ineinander übergehen, auf einer hellen Steinplatte.
Viele steinzeitliche Ritzzeichnungen auf bretonischen Megalithen haben in ihrer stilisierten Form moderne und universelle Anklänge – wie hier im Cairn auf der Insel Gavrinis. (Bild: Ulsamer)

 

Schwere Steinplatten liegen auf aufrechten Steinen.
Der nächstgelegene Fundort für das beim Dolmen La Roche aux Fées verwandte Schiefergestein – in der Nähe von Rennes – liegt vier Kilometer entfernt im Wald von Theil-de-Bretagne. Der Dolmen misst 19,50 Meter auf 6 Meter und hat eine Höhe von 4 Metern. Zur Wintersonnenwende am 21. oder 22. Dezember bilden die ersten Sonnenstrahlen eine Linie mit der Achse des Dolmens. (Bild: Ulsamer)

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