Wie der Kohleausstieg in Deutschland zur Farce wird
Jetzt lässt RWE seine MitarbeiterInnen aus den Braunkohletagebauen und Kraftwerken aufmarschieren und für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstrieren. Und vor den Toren demonstrieren die Gegner und versuchen die Schaufelradbagger und die Transportgleise zu besetzen. Selbstredend darf der Ausstieg aus der Braunkohle nicht zu Lasten der Belegschaft gehen: Längst hätten Bundes- und Landesregierungen die Förderung innovativer Technologien in den betroffenen Regionen fördern müssen. Zu den Ausstiegsszenarien gehören zwangsläufig neue Arbeitsplätze. Andererseits duldet der Klimawandel keinen Aufschub! Die Verstromung von Braunkohle passt nicht zur Unterschrift der von Angela Merkel geführten Bundesregierung unter dem Pariser Klimaabkommen. Klar muss aber auch sein, dass als Ersatz weder Braunkohle noch Strom aus Braunkohle importiert werden darf. So ist es auch mehr als abwegig, dass wir in Deutschland die Steinkohlebergwerke aufgelassen haben, doch die Kohle für die Kraftwerke kommt jetzt aus dem Ausland.

RWE macht Hambacher Forst zum Symbol des Widerstands
Dem Braunkohleabbau soll der letzte Rest des Hambacher Forsts – trotz des gerichtlichen Aufschubs – geopfert werden, und der Vorstand von RWE hat bis heute nicht begriffen, dass sie mit ihrer Kompromisslosigkeit den ‚Hambi‘ zu einem Symbol des Widerstands erhoben haben. Da nutzt es auch nichts, wenn über Twitter vorgerechnet wird, dass der Hambacher Forst nur 200 Hektar umfasse, wobei doch in Nordrhein-Westfalen anderweitig noch 935 000 Hektar Wald wüchsen. Diese Milchmädchenrechnung wird die Gegner nicht überzeugen und so mancher Stromkunde wird den Anbieter wechseln, wenn er auf diese Weise für dumm verkauft werden soll. Ehe man die Axt an Bäume legt oder die Vollernter in den Forst schickt, sollte man auch über die Sinnhaftigkeit nachdenken und sich fragen, ob in Zeiten des Klimawandels dieser Eingriff noch zu rechtfertigen ist.
Aber seit Jahrzehnten verlieren viele Menschen auch ihre Heimat. Die Schaufelradbagger und die nachfolgende Verstromung von Braunkohle nehmen nicht nur den Anwohnern der Tagebaue ihre Heimat, sondern es müssen immer mehr Menschen im Zeichen des Klimawandels wegen des ansteigenden Meeresspiegels ihre Heimat verlassen. Es nutzt dem Klima nichts, wenn Kommissionen zum Kohleausstieg tagen und Entscheidungen verschoben werden. Von der Bundesregierung hätte ich bereits vor Jahren eine klare Haltung erwartet, spätestens aber in den Koalitionsvertrag von Union und SPD hätte ein Ausstiegsdatum gehört. Aber es ist ja so einfach, umstrittene Themen an Kommissionen abzudrücken, denn dann kann die Bundesregierung beim Schwarze-Peter-Spiel die missliebige Karte an die Fachleute weiterreichen. Irgendwann muss man sich fragen, ob man statt einem Parlament und einer Regierung gleich Kommissionen einsetzt. Mein Fall wäre dies allerdings nicht.

Wir brauchen Dialogbereitschaft und Kompromisse
RWE hat mit seiner kompromisslosen Haltung den Widerstand erst befeuert. Wieder ein Beispiel dafür, dass es ohne Dialogbereitschaft in einer demokratischen Gesellschaft nicht geht! RWE scheint auch zuletzt an die eigene Belegschaft zu denken, denn auch diese wird verunsichert, wenn der Streit vor der eigenen Haustür stattfindet. Bei unserem jüngsten Besuch im Rheinischen Braunkohlerevier ist uns in Gesprächen deutlich geworden, dass der lokale Widerstand verhalten ist: Nicht nur die direkt Beschäftigten, sondern auch viele Dienstleister und Zulieferer hängen von RWE ab. Dies verdeutlicht RWE in entsprechenden Tweets ausdrücklich, damit dies nur ja keiner vergesse und sich nicht irgendwo nicht im Sinne des Unternehmens äußere. Hier sollte Unternehmens-PR auch seine Grenzen haben. Erwähnenswert ist andererseits, dass RWE eine Vielzahl von Einblicken in seine Tagebaue ermöglicht. Darüber habe ich bereits berichtet. Wenig Verständnis scheint RWE aber für Andersdenkende aufzubringen, die in einem mehrere hundert Meter tiefen Tagebau nicht das Paradies auf Erden erblicken.
Die Widerständler im Hambacher Forst saßen in ihren Baumhäusern relativ isoliert, doch die RWE schafft es mit ihrer halsstarrigen Politik, zahlreiche Natur- und Umweltschützer so wütend zu machen, dass sie sich ins Rheinische Braunkohlerevier aufmachten. Völlig aberwitzig ist die per Twitter verbreitete Lesart von RWE. Da wird fleißig der Waldbestand in Nordrhein-Westfalen (935 000 ha) ins Verhältnis zum Hambacher Forst mit seinen verbliebenen 200 Hektar gesetzt oder eifrig berichtet, dass in Deutschland mehr Wald nachwächst als eingeschlagen wird. Im Prinzip eine Binsenweisheit, die wohl kaum irgendjemanden zu einer positiveren Einstellung im Sinne von RWE zu bringen in der Lage ist. Das Thema des nachwachsenden Waldes hätte ich an Stelle von RWE nicht aufgegriffen, schon gar nicht in einem Hitzejahr wie 2018: Die Förster mussten wegen der überlangen Trockenheit bereits so viel Bäume mit starken Hitzeschäden und Borkenkäferbefall einschlagen lassen, dass in der üblichen Winterzeit keine Bäume geschlagen werden können. Der Holzmarkt läuft über, die Preise sind im Keller. Gerade diese Trockenheit mit höheren Temperaturen als üblich wird aber dem Klimawandel zugerechnet, und an dem sind auch die Braunkohle-Verstromer von RWE mitschuldig.

Bundesregierung spielt Belegschaften gegen Klimaschutz aus
Manchmal scheint uns die Bundesregierung aus Union und SPD auch für dümmer zu halten, als wir Wählerinnen und Wähler sind. Ansonsten könnten uns doch Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Ministerschar nicht predigen, wir müssten dem Klimawandel entgegenwirken, und gleichzeitig verkünden, die Braunkohle solle noch Jahre oder Jahrzehnte gefördert und zur Stromerzeugung verfeuert werden. Dieser Widerspruch fällt gewiss auch Politikern in Land und Bund auf, doch es folgen keine konsequenten Handlungen. Das Problem Braunkohle liegt seit Jahren auf den Kabinettstischen, doch statt mutiger und zukunftsweisender eigener Entscheidungen warten wir noch immer auf ein konkretes Ausstiegsdatum. Und nicht nur die Bundeskanzlerin gibt den Kommissionsmitgliedern mit auf den Weg, zuerst müsste geklärt sein, welche neuen Tätigkeiten den Kumpeln geboten werden können, erst dann sei ein Ausstieg denkbar.
„Die Prämisse, unter der die entsprechende (Kohle-)Kommission arbeitet heißt: Erst Zukunftschancen, dann die Frage, wann wird ausgestiegen aus der Braunkohle.“ Diese Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel halte ich für einen Beitrag zu einem üblen politischen Verwirrspiel: Die Beschäftigten im Braunkohletagebau brauchen Zukunftsperspektiven, aber der Klimawandel lässt sich nicht mit jahrzehntelangen Denk- und Handlungspausen aufhalten.

Klimaschutz nur auf dem Papier
Seit Jahr und Tag sollte doch jedem Politiker klar sein, dass das Ende der Steinkohlebergwerke nur ein erster Schritt sein konnte. Und es ist dazuhin nur ein halbherziger, als der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet im September 2018 theatralisch mit den Kumpels ein letztes Mal in die Zeche Prosper-Haniel einfuhr, wenn zeitgleich die Steinkohlewaggons aus Polen zu deutschen Kraftwerken rollen oder die Steinkohle um die halbe Welt per Schiff nach Deutschland transportiert wird.
Folgt man der Statistik der Kohlewirtschaft, dann wurden allein im Jahr 2017 über 40 Mio. Tonnen Steinkohle und Steinkohlebriketts von Deutschland importiert. Davon kommen 16 Mio. Tonnen aus Russland, fast 8,5 Mio. Tonnen aus den USA und Kanada, und aus Australien 5 Mio. Tonnen, um nur diese Beispiele zu nennen. Was soll dann das Wortgeklingel der Bundesregierung, die vom Kohleausstieg phantasiert, obwohl die Kohle nur nicht mehr aus deutschen Bergwerken stammt. Völlig pervers ist es, die Kohle aus Australien um den Globus zu schippern mit von umweltschädlichstem Schweröl angetriebenen Schiffen und zuhause mediengerecht die letzte Grube dichtzumachen. Im Berichtsjahr 2017 vermeldet die Statistik noch die Förderung von 14,7 Mio. Tonnen in deutschen Bergwerken. Wenn diese Tonnage dann durch zusätzliche Importe aufgefangen wird, dann zeigt sich, dass der Kohleausstieg eine Farce ist.

Steinkohle war ein Subventionsempfänger
In den Steinkohlebergwerken arbeiteten 1957 in der Bundesrepublik Deutschland über 600 000 Mitarbeiter, 60 Jahre später, 2017, waren es noch 5 711. Strukturwandel ist also durchaus möglich, und dies gilt auch für die Braunkohletagebaue. Aber wir sollten uns nicht in die Tasche lügen: Für das Klima ist nichts gewonnen, wenn wir die Kohle importieren statt sie zu ersetzen. Und wenn ich dann an die Lieferungen aus Australien oder Kolumbien denke, dann läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Die Emissionen aus den Schiffsdieseln tragen auch nicht dazu bei, dass wir einen möglichst geringen Temperaturanstieg des Weltklimas erreichen.
Betrachtet man die wirtschaftlichen Kennziffern, dann wird deutlich, dass die Steinkohle in Deutschland über 50 Jahre rd. 130 Mrd. EURO an Subventionen verschlungen hat, denn die geförderte Kohle ist deutlich teurer als die importierte. Vor diesem Hintergrund machte die Schließung der Zechen auch für den Steuerzahler Sinn, doch das Klima hat nichts davon, wenn wir die Kohle importieren.
Zur ‚Ehrenrettung‘ der Braunkohle muss ich darauf hinweisen, dass sie ohne staatliche Subventionen gefördert wird, doch dieses wirtschaftliche Argument darf natürlich nicht über die Klimaschäden hinwegtäuschen. Auch diese schlagen nicht nur durch menschliches Leid, sondern auch finanziell zu Buche.

Angela Merkel: Drei Amtsperioden verschlafen
Alternative Erwerbstätigkeiten hätten längst auch für die Braunkohleregionen erarbeitet werden müssen! Warum hat die Bundeskanzlerin nicht die letzten drei Amtsperioden für einen Richtungswechsel genutzt? Arbeitnehmer und Natur dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Donald Trump mit seinen simplen Ansichten und Aussagen noch besser für seine Anhänger zu ‚verstehen‘ ist: Er leugnet den Klimawandel und schippt eifrig Kohle in die Kraftwerke, so handelt er widerspruchsfrei, allerdings auch falsch. Die kognitive Dissonanz, die entsteht, wenn zwei Erkenntnisse konträr sind, lässt sich aber nicht beseitigen, indem man das Klimaabkommen preist und gleichzeitig den Hambacher Forst den Schaufelradbaggern überlässt. Wir brauchen eine in sich konsistente Politik, und dies setzt eindeutige Festlegungen in Bundes- und Landespolitik voraus. Aber gerade daran mangelt es – und dies nicht nur in diesem Themenfeld. Die Antwort auf die desaströse Politik bekommen Union und SPD bei jeder Wahl verpasst, doch die Denkzettel bei der Bundestagswahl, in Bayern und Hessen scheinen keinen Umdenkungsprozess in Gang zu setzen. Die Grünen befinden sich im Aufwind, obwohl auch sie als Teil der nordrhein-westfälischen Landesregierung nur an potentiellen Erweiterungsflächen für die Braunkohleförderung herumgedoktert haben. Doch ihre Wählerschaft scheint ihnen dies nicht krumm zu nehmen.

Offenheit statt Nebelkerzen
Wenn wir den vom Menschen mit verursachten Klimawandel zumindest begrenzen wollen, dann müssen wir jetzt handeln. Und daher erwarte ich auch von der Bundes- und den Landesregierungen klare und eindeutige Handlungen – und kein Verschieben der Entscheidungen in Kommissionen. Die Fakten liegen längst auf dem Tisch, doch die Bundesregierungen unter Angela Merkel haben sich gerne als Kämpfer gegen den Klimawandel gezeigt, siehe Pariser Klimaabkommen. In Wahrheit aber ist viel zu wenig passiert.
Völlig unverständlich ist es für mich auch, dass bei Autos ständig die Emissionsgrenzwerte gesenkt werden, obwohl bei der Kohleverstromung gewaltige Mengen an klimaschädlichem CO2 freigesetzt werden. Und die Dauerkritik am Diesel – nicht zuletzt angetrieben von der Mini-Organisation Deutsche Umwelthilfe – trägt auch nicht zur CO2-Minderung bei.
Auf der Skala des Absurden bekommt der Ausstieg aus der Steinkohle die Höchstpunktzahl! In Deutschland wird die letzte Zeche geschlossen und den Bürgerinnen und Bürger medial der Eindruck vermittelt, die politischen Entscheidungsträger hätten etwas für die Umwelt getan. Doch Fehlanzeige: Gleichzeitig importieren wir 40 Mio. Tonnen Steinkohle – und dies selbst aus Australien!
Wenn wir jetzt über den Stopp der Braunkohleförderung in Deutschland sprechen, dann muss auch klargestellt werden, dass keine Importe für die Verstromung vorgenommen werden. Darüber hinaus darf dann auch kein Strom, z.B. aus Polen, bezogen werden, der mit Braunkohle erzeugt wurde. Wir brauchen mehr Ehrlichkeit in der Umweltpolitik, denn Nebelkerzen nutzen uns nichts!

5 Antworten auf „Braunkohle: RWE befeuert den Widerstand selbst“