Umweltverträglichkeitsprüfung wird zur Farce
Industrieansiedlungen sind für mich unerlässlich, wenn wir in Deutschland unseren Wohlstand erhalten wollen. Dies schreibe ich aus voller Überzeugung, doch den gleichen Stellenwert haben für mich Mensch und Tier, Natur und Umwelt. Daher müssen bei technisch orientierten Projekten selbstredend Kompromisse auf allen Seiten eingegangen werden, und in diesem Sinne habe ich auch bei der Realisierung eines Prüf- und Technologiezentrums im baden-württembergischen Immendingen mitgewirkt. Große Zweifel kommen mir allerdings bei den Ansiedlungswünschen von Tesla in Brandenburg. Wenn ich den Bericht zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) lese, der jetzt zur „Gigafactory Berlin“ ins Internet eingestellt wurde, frage ich mich ernsthaft, ob dieser überhaupt einen solchen Namen tragen darf. Zumindest die „Zustandsanalyse Tiere, Pflanzen und biologische Vielfalt“ halte ich für einen handfesten Skandal. Hier wird der rote Teppich sinnbildlich, den die Landesregierung in Brandenburg für Elon Musk ausrollt.
Eine „Begehung“ ersetzt keine umfassende Kartierung
Das Bundes-Immissionsschutzgesetz, nach dem die Genehmigung für die Tesla-Fabrik vorgenommen werden soll, setzt bewusst hohe Ansprüche: „Zweck dieses Gesetzes ist es, Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen.“ Beim bereits erwähnten Projekt in Immendingen an der Donau wurden 5 000 Arbeitsstunden für eine Kartierung von Flora und Fauna aufgebracht, und dies durch Fachleute, die zumeist den Naturschutzverbänden nahestehen. Diese Erfassung lief über ein ganzes Jahr, um die gesamte Vegetationsperiode abzubilden. Wie heißt es dagegen im Bericht von ‚GfBU-Consult Gesellschaft für Umwelt- und Managementberatung‘? „Im Rahmen des UVP-Berichts wurde der Standort im November 2019 begangen.“ Eine Begehung ausgerechnet im November!
Kein Wunder, dass zu vielen Pflanzen und Tieren auf dem potentiellen Tesla-Gelände keine detaillierten Angaben gemacht werden können. „Es wurden Habitate mit hoher und mittlerer Eignung als Lebensraum für Zauneidechsen eruiert.“ Na toll, kann ich da nur sagen. Dafür hätte es keiner „Begehung“ bedurft, aber viel wichtiger wäre, wo Eidechsen auch gesichtet wurden. Doch dazu eignen sich natürlich nur die wärmeren Jahreszeiten. Soll dies wirklich eine wissenschaftlich fundierte Berichterstattung sein? Nein! Und dies dürfte selbstredend im Sinne des Landes Brandenburg und von Tesla sein, denn noch in 2020 soll gebaut und 2021 Elektroautos produziert werden.
Keine solide Datenbasis
Abstrus bis lächerlich ist der Satz im UVP-Bericht: „Es wird vermutet, dass der Vorhabenstandort Vögeln als Brutgebiet dient.“ Dieses ist bei einer Fläche von 300 Hektar – überwiegend Waldfläche – nun wirklich eine Binsenweisheit! Und im angehängten „Artenschutzrechtlichen Fachbeitrag“ von „Arcadis – Design & Consultancy for natural and built assets“ kann man lesen: „Die zu rodende Fläche wurde 02.12.2019 bis 10.12.2019 im Bereich der zu rodenden Flächen Phase I und Phase IB und in den übrigen Bereichen größtenteils (ca. 80% der Fläche) begangen, um abzuschätzen, welche artenschutzrechtlich relevanten Arten dort in welchen Populationsgrößen siedeln.“ Das ist wirklich ein Schlag in die Magengrube jedes Naturschützers: Zugvögel sind weg, Fledermäuse im Winterquartier, Eidechsen schlummern im Versteck. Dann wäre es doch ehrlicher, zu sagen, man will die Ansiedlung mit der Brechstange durchsetzen, aber dieses scheinheilige Geschreibe in einem UVP-Bericht macht wirklich überhaupt keinen Sinn. Selbst den ‚Arcadis‘-Mitarbeitern ist dies aufgefallen: „Da es sich aus jahreszeitlichen Gründen nur um eine Einschätzung handelte, war im Zweifelsfall das ‚worst-case-Szenario‘ heranzuziehen.“ Eine echte Bestimmung der Tiere und Pflanzen war so nicht möglich. Damit sind aber auch Abfangaktionen – z. B. bei Eidechsen – ohne echte Grundlage, da man ja nicht genau weiß, wo welche Tiere zu erwarten sind.
Zwangsläufig bringt der „Artenschutzrechtliche Beitrag“ keine tragfähige Analyse der Daten aus der Kartierung zu allen Jahreszeiten, da diese nicht stattgefunden hat. Stattdessen gibt es einen Aufguss vorhandener Daten, die teilweise mehrere Jahre alt sind. „85 Vogelarten können im Untersuchungsgebiet als Brutvögel nicht zu 100 % ausgeschlossen werden.“ Interessanter wäre aber, welche Vögel denn erkannt und kartiert wurden, was allerdings nur möglich wäre, wenn ein längerer Zeitraum herangezogen würde. So ist auch nicht bekannt, ob es einen Wolf im Untersuchungsgebiet gibt oder nicht. „19 Arten können im Untersuchungsgebiet nicht zu 100 % ausgeschlossen werden, vor allem Reptilien (Zauneidechse, Schlingnatter/Glattnatter), Fledermausarten und der Wolf als Art mit sehr großen Streifgebieten.“
Keine konkreten Aussagen zum Waldausgleich
Bei dem Projekt in Immendingen im Landkreis Tuttlingen, das die Daimler AG realisierte, wurden sogar Lockstöcke aufgestellt, um festzustellen ob ein Luchs durch die Region zieht und vielleicht einige Haare für die Analyse zurücklässt. Eine solche präzise Analyse kann in wenigen Tagen nicht durchgeführt werden, das ist klar, aber dann sollte man auch nicht wie beim Tesla-Projekt einen UVP-Bericht mit Anhängen erstellen, der im Grunde eher die Vorgaben und Kategorien für ein solches Dokument schildert. Aussagefähige Erhebungen fehlen und somit aktuelle Daten. Lächerlich ist es, statt regional erfasster Daten eine Karte der Wolfsbestände in Deutschland in den „Artenschutzrechtlichen Fachbeitrag“ aufzunehmen, die vom Bundesamt für Naturschutz stammt. Diese Karte ist wichtig und richtig, aber ohne jede Aussagekraft für die „Gigafactory“.
Auch beim Immendinger Vorhaben musste leider Fichtenwald fallen, um die naturschutzfachlich wichtigeren Magerwiesen zu erhalten. Doch vor der Genehmigung wurde nicht abgeholzt. Ganz anders in Brandenburg! Dies ist zwar mit einer Ausnahmegenehmigung legal, aber dennoch fragwürdig. So mancher Prüfvorgang kann bei Projekten verkürzt werden, die vorgeblich oder wirklich im öffentlichen Interesse sind. Dieses Schlupfloch wird jedoch in der brandenburgischen Südheide so erweitert, dass auch Vollernter und Bagger problemlos ‚durchpassen‘. Bei der Waldumwandlung wird sich zeigen, dass Ersatzaufforstungen schwierig sind, was ich selbst erleben musste, weil die Aufforstung von Wiesen naturschutzfachlich sinnwidrig ist und Ackerflächen von den Landwirten zurecht verteidigt werden. Zu den Flächen, die konkret für Aufforstungen oder Waldumbaumaßnahmen genutzt werden sollen, gibt es keine Hinweise in den jetzt zugänglichen Unterlagen.
Brandenburg: Arbeitsplätze gegen Natur ausgespielt
Die Landesregierung in Brandenburg sowie die nachgeordneten Behörden scheinen bei der öffentlichen Auslage der Projektunterlagen darauf zu setzen, dass die immer wieder erwähnten 8 000 Arbeitsplätze so überzeugend sind, dass artenschutzrechtliche Einwände nicht zur Geltung kommen. Als Bürger frage ich mich jedoch, ob es richtig ist, bei einem ausländischen Unternehmen alle rechtlichen Ausnahmeregelungen zu nutzen, um eine Ansiedlung zu sichern. Gerade kleine und mittlere Firmen haben es in Deutschland da deutlich schwerer.
Beim Projekt in Immendingen sind wir von der Gemeinde, vom Landkreis, dem Regierungspräsidium und der Landesregierung durchaus nach Kräften unterstützt worden, und dies hat mit zum Erfolg geführt. Alle Vorgaben des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wurden jedoch in der vom Gesetzgeber angedachten Reihenfolge abgearbeitet. Die frühe Einbeziehung der Natur- und Umweltschutzverbände war mir auch ganz persönlich ein Anliegen, und dies galt bereits für die Festlegung der Tiere und Pflanzen für die Kartierung. Von all dem ist in Brandenburg beim ‚Heilsbringer‘ Tesla nichts zu spüren. Das halte ich für falsch! Wie soll so ein Projekt mit möglichst geringem Einfluss auf Natur und Umwelt umgesetzt werden?
Bleibt der Exzentriker Elon Musk auf der Erfolgsspur?
Bei aller Begeisterung für batterieelektrische Fahrzeuge, die weite Bereiche der Politik erfasst hat, sollten wir auch bei der Tesla-Ansiedlung auf Natur und Umwelt achten. Ganz nebenbei oute ich mich dazuhin als Kritiker immer größerer Lithium-Ionen-Batterien – wie sie Tesla zum Durchbruch verhalfen. Das eingesetzte Lithium schadet bei seiner Gewinnung der Umwelt und auch den indigenen Völkern der jeweiligen Region. Es kann nicht sein, dass andere Menschen – wie zu Zeiten des Kolonialismus – leiden, nur damit wir weniger Feinstaub und CO2 in unseren Städten verzeichnen können. Daher setze ich zugleich auch auf den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur für Fahrzeuge mit Brennstoffzellen, denn batterieelektrische Fahrzeuge werden alleine den Umschwung in der Mobilität nicht erreichen.
Für Brandenburg hoffe ich sehr, dass die Tesla-Ansiedlung wirklich zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor wird. Elon Musk, der Tesla-Gründer, sprüht immer vor Ideen, der Aktienkurs steigt, obwohl Gewinne nicht erkennbar sind. ‚Die Zeit‘ schreibt über die ‚frohe‘ Botschaft: „Als der exzentrische Firmenchef Elon Musk vor ein paar Monaten die überraschende Standortwahl verkündete, war der Jubel groß.“ Exzentrisch ist noch eine freundliche Bezeichnung: Mal gerät Musk mit der US-Börsenaufsicht aneinander, wenn er per Twitter verkündet, er wolle das Unternehmen von der Börse nehmen, mal greift er zu abwegigen Vergleichen von Tesla-Kritikern mit Adolf Hitler. Bisher zählt sein Verkaufstalent mehr als die Tesla-Fahrzeuge, die per Autopilot den Fahrer ins Jenseits befördern oder die Feuerwehr im Brandfall vor neue Aufgaben stellt: Eine Lkw-Ladung Sand soll am besten zur Brandbekämpfung bei den leistungsstarken Batterien geeignet sein. Und sage und schreibe 11 000 Liter Wasser sind die Mindestmenge, die aber nicht jeder zur Hand hat. Mal sehen, was Elon Musk unserer Welt noch so ins Nest legt, pardon, in die Garage fährt – natürlich!
Natur kommt zu kurz
Natur und Umwelt haben einen hohen Stellenwert, und dieser darf auch bei ‚eilbedürftigen‘ Vorhaben nicht so gemindert werden, wie es in Brandenburg bei der Tesla-Ansiedlung der Fall zu sein scheint.
Den UVP-Bericht und den ‚Artenschutzrechtlichen‘ Fachbeitrag halte ich für eine Farce, da Tiere und Pflanzen nicht über eine Vegetationsperiode hinweg kartiert wurden. Abfangaktionen oder andere Maßnahmen für geschützte Tiere haben so keine solide Basis. Rätselhaft ist es für mich auch, wie Ausgleichsmaßnahmen sinnvoll festgelegt werden, wenn beim Start der Rodungen und Bauarbeiten keine soliden Daten über den Ist-Zustand bei Tieren und Pflanzen vorliegen.
Nach meiner Ansicht zeigt sich deutlich eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung von Tesla bei dieser Ansiedlung, zumindest durch die unzureichende Berücksichtigung der Schutzgüter Tiere und Pflanzen in der Umweltverträglichkeitsprüfung! Den saloppen Umgang mit Gesetzen und Verordnungen wie im SPD-/CDU-/Bündnis 90/Die Grünen-regierten Brandenburg bei der Tesla-Ansiedlung würde sich auch so mancher Mittelständler oder Gewerbebetrieb bei einer Erweiterung oder an einem neuen Standort wünschen.
Herr Dr. Ulsamer,
vielen Dank für diesen interessanten Artikel.
Es macht mich traurig und auch zornig zu sehen, wie unsere Heimat zerstört wird.
Besonders unter dem Gesichtspunkt, dass hier eine Produktionsstätte von „Ökofahrzeugen” entstehen soll, ohne Rücksicht auf naturrechtliche Belange.
Für mich ein Beispiel, wie wenig entwickelt das Bewusstsein für unsere Umwelt ist. Und die angeblichen Grünen schweigen dazu.
Jetzt sollten um die Fabrik noch zig Windkraftanlagen erstellt werden, damit auch noch die Fabrik mit „Ökostrom” betrieben werden kann.
Es ist das Eine, daß für die Teslaansiedlung Artenschutz mit Füßen getreten wird und Landschaften zerstört werden, ein Zweites, daß das Klima in Berlin – Brandenburg (Rodung von Wald, Versiegelung von Flächen) nachhaltig geschädigt werden wird und ein Drittes – und das ist der größte Skandal – daß die Ansiedelung in einem Trinkwasserschutzgebiet erfolgen wird. Im Moment erfolgt eine Antragsergänzung, weil man erst jetzt bemerkt, daß Pfahlgründungen für den Fundamentbau erforderlich sind – viele hunderte davon werden in einen Grundwasserleiter gerammt werden, der die Quelle der Trinkwasserversorgung der Region darstellt. Wenn man an die hochtoxischen Stoffe denkt (Gefahrstoffklasse III), mit denen dort hantiert werden wird, möchte man jetzt schon seine Kanister befüllen …