Besser keine Felchen als kein Trinkwasser
In Mitteleuropa steht der Bodensee von der Fläche her bei den Binnenseen an dritter Stelle hinter dem zur Schweiz und Frankreich gehörenden Genfersee und dem ungarischen Plattensee, doch beim Wasservolumen liegt er sogar auf dem zweiten Platz. Dem Bodensee kommt durch seine gewaltige Wassermasse und dem meist reichlichen Zufluss aus den Alpen eine große Bedeutung auch bei der Trinkwasserversorgung zu. Ganz folgerichtig schufen die Anrainerstaaten Deutschland, Österreich und die Schweiz gemeinsam mit dem Fürstentum Liechtenstein vor fast 60 Jahren die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB), um die Qualität des Wassers zu verbessern. Der Bodensee ist damit auch ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass sich bei einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit positive Veränderungen beim Umwelt- und Naturschutz erzielen lassen. Heute ist der Bodensee so sauber, dass die wenigen Berufsfischer klagen, die Felchen bekämen nicht mehr genügend Nährstoffe – z.B. aus Fäkalien und Dünger.
Wie immer im Leben gibt es bei Veränderungen fast zwangsläufig Gewinner und Verlierer, denn nur selten stellt sich eine Win-Win-Situation ein. Als noch die Abwässer der Gemeinden reichlich in den Bodensee flossen und der ‚nahrhafte‘ Dünger aus allerlei Ställen ein Übriges tat, da fühlten sich die Felchen, eine im Bodensee heimische, äußerst schmackhafte Fischart, recht wohl, sie wuchsen und gediehen. So ist es manchem Berufs- und Hobbyfischer ein Dorn im Auge, wenn nicht nur die Zahl der Fische, sondern auch deren Größe schrumpft. Den Feind haben die Fischer auch gleich ausgemacht: die 221 Kläranlagen, die den Rand des Sees zieren.
Der Kormoran als Totenvogel der Felchen-Fischer?
Und nicht zu vergessen, da gibt es auch noch den gefräßigen Kormoran, den sie gerne ausrotten würden. Zumindest soll er nach dem Willen mancher Fischer und ihrer Herolde vergrämt und so seine Gelege vernichtet werden. 2008 sprang ihnen auch noch der damalige Freiburger Regierungspräsident Julian Würtenberger bei und erlaubte es, bei Nacht die Elternvögel mit Scheinwerfern zu vertreiben, um auf diese Weise die Eier auskühlen zu lassen. Heute darf er als Ministerialdirektor zwar keine Brutvögel mehr vertreiben, aber immerhin als Amtsleiter die Administration des baden-württembergischen Innenministeriums leiten. Ich frage mich bis heute, welche Lobbyisten ihn dazu gebracht haben, Kormorane zu vergrämen, da er ansonsten nicht als Feind der Natur galt.
Der NABU wusste schon damals zu berichten, dass der Kormoran nicht der Totenvogel der Felchen-Fischer sei: „Dem Vorwurf der Fischer aber, der Kormoran würde eine große Menge Felchen aus dem See ziehen, widerspricht die Studie. Es hat sich gezeigt, dass der Kormoran im Untersee im Zeitraum der Untersuchung (Herbst/Winter 2011/12 und 2012/13) 5,4 Tonnen Felchen verspeist hat – in den Netzen der Berufsfischer landeten im gleichen Zeitraum 85,8 Tonnen.“ Aber der Kormoran hat echt Pech, dass nicht alle Fischer Studien lesen – ein Phänomen, das auch den Deutschen Bauernverband betrifft – und außerdem ist er auch noch schwarz! Schwarze Vögel – man denke nur an den Kolkraben – haben es tatsächlich deutlich schwerer Akzeptanz zu finden, als z.B. der Storch. Ach, und der bringt ja auch noch die Babys, während der Kormoran nur als Nahrungskonkurrent gilt. Leider.
Mehr Fäkalien für mehr Felchen?
Aber die Forderung mancher Fischer, wieder mehr Nährstoffe in den Bodensee einzuleiten, um ihnen die Felchen zu erhalten, grenzt schon an umweltpolitischen Irrsinn! Und neu ist sie auch nicht. Wenn es darum geht, sich zwischen sauberem Wasser und Bodensee-Felchen zum Mittagessen zu entscheiden, dann kann ich mich nur für die Wasserqualität entscheiden. Mehr Felchen würden ja auch mehr Fäkalien heißen, denn der reduzierte Zufluss von Fäkalien aus den Haushalten hat letztendlich diesen Bodenseefischen ihre Ernährungsgrundlage zum Teil entzogen. Dies ist sicherlich eine etwas verkürzte Darstellung, aber Felchen fehlt in zu sauberem Wasser die Nahrung. Und nur ganz abwegige Ewiggestrige können ja wohl auf die Idee kommen, den Reinheitsgehalt des Bodenseewassers absichtlich zu reduzieren, um einigen Fischern die Fänge zu sichern.
Noch in den 1920er Jahren war das Wasser im Bodensee so sauber, dass ein Fischereibiologe auf die glorreiche Idee kam, den Bodensee mit Jauche zu düngen, und emsig wie er war, entwickelte er auch ein Spezialschiff, das die Jauche im See verteilen sollte. Seine aberwitzige Idee wurde jedoch von der Jauche- und Fäkalienwelle gewissermaßen überrollt, denn bereits ein Jahrzehnt später entdeckte man, dass der Nährstoffgehalt so stark zugenommen hatte, dass nicht nur Algen und Plankton sprießten, sondern auch die Fische gediehen. Mehr und mehr wuchs das Bewusstsein, dass die Überdüngung und die Zunahme organischer Substanzen und deren Zersetzung den Sauerstoffgehalt des Wassers senkten und somit zur akuten Gefahr wurden. Vorbild war dann das Zusammenwirken der Anrainerstaaten – in der bereits erwähnten IKGB – und die 1962 verabschiedeten Richtlinien für die Reinhaltung des Bodensees.
Umweltverbesserungen nicht gefährden
Der Bodensee als Tourismusmagnet hat es wirklich nicht leicht, denn da kreuzen Fähren und Linienschiffe aller Art, da brausen Motorboote über den See und auch die Segeljachten haben ihren Außenbordmotor dabei. Doch die Wasserqualität ist nicht nur für die unmittelbaren Anwohner, für Badegäste, Tiere und Pflanzen wichtig, sondern auch für die Baden-Württemberger, die ihr Trinkwasser aus dem Bodensee beziehen, und dies sind immerhin vier Millionen Menschen. Der Autor des Beitrags gehört im Übrigen auch dazu. Einbezogen in das 1700 Kilometer lange Wassernetz sind 320 Städte und Gemeinden auf der Schwäbischen Alb, im Schwarzwald, am Neckar und in den nördlichen Teilen Baden-Württembergs. Über zwei Hauptleitungen wird das Wasser zu den Verbrauchern auf den Weg gebracht, das bei Sipplingen dem Bodensee aus 60 Meter Tiefe entnommen wird, wo konstant eine Wassertemperatur von fünf Grad Celsius herrscht. Eine weitere Million Menschen beziehen über verschiedene andere Aufbereitungssysteme ebenfalls ihr Trinkwasser aus dem Bodensee.
Sauberes Wasser ist in unserer Welt ein kostbares Gut und im Zeichen des Klimawandels nimmt die Bedeutung eines gewaltigen Wasserreservoirs wie des Bodensees noch an Bedeutung zu. Umso abstruser wäre es, würde man dem Gedanken einiger Interessengruppen folgen, und unsere Umwelt – hier den Bodensee – verschmutzen, um einer kleinen Gruppe ihren Broterwerb zu sichern. Mehr Fäkalien oder Dünger in den Bodensee zu schütten, um einer Handvoll Berufsfischern mehr Fische ins Netz zu spülen, ist wirklich so abwegig, dass ich mich nur wundern kann, wenn solche Vorschläge immer wieder in der Öffentlichkeit ernsthaft diskutiert werden. Würde man solch geistigen Verwirrungen folgen, dann dürfte es nie einen Ausstieg aus der Verstromung deutscher Braunkohle geben, denn dieser kostet auch die Jobs einiger zehntausend Arbeitnehmer: Ein Vielfaches an Menschen muss bei der Kohleförderung um seinen Job bangen, doch der Ausstieg aus der Braunkohle ist wichtig für unsere Umwelt. Und die zögerlichen Bundesregierungen unter Bundeskanzlerin Angela Merkel hätten sich beim Kohleausstieg mal ein Beispiel an den Initiativen nehmen können, die seit 1959 dafür gesorgt haben, dass der Bodensee wieder sauber wurde. Aber auch die jetzige Bundesregierung aus Union und SPD setzt beim Ausstieg aus der Braunkohleverstromung nicht auf schnelles Handeln, sondern hat mal wieder eine Kommission gebildet.
Frisches Wasser aus den Alpen
Dem Bodensee, der bis zu 250 Meter tief ist und rd. 48 km³ Wasser fasst, strömt 70 % seines frischen Wassers aus den Alpen zu. Damit kommt der Umwelt in dieser alpinen Region große Bedeutung zu, und dies gilt für menschliche Eingriffe ebenso wie für natürliche Veränderungen. Derzeit werden 130 Millionen m³ Wasser pro Jahr dem Bodensee entnommen, was weniger als 1 % des Gesamtdurchflusses ausmacht. Damit liegt die Entnahme für Trinkwasser unter der Verdunstungsrate. Ob niedrige Wasserstände im Juni, Juli und August 2017 nur Ausreißer darstellten oder auf stärkere Trocken- und Regenperioden hinweisen, dies wird erst die Zukunft zeigen. Zu den Veränderungen im Bodensee gehört auch die Verbreitung invasiver Arten wie beispielsweise der Quagga-Muschel, die ursprünglich die Zuflüsse zum Schwarzen Meer besiedelte.
Etwa 56 % des zufließenden Wassers bringt der Alpenrhein mit sich, und er sorgt damit auch maßgeblich nicht nur für die Füllung des Bodensees, sondern auch dafür, dass der Rhein genügend Wasser für seinen langen Weg hat. Nicht unerwähnt bleiben soll auch ein geologisches Phänomen: Der Rhein, der den Bodensee in einer Art Rinne am Seegrund in ganzer Länge durchläuft und an seinem westlichen Ende in Richtung Nordsee wieder verlässt, führt auch Wasser aus der Donau mit sich, obwohl sich dazwischen die Europäische Wasserscheide befindet. Kaum in Donaueschingen entsprungen – angereichert durch Brigach und Breg aus dem Schwarzwald – versinkt ein Teil des Donauwassers in Immendingen (Kreis Tuttlingen) und kommt etwa 12 Kilometer entfernt an der Aachquelle wieder zum Vorschein. Über die bei Radolfzell in den Bodensee fließende Aach und den Bodensee gelangt das Donauwasser dann in den Rhein.
Kooperation schützt kostbares Nass
Betrachten wir politische Streitigkeiten in der Welt unserer Tage, so werden immer häufiger Kriege um das kostbare Nass geführt oder die Anwohner verschmutzen Flüsse und Seen noch immer rücksichtslos. Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung nochmals unterstrichen, die der 1959 gegründeten Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) zukommt. Sie ist ein exemplarisches Beispiel dafür, dass durch frühes Eingreifen und konsequentes Handeln – z.B. Bau moderner Kläranlagen – Umweltkatastrophen abgewendet werden können. Auch das grenzüberschreitende und kooperative Handeln über die Jahrzehnte ist mustergültig.
Die IGKB mit ihren Mitgliedsländern Baden-Württemberg und Bayern, der Republik Österreich, der Schweiz mit den Kantonen Thurgau, St. Gallen und Graubünden sowie den Vertretern des Fürstentums Liechtenstein und den Beobachtern der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet sich zurecht als Schutzpatron des Bodensees. Letztendlich ließ sich die Kehrtwende in Sachen Umweltschutz am Bodensee nur durch das gemeinschaftliche Handeln der Anrainerkommunen, zahlreicher Initiativen auf verschiedenen Ebenen und ausreichenden Investitionen in die Infrastruktur ermöglichen. Viele andere Regionen auf unserem Globus sollten sich ein Beispiel an den Schutzaktivitäten rund um den Bodensee nehmen, und die Bundesregierung könnte entsprechende Initiativen zum Schutz des Wassers durch übernationale oder überregionale Kooperationen unterstützen. Der Kampf ums Wasser hat erst begonnen, und wir sind gut beraten, das Menschenrecht auf sauberes Wasser zu unterstützen. Menschenrecht auf frisches Wasser sollte jedoch nicht – wie von vielen Iren – missverstanden werden, denn sie erwarten, dass das Wasser kostenlos in jeden Haushalt geleitet wird. Auch alle Nutzer müssen durch Sparsamkeit und Kostenbeitrag ihren Teil zur Sicherung der Wasserversorgung beitragen.
Schon alleine die Größe des Einzugsgebiets von 11 500 km² unterstreicht die Bedeutung, die dem gemeinschaftlichen Handeln von Anfang zukam, denn einzelne Akteure können in dieser Dimension in Mitteleuropa Umweltprobleme nicht lösen. Auch in der Zukunft muss alles getan werden, um einen sachgerechten Ausgleich zu erreichen zwischen den Anforderungen des Natur- und Umweltschutzes, der Trinkwassernutzung, der Funktion des Bodensees für Naherholung und Tourismus, den wirtschaftlichen Bedürfnissen und den historischen Gegebenheiten. Damit wird aber auch klar, dass Einzelinteressen – wie die der Felchen-Fischer oder angedachter Felchen-Züchter – hinter dem Gesamtinteresse zurücktreten müssen. Und selbstredend stellen sich auch am Bodensee laufend neue Herausforderungen, denn nach der Reduzierung von Phosphateinträgen aus Dünger und Fäkalien, geht es jetzt um Arzneimittelreste und Mikroplastik. In guter Kooperation werden sich auch diese Probleme lösen lassen.
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