Ein Stadtspaziergang der besonderen Art
Was tut sich an der scheinbar ‚schmutzigsten Kreuzung‘ in Deutschland? Würde man Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) glauben, dann sollte man am Stuttgarter Neckartor nur mit einer Gasmaske vorbeischauen, doch ich habe es heute mal wieder ohne solche Vorkehrungen versucht – und bin noch in der Lage, wieder die Tastatur meines Laptops zu bearbeiten. Vom Schlossplatz aus bin ich zum Neckartor gewandert und habe trotz der Baustelle für Stuttgart 21 überwiegend schöne Parkanlagen passiert. Klar, ohne Blätter wird es nicht viel mit dem Herausfiltern von Feinstaub oder der Verminderung von CO2, aber dennoch hatte ich nicht den Eindruck, dass ich – wie manche Medien kolportieren – in der „schmutzigsten Stadt Deutschlands“ unterwegs sei. Ich bin eher erschrocken, dass am Stuttgarter Hauptbahnhof noch immer ein Trupp Ewiggestriger in ihrer Mahnwachen-Hütte ausharren und für eine Umnutzung der Baugruben für den unterirdischen neuen Bahnhof werben.

Werden die S 21 Gegner auch als Mumien demonstrieren?
Man kann das Bahnhofsprojekt in Stuttgart in Verbindung mit der Schnellbahntrasse nach Ulm für einen wichtigen Schritt in eine innovative Bahn-Zukunft halten – wie ich dies tue. Selbstverständlich steht es jedem zu, Stuttgart 21 auch für einen bahnpolitischen Fehlgriff zu halten, doch noch immer fordern Gegner einen Stopp des Projekts und eine Umnutzung der Baugruben. Welche Umnutzung schlagen denn die Kritiker für die riesigen Baugruben vor? Darauf habe ich bis heute keine vernünftige Antwort erhalten. Inzwischen nähern sich nicht nur immer mehr Tunnel der Fertigstellung, sondern auch das Gießen der markanten Kelchstützen für das Dach des unterirdischen Bahnhofs hat begonnen. Sollen dort dann Champignons gezüchtet werden? Für ein Schwimmbecken sind die Baugruben ohnehin zu groß. Zum Glück stehen am Schwabtunnel keine mumifizierten Protestierer, denn diese innovative Verkehrsverbindung wurde 1896 fertiggestellt – und schon damals waren Autos und Straßenbahnen im vorausschauenden Blick der Planer.

Am Neckartor angekommen, hatte ich das gleiche Gefühl: Die Übertreibungen der Deutschen Umwelthilfe erinnern mich an die unverdrossenen Streiter gegen Stuttgart 21. Wissenschaftliche Aussagen scheinen beide Gruppierungen ohnehin nicht in ihrer Dauer-Hysterie beeindrucken zu können. Und die von Jürgen Resch & Co. angebeteten Grenzwerte haben ohnehin den Nachteil, dass sie keine wissenschaftliche Grundlage haben. Letztendlich basieren die Grenzwertvorgaben der EU bei Stickoxiden auf älteren Abschätzungen, die sich auf Gasherde in Haushalten bezogen. Bei manchen Messstellen ist die Grundbelastung mit Stickoxiden schon ohne Fahrzeugverkehr so hoch, dass fast der Grenzwert gerissen wird. Dann bleibt eigentlich nur noch eines übrig, dass wir uns alle aufs Fahrrad schwingen – wie sich dies die Grüne Jugend Baden-Württembergs aufs Panier geschrieben hat – oder mit der S-Bahn, mit Straßenbahnen und Bussen fahren, aber Vorsicht: Feinstaub – der andere Erzfeind der Deutschen Umwelthilfe – entsteht auch bei Bremsvorgängen und durch Aufwirbelung durch Fahrzeuge ohne Verbrennungsmotor.

Auf der Jagd nach Feinstäubchen
Nicht nur am Aufstellungsort so mancher Messstelle gibt es Zweifel, sondern auch an der Festlegung der Grenzwerte innerhalb der EU. So schreibt die Stuttgarter Zeitung z.B. zur Belastung mit Stickstoffdioxid: „Am Sinn dieses Grenzwerts aber äußern inzwischen immer mehr Experten Zweifel. Die EU-Grenzwerte für Stickoxid und Feinstaub seien in keiner Weise gesundheitsgefährdend, in Deutschland sei noch kein Mensch durch Stickoxide gestorben, betonte jüngst der ehemalige Vorsitzende des deutschen Pneumologenverbands, Dieter Köhler.“ Aber solche Stimmen verstummten häufig unter dem Dauerbeschuss durch Organisationen wie der Deutschen Umwelthilfe. Ich würde zumindest erwarten, dass die Festlegung von Grenzwerten für Emissionen oder Immissionen einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten. Dies ist jedoch häufig nicht der Fall. Würden die apokalyptischen Aussagen zutreffen, dass Feinstaub etc. Millionen Menschen vorschnell dahinrafft, dann müssten bereits ganze Landesteile entvölkert sein – doch die Lebenserwartung sagt etwas anderes.

Ich hoffe, dass die neuen Filteranlagen am Neckartor einen Beitrag zur Verminderung der Immissionen beitragen, die die Menschen z.B. als Fußgänger oder in ihren Wohnungen erreichen. Auch kleinere technische oder pflanzliche Beiträge zur Minderung von Luftbelastungen ist wichtig. Eher ernüchternd ist es dann jedoch, wenn verstopfte Dolen direkt an der Kreuzung ein Abschwemmen von (Fein-) Staub verhindern. Gerade bei der Bekämpfung von Staub, der immer wieder aufgewirbelt wird, wollte die Stadt Stuttgart doch an die Kehrwoche anknüpfen! So argumentierte der grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn erst jüngst landsmannschaftlich und meinte, die Schwaben würden ein ÖPNV-Ticket mehr nutzen, wenn sie es über eine Nahverkehrsabgabe zwangsweise schon erworben hätten. Ganz folgen konnte ich dem zugereisten Schwaben Kuhn, der im fränkischen Bad Mergentheim geboren wurde, nicht: Vielleicht sind wir Schwaben manchmal sparsam, aber dies hat nichts mit der Nutzung des Autos oder des ÖPNVs zu tun, sondern mit den Vor- und Nachteilen der Verkehrsmittel. Wenn schon Bezüge zu vermeintlichen Grundeinstellungen der Schwaben, dann sollte sich Oberbürgermeister Kuhn doch besser an die Kehrwoche erinnern – und die Kehrmaschinen öfters im Straßenraum einsetzen.

Ganz nebenbei sollte dann auch der reichlich vorhandene Müll eingesammelt werden. Etwas mehr Grün in den ursprünglichen Pflanztrögen könnte wirklich nichts schaden: Einbetonierte Steine lassen höchstens einige zaghafte Moospflänzchen am Leben. Apropos Moos: Es ist höchste Zeit, dass die nächsten Mooswände zum Einsatz kommen. Mögen auch die ersten Versuchspflanzen der Sonneneinstrahlung und Wassernot zum Opfer gefallen sein, in Denkendorf wurden neue Mooswände entwickelt. Sie warten auf den Einsatz.

Geht es hier nach Stammheim?
Auf dem Rückweg durch die mittleren Anlagen, die ebenfalls zum Schlossgarten gehören, traf ich allerlei gefiederte Mitbewohner, denen eher die kalten Stunden als der Feinstaub zu schaffen machten. Es würde mich schon interessieren, wie die Emissionen im Park sind. Bei allen Messungen hatte es sich auch im Bereich des Neckartors gezeigt, dass schon in der nächsten Nebenstraße weit niedrigere Werte vorliegen.
Ab dem Baustellenbereich für den unterirdischen Tiefbahnhof kam ich mir allerdings vor, als würde ich mich auf den Weg nach ‚Stammheim‘ machen: Ich ging durch einen endlos lang erscheinenden Gitterkäfig. Nur eine Taube begegnete mir. Der Gang führte aber nicht in die Justizvollzugsanstalt Stammheim, in der einst auch führende Baader-Meinhof-Terroristen einsaßen, sondern zu den Bahnsteigen des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Keine Spur von einer Aussichtsplattform, sondern der Blick in Richtung Baustelle traf auf engmaschige Gitter. Hier hätte etwas Information über das Bauprojekt auch nicht geschadet. Infotafeln und Gucklöcher gibt es dagegen zwischen der Haupthalle des bisherigen Bahnhofs und den Bahnsteigen, aber durch die verdreckten Folien ist die Sicht reichlich getrübt.

Gemeinsam mit meiner Frau und zwei unserer Enkelkinder bestiegen wir dann den Bahnhofsturm. Eine Aufführung des „Räuber Hotzenplotz“ hatte sie schon auf die Aussichtsplattform eingestimmt: Auch dort engmaschige Stahlnetze, verunziert mit unglaublich vielen Vorhängeschlössern. Manche Städte greifen an ihren Brücken bereits durch und entfernen diese Unzierde von sogenannten ‚Treueschlössern‘. Die eifrigen Fotografen aus der halben Welt bringen so nur Bilder von Stuttgart aus luftiger Höhe mit, die dann doch einen gewissen Knast-Charakter haben.

Licht nicht unter den Scheffel stellen
Manchmal würde ich mir wünschen, dass Politiker aus Stadt und Land mehr zu Fuß unterwegs wären, dann würden ihnen bestimmt auch die problematischen Ecken auffallen. Aber sie kämen dabei den vielen Schönheiten ihrer Gemeinden ebenfalls näher. Und jedem, der sich durch Stuttgart bewegt, fällt auch sofort auf, dass sich in Stuttgart viel tut, und dazu zähle ich unter anderem das Bahnprojekt Stuttgart 21. So wünsche ich mir das für meine Geburtsstadt – und alle Kommunen in Deutschland, denn Stillstand ist Rückschritt.

Vorstellen kann ich mir auch nicht, dass die Medienvertreter, die Stuttgart zur „schmutzigsten Stadt Deutschlands“ erkoren, jemals durch die Parks in Stuttgart gingen und der Kreuzung am Neckartor einen Besuch abgestattet haben. Da habe ich in Europa wirklich schon ganz andere Straßen und Kreuzungen erlebt, wo mir wirklich fast der Atem stockte. Natürlich müssen wir in Stuttgart weiter an der Verbesserung der Luftqualität arbeiten, aber wir sollten uns nicht von Jürgen Reschs Grenzwert-Hysterie anstecken lassen. Sie hat nichts mit der Realität zu tun, sondern dient nur dem Geschäftsmodell der Deutschen Umwelthilfe.
Nicht nur in Stuttgart würde ich mir einen pfleglicheren Umgang mit der eigenen Geschichte wünschen: Die Statue von König Wilhelm II. beispielsweise gehört nicht neben einen blauen Container und auch nicht auf den Hinterhof der Geschichte. Aber wen wundert es, in Berlin wird beispielsweise für Großveranstaltungen das Brandenburger Tor mit Klo-Häuschen verunziert und der rot-rot-grüne Senat lässt Schneisen in die letzten Mauerreste schlagen. Stuttgart sollte nicht mit seinen kulturellen und landschaftlichen Reizen geizen und sein Licht nicht unter den Scheffel stellen.










4 Antworten auf „Besuch bei den Feinstaubfressern am Stuttgarter Neckartor“