Am Teufelsberg wird Geschichte lebendig
Im Berliner Grunewald liegt mit dem Teufelsberg die zweithöchste Erhebung im Stadtgebiet. Hoch oben sind schon aus der Ferne die Kuppeln zu sehen, unter denen sich während des Kalten Krieges Antennen befanden, womit amerikanische Geheimdienstler und ihre britischen Kollegen weit in die Staaten des Warschauer Pakts hineinhorchen konnten. Als sich der Eiserne Vorhang unter Michail Gorbatschow hob, die Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland und der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) möglich wurde und sich die Staaten in Mittel-Osteuropa vom Joch der kommunistischen Parteien befreiten, da kam Horchen, Lauschen und Spähen nicht nur in der DDR, sondern auch auf dem Berliner Teufelsberg aus der Mode. Amerikaner und Briten gaben die Abhörstation auf, die sich nach einem Zwischenspiel als zivile Radaranlage für den Flugverkehr und einem gescheiterten Immobilienprojekt zu einem Lost Place entwickelte, der heute besonders historisch interessierte Besucher und Fotografen anzieht. Künstler haben mit ihren Graffitis eine durchaus sehenswerte ‚Galerie‘ geschaffen.

Geheimdienstler mit großen Ohren
Die Räumlichkeiten der Horchstation haben unter jahrelangem Leerstand und Vandalismus gelitten, die Bespannung der Kuppeln ist zerrissen, doch gerade dies macht den Teufelsberg anziehend. Es handelt sich auch nicht um einen Lost Place, einen verloren Ort, den man illegal betreten müsste, sondern man bezahlt Eintritt und schon fühlt man sich einige Jahrzehnte zurückversetzt. Die Horchstation selbst hat zeitgeschichtliche Bedeutung, auch der Berg an sich und was sich unter den bewaldeten Flächen befindet. Der Teufelsberg entstand nicht wie die südöstlich von Berlin liegenden Müggelberge in der Eiszeit, sondern nach dem Zweiten Weltkrieg. 26 Mio. Tonnen an Gebäudetrümmern wurden aus der schwer zerstörten Stadt herausgekarrt und zum Teufelsberg bzw. dem etwas niedrigeren Drachenberg aufgeschüttet. Rund ein Drittel der Trümmer Berlins türmen sich hier auf. Sie bedecken auch die gesprengten Ruinen einer von den Nationalsozialisten beauftragten ‚Wehrtechnischen Fakultät‘, die zu unser aller Glück wie die von Adolf Hitler ersonnene und von Albert Speer geplante Hauptstadt ‚Germania‘ nicht fertiggestellt werden konnte. Dieser Trümmerberg bezeugt wie beispielsweise der Monte Scherbelino in Stuttgart das Scheitern der NS-Diktatur, die in ihrer Hybris die Welt in Brand setzte und mit der planmäßigen Ermordung von sechs Millionen Juden ein beispielloses Verbrechen beging. Die Trümmer der Stadt wurden ab 1972 mit Erde überdeckt und mit rd. einer Million Bäumen bepflanzt.

Die Field Station der National Security Agency (NSA) zog – nach mobilen Geräten – ab 1963 in eigens erbaute Räumlichkeiten. In der Horchstation arbeiteten bis zu 1 500 Personen in drei Schichten. Rund um die Uhr wurden Telefongespräche und Funkverkehr in der DDR, aber auch im weiteren Umfeld abgehört. „Die Field Station Teufelsberg war eine der bedeutendsten Abhörstationen des Westens“, so 2018 die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa. „Als einzige westliche Station konnte sie unmittelbar in ihrem Zielgebiet arbeiten. Sie ist daher ein herausragendes Denkmal des Kalten Krieges und ein Symbol für Berlin als Zentrum der Geheimdienste aus Ost und West.“ Ganz folgerichtig wurden die Anlagen unter Denkmalschutz gestellt.

Glücklose Investoren
Gefragt waren in der Horchstation Fremdsprachenkenntnisse, und ich kann nur hoffen, dass aus den gesammelten Daten auch die richtigen Schlüsse gezogen wurden. Häufig waren Informationen aus der Sowjetunion in den westlichen Staaten ganz ohne Spione verfügbar, doch es fehlte an der konsequenten Auswertung. Dies zeigte sich, als die Sowjetunion am 4. Oktober 1957 einen Satelliten ins Weltall schoss. ‚Sputnik‘ wurde als Überraschung empfunden, viele US-Amerikaner waren geschockt, wären allerdings die in den USA gesammelten russischsprachigen Fachzeitschriften systematisch analysiert worden, dann hätte sich der Start absehen lassen. Es kommt eben nicht nur darauf an, Informationen zu horten, sondern sie auch zu bearbeiten. Während US-Amerikaner und Briten mit ihrer Horchstation politische und militärische Erkenntnisse aus dem von der Sowjetunion beherrschten Block gewinnen wollten, hatte sich die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) darauf spezialisiert die eigenen Bürgerinnen und Bürger zu bespitzeln. Das Ministerium für Staatssicherheit beschäftigte in der DDR kurz vor der Wende mehr als 90 000 hauptamtliche Mitarbeiter, dazu kamen – je nach Quelle – ca. 110 000 bis 189 000 sogenannte Informelle Mitarbeiter (IM). Der ‚VEB Horch und Guck‘ war eine der wichtigsten Stützen der SED bei der Unterdrückung freiheitsliebender Bürgerinnen und Bürger.

Nach der Aufgabe der Horchstation durch Amerikaner und Briten im Jahr 1991 kehrten die Radarkuppeln nochmals zu ihren Anfängen zurück, denn mit mobilen und festinstallierten Anlagen hatten die US-Amerikaner ab den frühen 1950er Jahren vom Teufelsberg aus die drei Flugkorridore, die das von der DDR umgebene West-Berlin mit der Bundesrepublik Deutschland verbanden, im Blick. Die deutsche Flugsicherung überwachte bis 1999 den zivilen Flugbetrieb. 1996 erwarb die Investorengemeinschaft Teufelsberg GbR (IGTB) das 4,7 Hektar große Gelände für nur 5,2 Mio. DM. Über den Schichten des nationalsozialistischen Größenwahns, den Trümmern des zerbombten Berlins und der Horchstation sowie der zivilen Flugsicherung planten Investoren ab 1998 die Errichtung eines Hotels, Restaurants, exklusiver Wohnungen und eines Spionagemuseums. Vom Regenwasser gefüllte und grünlich schimmernde Kellergeschosse sind noch erkennbar, doch die Bauherren sind längst in die Insolvenz gerutscht. Zwischenzeitlich ist die Baugenehmigung erloschen, im aktuellen Flächennutzungsplan von 2006 ist das Gelände als Wald ausgewiesen und das Denkmalamt stellte die noch vorhandenen Gebäude – wie bereits erwähnt – unter Schutz. Bereits im Kaiserreich hatte im Übrigen der Magistrat der Stadt Berlin 1915 die Flächen zum ‚Dauerwaldgebiet‘ erklärt, das der Erholung der fast zwei Millionen in Berlin lebenden Menschen dienen sollte, doch darum hatten sich die Nationalsozialisten natürlich nicht gekümmert, als sie eine Militärakademie bauen wollten.

Historie und Kunst
Zwar haben die Besitzer des Geländes ihre wenig aussichtsreichen Baupläne auf dem 120 Meter hohen Hügel noch nicht aufgegeben, doch derzeit hat Marvin Schütte, der Sohn eines der Anteilseigner, das Gelände gepachtet. Künstler haben hier die Chance, auch großformatige Arbeiten auf die zahlreichen Wände zu malen oder zu sprühen. Allerdings müssen sie damit rechnen, dass ihre Gemälde, ihre Graffitis nicht für die Ewigkeit sind, sondern immer wieder übermalt werden. Somit lohnt sich ein Besuch des Teufelsbergs nicht nur für historisch Interessierte oder diejenigen, die sich in den teilweise schummerigen Räumen gern mal gruseln wollen, sondern auch für Kunstbeflissene, die kompakt unterschiedlichste Street-Art-Werke betrachten können. Richard Rabensaat, freier Journalist, Künstler und einer der Initiatoren der Initiative ‚Kultur-Denk-Mal Teufelsberg‘, bezeichnete die Anlage als „größte Graffiti Galerie Europas“. Und so drängt sich bei einem Besuch in Berlin die Kombination von East Side Gallery und dem Teufelsberg geradezu auf.

Nicht nur die künstlerischen Werke an Fassaden und Wänden regen zu Diskussionen an, sondern auch die Reste der Field Station auf dem Teufelsberg. Die Horchstation verlor ihre Bedeutung, als sich Ost und West in Europa näherkamen, trennende Grenzen fielen und die zerfallenden Kuppeln damit zu einem Sinnbild für das Zusammenwachsen Europas geworden sind. Die aktuelle politische Lage macht mehr als deutlich, dass mit Wladimir Putin das Trennende wieder in den Vordergrund tritt. Nationalismus und Imperialismus erleben mit dem russischen Präsidenten eine Renaissance. So wird im Rückblick noch deutlicher, dass sich ohne Michail Gorbatschow als Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion der Eiserne Vorhang nicht gehoben hätte. Europa hat ihm viel zu verdanken und muss nun alles menschenmögliche tun, damit Putin die Ukraine nicht unterwerfen und in ein ‚Sowjetreich‘ mit neuem Anstrich zwingen kann.

Mit dem Teufelsberg lässt sich ein Bogen der deutschen Geschichte beschreiben, der vom Kaiserreich über den Nationalsozialismus, die weitgehende Zerstörung Berlins im Zweiten Weltkrieg bis zum Kalten Krieg und zur Wiedervereinigung reicht. Der Senat sollte sich stärker als bisher bemühen, die Gebäude der Horchstation zu erhalten und weiter für eine künstlerische Nutzung zu öffnen. Auf dem Teufelsberg wird deutsche und europäische Geschichte lebendig. Historie und Graffiti verbinden sich zu einem sehenswerten Ganzen.




