Tierquälerischere Massentierhaltung muss beendet werden
Im Juli 2020 befasste sich der Bundesrat mit der Fixierung von Sauen im Kastenstand und heraus kam mal wieder eine Verlängerung der Qualen für Schweine. Von Fortschritt in Sachen Tierwohl keine Spur: Julia Klöckner wollte als Bundeslandwirtschaftsministerin gar den seit Jahr und Tag gesetzeswidrigen Kastenstand fortschreiben, doch auch die Initiative grün-mitregierter Länder brachte keinen Durchbruch. Kastenstände bleiben für weitere 15 Jahre möglich, obwohl mehrere Gerichte bereits vor Jahren gegenteilig urteilten und der Deutsche Ethikrat mahnte, die Übergangsfristen kurz zu halten. Warum gibt es in Deutschland im Agrarbereich immer jahrzehntelange Übergangsfristen, um weniger Gülle auszubringen oder eine Tierhaltung ohne Quälerei zu ermöglichen? Ganz anders sieht dies in anderen Lebensbereichen aus: Da kauft sich ein Bürger beispielsweise einen Euro-5-Diesel und zwei Jahre später kann er nicht mehr in die nächste Umweltzone einfahren, um seine Eltern zu besuchen. Die nicht gerechtfertigte Sonderstellung der gesamten landwirtschaftlichen Produktion bis hin zur fleischverarbeitenden Industrie muss ein Ende finden! Aber Julia Klöckner und ihre Vorgänger greifen nicht durch, nein, ganz im Gegenteil: Sie machen sich zu Lobbyisten einer falschen Agrarpolitik, unter der die Tiere, die Natur, die familiengeführten bäuerlichen Betriebe, die Steuerzahler und letztendlich alle Verbraucher leiden.
Tierquälerei legalisiert
„Unter den heute gängigen Zucht-, Haltungs-, Schlacht- und Verwertungsbedingungen werden Tieren oft routinemäßig Schmerzen und Leid zugefügt“, so der Deutsche Ethikrat in seiner aktuellen Stellungnahme „Tierwohlachtung – Zum verantwortlichen Umgang mit Nutztieren“: “Diese Praxis der Tiernutzung ist nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern steht auch in deutlicher Spannung zu den oben skizzierten ethischen Rahmenbedingungen. Daraus ergibt sich ein erheblicher Bedarf an praktischen Reformen.“ Doch die Bereitschaft zu konkreten Reformen lässt die deutsche Politik seit Jahren, ja Jahrzehnten vermissen. Man denke nur an die Enthornung von Kälbern, die Kastration von männlichen Ferkeln, das Töten überzähliger männlicher Küken oder eben das Einsperren von Muttersauen in Metallkäfige – die Kastenstände. Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner wollte die Kastenstände nicht mit einem politischen Verfallsdatum versehen, sondern stattdessen eine weitere Legalisierung dieser tierquälerischen Schweinehaltung. Der ehemaligen Weinkönigin war es sogar noch zu viel, dass Sauen ihren Kopf und ihre Gliedmaßen ausstrecken können. Und dies wenigstens auf dem Papier. Ich bin mir sicher, dass wir in der Landwirtschaftspolitik schnell eine Verbesserung für das Tierwohl durchsetzen könnten, wenn die Damen und Herren Politiker, Lobbyisten und Verbandsvertreter, die sich für Kastenstände stark machen, genau dort einige Wochen Platz nehmen müssten!
Wie können die deutschen Bundesländer und die Bundesregierung beim Kastenstand in der Schweinezucht über ethische Grundsätze hinweggehen und erneut überlange Fristen für die Abschaffung der Kastenstände zugestehen? So dürfen Sauen im Deckzentrum weitere acht Jahre in Kastenständen gehalten werden, und im sogenannten Abferkelbereich sogar über einen Zeitraum von 15 Jahren! Diese Zeiträume halte ich für völlig indiskutabel, gerade auch vor dem Hintergrund, dass seit Jahren Gerichte entschieden haben, Sauen müssten sich ungehindert ausstrecken können. Und der Deutsche Ethikrat betont: „Die Achtung des Tierwohls begründet darüber hinaus die Forderung, aus verfassungsrechtlichen Gründen unabweisbare Übergangsfristen für die Beseitigung tierschutzwidriger Zustände auf den zwingend erforderlichen Zeitraum zu begrenzen und nicht zu verlängern.“ Warum gibt es dann überlange Übergangsfristen und hunderte von Millionen an Förderung? Im Grunde ist der Kastenstand, in dem sich Muttersauen nicht einmal umdrehen können, nur der Gipfel des Eisbergs, denn Tiere werden in Deutschland in immer größeren Stallanlagen zusammengepfercht. Ein Gutteil der gewonnenen tierischen Erzeugnisse wird in alle Welt exportiert: Tiere werden gequält, Böden ausgebeutet, das Grundwasser mit zu viel Gülle verunreinigt, und dies alles, um subventioniertes Fleisch oder Milch in andere Weltregionen zu schicken. In nicht wenigen Fällen werden mit EU-Exporten die heimischen Märkte in Afrika zerstört, was schließlich zu weiteren Flüchtlingsströmen führt. Und um die Perversion zu vervollständigen: In Brasilien wird der Regenwald gerodet, um noch mehr Soja für die Tierhalter in Deutschland anbauen zu können.
Minimaler Platz – große Qualen
Tierschutzorganisationen – wie Peta – weisen seit Jahren darauf hin, „dass Sauen in Kastenständen offene Wunden, Entzündungen und andere schmerzhafte Verletzungen davontragen. Durch die Zucht auf immer mehr Ferkel und mehr Fleischansatz werden die Tiere größer und breiter, doch die starren Kastenstände ‚wachsen‘ nicht mit.“ Auch Schnitzelesser sollte das kalte Grausen packen, wenn sie die brutale Tierhaltung sehen! „Zuchtsauen werden zur Besamung sowie für bis zu vier weiteren Wochen in sogenannten Kastenständen untergebracht, die ihnen fast keine Bewegungsmöglichkeiten erlauben. Um den Termin der Abferkelung verbringen sie weitere vier bis fünf Wochen in gleichermaßen bewegungseinschränkenden sogenannten Abferkelbuchten“, so nochmals der Deutsche Ethikrat. „Nur für die etwa elf dazwischenliegenden Wochen leben sie in Gruppenhaltung mit mehr Bewegungsfreiheit.“ Apropos „Bewegungsfreiheit“ in der Schweinezucht: Einem Schwein mit 110 Kilogramm Gewicht steht heute nach EU-Vorgabe gerade mal ein Quadratmeter Bodenfläche zur Verfügung! Beim Tierwohllabel aus dem Hause Klöckner sollen es dann knapp zwei Quadratmeter sein. Wer möchte auf einer solchen Fläche sein Dasein fristen?
Die Covid-19-Ausbrüche in Fleischfabriken haben mehr als deutlich belegt, dass dort Arbeitnehmer unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht sind und arbeiten müssen. Bundes- und Landespolitiker haben hier ebenfalls seit Jahren mindestens ein Auge zugedrückt, und der frühere SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel beriet gar den in die Kritik geratenen Fleischkonzern Tönnies. Dazu passt Julia Klöckner, die sich als Schutzpatronin einer Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie geriert, die auf ausgetretenen Pfaden ohne Rücksicht auf Ökologie und Nachhaltigkeit unterwegs ist. Sie kocht schon mal gerne im Fernsehen mit Billigfleisch oder ‚wirbt‘ für Nestlé. Für Kritiker, die an der EU-Subventionspolitik ebenso zweifeln wie an Placebos wie dem Tierwohllabel, hat Julia Klöckner kein offenes Ohr. Sie fordert eine weitere Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion, und Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt sie gewähren – wie auch die Vorgänger. So betonte Landwirtschaftsministerin Klöckner: „Wir werden nicht mit romantisierenden Bullerbü-Vorstellungen zurück zu einer vormodernen Landwirtschaft kehren, weil man sich ein Idyll sucht, weil der eigene Alltag vielleicht zu hektisch ist. Damit werden wir die Menschen nicht ernähren können.” Klöckner und Vertreter des Deutschen Bauernverbands und die ‚Grün-Kreuzler‘ mit ihren Trecker-Demos haben bis heute nicht verstanden, dass die schonungslose Ausbeutung der Natur, von Tieren und Pflanzen, eben auch zu Lasten von uns Menschen geht.
Übergangsfristen kürzen!
Weder in der Europäischen Union noch in Deutschland wurden die letzten Jahre für einen Systemwandel in der Landwirtschaft genutzt, welcher allerdings notwendig ist, wenn wir bäuerliche Familienbetriebe ebenso schützen wollen wie Insekten oder Vögel. Besonders von Bündnis 90/Die Grünen hätte ich mehr erwartet. Es reicht nicht, wie Robert Habeck auszurufen: “Dieses Preisdumping im Supermarkt macht mich wütend. Das muss die Bundesregierung untersagen“. Staatliche Produktionszahlen und Preisvorgaben für Nahrungsmittel hatten wir ja schon mal in unserer jüngeren Vergangenheit, doch die DDR ist gescheitert.
Wir brauchen eine Agrarrevolution, die mit einer weiteren Intensivierung in der Landwirtschaft bricht und das Tierwohl über den Profit setzt. Lasst Schweine, Rinder und Hühner auf die ‚Weide‘, dann reduziert sich deren Zahl automatisch, und die Preise steigen. Dabei kann es nicht angehen, dass der Steuerzahler zuerst die EU-Agrarsubventionen aufbringt, um dann als Verbraucher für halbwegs artgerecht gehaltene Tiere und deren Produkte nochmals zu bezahlen! Julia Klöckner und ihre Entourage schieben gerne den Verbrauchern den Schwarzen Peter zu, denn die sollten doch so lange in den Regalen und Tiefkühltheken herumsuchen, bis sie Erzeugnisse finden, die ökologisch produziert wurden. Ein Tierwohllabel reicht nicht, wenn wir Tieren Qualen ersparen wollen. Die Politik muss Vorgaben für eine nachhaltige landwirtschaftliche Erzeugung machen und diese auch durchsetzen – in der gesamten EU.
Es geht nicht an, dass Muttersauen weitere 15 Jahre in Kastenstände gesperrt werden. Schweine bekamen auch in früheren Zeiten Ferkel, und die Jungen konnten bei Gefahr durch die Körper ihrer Mütter oder anderer Artgenossen durch Schlupflöcher in einen anderen Stallbereich ausweichen! Schweinen steht ein artgerechtes Leben zu, wenn sie schon von und für uns Menschen gezüchtet werden. Die Übergangsfristen bis zur Abschaffung der Kastenstände müssen deutlich gekürzt werden – und zwar jetzt!
Sehr geehrter Herr Dr. Ulsamer,
vielen Dank für Ihren Einsatz für die armen Schweine und die Menschen, die an deren Verarbeitung beteiligt sind.
Das Leiden der Tiere lässt sich nicht über das Verhalten der Verbraucher, insbesondere in kurzer Zeit, abmildern.
Gefordert ist, worauf Sie zurecht hinweisen, die Politik.
Die Regelung kann dann nicht über eine Preisverordnung erfolgen, sondern über EU weite Tierschutzregelungen. Beginnen muss man unvermeidlicher weise national.
Die gestiegenen artgerechten Haltungsbedingungen führen dann automatisch zu höheren Preisen und zu einem geringeren Verbrauch. Dies würde den Schweinen, der Umwelt und uns Menschen nutzen.
Durch die nachhaltige Missachtung der Würde der Tiere, gefährden wir auch unsere eigene Menschenwürde.
Gerhard Walter, Immendingen