Baden-Württemberg ohne Gesamtstrategie für UNESCO-Eiszeitkunst
Vor 40 000 Jahren schufen Menschen auf der Schwäbischen Alb die ersten figürlichen Kunstwerke, die Menschen oder Tiere zeigen, und spielten auf Flöten aus Mammutelfenbein oder Gänsegeierknochen. Gefunden wurden diese steinzeitlichen Artefakte in sechs Höhlen im Lone- bzw. Achtal, die seit 2017 gemeinsam mit den dort entdeckten Kunstobjekten zum UNESCO-Welterbe zählen. Mich faszinieren die oft nur wenige Zentimeter großen Arbeiten steinzeitlicher Künstler, egal ob sie ein Mammut oder einen Wasservogel darstellen oder gar ein Mischwesen aus Mensch und Löwe. Die Venus vom Hohle Fels ist eine der ältesten plastischen Darstellungen einer Frau bzw. des menschlichen Körpers an sich. So klein diese Werke auch sein mögen (die ‚Venus‘ misst beispielsweise 6 cm in der Höhe, das ‚Mammut‘ 4 cm in der Breite), so bedeutsam sind sie für das Verständnis des Lebens in der Steinzeit. Daher ist es für mich verwunderlich, dass die baden-württembergische Landesregierung unter dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann keine nachhaltigen Schritte unternommen hat, den Archäopark bei Niederstotzingen zu erhalten. Und es ist unverständlich, weil die Auszeichnung ‚Welterbe‘ der UNESCO verbunden ist mit der Verpflichtung, dieses der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Verschlossene Ohren bei der Landesregierung
Nun bin ich mir durchaus bewusst, dass Landesregierungen beständig mit Bitten um Unterstützung eingedeckt werden, und daher kann nicht überall geholfen werden. Doch wenn es um eine Welterbestätte geht, dann sollten die Alarmglocken läuten. Das Gegenteil scheint allerdings der Fall zu sein. Das zuständige Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen lässt zur Schließung des Archäoparks verlauten, es handle sich nur um eine kommunale Einrichtung und daher sei auch der UNESCO-Welterbestatus nicht gefährdet. In dieser kommunalen Trägerschaft liegt auch eines der Probleme, denn eine Gemeinde – auch wenn sie sich seit 1365 Stadt nennen darf – mit weniger als 5 000 Einwohnern kann auf Dauer nicht hunderttausende von Euro an Abmangel tragen. Der Archäopark ist im Grunde eine Nummer zu groß für eine solche Kommune, daher hatte der Gemeinderat auch bereits vor zwei Jahren das ‚Aus‘ avisiert, sollte die Landesregierung nicht unterstützend tätig werden. Dies sieht auch Andreas Stoch, SPD-Fraktionsvorsitzender im baden-württembergischen Landtag so, in dessen Wahlkreis Niederstotzingen liegt: “Offenbar träumt man in der grün-schwarzen Regierung immer noch davon, dass ein kleiner Ort wie Niederstotzingen und viele private Gönner und Sponsoren dem Land Baden-Württemberg eine Welterbestätte zum Nulltarif liefern.“ Der Hilferuf aus Niederstotzingen blieb im nicht so fernen Stuttgart ungehört. Angeboten wurden 35 000 Euro an Miete für einen Ableger des Landesamts für Denkmalpflege und einer Höhleninformationsstelle, die im Gebäude des Archäoparks angesiedelt werden sollten. Bei einem deutlich höheren Defizit konnte das nicht die Lösung sein, und im Archäopark hätte es dann auch nicht mehr für Fachpersonal oder zielgruppenorientierte Bildungsangebote gereicht. Da zog der Gemeinderat in Niederstotzingen Ende November einstimmig die Reißleine und blieb bei seinem Entschluss, die Steinzeitpräsentation zu schließen.
Vergeblich hatten sich Professor Nicholas Conard, der als erfolgreicher Archäologe in den Höhlen der Schwäbischen Alb wichtige Artefakte ausgegraben hat, und zahlreiche deutsche und internationale Fachkolleginnen und -kollegen in einem offenen Brief an Ministerpräsident Kretschmann gewandt und ihn an seine Aussage erinnert: „Lassen wir uns heute offiziell als Erben in die Pflicht nehmen, den Kulturschatz zu bewahren, der tausende Jahre überdauert hat.“ Dieser Satz des grünen Ministerpräsidenten stammt aus dem Jahr 2017, und der Anlass war die Aufnahme der Höhlen als Fundstellen eiszeitlicher Kunst in die Liste der UNESCO-Welterbestätten. Umso befremdlicher ist jetzt die Weigerung der grün-schwarzen Landesregierung, den Archäopark finanziell abzusichern und in eine Gesamtstrategie einzubinden. Genau dieses übergreifende Konzept fehlt seit Jahren, denn die steinzeitlichen Artefakte werden auf der Schwäbischen Alb im Archäopark in Niederstotzingen sowie im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren und im Eiszeitstudio Hohle Fels in Schelklingen präsentiert. Nicht nur Niederstotzingen, sondern auch Schelklingen und Blaubeuren tun sich wegen der Größe der Gemeinden schwer mit der dauerhaften Finanzierung. Die wissenschaftliche Leitung liegt bei Professor Conard von der Universität Tübingen. Alle drei Örtlichkeiten bieten den Vorteil, dass die in den letzten 150 Jahren gefundenen Kunstwerke und Alltagsgegenstände aus der Steinzeit in der Nähe der Höhlen gezeigt werden können, in denen sie ausgegraben wurden. Es bietet sich somit an, auch die Fundstellen zu besuchen. Im Archäopark bilden die Vogelherdhöhle als Fundstelle und die Ausstellung – z. B. einer Mammutfigur aus Elfenbein – sogar eine örtliche Einheit. Die räumliche Nähe ist einerseits ein Vorteil für das Verständnis der damaligen Zeit, andererseits fehlt es damit an einer zentralen und kompakten Präsentation der wichtigsten Funde. Weitere Museen in Ulm, Stuttgart und Tübingen vervollständigen das Panorama, da auch sie über Funde aus den eiszeitlichen Höhlen verfügen.
Dezentrale Präsentation tragfähig?
Eine der Grundfragen, die ein Gesamtkonzept beantworten muss, ist damit vorgegeben: Soll es bei einer örtlichen Zersplitterung der herausragenden steinzeitlichen Kunstwerke bleiben oder macht es mehr Sinn, diese in einem Museum zu zeigen? Die regionalen Bezüge sprechen nach meiner Meinung für die bisherige Aufteilung, doch müsste dann weit stärker auf die Zusammenhänge abgehoben werden, was auch eine bessere Information und Werbung für das Gesamtensemble aus Höhlen, Artefakten und Museen unabdingbar machen würde. Der Andrang war bei unserem letzten Besuch überschaubar, und an den eigentlichen Fundorten waren wir im Grunde allein unterwegs. Die touristische Zugkraft ließe sich durchaus steigern, das ergab sich auch aus einem Gespräch mit einem Hotelier in Niederstotzingen: In seinem gut gehenden Haus fallen die wenigen Gäste, die auf den Spuren der Eiszeitkunst wandeln, nicht ins Gewicht. Wer an einer vielfältigen und fundortnahen Präsentation festhalten möchte, der muss intensiver deutsche und ausländische Touristen für einen Besuch gewinnen. Es genügt nicht, Schulklassen durch Museen zu schleusen, obwohl es unerlässlich ist, die Kinder und Jugendlichen möglichst zielgruppennah mit geschichtlichen Themen vertraut zu machen.
Politiker und Behörden oder Tourismusförderer sollten durchaus den Blick über die französische Grenze in die Bretagne werfen, denn die dortigen steinzeitlichen Monumente ziehen zahlreiche Besucher aus dem In- und Ausland an. Mehr zu den bretonischen Bau- und Kunstwerken aus der Jungsteinzeit finden Sie in meinen Blog-Beiträgen: ‚Bretagne: Die jungsteinzeitliche Hochkultur der Hügelgräber. Wird die europäische Frühgeschichte unterschätzt?‘ bzw. ‚Bretagne: Die Steinreihen von Carnac. 3000 Menhire erzählen ihre Geschichte‘. Auf der Internetseite des baden-württembergischen Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen, das auch für den Denkmalschutz und Antragsverfahren für die Welterbeliste zuständig ist, heißt es: „Alle sieben Welterbestätten im Land zeichnen sich durch ihren außergewöhnlichen universellen Wert, ihre Authentizität und Einzigartigkeit aus und gehören zum unschätzbaren und unersetzlichen Erbe der ganzen Menschheit.“ Wenn man dieser richtigen Feststellung folgt und die Präsentation steinzeitlicher Stätten z. B. in Frankreich betrachtet, dann müsste Ministerin Nicole Razavi (CDU) in ihrem Haus auch neue Impulse für die Höhlen auf der Schwäbischen Alb erarbeiten lassen. Es geht dabei nicht nur um steinzeitliche Artefakte, sondern auch um eine innovative Landesentwicklung. Es reicht nicht, die Auszeichnung des Fördervereins Eiszeitkunst im Lonetal durch das Deutsche Nationalkomitee für den Denkmalschutz im Jahr 2021 zu begrüßen: „Die Auszeichnung mit dem höchsten Preis der Denkmalpflege würdigt das außerordentliche ehrenamtliche Engagement des Fördervereins“, so Razavi. Lob ist schön, kostet aber nichts. Unterstützung für den Archäopark und die anderen Museen wäre wichtiger.
Gesamtstrategie – jetzt!
Das Thema Archäopark einer relativ kleinen Gemeinde und einem Förderverein zu überlassen, genügt nicht, ganz besonders dann, wenn man auf der Ministeriumsseite lesen kann: „Mit der Aufnahme in die Welterbeliste geht die Arbeit für das Land, die Region und die Welterbestätte erst richtig los: Die Auszeichnung ist mit der Verpflichtung verbunden, das kulturelle Erbe der Menschheit zu schützen, zu pflegen, in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und seine Bedeutung zu vermitteln.“ So ist es! Dann muss aber auch eine umfassende Lösung für die Präsentation der steinzeitlichen Kunstwerke auf der Schwäbischen Alb unter Einbeziehung der Fundorte umgesetzt werden. Ministerpräsident Kretschmann und Ministerin Razavi kenne ich aus wirtschaftlichen Projekten und kann mir daher nicht vorstellen, dass sie sich einer zukunftsorientierten Lösung verschließen würden, doch wie so oft in der deutschen Politik scheint es der baden-württembergischen Landesregierung an einer klaren Strategie zu mangeln. Verderben zu viele Köche den Brei? Ohne den grünen Finanzminister Danyal Bayaz lässt sich kaum eine nachhaltige Lösung entwickeln, denn er sitzt naturgemäß nicht nur auf dem Finanztopf, sondern ist auch Chef der ‚Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg‘. Dort ließe sich bei entsprechendem politischem Willen sicherlich auch der Archäopark andocken. Zumindest für das historische Erbe der Kelten hat die Landesregierung auf Anregung von Ministerpräsident Kretschmann konzeptionelle Vorstellungen erarbeitet, die versuchen, Schwerpunkte konsequent zu entwickeln, so z. B. die Heuneburg, und die vielfältigen Spuren der keltischen Vorfahren landesweit zu verbinden.
Eine gewisse Diskrepanz sehe ich darin, wenn das Land Baden-Württemberg die Sanierung und Erweiterung des Opernhauses in Stuttgart in Höhe von einer bis eineinhalb Mrd. Euro hälftig übernimmt, sich bei der Eiszeitkunst jedoch mehr als knausrig zeigt. „Die Funde, welche die Entstehung von Kunst und Musik in der Menschheitsgeschichte belegen, stellen ein außergewöhnliches Alleinstellungsmerkmal Baden-Württembergs dar“, so nochmals der von Professor Conard initiierte Brief. Es ist an der Zeit, dass auch die baden-württembergische Landesregierung dies so sieht und die Artefakte und Höhlen für die geschichtliche Bildung und den Tourismus stärker nutzt. „Die Höhlen und Eiszeitkunst auf der Schwäbischen Alb dokumentieren in herausragender Weise die Kultur der ersten in Europa siedelnden modernen Menschen“, so die UNESCO und fährt fort: „Einzigartige Zeugnisse dieser Kultur, die sich in den Höhlen erhalten haben, sind geschnitzte Figuren, Schmuck und Musikinstrumente. Sie gehören zu den ältesten Belegen figürlicher Kunst und den weltweit ältesten bis heute gefundenen Musikinstrumenten weltweit.“ Etwas mehr Geschichtsbewusstsein würde der grün-schwarzen Landesregierung gut anstehen! Baden-Württemberg benötigt eine umfassende Strategie für die Präsentation der Steinzeitkunst, die den Erhalt des Archäoparks einschließt, und dies jetzt und nicht erst in 40 000 Jahren! Selbstredend muss das Konzept auch finanziell unterfüttert sein.
Zum Beitragsbild
In der Archäologie hat es sich nicht nur auf der Schwäbischen Alb gezeigt, dass es Erfolg bringen kann, den Abraum früherer Grabungen mit neuen Arbeitsmethoden im wahrsten Sinne des Wortes durchzusieben. Beharrlichkeit und Präzision brachten bei einer Grabungskampagne 2006 unter Leitung von Nicholas Conard an der Vogelherdhöhle in Niederstotzingen dieses Mammut aus Elfenbein zu Tage. (Bild: Ulsamer)