Annegret Kramp-Karrenbauer setzt auf Dienstpflicht

Freiwilligkeit ist ein unschätzbarer Trumpf!

Schon als Generalsekretärin der CDU machte sich Annegret Kramp-Karrenbauer für eine Dienstpflicht aller jungen BürgerInnen stark. Aber auch auf der nächsten Karrierestufe schlägt ihr Herz weiter dafür, obwohl die Freiwilligendienste in Deutschland als Erfolg gelten können. Die Verteidigungsministerin und nebenberufliche CDU-Chefin will nicht nur die Lücken bei der Bundeswehr füllen, sondern schnurstracks zur allgemeinen Dienstpflicht durchmarschieren. So ganz neu ist der Gedanke gerade in unserem Land nicht, denn in den schwärzesten Tagen unserer Geschichte wurden Frauen und Männer bereits zum ‚Arbeitsdienst‘ gerufen. Auch ohne einen Rückblick dieser drastischen Art: Ist es denn richtig, das Erfolgsmodell Freiwilligendienste durch ein Pflichtsystem zu ersetzen? Ich habe da meine Zweifel, auch wenn Kramp-Karrenbauer gegenüber der Berliner Morgenpost betonte, hinter ihrer Idee stehe ein „zutiefst bürgerlicher Gedanke“. Darf denn ein liberaler Staat nach Gutdünken junge Menschen für ein Jahr zum Dienst verpflichten, wann immer ihm dies passt?

Annegret Kramp-Karrenbauer mit braunen kurzen Haaren im grünen Blazer am Mikrofon. Aufschrift am Rednerpult "Werkstattgespräch Dienstpflicht".
Annegret Kramp-Karrenbauer hatte zu einem ‚Werkstattgespräch Dienstpflicht‘ eingeladen. Bereits als CDU-Generalsekretärin hatte sie sich für ein verpflichtendes Jahr für junge Frauen und Männer ausgesprochen. Sie will damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern, doch ich habe den Eindruck, es sollen eher Lücken bei der Bundeswehr oder im Pflegebereich geschlossen werden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich gesellschaftlicher Zusammenhalt herbeikommandieren lässt. (Bild: Screenshot, Facebook, 4.12.19)

Dienstpflicht für alle

„Für mich ist es ein zutiefst bürgerlicher Gedanke, seinem Land und der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen“, unterstrich Kramp-Karrenbauer gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Gegen diesen Satz ist im Grunde nichts einzuwenden, wenn der Wunsch von der einzelnen Person ausgeht. Wer dieses Zurückgeben jedoch über eine Dienstpflicht einfordert, der stößt mehr Menschen vor den Kopf als er dadurch für unsere Gesellschaft gewinnen kann. Für eine CDU-Schleuderfahrt spricht es auch, dass die Wehrpflicht von der damaligen CDU-Vorsitzenden Angela Merkel ‚ausgesetzt‘ wurde, und nun wird das Gefährt gegen die nächste Leitplanke gesetzt: Dienstpflicht für alle! Dabei holt AKK gleich zum ganz großen Schlag aus, denn ihr Vorhaben sei „nicht nur für Junge“ gedacht. Auch die Zeit nach dem Berufsleben könne so mit neuen Inhalten gefüllt werden. Ich möchte nicht leugnen, dass es Mitbürger gibt, die nach neuem Sinn für ihr Leben suchen, aber ob sie den in einer Zwangsveranstaltung finden sollen und können, wage ich zu bezweifeln.

Dass ausgerechnet eine CDU-Bundesvorsitzende einen allgemeinen Zwangsdienst als „bürgerlich“ verkaufen möchte, lässt mich doch aufhorchen. Ich dachte immer, dies sei eher eine Vorstellung sozialistischer Regime. Widerspruch kam auch prompt aus der Schwesterpartei: „Die CSU setzt weiterhin auf ein freiwilliges und attraktives Deutschlandpraktikum. Eine allgemeine Dienstpflicht wäre heute militärisch nicht mehr hilfreich, viel zu teuer und verschärft den Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt“, sagte Vize-Generalsekretär Florian Hahn, so der Münchner Merkur. Junge Menschen dürfen nicht als Lückenfüller bei der Bundeswehr, bei Feuerwehr, Technischem Hilfswerk oder im Pflegedienst missbraucht werden. Weit wichtiger wäre es, die freiwilligen Helfer besserzustellen, sei es durch verkürzte Wartezeiten im Studium oder verbilligte Tickets bei Bussen und Bahnen.

Tweet von Christian Lindner. Text: "Die CDU diskutiert heute wieder über die Dienstpflicht .Linke und Grüne enteignen Wohnbesitz, die CDU Lebenszeit. Beim Fachkräftemangel macht es keinen Sinn, junge Menschen von Ausbildung fernzuhalten und Lebenszeit zu verstaatlichen. Erziehung ist Sache der Familien. CL"
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner widerspricht seiner CDU-Kollegin Annegret Kramp-Karrenbauer in Sachen Dienstpflicht. Ich habe noch im Ohr, dass dringend die Schulzeit verkürzt werden musste (achtjähriges Gymnasium), damit die jungen Deutschen früher ins Erwerbsleben einsteigen können. Da wurde der Bachelor als erster Studienabschluss gelobt, weil sich dann jüngere Hochschulabsolventen an den Werkstoren einfinden, und der Wegfall von Wehr- und Zivildienst wurde beklatscht. Alles unter von Angela Merkel geführten Bundesregierungen! Und jetzt kommt Annegret Kramp-Karrenbauer aus der Deckung und fordert eine einjährige Dienstpflicht für alle jungen Bürger! Spielt das Alter beim Start ins Berufsleben nun doch keine Rolle mehr? (Bild: Screenshot, Twitter, 4.12.19)

Bessere Förderung der Freiwilligendienste

Der Gedanke der Freiwilligkeit ist für mich so wichtig, dass er nicht leichtfertig geopfert werden darf. „Es droht etwas verloren zu gehen, ohne das eine Gesellschaft auf Dauer nicht bestehen kann: der Zusammenhalt seiner Bürgerinnen und Bürger. Für mich steht die Gemeinschaft innerhalb der Bevölkerung ganz vorne“, sagte die CDU-Vorsitzende. Diese Gefahr sehe ich ebenfalls, aber wie kann man auf die Idee kommen, mehr Zusammenhalt durch eine Dienstverpflichtung zu erreichen? Die CDU-Ministerpräsidenten Armin Laschet (Nordrhein-Westfalen) und Volker Bouffier (Hessen) sprachen sich zwar ebenfalls für die Förderung des Engagements junger Bürger aus, doch sie zweifeln an der Zweidrittelmehrheit für die notwendige Grundgesetzänderung. Mir geht es weniger um diesen rechtlichen Aspekt, sondern um die Förderung der freiwillig geleisteten Dienste. Im Bundesfreiwilligendienst engagieren sich derzeit rd. 40 000 Menschen, und dies ist eine stolze Zahl. Mit besserer Finanzausstattung und einer öffentlichen Aufwertung ließe sich diese Zahl sicherlich noch steigern – ganz ohne Zwang.

Im Übrigen fehlt es oft nicht an interessierten Freiwilligen, sondern an den finanzierten Plätzen. Der Bund könnte seinen Zuschuss als Vollkosten bezahlen, dann würden weitere Stellen im Freiwilligen Sozialen bzw. Ökologischen Jahr, bei entwicklungs- oder europapolitischen Aufgaben wie Pilze aus dem Boden schießen, denn häufig fehlen interessierten Trägern die notwendigen Eigenmittel. Dies monierte auch Anna Christmann von Bündnis 90/Die Grünen. „Es ist abstrus, dass Frau Kramp-Karrenbauer weiter von einer Dienstpflicht spricht, während in der Realität im Haushalt um jeden einzelnen Platz in den Freiwilligendiensten gekämpft werden muss.“ Und die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey mahnt an, die Rahmenbedingungen der Freiwilligendienste zu verbessern. Nach Meinung des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner solle unser Staat „Freiheit garantieren und nicht als Vormund oder Erzieher auftreten“. Im gesellschaftlichen ‚Spiel‘ sollten wir den Trumpf der Freiwilligkeit nicht aus der Hand geben.

Ausriss aus der Sindelfinger Zeitung vom 22.1.1981 mit der Überschrift "Technisches Hilfswerk Böblingen - 11 000 freiwillige Arbeitsstunden geleistet". Dazu ein Foto mit drei Personen bei der Gerätepflege.
Sie wundern sich über diesen etwas vergilbten Zeitungsausschnitt? Er stammt aus der Sindelfinger Zeitung und ist am 22. Januar 1981 erschienen. Am Ende unserer Schulzeit waren mein bester Freund und ich als Helfer beim Technischen Hilfswerk (THW) gelandet, und wir wurden für den Katastrophenschutz vom Wehrdienst freigestellt. Natürlich brauchen THW und Freiwillige Feuerwehren oder andere Hilfsdienste aktive MitstreiterInnen, doch sollten diese durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen und nicht durch eine neu verordnete Dienstpflicht angezogen werden. (Bild: Ulsamer)

Dienstpflicht verdunkelt Licht der Freiheit

Natürlich verstehe ich, dass Annegret Kramp-Karrenbauer nach den Wahldesastern ihrer Partei nach neuen Ufern aufbrechen möchte, aber – ganz ehrlich – so wird das nichts! Mit Witzen über das ‚dritte‘ Geschlecht, einsamen Vorstößen zu Syrien oder einer allgemeinen Dienstpflicht lässt sich der Abwärtstrend der Christdemokraten sicherlich nicht stoppen. Besonders ärgerlich macht es mich, wenn unter Bezug auf eine Dienstpflicht für alle gerne ein Zitat von John F. Kennedy herangezogen wird: „Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“ In seiner Antrittsrede hatte der US-Präsident nicht für einen Zwangsdienst geworben, sondern gerade den Gedanken der Freiheit in den Mittelpunkt gestellt: „Die Energie, der Glaube, die Hingabe, die wir diesem Unterfangen widmen, werden leuchten in unserem Land und in allen, die ihm dienen – und der Schein dieses Feuers kann wahrhaftig ein Licht sein für die Welt. Und deshalb, meine amerikanischen Mitbürger: Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt. Meine Mitbürger in der ganzen Welt: Fragt nicht, was Amerika für euch tun wird, sondern fragt, was wir gemeinsam tun können für die Freiheit des Menschen.”

Selbstredend wird es immer Aufgaben geben, die verpflichtend erfüllt werden müssen. So sehe ich auch Wehr- und Ersatzdienste in der früheren Form. Ich selbst war bereits vor meiner damaligen Musterung beim Technischen Hilfswerk aktiv und wurde für diesen Bereich des Katastrophenschutzes freigestellt. Insofern habe ich großes Verständnis für Hilfsorganisationen, die auch heute Helferinnen und Helfer suchen. Gleiches gilt für die Freiwilligen Feuerwehren. Wenn Helfer fehlen, dann müssen diese Dienste interessanter gestaltet werden, was in gleichem Maße auch für Pflegeberufe usw. gilt. Aber aus einer Mangelerscheinung ergibt sich noch lange keine Berechtigung für eine allgemeine Dienstpflicht. Und wer glaubt, den gesellschaftlichen Zusammenhalt über eine Dienstverpflichtung stärken zu können, der irrt! Die gesellschaftliche Einbeziehung der Bürger – ob jung oder alt – muss über Angebote verstärkt werden und nicht über Zwang. Dies sollte gerade die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer wissen. Und auch das Ehrenamt wird nicht gestärkt, wenn junge Menschen erleben, dass es nicht um die gesellschaftliche Kür geht, sondern um die Pflicht zum sozialen oder ökologischen Engagement.

 

 

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