Annegret Kramp-Karrenbauer: CDU setzt auf das ‚Weiter so‘

Wird der frische Wind in der CDU schon wieder zur Flaute?

Nach der 18jährigen Ein-Frau-Herrschaft von Angela Merkel in der CDU kam durch den Wettbewerb um ihre Nachfolge als Parteivorsitzende frischer Wind auf: Respektable Anwärter auf den Parteivorsitz wie Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz oder Jens Spahn boten personelle Alternativen – und dies ist in unserer Parteienlandschaft eher eine Seltenheit. Die 1001 Delegierten sprachen sich in Hamburg allerdings für ein Weiter-so mit Annegret Kramp-Karrenbauer aus. Merz landete relativ knapp auf dem zweiten Platz, obwohl er in seiner Bewerbungsrede weit analytischer und sachorientierter argumentierte. Jens Spahn, der als erster ernsthafter Kandidat seinen Hut in den Ring geworfen hatte, gebührt Respekt für sein Durchhaltevermögen im parteiinternen Wettlauf. Mit Kramp-Karrenbauer befürchte ich, dass der frische Wind wieder zu einem lauen Lüftchen wird: Dann sehe ich bei den nächsten Wahlen – Europa, Landtags- und Kommunalwahlen – jedoch schwarz für die CDU. Ohnehin gehe ich davon aus, dass sich die WählerInnen bei ihren Kreuzchen im Jahr 2019 nicht an der Besetzung des Konrad-Adenauer-Hauses, sondern am Kanzleramt orientieren werden.

Im Bild Jens Spahn (von links), Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz, leicht nach hinten versetzt Ralph Brinkhaus.
Seit einer Kampfabstimmung zwischen Rainer Barzel und Helmut Kohl im Jahre 1971 gab es bei der CDU keine ‚Kampfabstimmung‘ um den CDU-Vorsitz. Für eine demokratische Partei ist es ein gutes Zeichen, wenn sich wie jetzt beim Hamburger Parteitag drei präsentable Persönlichkeiten zur Wahl gestellt haben. Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn haben unterschiedliche politische Ansätze vorgetragen und damit auch den 1001 Delegierten eine echte Auswahl geboten. Annegret Kramp-Karrenbauer siegte mit 517 zu 482 Stimmen im zweiten Wahlgang gegen Friedrich Merz. Aber auch Jens Spahn erreichte im ersten Wahlgang mit über 15 % der Stimmen ein durchaus achtbares Ergebnis. Der Unions-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus hat sicherlich auch noch Ambitionen für die Zukunft. (Bild: Screenshot, Twitter, 7.12.18)

Schafft die Frau des Apparats einen Neubeginn?

Nach Abstürzen der CDU bei Wahlen, zuletzt in Hessen, und einer sinkenden Zustimmung in der Bevölkerung, war es höchste Eisenbahn für den Abgang von Angela Merkel als Parteivorsitzende. Tricky Angie hat ab 2000 als Parteivorsitzende und ab 2005 auch als Bundeskanzlerin die deutsche Politik geprägt. „Ihre männlichen Widersacher räumte Merkel nach und nach aus dem Weg. Oder sie gingen freiwillig“, so Der Spiegel. Kritische Stimmen hatten in der CDU, aber auch unter CDU-Ministern keine Chance: Wolfgang Schäuble beerbte sie als Parteivorsitzende, Friedrich Merz überließ Merkel den Fraktionsvorsitz in der Unionsfraktion. Und wie sich die Geschichte dann doch wieder fügt: Der frühere Finanzminister und jetzige Bundestagspräsident Schäuble sprach sich im CDU-Vorwahlkampf für Merz aus, denn an einer Fortsetzung des Merkel-Kurses mit Annegret Kramp-Karrenbauer hatte er kein Interesse.

Doch Annegret Kramp-Karrenbauer sicherte sich eine Mehrheit der Delegierten, die keinen ernsthaften Wandel der CDU wünschen. Schade. Ohne eine echte Neuorientierung wird der Abwärtstrend bei den Christdemokraten kaum aufzuhalten sein. Schäuble & Co. haben ihr Gewicht in die Waagschale gelegt – und verloren. Die dringend notwendige Neuorientierung der CDU – und ein Bisschen Rückbesinnung auf die ursprünglichen Werte – haben mit Annegret Kramp-Karrenbauer weniger Chancen als beim unterlegenen Merz. Kramp-Karrenbauer kann sicherlich integrierend wirken, doch ohne eine Neuausrichtung der CDU wird es kaum gelingen, die verloren gegangenen WählerInnen wieder zurück zu holen.

Der Fluss Saar zieht sich in einer Schleife zwischen bewaldeten Höhen hindurch.
Annegret Kramp-Karrenbauer verließ ihr Amt als Ministerpräsidentin des Saarlands, um in Berlin CDU-Generalsekretärin zu werden. Nach kaum einem Jahr kann sie als Wunschkandidatin Merkels den nächsten Karriereschritt tun und im Sessel der Parteichefin Platz nehmen. Wartet auf sie auch das Kanzleramt? Wenn es nach Angela Merkel geht, dann schon. Blick auf die Saarschleife (Bild: Ulsamer)

Vom Dienstjahr bis zur europäischen Armee

In ihrer Rede auf dem Bundesparteitag stand der Begriff Mut im Zentrum. Den wünsche ich selbstredend auch Annegret Kramp-Karrenbauer für die Neuausrichtung der CDU. Ihre Aussagen allerdings ließen mich dann doch genau an dieser notwendigen Neuorientierung zweifeln. Ihre schwammigen Äußerungen wurden nur selten konkret, so z. B. beim Wunsch, den neuen Mobilfunkstandard 5G bis zur „letzten Milchkanne“ zu gewährleisten. Ihre Forderung nach einer „europäischen Armee“ oder einem „Dienstjahr“ für alle macht mich noch mehr stutzig. Bei der europäischen Armee stolpert Kramp-Karrenbauer hinter Angela Merkel her, die sich vom charmanten Blender Emmanuel Macron für eine europäische Armee begeistern ließ, obwohl z.B. die Deutsch-Französische Brigade seit Jahren vor sich hindümpelt. Und von der neuen CDU-Vorsitzenden hätte ich mir mehr Ideen zur Stärkung der Freiwilligendienste gewünscht, statt einem Rückfall in alte Dienstpflichten.

Annegret Kramp-Karrenbauer muss man leider heute zustimmen, dass die CDU das „letzte weiße Einhorn“ der Volksparteien in Europa sei – die anderen siechen dahin oder haben sich wie die Democrazia Cristiana längst aufgelöst. Doch ohne einen echten Neustart wird die CDU weiterhin WählerInnen abgeben, sei es an die Grünen oder die AfD.

Eifrig erwähnte Kramp-Karrenbauer ihre Wahlsiege im Saarland und lobte ihre Regierungserfahrung, doch bei allem Wohlwollen: Das Saarland ist mit          994 000 Einwohnern gerade mal etwas größer als die beiden baden-württembergischen Landkreise Esslingen am Neckar und Böblingen zusammen (921 000 Einwohner) bzw. kleiner als die Region Hannover mit   1,15 Mio. Einwohnern. So viel also zur Regierungserfahrung. Ganz nebenbei kam bei mir wieder der Gedanke hoch, ob wir nicht doch in Deutschland den Zuschnitt der Bundesländer überdenken sollten. Sollte Kramp-Karrenbauer den nächsten Karriereschritt in Richtung Kanzleramt tun, dann wird sie sich sicherlich nicht für eine Neuordnung der Bundesländer engagieren. Das Bundesland mit dem Wahlkreis der Bundeskanzlerin, Mecklenburg-Vorpommern, hat im Übrigen auch nur 1,6 Mio. Einwohner. Kein Wunder, dass Vorschläge zur Neuordnung der Bundesländer, die auch zur gleichmäßigeren Verteilung der Wirtschaftskraft beitragen könnten, so keine Chance haben.

Beim CDU-Parteitag hält eine Delegierte ein Schild hoch mit dem Text "Danke Chefin".
Der „Dank an die Chefin” fiel reichlich aus: Langandauernder Applaus. Ein solcher Parteitag ist natürlich auch nicht der Ort für einen kritischen Rückblick. (Bild: Screenshot, Twitter, 7.12.18)

Werte von Taktik überrollt

Nun aber noch ein Blick auf die politische Gesamtsituation. Personen sind der eine Teile des Erfolgs von Parteien, aber selbstredend müssen auch die politischen Inhalte stimmen. Dies wird sich auch bei der CDU zeigen: Eine neue Führungsfigur bringt wenig, wenn nicht auch die Inhalte nachgeschärft werden. Eine Abnutzung von persönlichen Zustimmungswerten ist nicht nur bei Angela Merkel aufgetreten, dies zeigt die politische Geschichte in Deutschland und in anderen Ländern. Eigentlich hätte dies Bundeskanzlerin Merkel schon früher erkennen und auf eine vierte Amtsperiode verzichten müssen. Sie hatte maßgeblich zum Sturz von Helmut Kohl als Parteivorsitzender beigetragen, obwohl sie dieser ab 1991 als Bundesministerin für Frauen und Jugend erstmals einer breiteren Öffentlichkeit präsentierte. Dieses Beispiel zeigt auch, dass Lernfähigkeit nicht zu den Stärken Angela Merkels zählt – zumindest nicht, wenn es die eigene Person angeht.

Wäre Angela Merkel offenen und kritischen Debatten nicht immer ausgewichen, dann hätte sie sicherlich schon früher erkannt, dass ihre wertfreie Politik zwar relativ lange getragen hat, doch irgendwann sind die WählerInnen die Taschenspielertricks leid. Der Machterhalt ging bei Merkel immer zu Lasten der Grundsätze. Taktik stand im Vordergrund. Natürlich müssen sich immer wieder die grundsätzlichen Einstellungen von PolitikerInnen wandeln, denn auch Gesellschaften und Kulturen verändern sich. Damit bleibt das dem französischen Sozialisten Jean Jaurès zugeschriebene Zitat richtig: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.” Niemand weiß, ob Jaurès diese Aussage im Wortlaut gemacht hat, doch der Originaltext, auf den das Bonmot zurückgehen könnte, unterstreicht noch deutlicher, um was es geht: „Nicht vergeblich hat die Flamme im Herd so vieler menschlicher Generationen gebrannt und gefunkelt; aber wir, die wir nicht stillstehen, die wir für ein neues Ideal kämpfen, wir sind die wahren Erben der Herde unserer Vorfahren: wir haben daraus ihre Flamme geholt, ihr habt nur die Asche bewahrt.” Wir dürfen nicht stillstehen, wir müssen für unsere Ideale kämpfen und tragen damit die Flamme früherer Zeiten weiter.

Für Angela Merkel sind Debatten ein Gräuel

Wie sollen WählerInnen jedoch noch erkennen, wofür eine Partei steht, wenn die Vorsitzende und Bundeskanzlerin Grundsätze über Bord wirft, um anderen Parteien ein Thema zu entreißen und so die eigene Macht zu sichern? Vor dem Richtungswechsel fehlte im Regelfall die Debatte mit den Mitgliedern der eigenen Partei, aber auch im Bundestag oder mit der Bürgerschaft. Damit muss ein Wechsel der Anschauung nicht grundsätzlich falsch sein, doch in einer Demokratie erwarten die Bürgerinnen und Bürger, dass sie in den Kommunikationsprozess einbezogen werden. Viel zu häufig wurden wir zum sprachlosen Zuschauer degradiert.

Den Grünen entriss Angela Merkel 2011 mit dem Atomausstieg ihren langjährigen Quotenbringer, und dies gewissermaßen über Nacht: noch ein Jahr zuvor hatte sich die Bundeskanzlerin im Sinne der CDU-Politik für eine Laufzeitverlängerung eingesetzt. Ich glaube bis heute nicht, dass Fukushima den Ausschlag gab, sondern die taktischen Überlegungen dürften überwogen haben. Auch die Aussetzung der Wehrpflicht war keinem umfassenden gesellschaftlichen Diskussionsprozess geschuldet. Den Umschwung in Richtung Ehe für alle vollzog die Bundeskanzlerin Merkel auch nicht im Deutschen Bundestag oder auf einem CDU-Parteitag, sondern sie verkündete die Neuausrichtung in einem Talk bei ‚Brigitte Live‘. Manchmal frage ich mich dann schon, welche Funktionen unserem Parlament zukommen. Irgendwie spürten die Koalitionäre aus Union und SPD selbst, dass Debatten nicht ihre Stärke sind, und so schrieben sie in das damalige Sondierungspapier: „Der Deutsche Bundestag muss der zentrale Ort der gesellschaftlichen und politischen Debatte in Deutschland sein.“ Da kann ich nur zustimmen, aber wer lässt den hehren Worten auch Taten folgen?

Französischer Soldat in Mali in der Abendstimmung.
Angela Merkel setzte sich auf das Pferd einer „echten europäischen Armee”, das ihr der Blender Emmanuel Macron vors Kanzleramt stellte. Und Annegret Kramp-Karrenbauer erwähnte ausgerechnet dieses derzeit chancenlose Projekt in ihrer Bewerbungsrede auf dem CDU-Parteitag in Hamburg. Warum haben Merkel und Macron nicht längst die Deutsch-Französische Brigade weiterentwickelt? (Bild: Screenshot, Facebook, 15.11.18)

In den Armen des Blenders Emmanuel

Aber die Liste der flotten Richtungswechsel ließe sich noch lange fortsetzen. Richtungsweisende Aussagen zur Europapolitik verkündete Angela Merkel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Und dann verfiel sie auch noch dem charmanten Blender Emmanuel Macron in Sachen einer „echten europäischen Armee“. Dies allerdings in Zeiten, in denen die Bundeswehr unter der CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen über Materialmangel klagt – von der passenden Unterwäsche bis zum funktionsfähigen Panzer. Die Gelbwesten verpassten kurz darauf dem französischen Präsidenten die Quittung für sein Verhalten: Die BürgerInnen wollen keine Politiker, die die Gesellschaft spalten und ihren Visionen huldigen, sondern Regierungsmitglieder, die die Sorgen der Bevölkerung aufgreifen und den Dialog suchen.

Vielen Wählerinnen und Wählern war der Merkel-Kurs, wenn man von einem Kurs überhaupt sprechen kann, dann doch einerseits zu sprunghaft, andererseits wiederum zu behäbig, und sie verweigerten zunehmend der CDU ihre Stimme. Aber auch die Zahl der Parteimitglieder schwächelte: Vom Höhepunkt nach der Wiedervereinigung mit fast 790 000 ging es bis 2017 auf gut 425 000 zurück. Dieses Phänomen trifft nicht nur die CDU, und es hat auch mit dem geringeren Wunsch zu tun, sich längerfristig an eine Organisation zu binden. Aber weniger Mitglieder bedeutet auch eine geringere Durchdringung in bestimmten sozialen Milieus.

Migrantenfamilien von hinten in bunter Bekleidung mit Kinderwagen und Fahrrad.
Die Flüchtlingswelle brachte die Erosion des Ansehens von Angela Merkel – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa. Die ungeordnete Migration hat auch die Risse zwischen den westlichen und östlichen Regionen in Deutschland weiter vertieft. (Bild: Ulsamer)

Flüchtlingswelle schwemmt Merkels Ansehen hinweg

Der Zuspruch für Angela Merkel blieb jedoch trotz all der Kurskorrekturen hoch und das Ansehen im Ausland auch. Der Dammbruch kam 2015, als die Bundeskanzlerin das Dublin-Abkommen aushebelte und damit die Grenzen für zuströmende Migranten offenließ. Mit steigenden Flüchtlingszahlen erodierten die Glaubwürdigkeit der ‚Wir schaffen das‘-Kanzlerin und die Zustimmungswerte für Angela Merkel und noch mehr für ihre Partei wurden im Strom der Kritik hinweggerissen. Ihr Ansehen hätte Angela Merkel nach meiner Meinung retten können, wenn sie zumindest ein klein wenig Einsicht gezeigt hätte, doch sie lehnte jede grundsätzliche Debatte zum Flüchtlingsthema ab: „Ich wüsste nicht, was wir anders machen sollten.“ Merkel fehlte – wie auch bei anderen Entscheidungen – die Einsichtsfähigkeit.

Geradezu skurril ist es, wenn sie in ihrer Abschiedsrede als CDU-Vorsitzende betont, sie und ihre Partei hätten immer die Probleme auch mit den Augen der anderen gesehen. Wenn es wirklich so gewesen wäre, dann hätte Merkel nicht nur das Flüchtlingsthema ganz anders angepackt. Angela Merkel erkennt die Problematik bis heute nicht, denn auf dem Parteitag erklärte sie wiederum, sie habe den Flüchtlingsstrom „gesteuert und geordnet“. Und dann erwähnt sie ausgerechnet das Abkommen der EU mit der Türkei, einem höchst problematischen Partner unter Präsident Erdogan. Dieser hat es in der Hand, jederzeit den ‚Zaun‘ wieder zu öffnen – und was dann? Ich erinnere mich auch noch an die kritischen Äußerungen der Bundeskanzlerin zu unseren näher gelegenen Nachbarn, die Zäune zogen, um letztendlich damit auch den Zustrom nach Deutschland zu bremsen. Von Steuerung würde ich hier nicht reden, sondern andere Staaten bremsten die Migration und wurden dafür auch noch gescholten.

Auch der Versuch, den Migrationspakt bzw. den nachfolgenden Flüchtlingspakt an der Bürgerschaft vorbei zu schmuggeln, belegt, dass Angela Merkel als Bundeskanzlerin nichts aus der bisherigen Flüchtlingsthematik gelernt hat: Viel früher hätte die offene Diskussion über das schwammige Dokument geführt werden müssen.

Leerstehender Laden in Goseck.
Europa ist in der Ära von Angela Merkel weiter auseinandergedriftet, und auch die Risse zwischen östlichen und westlichen Bundesländern konnte die Bundeskanzlerin aus Mecklenburg-Vorpommern nicht schließen. (Bild: Ulsamer)

Ein Berg von ungelösten Problemen

Wie zu erwarten, malte Merkel auf dem Parteitag in Hamburg ein hübsches Bild ihrer Regentschaft, wer hätte auch etwas anderes von einer Politikerin erwartet. Nach ihren Worten startete sie mit der CDU wie der Phoenix aus der Asche nach der Spendenaffäre um Helmut Kohl und aus hoher Arbeitslosigkeit zu ökonomischem Erfolg. Viele Analysten sehen dies allerdings anders, denn Gerhard Schröder legte mit seiner Agenda 2010 den Grundstein für einen wirtschaftlichen Aufbruch – und letztendlich kostete ihn dieser richtige Ansatz das Amt.

Die aus dem Amt als Parteivorsitzende geschiedene Angela Merkel hinterlässt in weiten Bereichen keine blühenden Landschaften, sondern Berge von Problemen, die längst hätten angepackt gehört. Zu den Baustellen gehört das bereits erwähnte Migrationsthema, denn es wird Jahre und Jahrzehnte benötigen, um die Flüchtlinge wirklich in der Breite zu integrieren. So zitiert Die Welt am Sonntag den Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen: „Selbst unter optimistischen Annahmen werden die meisten Flüchtlinge im Laufe ihres Lebens viel weniger Steuern und Abgaben zahlen, als sie auf der anderen Seite an staatlichen Leistungen beziehen.“ In den derzeit wirtschaftlich guten Zeiten ist dieser Zusatzaufwand zu tragen, doch bei einer Eintrübung könnte sich die schwarze Null schnell rot färben. Die schwarze Null im Bundeshaushalt ist ohnehin eine Fata Morgana, denn in Wahrheit gibt es diese nur wegen der durch die Europäische Zentralbank verursachten Null-Zins-Phase.

Über der dunklen Kohleschicht mit Schaufelradbagger erhebt sich die Kante des Tagebaus, und ganz oben steht ein qualmendes Kraftwerk.
Trotz schöner Reden zur Energiewende wurde von den inzwischen vier Bundesregierungen unter Angela Merkel kein echtes Gesamtkonzept entwickelt. Zur Farce wird eine solche Energiewende, wenn wir die letzte Zeche schließen und dann die Steinkohle selbst aus Australien importieren: Mit solchen Tricksereien lässt sich der Klimawandel nicht bremsen. Und beim Ausstieg aus der Braunkohle müssen wir gewährleisten, dass wir anschließend keinen Kohlestrom aus Polen beziehen. Im Bild: Braunkohleabbau und Verstromung im nahegelegenen Kraftwerk im Rheinischen Braunkohlerevier. (Bild: Ulsamer)

Gesamtstrategie für Energiewende fehlt

Die Energiewende hat bisher nur auf dem Papier stattgefunden: Es reicht eben nicht, bei der Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015 den Musterschüler zu geben und dann daheim die Hausaufgaben nicht zu machen. Längst hätte der Kohleausstieg terminiert werden oder zumindest ein abgestimmtes Energiekonzept entwickelt werden müssen. Aber vielleicht will Angela Merkel, die sich noch am Kanzleramt festklammert, dies in der restlichen Legislaturperiode nachholen. Abstrus ist es, wenn wir in Deutschland die letzte Zeche schließen und dann Steinkohle selbst aus Australien importieren. So darf Deutschland in Kattowitz bei der UN-Klimakonferenz auch auf dem Bänkchen bei den Klimasündern Platz nehmen.

Ich bekenne mich zur regenerativen Energiegewinnung. Es fehlt mir allerdings die Gesamtstrategie und der konsequente Aufbau von Speicherkapazitäten. Dabei denke ich an Wasserstoff als Speichermedium, an Speicherkraftwerke und Batterieparks. Es fehlt aber auch seit Jahren an ausreichender Forschung und Umsetzung bei regenerativ erzeugten Treibstoffen für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Und erst neuerdings werden öffentlich synthetische Kraftstoffe vorgestellt. Viel zu zögerlich keimte dazuhin die Erkenntnis, dass wir eine eigene europäische Batteriezellenproduktion aufbauen müssen. Der Ausbau der Stromtrassen kommt ebenso langsam voran wie der Aufbau regionaler Konzepte für Energiegewinnung und -verteilung. Dazuhin müssen wir alle Chancen der regenerativen Energieerzeugung nutzen, z.B. Wärmetauscher im Abwasser, und uns nicht nur auf Wind und Sonne verlassen. Wenn Speicherkapazitäten – wie einst im baden-württembergischen Hotzenwald geplant – sich betriebswirtschaftlich für einzelne Unternehmen nicht rechnen, dann müsste dies Teil der staatlichen Daseinsvorsorge werden. Wer gleichzeitig aus Kernenergie und Kohle aussteigen möchte, der muss mehr Initiative zeigen als die Bundesregierung. Ohne Innovationen wird es nicht gehen. Als CDU-Vorsitzende gab Angela Merkel zum Energiethema viele Sprechblasen von sich, und gleiches gilt für sie als Kanzlerin.

Pkw und Lkw im Stau.
Die Autobahnen sind verstopft, es fehlen Parkplätze für Lkw, Brücken und Schulen bröseln dahin, die Digitalisierung stottert, das Schienennetz braucht Investitionen, und dies alles im „Vorzeigeland für Infrastruktur” – so die CDU im Wahlprogramm zur letzten Bundestagswahl. (Bild: Ulsamer)

Ein gewaltiger Investitionsstau drückt

Ein gewaltiger Investitionsstau behindert die weitere Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Angela Merkel hat hier als Problemlöserin keine Maßstäbe gesetzt. Dabei denke ich nicht nur an die holprige Digitalisierung, an die zahllosen Funklöcher und niedrige Übertragungsraten im Internet. Musterbeispiel für falsche Entscheidungen sind die Vergaberichtlinien für Mobilfunkfrequenzen: Dabei wird zu sehr auf einen reichlichen Geldfluss in das Bundessäckel gesetzt, statt die optimale Abdeckung im Blick zu behalten. Aber vor sich hin bröselnde Brücken und Straßen, unzureichende Stromnetze usw. sind Belastungen für die Zukunft. Der Investitionsstau muss aufgelöst werden, und dies bringt natürlich auch hohe Belastungen für den Bundeshaushalt.

Ein Blick über die Landesgrenzen hinaus verdeutlicht auch, dass Angela Merkel Europa nicht zusammengeführt, sondern gespalten hat. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass Forbes Merkel mal wieder zur mächtigsten Frau der Welt titulierte. Und es nutzt auch nichts, wenn Ursula von der Leyen bereits jetzt am politischen Vermächtnis von Angela Merkel pinselt. „Die Kanzlerin hat hohe Anerkennung und Autorität im Ausland“, so von der Leyen bei Maybrit Illner. Das sehe ich anders: Selbstredend scheuen viele unserer Partner im Ausland den offenen Konflikt, doch von tiefer Zuneigung ist Angela Merkel weit entfernt. Darüber dürfen auch die Küsschen von Emmanuel Macron nicht hinwegtäuschen. Macron ist ein Blender, der sich jetzt von den Gelbwesten vor sich hertreiben lassen muss.

Wolfgang Schäuble in einem Facebook-Post, in dem er Merz unterstützt.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat sich im Vorfeld des Parteitags nachdrücklich für Friedrich Merz als neuen CDU-Vorsitzenden ausgesprochen, doch im Nachhinein stellt sich die Frage, ob dies nicht eher kontraproduktiv war und der eine oder andere unentschlossene Delegierte als Folge für Kramp-Karrenbauer stimmte. (Screenshot, Facebook, 6.12.18)

Merkel trug zur Teilung Europas bei

Angela Merkel hat Europa eher geteilt, denn zusammengeführt. Die Verwerfungen zwischen den mittel-ost-europäischen Staaten und Deutschland haben gewiss in den 13 Merkel-Jahren nicht abgenommen. Und die von Angela Merkel zugelassene ungeordnete Migration hat die auf Abschottung bedachten Parteien in diesen Ländern gestärkt. Der anschließende Versuch, die ‚Gäste‘ dann per Zwangsquote umzuverteilen, hat alte Ressentiments in Ungarn oder Polen, um nur diese beiden Staaten zu nennen, verstärkt. Zwischen Nord und Süd ist das Verhältnis auch nicht inniger geworden, und dies hat auch mit der deutschen Politik gegenüber Griechenland und Italien zu tun. Selbst unter proeuropäischen Briten nahm die Zurückhaltung gegenüber der EU zu, da diese eine zeitweise Beschränkung der Migration ablehnte. Und wer war da wieder in der ersten Reihe: Angela Merkel! Der ganze Brexit-Wahnsinn hätte wahrscheinlich bei mehr Kompromissbereitschaft gegenüber den Briten verhindert werden können. Die „hohe Anerkennung“ kann ich leider nirgendwo entdecken, und dies gilt auch, wenn ich über Europa hinausschaue.

In Europa sind wir in den letzten Jahren nicht zusammengerückt, im Gegenteil: die Fliehkräfte sind stärker geworden. Aber auch in Deutschland ist es nicht gelungen, die Risse zwischen den sogenannten neuen und alten Bundesländern wirklich zu schließen. Eher ist das Gegenteil richtig, darauf weisen auch die Wahlergebnisse hin: Bei der Bundestagswahl 2017 lag die AfD vor der CDU. Beispielhaft zeigt Petra Köpping die Enttäuschungen vieler Bürgerinnen und Bürger in den östlichen Regionen unseres Landes auf. ‚Integriert doch erst mal uns‘, so der Titel des Buches der sächsischen SPD-Staatsministerin für Gleichstellung und Integration. Enttäuschend ist für mich diese ‚Streitschrift für den Osten‘, da Köpping auch selbst noch mit fragwürdigen Aussagen zur Nach-Wendezeit eher Öl ins Feuer gießt. So wird lautstark eine kritische Aufarbeitung der Zeit ab dem Mauerfall gefordert, doch die DDR-Jahre scheinen sakrosankt. Enttäuschend ist es für alle Seiten, dass unter einer Bundeskanzlerin aus Mecklenburg-Vorpommern zu wenig getan wurde, um eine stärkere Annäherung von westlichen und östlichen Regionen zu erreichen.

Mit diesen Problemfeldern möchte ich nicht den Eindruck erwecken, als wären Angela Merkel nicht auch positive Entwicklungen zuzuschreiben. Die Herausforderungen der Finanzkrise wurden in Deutschland besser gemeistert als in vielen anderen Staaten. Die innenpolitische Situation ist trotz aller Probleme gefestigter als in Italien mit einer Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega oder Frankreich mit einem gebeutelten Macron, der über seinen Visionen das eigene Volk vergessen hatte. Zurecht hat die Vorsitzende der Frauenunion, Annette Widmann-Mauz, darauf hingewiesen, dass Angela Merkel für die Frauen verdeutlicht hat, dass alle Positionen auch Frauen offenstehen.

Nun aber zurück zur Zukunft der CDU.

Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens SApahn bei einer Regionalkonferenz der CDU.
Der CDU nützt bei den Zustimmungswerten bereits der offene Prozess vor dem Parteitag: Wer hat schon drei Kandidaten für den Parteivorsitz, die sich persönlich und inhaltlich deutlich unterscheiden? Aber es wird sich jetzt zeigen, ob sich diese positive Entwicklung mit Annegret Kramp-Karrenbauer fortführen lässt. Zumindest bisher ist sie eher eine Vertreterin des Parteiapparats, die für das ‚Weiter so‘ steht. (Bild: Screenshot, Twitter, 7.12.18)

Von ‚Wir schaffen das‘ zum ‚Weiter so‘

Selbstverständlich müssen Politikerinnen ebenso wie ihre männlichen Kollegen immer die Gelegenheit bekommen, sich selbst im Amt zu beweisen, ehe sich Kritiker auf sie stürzen sollten. Dennoch dürfte es Annegret Kramp-Karrenbauer schwerer fallen als Friedrich Merz, eine Neuorientierung in der CDU durchzusetzen – wenn sie dies als Wunschkandidatin von Angela Merkel überhaupt möchte. Die „Agenda für die Fleißigen“ von Merz hätte ich gerne einmal umgesetzt gesehen. Bei Merz wurde für mich auch deutlicher, dass sich die deutsche Politik stärker mit den Befindlichkeiten in den neuen Bundesländern befassen müsste. Auch seine im Grunde gleichgewichtige Betonung von Europa und Nationalstaat fand ich überzeugend. Ich hätte Merz auch zugetraut, die „Auszehrung des politischen Meinungsstreits in der Mitte zu beenden“.

Ich hoffe sehr, dass meine Befürchtungen nicht eintreten und die CDU auch unter einer Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer neuen Schwung entwickeln kann und WählerInnen wieder für diese Volkspartei gewinnen kann. Das Gleiche wünsche ich auch der SPD, denn wir brauchen die Volksparteien in Deutschland und Europa. Die Sozialdemokratisierung der CDU unter Angela Merkel schadete nicht nur der eigenen Partei, sondern auch dem ‘Kontrahenten’ SPD.  Was passiert, wenn Volksparteien verschwinden und von allerlei Bewegungen überrannt werden, das können wir täglich in Italien und Frankreich betrachten. Solche Zustände will sicherlich niemand.

Eine tiefgreifende Neuorientierung sehe ich bei der CDU erst, wenn sich Angela Merkel auch aus dem Kanzleramt in Berlin verabschiedet. Bis dahin muss Annegret Kram-Karrenbauer durch ihre Arbeit belegen, dass sie keine ‚Weiter so‘-Politikerin ist, sondern mit innovativen Ideen die politische Mitte stärken und Abwanderer von Grünen und AfD zurück zu holen vermag.

 

 

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