Anja Karliczek: Von Batteriezellen und Milchkannen

Wissenschaftsministerin stolpert in Vergabeskandal

Was ist denn bloß in Deutschland los? Da hecheln wir in Sachen Batterien für Elektrofahrzeuge hinter anderen Staaten her, und ohne Batteriezellen aus Asien sähe es noch düsterer aus. Ausgerechnet in einer solchen Situation folgt das Ministerium von Anja Karliczek bei der Festlegung des Standorts für eine „Forschungsfertigung Batteriezelle“ nicht dem Rat der Experten, sondern findet ganz zufällig in Münster eine Universität, die in der Nähe des Wahlkreises der Ministerin liegt. Die Fachleute priorisierten zwar Ulm, aber was geht das schon das Bundesministerium für Bildung und Forschung an! Ungereimtheiten, wo man hinschaut. Und dies alles im Hause von Ministerin Karliczek, die auch meinte: “5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig.” Da kann ich nur ausrufen: Wäre Anja Karliczek doch weiterhin im familieneigenen Hotel tätig, dann hätte sie unserem Land so manches erspart!

Bundesministerin Karliczek in heller Kleidung umringt von Journalisten mit Mikrofonen. Überschrift "Batterieforschung: So fiel die Entscheidung für Münster".
Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, hat sich im Gespinst eines Vergabeskandals für die „Forschungsfertigung Batteriezelle“ verheddert. Aber wer meint, man brauche 5G „nicht an jeder Milchkanne”, der hätte ohnehin besser ein anderes Ressort übernommen. (Bild: Screenshot, bmbf.de, 14.10.19)

Bevorzugung des Bewerbers aus Nordrhein-Westfalen

Wie trickreich Politik sein kann, zeigt die Vergabeentscheidung in Sachen Batteriezellenfabrik. In einer Zeit, in der in anderen Staaten Batteriezellen sekündlich aus der Produktion kommen, hat man in Deutschland – und Europa – Jahre verplempert. Dies kann man natürlich nicht der aktuellen Forschungsministerin vorwerfen, die sich bis zu ihrer Berufung zur Ministerin 2018 nicht mit Forschungsthemen beschäftigt hat. Aber Karliczek hat es bisher nicht verstanden, zusätzliche Dynamik in die Forschungspolitik zu bringen. Sie stolpert eher in die Wissenschaftszukunft als diese mit zu gestalten. Völlig abwegig war es, dass sie als Forschungsministerin den Ausbau leistungsfähiger Mobilfunknetze nicht als Priorität auch für den ländlichen Raum ansah. Gerade kleinere Unternehmen oder Selbständige – letztendlich alle Bürger – plagen sich in weiten Regionen mit Mobilfunklöchern und lahmen Datennetzen herum. Nun gut, ob jeder Stall 5G braucht, das kann ich nicht abschätzen, aber zumindest ein befriedigender mobiler und kabelgebundener Datenaustausch ist gerade auch für Landwirte unerlässlich. Und wer den ländlichen Raum wirtschaftlich entwickeln und der Bevölkerungsabwanderung in die Ballungszentren entgegenwirken möchte, der muss eben die Datennetze bis zur letzten Milchkanne optimieren. Dies gehört auch zu einer problemorientierten Regionalpolitik.

Nun aber zurück zur Forschungsfabrik für Batteriezellen. In epischer Breite stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung auf seiner Internetseite die Bedeutung der Batteriezellen dar, als ob dies inzwischen nicht längst schon der letzte Leser wüsste. Merklich dünner wird es dann, wenn es um die konkrete Vergabe an den Standort Münster geht. Informationen gingen im Vorfeld in unterschiedlicher Qualität an die potentiellen Einrichtungen bzw. Bundesländer. Und wie könnte es anders sein: Nordrhein-Westfalen hatte die Nase vorn. „Münster erhielt als Bewerber wichtige Informationen früher als die Konkurrenten“, so die Stuttgarter Zeitung. Aber nicht nur Medien, die geografisch näher an Ulm liegen, sehen Klärungsbedarf. Der Auswahlprozess steht massiv in der Kritik, nach SPIEGEL-Recherchen lief das Verfahren nicht sauber ab: „Den Gutachtern sollen Informationen vorenthalten worden sein, die gegen den Standort Münster sprachen“, schreibt der ‚Spiegel‘. Die Fraunhofer-Gesellschaft, die den ganzen Entscheidungsprozess begleitete, sah Münster eher im Mittelfeld der Bewerber. „Dabei hielten viele Fachleute das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Ulm für besser geeignet“, so nochmals ‚Der Spiegel‘.

Bauernhaus aus Holz mit rot blühenden Blumen vor dem Fenster. Darunter ist eine Miste zu sehen.vier Milchkannen. Das Ge
Wenn ausgerechnet die Bundesministerin für Bildung und Forschung meint, „5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig”, dann stellt sie ihre Zukunftsorientierung selbst in Frage. Gerade auch der ländliche Raum braucht leistungsfähigen Mobilfunk und schnelle Datennetze. Ansonsten wird die Abwanderung in die Ballungsräume anhalten. (Bild: Ulsamer)

Kritiker ruhigstellen

Noch abstruser ist es, wenn die Stuttgarter Zeitung über Personalrochaden berichtet: „Tatsächlich weist das von ihm selbst verfasste Protokoll des Entscheidungstages, das unserer Zeitung vorliegt, aus, dass der Mann, der sich offiziell zurückgezogen hatte, dann höchstselbst die Entscheidung für Münster herbeiführte.“ Dies liest sich für mich, als würden wir wirklich in einer Bananenrepublik leben! Und dabei hatte ich doch meinem Blog diese Bezeichnung eher in ironischer Weise angefügt. Da das gewünschte Ergebnis aus den Fakten nicht abgeleitet werden konnte, soll Unterabteilungsleiter Herbert Zeisel noch flugs neue Kriterien eingeführt haben. Früh hatte der Ulmer FDP-Bundestagsabgeordnete Alexander Kulitz auf die Ungereimtheiten bei der Vergabe hingewiesen, und je mehr Medien sich mit dieser Entscheidung befassen, desto mehr Kritikpunkte werden zu Tage gefördert.

Lange schwiegen Politiker aus der Regierungskoalition, was kein Wunder ist, denn Nordrhein-Westfalen stellt in CDU und SPD starke Landesverbände. Und Unternehmen bzw. Forschungseinrichtungen, die an den Diskussionen beteiligt waren, legen sich ungern mit dem Bundesministerium an, das gegebenenfalls bei anderer Gelegenheit ein wichtiger Finanzier ist. Genau dieses Faustpfand spielte Karliczeks Truppe aus: Es würden ja auch Gelder an die unterlegenen Standorte vergeben. So etwas nennt man ‚Kritiker ruhigstellen‘. Und irgendwie fällt mir dabei der Begriff Mafia ein.

Windkraftanlage vor Abendhimmel.
Wer über regenerative Energieerzeugung spricht, der muss auch für Speicherkapazitäten sorgen – und dazu brauchen wir eine schlagkräftige deutsche und europäische Fertigung von Batteriezellen, um die sich auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bemüht. (Bild: Ulsamer)

Das Schwert ist schon gezückt

Kritik prallte lange an Karliczek ab, da ihr auch der NRW-Ministerpräsident und Parteifreund Armin Laschet beisprang und von einer „kleinteiligen Standortdebatte“ sprach. Nicht nur der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), sondern gleichfalls seine bayerischen und niedersächsischen Kollegen Markus Söder (CSU) und Stephan Weil (SPD) äußerten sich in einem gemeinsamen Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisch zum Ablauf der Standortentscheidung. Der einzige Ministerpräsident der Linken, Bodo Ramelow, beschwerte sich, Thüringen habe auch Schwerpunkte im Batteriebereich und sei noch nicht einmal angefragt worden! Und eigentlich seien nun mal die neuen Bundesländer dran. Eines steht fest: Viel mehr Porzellan hätte man bei diesem Vergabeprozess kaum zerschlagen können!

Susanne Eisenmann, die baden-württembergische CDU-Spitzenkandidatin für den Landtagswahlkampf 2021, wagte sich aus der Deckung und sagte gegenüber der Stuttgarter Zeitung: „Wenn sich die im Raum stehenden Vorwürfe bestätigen, worauf alles hindeutet, ist Karliczek als Bundesforschungsministerin nicht mehr tragbar.“ Dies ist ein scharfes Schwert, das Eisenmann gezückt hat – und sie hat recht!

Ein weißes E-Fahrzeug an einer Ladesäule.
Die deutsche Politik redet gerne über Elektromobilität oder die Speicherung regenerativ erzeugten Stroms, aber beim Thema Batteriezellen herrschte lange, zu lange das große Schweigen. Batterien werden auch in Fahrzeugen mit Brennstoffzelle (Wasserstoff) oder in Großspeichern gebraucht. Und natürlich in einer Vielzahl von Kommunikationsgeräten, die bisher überwiegend aus Asien in unser Land kommen. (Bild: Ulsamer)

Eigene Batteriezellenfertigung unerlässlich

Was mich immer wieder überrascht: Dümmer geht immer! Leider gilt das auch für die Politik. Längst hätten in Deutschland die Weichen in Richtung einer eigenen Batteriezellenfertigung gestellt werden müssen. Doch haben wir in unserem Land – und leider auch in den EU-Gremien – zu viele Regulatoren und zu wenig Innovatoren. Wer sich ständig darüber Gedanken macht, wie man neue Regeln aufstellen kann, der nimmt eigenwilligen Entwicklertypen die Luft zum Atmen. Was ist denn mit uns Europäern los? Die Hardware – seien es Batteriezellen oder Laptops – kommen aus Asien und die softwareorientierten Internet-Dienstleister wie Facebook, Twitter, Google & Co. sitzen in den USA. Wir brauchen mehr Entwickler-Unternehmer von Format, und diesen sollte die Politik weniger Knüppel zwischen die Beine werfen. Was würden wohl Gottlieb Daimler und Carl Benz, Robert Bosch oder Werner von Siemens dazu sagen, dass wir in Sachen Batteriezellen derart schleppend vorankommen?

Und wenn dann politische Vergabeentscheidungen intransparent verlaufen, um nichts Schlimmeres zu sagen, dann sollten wir uns nicht wundern, wenn so mancher asiatische Zellhersteller nur noch über uns lacht. Ich würde mir eine Wissenschaftsministerin wünschen, die etwas mehr vom politischen Geschäft und ihrem Ressort versteht und bei inhaltlichen Fragen nicht gänzlich unbedarft ist. Wir brauchen eigene Batteriezellen, wenn wir bei der Elektromobilität nicht gänzlich abgehängt werden wollen. Es kommt auf eine Bündelung der Kräfte, auf Cluster-Bildung und die Nutzung von Fühlungsvorteilen an, doch dieser undurchsichtige Vergabeprozess hat das Gegenteil erreicht.

 

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