SPD-Frontfrau zwischen Macht und Ohnmacht
Natürlich macht es mehr Spaß, die Zügel als Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD in Händen zu halten, denn dann kann Andrea Nahles die angejahrte SPD-Kutsche besser lenken. Aber stimmt dies denn wirklich? Lassen sich beide Aufgaben denn wirklich gut verbinden? Selbst die in der CDU omnipotente Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Bundestag Volker Kauder, der für sie die Unionsfraktion wacker zusammenhält. Ich kann mir vorstellen, dass dies nicht immer leicht ist, denn auch bei CDU und CSU gibt es starke Kräfte, die den Kanzlerinnenkurs nur murrend mittragen.
Andrea Nahles muss jetzt jedoch zwei völlig auseinanderdriftende Aufgaben übernehmen: Sie muss als Fraktionschefin die Bundestagsabgeordneten der SPD darauf einstimmen, auch missliebige Entscheidungen der Regierung im Sinne des Koalitionsvertrags mitzutragen, obwohl breite Kreise diese neue Große Koalition ablehnen. Viele haben nicht vergessen, dass sie diese Zwangsehe nur eingegangen sind, um den Genossen Bundespräsidenten nicht im Regen stehen zu lassen, denn ohne Frank-Walter Steinmeier hätte es diese vom ersten Tag an kleinste GroKo aller Zeiten nicht gegeben. Und auf der anderen Seite soll und muss Andrea Nahles als Parteivorsitzende das Profil der SPD schärfen, sprich die Partei auf Konflikt bürsten. Wenn sie dies nicht tut, dann ist sie der letzte Sargnagel der ältesten Partei Deutschlands.
Eine Gegenkandidatin – gibt’s das noch?
Als ehemalige Juso-Vorsitzende, Generalsekretärin der SPD und Ministerin hat Andrea Nahles reichlich Polit-Erfahrung und verfügt über ein eng verwobenes Netzwerk, aber kann sie einen Spagat zwischen Konflikt und Konsens leisten? Dies wird natürlich erst die Zukunft zeigen, aber ein großes Fragezeichen zeigt sich schon heute.
Bereits beim Sonderparteitag, der ihr ins Amt half, wurden die Bruchlinien nochmals deutlich. Zwar stimmte selbst der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert für sie, obwohl er gerade noch heftig gegen die Große Koalition agitiert hatte. Und Andrea Nahles hatte diese neue Regierungsbeteiligung – vielleicht ohne Herzblut – in der SPD mit durchgeboxt. So war es sicherlich auch mehr als verständlich, dass sie sich mit 66 % der Stimmen auf dem Sonderparteitag begnügen musste. Zu verdanken hatte sie dies Simone Lange, der Oberbürgermeisterin von Flensburg. Eines muss man der SPD lassen: Zumindest gab es mit Simone Lange eine Gegenkandidatin. Da kann die CDU seit Jahren höchstens davon träumen, denn mögliche Wettbewerber/innen erledigt Angela Merkel schon mal im Vorfeld. Irgendwie bewundere ich den Mut von Simone Lange, der leider in unserem Politikbetrieb selten geworden ist.
„Eins in die Fresse“ genügt nicht für die Neuorientierung
Andrea Nahles hatte sich in meinen Augen mit ‘eins in die Fresse’ für die Union und ‘Bätschi’ selbst disqualifiziert. Auf die Details bin ich bereits in meinem Blog-Beitrag “Gejagte bekommen auch noch eins in die Fresse” eingegangen. Um lockere Sprüche ist Andrea Nahles nicht verlegen, doch damit ist es nicht getan. Die SPD braucht eine Vorsitzende, die den Sozialdemokraten den Glauben an sich selbst zurückgibt, ohne sich wie Martin Schulz als selbstgefälliger Sozi-Apostel zu gerieren. Er hat den Glauben seiner Genossinnen und Genossen nicht gestärkt, sondern diesen weiter verbraucht. Eine innere Erneuerung ist überlebenswichtig, doch kann dies nicht heißen – wie es Simone Lange forderte – die von Gerhard Schröder initiierte Agenda 2010 in Verruf zu bringen.
Wer leichtfertig Hartz IV über Bord werfen möchte, der muss auch sagen, was in der Zukunft zu einem besseren Ersatz werden soll. Sicherlich genügt es nicht, wie Hubertus Heil Restriktionen in Frage zu stellen, wenn z.B. Fördermaßnahmen nicht wahrgenommen werden, oder über eine Erhöhung der Hartz-Sätze zu philosophieren. Auch Hubertus Heil, der einstige SPD-Generalsekretär, macht als Arbeitsminister einen überforderten Eindruck. Von solchen Vielschwätzern wird Andrea Nahles nicht die Impulse für einen Neustart der SPD erhalten. Generell macht das Führungspersonal sowohl bei der Union als auch der SPD den Eindruck, als schleppe es sich auf die letzte Etappe der Großen Koalition. Und ein Blick auf die vergangenen Wahlperioden macht auch überdeutlich, dass die als Große Koalition titulierte Regierung vor sich hin schwächelt.
Zwischen Einpeitscher und Wegweiser
Wie wird Andrea Nahles aber den Spagat zwischen Einpeitscher für die Regierung – als Fraktionsvorsitzende – und Vordenker einer Neuorientierung – als SPD-Vorsitzende – hinbekommen? Gerade auch die linksorientierten SPD-Gruppierungen, die bereits die GroKo ablehnten, werden sich auf Dauer nicht mit lauen Zusagen abspeisen lassen, die SPD wieder auf einen eher sozialistischen Kurs führen zu wollen. Aber geht der Weg nach Links, dann kommt es zum Zusammenprall mit der Linken, beteiligt sich die SPD weiterhin am Getümmel in der Mitte, dann fällt es schwer, sich von der sozialdemokratisierten CDU Angela Merkels abzusetzen.
Unverdrossen betont Andrea Nahles „Man kann eine Partei auch in der Regierung erneuern“, und prinzipiell stimmt dies auch, aber nicht in einer Koalition mit einer CDU, die unter Angela Merkel ihre christlichen, sozialen und konservativen Wertvorstellungen längst über Bord geworfen hat. Es droht eine üble Rauferei, die sich nicht um Grundwerte und Zukunftsvorstellungen dreht, sondern um einen guten Eindruck bei den Wählerinnen und Wählern.
Der Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz ist ebenfalls kein Pfund, das Andrea Nahles in die Waagschale legen kann, denn er war in Hamburg als Erster Bürgermeister noch nicht mal in der Lage, seine Bürgerinnen und Bürger vor dem brandschatzenden Schwarzen Block zu beschützen. Und wer – wie die SPD – in einem Koalitionsvertrag aus kurzfristigen Überlegungen kein Ende der Kohleverstromung festlegt, sondern mal wieder eine Kommission einsetzt, der hat wirklich nicht begriffen, was die Stunde geschlagen hat: Wie war das nochmal mit dem Klimawandel? Und wie kann es sein, dass Deutschland das Land in der Welt ist, das die meiste Braunkohle verstromt? Und weder die Union noch die SPD sollten immer so tun, als seien sie gerade neu an die Regierung gekommen, denn beide Parteien bestimmten seit Jahrzehnten die Politik in Deutschland!
Brennende Fragen brauchen tragfähige Antworten
Ich bin gespannt, welchen Weg die SPD unter Andrea Nahles einschlägt: Wie weit stärkt sie die Soziale und Ökologische Wirtschaft oder betrachtet sie diese weiterhin als Goldesel, der die Dukaten für Sozialmaßnahmen produziert? Wie wird sich die SPD bei der Bundeswehr entscheiden, die unter CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei Material und Personal ins Desaster schlittert? Auslandseinsätze? Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung? Kurs in Richtung Umwelt oder doch weiterhin Arbeitsplatzsicherung für Braunkohle-Schmuddelkinder? Wie wird dauerhaft das Rentenniveau gesichert, ohne den agilen Mittelstand mit Zusatzsteuern oder Sozialbeiträgen zu belasten? Wie viel Zuwanderung verträgt Deutschland wirklich und wie wird die Integration in sozialen Brennpunkten gewährleistet? Wie treiben wir die Digitalisierung voran, über die fast alle Politikerinnen und Politiker pausenlos schwadronieren, ohne die Grundlagen im Netzausbau oder bei der Weiterbildung voranzutreiben? Zahllose weitere Fragen ließen sich hier benennen, die einer zukunftsorientierten Beantwortung harren.
Antworten muss auch die CDU, doch die zehrt noch immer von einem für mich unverständlichen Kanzlerinnen-Bonus. Die SPD dagegen ist gefordert, braucht schnelle und plausible Antworten, denn sie dümpelt bereits um die 20 % bei Wahlen oder ist in den neuen Bundesländern schon auf Platz drei oder noch schlechter abgerutscht.
Die Macht in der SPD ist bei Andrea Nahles konzentriert, ob sie allerdings den richtigen Ausgleich zwischen Konsens – um die Regierungsarbeit zu stützen – und Konflikt – zur Profilschärfung der SPD – schafft, dies muss sie erst noch beweisen. Einen zweiten Sturzflug wie mit Martin Schulz, der bei seinem Wahlparteitag immerhin 100 % der Stimmen erhielt, kann sich die SPD nicht mehr leisten, denn ansonsten ist es vorbei mit der Volkspartei. Es genügt nicht nur, Hoffnungen bei der Bürgerschaft zu wecken, sondern diese erwartet auch, dass geliefert wird!
3 Antworten auf „Andrea „Bätschi“ Nahles muss Konflikt und Konsens verbinden“