65 Jahre Baden-Württemberg
Wenn ein Jubiläum naht, dann beschäftigen wir uns im Regelfall mit der (Vor-)Geschichte des Jubilars. So ist es auch mit dem Land Baden-Württemberg: Am 25. April 1952 wurde dieses Bundesland aus der Taufe gehoben. Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern schlossen sich zu einem Bundesland zusammen. Wie immer bei solchen Anlässen war die Begeisterung nicht in allen Landesteilen gleich groß, manchmal flogen auch die Fäuste, wenn die politischen Argumente ausgingen, Mentalitätsunterschiede, Konfessionsgrenzen, historisch unterschiedliche Entwicklungen wurden wieder lebendig. Aber nicht nur die beteiligten Deutschen hatten divergierende Vorstellungen über die Zukunft der Regionen im Südwesten Nachkriegsdeutschlands, sondern auch die Besatzungsmächte USA und Frankreich. Trotz aller stürmischen Auseinandersetzungen entstand ein zukunftsfähiges Bundesland. Baden-Württemberg ist somit ein Musterbeispiel für andere Zusammenschlüsse in Deutschland und der Welt.
Zersplitterung beflügelt Einheitswillen
Der eigentliche Anstoß zur Neuorientierung kam nicht von Innen, sondern durch die willkürliche Grenzziehung zwischen der US-amerikanischen und der französischen Besatzungszone. Frühere wirtschaftliche Beziehungen spielten dabei keine Rolle, genau so wenig wie die historischen Länder. Der eigentliche Hintergrund war der Wunsch der französischen Seite nach einer eigenen Besatzungszone, die dann aus der US- und der britischen Zone herausgeschnitten wurde. So wurden Baden und Württemberg aufgespalten und das ehemalige preußische Hohenzollern gleich mit „verwurstet“. So manche koloniale Grenzziehung in Afrika entstand in ähnlicher Weise ohne Rücksicht auf bestehende Kulturen oder Stammeszugehörigkeiten. Die Folgen sind bis heute spürbar, nicht selten führen sie zu jahrzehntelangen Bürgerkriegen.
Aber im Südwesten keimte nicht nur bei den deutschen Politikern die Einsicht, dass ein dauerhafter Zuschnitt für die Gebiete Baden (mit dem Sitz der Landesregierung in Freiburg), Württemberg-Baden (Stuttgart) und Württemberg-Hohenzollern (Tübingen) gesucht werden musste, sondern auch bei den Besatzungsmächten. Allerdings wünschten sich die Franzosen als Nachbarn lieber eine größere Zahl kleiner Staaten, sicherlich verständlich, wenn man die Okkupation durch die deutschen Truppen und die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs gerade erst überstanden hatte: „Frankreich lehnte die Bildung eines Südweststaates an seiner Grenze kategorisch ab“, so Theodor Eschenburg, der an den Verhandlungen maßgeblich beteiligt war.* Auf Ablehnung traf bei der französischen Seite fast 40 Jahre später auch die Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland. Nun aber zurück zum Südweststaat: Die US-Verwaltung setzte konsequent auf ein wirtschaftlich lebensfähiges Bundesland.
Misstrauen in Baden
Die von Leo Wohleb (CDU) geführte Landesregierung in Baden – eigentlich Südbaden – widersetzte sich beharrlich einer Vereinigung mit dem von Gebhard Müller (CDU) geführten Württemberg-Hohenzollern und Württemberg-Baden (Reinhold Maier, FDP/DVP). Religiöse Unterschiede spielten hierbei eine nicht zu unterschätzende Rolle: „das größtenteils katholische Südbaden war misstrauisch gegen das protestantische Württemberg mit der Hauptstadt Stuttgart, das um protestantisch-badisch-kurpfälzische Gebiete (Nordbaden) erweitert worden war.“ (Hans-Georg Wehling)* Wem kommt dies aus unseren Tagen nicht bekannt vor, man denke nur an Nordirland, wo religiöse, politische und soziale Faktoren eng verwoben waren und sind. (siehe: Zerbricht das Vereinigte Königreich? bzw. Martin McGuinness: Von der Gewalt zur Politik)
Trotz der räumlichen Nähe dürfen die damaligen Unterschiede nicht unterschätzt werden. So schreibt Hermann Bausinger, die Badener hätten eine „Mentalität, welche sich Modernisierungsschüben nicht nur nicht entgegen stellte, sondern sie bereitwillig aufnahm und förderte“ und „die liberale Volksbewegung des 19. Jahrhunderts entfaltete sich in Baden breiter, freier und auch radikaler als in Württemberg“. „Um 1800 erklärte“, so Bausinger, „der liberale englische Politiker James Fox, Württemberg sei außer England das einzige Land Europas, das eine Verfassung besitze“.* So waren zumindest beide Regionen früh offen für freiheitliche und demokratische Gedanken.
Die Diskussionen kreisten jedoch nicht nur um die Bildung eines Südweststaats als solchem, sondern auch um die Abstimmungsverfahren. Letztendlich kam es zu einer Einigung auf vier Stimmbezirke, wobei die Bildung eines Südweststaats erfolgen sollte, wenn mindestens in drei Bezirken eine Mehrheit dafür stimmen würde. Einer Volksabstimmung wurde am 24. September 1950 eine Volksbefragung vorgeschaltet. Die Stimmbezirke Nordbaden, Südwürttemberg und Nordwürttemberg sprachen sich für den Südweststaat aus, nur in Südbaden lagen die Vertreter vorn, die die alten Länder wiederherstellen wollten.
Das Volk entscheidet
Alle Versuche Badens scheiterten, den Zug in Richtung Neugliederung des deutschen Südwestens aufzuhalten. So brachte auch die Anrufung des neu gebildeten Verfassungsgerichts keinen Erfolg. Aber auch Konrad Adenauer zählte – zumindest kurzfristig – zu den Verlierern, denn er wollte die drei Länder erhalten, um sich so mehr Stimmen im Bundesrat zu sichern. Der Auftrag der drei westlichen Militärgouverneure, Deutschland neu zu gliedern und dabei gleichwertige Länder anzustreben, näherte sich im Südwesten nun seiner Umsetzung.
Grundlage für die Neugliederung – gewissermaßen aus eigener Kraft der drei Länder – war Artikel 118 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland: „Die Neugliederung in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern umfassenden Gebiete kann abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 durch Vereinbarung der beteiligten Länder erfolgen. Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, so wird die Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt, das eine Volksbefragung vorsehen muss.“
Mit ausschlaggebend für den positiven Ausgang der Volksabstimmung am 9. Dezember 1951 waren verschiedene Argumente, so z.B. die Stärkung der Wirtschaftskraft in einem umfassenderen Gebiet, die Mehrung des Einflusses auf Bundesebene oder auch die Verwaltungsvereinfachung. Insgesamt sprachen sich 69,7 % der Abstimmenden für den Zusammenschluss aus.
Regierungsbildung im Handstreich
Am 9. März 1952 erfolgte die Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung des neuen Landes, und die CDU wurde mit 50 Mandaten stärkste Fraktion. Doch am 25. April zerplatzten ihre Erwartungen, die Regierung bilden zu können. Reinhold Maier von der FDP/DVP hatte SPD und BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) für sich gewonnen und wurde so zum ersten Ministerpräsidenten des neuen Landes Baden-Württemberg gewählt. Die CDU als stärkste Fraktion war perplex und beschwerte sich bei Bundeskanzler Konrad Adenauer. Dieser turbulente Start passte auch zur Vorgeschichte, denn auch dort wurde mit allen politischen Tricks gearbeitet.
Doch bereits ein Jahr später machte Reinhold Maier den Chefsessel in der Villa Reitzenstein, dem Regierungssitz in Stuttgart, frei und Gebhard Müller, der spätere Präsident des Verfassungsgerichts, bildete eine Allparteienregierung (ohne KPD).
Kaum ein Staat oder Bundesland wird ohne Querelen aus der Taufe gehoben, und so ist es auch wenig verwunderlich, dass nun der Streit um die Namensgebung aufloderte. Aber im November 1953 war auch dieses geschafft: Baden-Württemberg hatte sich gegen Vorschläge wie „Schwaben“ oder „Alemannien“ durchgesetzt.
Wirklich aufgeben mochte ein Teil der Altbadener – die sich im Heimatbund Badenerland organisiert hatten – ihre Hoffnung auf eine Rückabwicklung des Landes und die Bildung ihres Herzenswunsches „Baden“ nicht. So kam es 1970 in den Regierungsbezirken Nord- und Südbaden zu einer weiteren Volksabstimmung: 81,9 Prozent stimmten für einen Verbleib im Land Baden-Württemberg. So unterstrich dieses Votum beeindruckend, dass das neue Land inzwischen seine Daseinsberechtigung belegt hatte – und dies selbst in Baden!
„Die Stuttgarter saufen uns den Bodensee leer…“
Bei der Entstehung Baden-Württembergs wurde deutlich, dass zwar schroffe Gegensätze zwischen Baden und den anderen Gebieten bestanden, diese konnten aber schlussendlich mit demokratischen Mitteln gelöst werden. Besser mehrmals abstimmen als gewalttätige Konflikte provozieren, so könnte eine Regel lauten. Und mögen auch die Vorurteile tief gesessenen haben, sie führten doch nicht zu einem Zerfall des Landes, sondern zu einer Einheit in Vielfalt.
So äußerte auch noch der Großvater meiner Frau bei der Schaffung der Bodenseewasser-Versorgung: „Jetzt saufen uns die Stuttgarter unseren Bodensee leer“, aber die Badener mit ihrem Bodensee und die Württemberger mit dem Sitz der Landeshauptstadt Stuttgart waren längst dabei, zusammen zu wachsen. Wer Witze übereinander macht, der ist auf dem richtigen Weg. Und die Württemberger erschrecken nicht, wenn das Badnerlied erklingt, sondern fragen sich höchstens: Welches Lied steht denn für unsere Region? Die gelungene Verbindung von kulturellen Unterschieden mit einer landespolitischen Neugliederung ist eigentlich der schönste Erfolg,
Ganz zum Schluss muss ich noch die Frage aufwerfen, warum ist es nur Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern gelungen, ein Bundesland zu schaffen, das von der Größe und der Wirtschaftskraft her mit Bayern und Nordrhein-Westfalen mithalten kann? Sind wir nicht doch inzwischen ein wenig zur Bananenrepublik geworden, wenn es uns nicht gelingt, das Saarland mit einer Million Einwohner oder Mecklenburg-Vorpommern (1,6 Mio. Einwohner), um nur diese beiden Flächenländer zu nennen, oder Bremen (knapp 700 000 Einwohner) mit anderen Bundesländern zusammen zu führen? Wirtschaftlich spielen diese Bundesländer gewiss nicht in der gleichen Liga! Doch der Elan der frühen Jahre ist wohl verpufft. So blieb Baden-Württemberg das einzige Beispiel für eine grundlegende Neuordnung eines Bundeslandes in Deutschland! Der erste Bundespräsident Deutschlands, Theodor Heuss, bezeichnete die Bildung Baden-Württembergs als „Glücksfall der Geschichte“. Recht hat er! Aber musste es bei einem Glücksfall bleiben?
*Theodor Eschenburg: Die Entstehung Baden-Württembergs, in: Baden-Württemberg. Eine politische Landeskunde, hrsg. Von Hermann Bausinger, Theodor Eschenburg u.a., Stuttgart 1975
Hans-Georg Wehling: Baden-Württemberg: Zur Geschichte eines jungen Bundeslandes, in; Baden-Württemberg. Gesellschaft, Geschichte, Politik, hrsg. Von Reinhold Weber und Hans-Georg Wehling, Stuttgart 2006
Hermann Bausinger: Zur politischen Kultur Baden-Württembergs, in Baden-Württemberg. Eine politische Landeskunde, s.o.
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