Wahlrechtsreform der Ampel-Regierung ist undemokratisch
Bei der vorgezogenen Bundestagswahl wurden die Parteien der zerbrochenen Ampelregierung abgestraft. Am härtesten traf es die FDP, denn die Liberalen flogen aus dem Bundestag, die SPD mit dem lahmen Zugpferd Olaf Scholz fuhr das schlechteste Ergebnis seit der Gründung der Bundesrepublik ein, die Grünen schwächelten mit ihrem Kanzlerkandidaten Robert Habeck, der das Heizungsgesetz verbockt hatte. Nicht nur diese Parteien traf die Bundestagwahl hart, sondern auch 23 Kandidaten, die zwar in ihrem Wahlkreis die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten, doch die obskure Wahlrechtsreform von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP versperrt ihnen die Tür zum Deutschen Bundestag! Da mag sich so mancher Politiker in seinem Wahlkreis für die Bürgerinnen und Bürger einsetzen und die Stimmenmehrheit erlangen, wenn aber der Zweitstimmenanteil seiner Partei nicht alle gewonnenen Direktmandate abdeckt, war alle Mühe umsonst. Die Sitze im Bundestag werden nach der Zahl der Zweitstimmen vergeben, d. h., wer in einem heftig umkämpften städtischen Wahlkreis mit zahlreichen Gegenkandidaten gewinnt, dem fehlen am Ende Stimmen, um ins Parlament einzuziehen. Es ist der Gewinner eines Wahlreises besser dran, der in seinem ländlichen Stammland die Gegner abschüttelt und ein besonders hohes Erststimmenergebnis erzielt. Welche Art von Demokratie gemeint ist, wenn selbst das Bundesverfassungsgericht eine Wahlrechtsreform gutheißt, die Wahlkreisgewinnern den Parlamentssitz verwehrt, das weiß ich nicht. Auf Anhieb fällt mir keine Demokratie ein, in der der Sieger in einem Wahlkreis nicht ins Parlament einzieht.

Absurde Rechtsetzung
Merkwürdig ist es schon, dass die Grünen einer Wahlrechtsreform zugestimmt haben, die jeden basisdemokratischen Ansatz vermissen lässt. Bündnis90/Die Grünen hat nicht nur die grüne Seele verloren, sondern auch die Einsicht, dass derjenige Kandidat, der direkt von den Wählerinnen und Wählern im Wahlkreis zur Siegerin oder zum Sieger gekrönt wird, in jedem Fall in den Deutschen Bundestag einziehen sollte. Auf das fehlende Engagement für Natur- und Tierschutz bin ich in meinem Blog-Beitrag ‚Bündnis 90/ Die Grünen: Die grüne Seele bei Natur- und Umweltschutz ist verwelkt‘ eingegangen. Mögen die Grünen noch mit einem blauen Auge davongekommen sein, so hat es FDP und SPD bei der Bundestagswahl übel erwischt. Friedrich Ebert, der erste Reichspräsident in der Weimarer Republik, dürfte sich im Grab umdrehen, wenn er erlebt, was Olaf Scholz als Kanzler sowie Saskia Esken und Lars Klingbeil als Parteivorsitzende oder Rolf Mützenich als Fraktionsvorsitzender aus seiner SPD gemacht haben. Mützenich, der seinen Wahlkreis verlor, soll durch Lars Klingbeil ersetzt werden, doch ob das wirklich hilft? Vielleicht sollte sich die SPD mal wieder stärker an das Erbe Friedrich Eberts erinnern: ‚Vom Sattlergesellen zum ersten Reichspräsidenten. Friedrich Ebert: Streitbarer Demokrat und Reformer‘. Gleiches gilt für die FDP nach dem Abgang ihres redefreudigen Vorsitzenden Christian Lindner, der eine liberale Strategie vermissen ließ. Längst vergessen scheinen bei den Liberalen der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, oder der Außenminister zur Zeit der Wiedervereinigung, Hans-Dietrich Genscher. Die Ampel hat nicht nur das Heizungsgesetz, sondern auch die Wahlrechtsreform vermurkst. Wer gewählten Abgeordneten den Sitz im Deutschen Bundestag verweigert, der handelt zumindest fragwürdig.

Auf das Ausufern des XXL-Bundestags bin ich mehrfach kritisch eingegangen und habe davor gewarnt, den Zweitstimmenanteil zum Maß aller Dinge zu machen, so z. B. in meinem Artikel ‚Wahlrechtsreform: Trotz Direktmandat nicht im Bundestag? Der Vorschlag der Ampelregierung gefährdet die Demokratie‘. Keine Frage, der personell ausgeuferte Bundestag musste wieder kleiner werden, doch das darf nicht zu Lasten direkt gewählter Wahlkreisgewinner gehen. Warum erfolgt keine Aufteilung in 299 direkt in den Wahlkreisen gewählte Abgeordnete, wie dies ursprünglich vorgesehen war, und die andere Hälfte der Parlamentarier wird über Listen nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Ich bin mir bewusst, dass sich aus solch einer Regelung ebenfalls Ungerechtigkeiten ergeben, zumindest aber hätten keine direkt gewählten ‚Abgeordneten‘ ihren Sitz im Bundestag verloren. Zwar halte ich die Vorwürfe des US-Präsidenten Donald Trump und seines Vize JD Vance, in Deutschland mangle es an Demokratieverständnis, für völlig überzogen, andererseits dürfte es in den USA oder in Großbritannien – um nur diese beiden Staaten zu nennen – schwerfallen, ein Wahlrecht zu erklären, das direkt gewählten Kandidaten den Parlamentssitz verweigert. Über Jahrzehnte habe ich das deutsche Wahlrecht für eine gute Regelung gehalten, doch wenn es solche Auswüchse treibt wie bei der Bundestagswahl, dann wäre ein reines Mehrheitswahlsystem aus meiner Sicht überlegenswert.

Parteien, die wenig bis keine Wahlkreise direkt erringen, setzten natürlich auf das Verhältniswahlrecht, denn ansonsten würde ihnen meist der Zugang zur politischen Futterkrippe verwehrt. Bei einer kompletten Mehrheitswahl ergeben sich zumeist klare Aufträge für die Regierungsbildung und die Chance, politische Richtungsänderungen durchzusetzen. Dagegen dürften sich CDU und CSU als klare Wahlgewinner jetzt schwertun, die versprochene Neuausrichtung der Bundespolitik – den von der Union angekündigten Politikwechsel – mit einem Partner aus der zerbröselten Ampelkoalition umzusetzen, was im Übrigen für das abstruse Wahlrecht, das 23 gewählten Kandidaten ihren Sitz im Bundestag verweigert, gleichermaßen zutrifft. Wird die SPD, der vermutliche Koalitionspartner, über ihren Schatten springen und das Wahlrecht wieder ändern? Ist es gelebte Demokratie, wenn 15 gewählte Wahlkreiskandidaten der CDU, vier von der AfD, drei von der CSU und eine von der SPD nicht in den Deutschen Bundestag einziehen, obwohl sie in ihrem Wahlkreis die meisten Stimmen errungen haben? Ich halte ein Wahlrecht, das ein solches Vorgehen zulässt, für schädlich, denn die Wählerschaft muss sich darauf verlassen können, dass der mehrheitlich Gewählte eines Wahlkreises auch im Deutschen Bundestag Platz nehmen darf – und dies nicht nur auf der Zuschauertribüne. Ich hoffe sehr, dass es der nächsten Bundesregierung unter einem Kanzler Friedrich Merz gelingt, das Wahlrecht wieder zu ändern, denn wer im Wahlkreis gewinnt, der muss in jedem Fall im Parlament sitzen!


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Eine Verkleinerung der Kopfzahl des Deutschen Bundestags war und ist richtig, doch der von der Ampel-Regierung unter Olaf Scholz gewählte Weg war falsch: 23 direkt im Wahlkreis gewählten Kandidaten wird ein Sitz im Bundestag verwehrt! In meinem Blog-Beitrag bin ich früh auf die drohenden abstrusen Folgen eingegangen: ‚Wahlrechtsreform: Trotz Direktmandat nicht im Bundestag? Der Vorschlag der Ampelregierung gefährdet die Demokratie‘. (Bild: Ulsamer)
Sehr geehrter Herr Dr. Ulsamer,
Ihren Beitrag zur Wahlrechtsreform habe ich mit Interesse gelesen. Ich stimme Ihnen zu, es ist schwer einsehbar, dass kandidierende die von der Mehrheit des Wahlkreises gewählt worden sind, kein Mandat erhalten.
Für die Regelung spricht jedoch, dass sie vom Verfassungsgericht nicht aufgehoben worden ist und zu einer Verkleinerung des Bundestages führt.
Ein reines Mehrheitswahlrecht bringt ebenfalls Gerechtigkeitslücken mit sich, da eine Minderheit an Stimmen zu einer Mehrheit im Parlament führen kann. Das Gewicht der einzelnen Stimme kommt dadurch unterschiedlich zum Tragen.
Die Reduzierung der Wahlkreise scheitert leider an den parteipolitischen Gegebenheiten.
Wir werden deshalb mit dem jetzigen Wahlrecht leben müssen und es ist zu hoffen, dass die Koalitionsverhandlungen nicht (schon) an dieser Frage scheitern.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Walter