Wenn die Wahrheit unter die Räuber fällt

Die Fake News-Produzenten haben schon lange Konjunktur

Die historische Bildung scheint nicht wenigen PolitikerInnen abhandengekommen zu sein, ansonsten würden sie nicht immer wieder den Anschein erwecken, als seien Fake News gerade erst erfunden worden. Und ganz besonders gerne ziehen sie diese vermeintliche Trumpfkarte, wenn sie in der Wählergunst zurückgefallen sind. Dann lautet eine ach so einfache Begründung: Meine Partei und ich hätten gewiss gewonnen, wenn da nicht die sozialen Medien und die dort verbreiteten Falschinformationen gewesen wären. Hillary Clinton verlor aber nicht knapp, weil der russische Geheimdienst mit Hilfe menschlicher und technischer Trolle die US-Wahlen manipulierte, sondern wegen eines altbackenen Wahlkampfs. Und nicht zu vergessen: Ihre Zugkraft war ganz einfach zu gering, sie war verschlissen und galt vielen WählerInnen als eine Vertreterin des Ostküsten-Establishments. Hätten die Demokraten anders agiert und eine ‚frische‘ Persönlichkeit ins Rennen geschickt, dann wäre ein Sieg greifbar, sogar wahrscheinlich gewesen. Und uns allen wäre ein im Grunde unpolitischer, sprunghafter und dilettantischer US-Präsident Donald Trump erspart geblieben.

Facebook-Post des 'Spiegel'. Im Bild 'Spiegel'-Hefte, eines aufgeschlagen mit einem Relotius-Beitrag 'Jägers Grenze'. Im Text sagt die Chefredaktion umfassende Aufklärung zu.
Claas Relotius, ein mit zahlreichen Preisen ausgezeichneter Mitarbeiter des ‚Spiegel‘, hat einen großen Teil seiner bewunderten Geschichten ganz einfach selbst erfunden! Und dies passiert ausgerechnet beim ‚Spiegel‘, der eine eigene Fakten-Check-Abteilung unterhält. Fake News dieser Art untergraben die Glaubwürdigkeit nicht nur des ‚Spiegel‘, sondern auch weiter Bereiche der Medien. (Bild: Screenshot, Facebook, 20.12.18)

Das Bildungsniveau mancher Zeitgenossen schwächelt

Auch bei der Bundestagswahl 2017 sahen die Wahlverlierer die Schuld weniger bei sich und ihren Spitzenkräften, sondern witterten Verrat an der ‚guten‘ Sache durch die sozialen Medien. Die Europawahlen sehen manche Politiker und ihre mediale Entourage durch unkontrollierte soziale Medien in Gefahr. Nun mache auch ich meine Erfahrungen mit Facebook und Twitter und kann mich nur wundern, welch niedriges Niveau manche unserer Zeitgenossen bei ihren Äußerungen an den Tag legen. Nicht selten muss ich bei den halbgaren Sätzen über den Inhalt rätseln: Hier dürfte auch unser Bildungswesen seinen Teil an Mitschuld zu tragen haben.

Fake News im Sinne bewusster Fehlinformationen sind aber allemal nicht neu. Dazu folgt ein zweiter Beitrag. Durch die vielfältigen Informationen, die man heute über die sozialen Medien beziehen kann, sehe ich bessere Möglichkeiten der differenzierten Einschätzung von Aussagen und Ereignissen. Als eifriger Leser sehe ich hier auch bei Zeitungen und Zeitschriften wichtige Aufgaben der Information und Orientierung. Hörfunk und Fernsehen möchte ich ebenfalls als Informationsquelle nicht missen, doch würde ich mir gerade beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Fokussierung auf den Informationssektor wünschen. In jedes Medium können sich unbeabsichtigt Fehlinformationen einschleichen. Oft sind Fehleinschätzungen oder nicht sachgerechte Bewertungen ganz einfach menschlich. Bedrohlich wird es jedoch, wenn eine bewusst einseitige Berichterstattung oder gar die Weitergabe getürkter Beiträge erfolgt.

Facebook-Post des 'Stern' mit dem Begriff 'Faking', kleiner darunter 'Faking Hitler'.
„Der 25. April 1983 ist einer der dunkelsten Tage der deutschen Pressegeschichte”, so beginnt ein Facebook-Post des ‚Stern‘. Das mag schon stimmen, aber es ist insbesondere der vermutlich dunkelste Tag des ‚Stern‘! Ist es Unverfrorenheit, wenn der ‚Stern‘ aus dem eigenen Debakel heute eine Podcast-Serie macht? Ist es Chuzpe, wenn der ‚Stern‘ sein eigenes journalistisches Fehlverhalten jetzt für Werbezwecke nutzt? Haben wir es schon so weit gebracht, dass Fake News in der Aufbereitung eine Zweitverwertung erlauben? „Der GAU: Statt einer Weltsensation stellen sich die Bücher als Fälschung heraus. 35 Jahre später wird der Skandal nun erneut aufgerollt – mit noch nie zuvor gehörten Originaltonbandaufnahmen aus den 80er Jahren zwischen dem Journalisten Gerd Heidemann und dem Fälscher Konrad Kujau.” Der Skandal zur Eigenwerbung! „Eine spannende, groteske und aberwitzige Geschichte, die schnurstracks ins Verderben führt.” Und das auch noch in zehn Teilen. (Bild: Screenshot, Facebook, 12.1.19)

‚Stern‘ und ‚Spiegel‘ mit Glaubwürdigkeitsdefizit

Der ‚Stern‘ erinnert derzeit ja selbst mit einer Podcast-Reihe an einen seiner größten Missgriffe, die gefälschten Tagebücher Adolf Hitlers. 1983 hatte der ‚Stern‘ für über 9 Mio. DM die publizistische ‚Sensation‘ vom Stuttgarter Fälscher Konrad Kujau erworben. Nach diesem medialen Super-GAU stand der ‚Stern‘ am Abgrund, daher ist es etwas befremdlich für mich, wenn der ‚Stern‘ heute mit diesem Tiefschlag sogar die Werbetrommel für das eigene Magazin rührt. Hat sich unser Bewusstsein so verändert, dass man mit einer Fake News selbst nach Jahren noch Geschäfte machen kann?

Vielleicht ist dies aber auch gar nicht so verwunderlich, ist doch gerade der ‚Spiegel‘ über die zum Teil frei erfundenen Beiträge von Claas Relotius gestolpert, und dies trotz einer eigenen Abteilung für den Fakten-Check. Doch die Artikel haben nicht nur den ‚Spiegel‘-Chefs gefallen, sondern Relotius heimste für diese sogar noch Preise ein, so z.B. den Deutschen Reporterpreis 2018. Ullrich Fichtner schreibt über den Ex-Kollegen und die Preisverleihung, die einem Beitrag über einen syrischen Jungen galt, „der im Glauben lebt, durch einen Kinderstreich den Bürgerkrieg im Land mit ausgelöst zu haben. Die Juroren würdigen einen Text ‚von beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz, der nie offenlässt, auf welchen Quellen er basiert‘.”  Hätte nicht schon der Plot in einer Redaktion Nachfragen auslösen müssen?

Die Glaubwürdigkeit zweier zentraler Medien wurde nicht nur durch einzelne Journalisten gefährdet, sondern auch durch das wohlwollende Nicken der Chefredakteure. Weder der Ankauf der ‚Hitler-Tagebücher‘ hätte stattgefunden noch hätte Claas Relotius jahrelang hochgelobt sein Unwesen treiben können, wenn auch nur einmal die Redaktionsleiter über Wahrheit und Fiktion nachgedacht hätten. Aber der erste Blick gilt viel zu oft der Auflagensteigerung. Die Gier nach Knüllern lässt den gesunden Menschenverstand in die Defensive geraten.

Im Bild Michele Anderson und ein Mitstreiter. Im Text berichtet sie über zahlreiche Medientermine an diesem Tag.
„38 Tage wohnt er in Fergus Falls. Er ist freier Mitarbeiter des SPIEGEL und soll für das Magazin eine Reportage schreiben. Was er mitbringt, ist ein Märchen, eine Erfindung, eine Lüge”, so der ‚Spiegel‘ über eine Story des Journalisten Claas Relotius. Nach Meinung des (vielleicht) zukünftigen ‚Spiegel‘-Chefredakteurs Steffen Klusmann ist davon auszugehen, „dass sämtliche Relotius-Geschichten Fälschungen sind”. Die skurrilen Details gerade dieses Beitrags hätten auch schläfrige Fakten-Checker aufhorchen lassen müssen. Da berichtete Relotius von Wäldern, obwohl Fergus Falls in der Prärie liegt. Der Verwaltungschef habe zwar immer eine Knarre dabei, aber noch nie mit einer Frau geschlafen, und ans Meer gehe er auch nie. Doch – oh Wunder – gerade dieser ‚Bürgermeister‘ ist auf Fotos mit Freundin am Strand zu sehen. Aufgeflogen war Relotius durch Recherchen seines Berufskollegen Juan Moreno. Dessen Erkenntnisse fanden zuerst keine positive Aufnahme beim ‚Spiegel‘ und eine Nachricht von Michele Anderson ging unter. Wahrscheinlich passten die Schilderungen von Relotius zu gut in das negative US-Bild seiner ‚Spiegel‘-Oberen. (Bild: Screenshot, Facebook, 20.12.18)

Erfindungsreichtum ersetzt die Wirklichkeit nicht

Die Fake News wurden hier also in einem angestammten Medium in die Welt getragen. Einem Medium allerdings, mit dem ich schon vor einigen Jahrzehnten Erfahrungen als Betroffener machen musste, die meinen Glauben an dieses Presseorgan arg auf die Probe stellte. Doch – wie gesagt – nicht nur die ‚Spiegel‘-Mannschaft war begeistert: „Die kruden Potpourris, die wie meisterhafte Reportagen aussahen, machten ihn zu einem der erfolgreichsten Journalisten dieser Jahre. Sie haben Claas Relotius vier Deutsche Reporterpreise eingetragen, den Peter Scholl-Latour-Preis, den Konrad-Duden-, den Kindernothilfe-, den Katholischen und den Coburger Medienpreis. Er wurde zum CNN-“Journalist of the Year” gekürt, er wurde geehrt mit dem Reemtsma Liberty Award, dem European Press Prize, er landete auf der Forbes-Liste der “30 under 30 – Europe: Media” – und man fragt sich, wie er die Elogen der Laudatoren ertragen konnte, ohne vor Scham aus dem Saal zu laufen“, so nochmals Fichtner. Somit betrifft dieses journalistische Trauerspiel nicht nur die ‚Spiegel‘-Redaktion, sondern auch eine Vielzahl von Juroren und Laudatoren. Niemand hatte allzu lange Zweifel an Geschichten, die ins Weltbild der Juroren passten – auch wenn sie zum Teil völlig obskur klangen.

Deutlich anders ist die Situation aus meiner Sicht in den lokalen Tageszeitungen oder den regionalen Radio- und TV-Sendern: Ein Claas Relotius würde dort schnell entlarvt, denn die LeserInnen kennen sich im Regelfall im Gebiet der Berichterstattung aus. Da sollte alles stimmen, ansonsten meldet sich schnell eine Leserin oder ein Leser. Ich erinnere mich noch an den ersten Artikel, den ich für die ‚Sindelfinger Zeitung‘, eine Lokalzeitung in Baden-Württemberg, über die Wiedereröffnung eines Schuhgeschäfts nach der Renovierung geschrieben habe. Als ich ohne den Vornamen einer der beteiligten Personen in die Redaktion zurückkam, da erklärte mir der Lokalchef mit eindeutiger Miene, ich sollte mich ans Telefon hängen, und die Vornamen aller Personen in Erfahrung bringen, die ich im Artikel erwähne. Da hatte es der hochgelobte Claas Relotius natürlich einfacher: In einer erfundenen Story kann man auch die Namen nach Gutdünken gestalten.

Die genannten Fälle – wie beim ‚Stern‘ oder ‚Spiegel‘ – erschüttern das Vertrauen in die Medien sicherlich mehr als die eine oder andere Desinformation in den sozialen Medien. Häufig lässt sich schon bei Facebook oder Twitter auf den ersten Blick erkennen, dass es sich um eine zweifelhafte Quelle handelt. Dennoch habe ich den Eindruck, dass sich Politiker in die Zeiten zurücksehnen, wo sie mit einer erlauchten Schar der immer gleichen Journalisten über ihre Weisheiten plaudern konnten. Dies mag die Ursache dafür sein, dass aus der Politik an den sozialen Medien herumgemäkelt wird, doch die Umdeuter der Wirklichkeit bekommen gar noch einen Preis.

Robert Menasse mit Brille und eine Hand über den Augen als schaue er in die Ferne.
In der österreichischen Tageszeitung ‚Die Presse‘ ging Robert Menasse zum Gegenangriff über: „Die Quelle ist korrekt. Der Sinn ist korrekt. Die Wahrheit ist belegbar. Die These ist fruchtbar. Was fehlt, ist das Geringste: das Wortwörtliche.” Das mag verstehen wer will: Weder das Walter Hallstein in den Mund gelegte Zitat noch die Örtlichkeit der Rede stimmen. (Bild: Screenshot, Facebook, 5.1.19)

Wenn die Realität zum Spielball wird

Mit Preisträgern scheint dies in Deutschland so eine Sache zu sein. Da verwechselt der österreichische Autor Robert Menasse einen fiktionalen Roman mit einer Tatsachenbehauptung und bekommt dennoch die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz. Zuckmayer hat zwar den Hauptmann von Köpenick geschrieben, also ein Buch über einen Hochstapler, doch deswegen sollten Realität und Fiktion bei den Preisträgern dennoch zu erkennen sein. Zumindest wenn es um ein Zitat geht, das Menasse einer realen Person in den Mund legt. So soll Walter Hallstein, der Präsident der ersten Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gesagt haben: „Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee.“ Nicht nur der Berliner Historiker Heinrich August Winkler kam nach Recherchen zu dem Schluss, dass dieses Zitat nicht stimmt. Nirgendwo war auch nur eine annährend vergleichbare Aussage Hallsteins zu finden. Der CDU-Politiker Hallstein wurde 1958 auf einer Außenministerkonferenz zum Kommissionspräsidenten gewählt: Hätte er auch nur in Ansätzen das von Menasse eingesetzte Zitat benutzt, dann wäre er mit Sicherheit abberufen worden. Bei etwas Nachdenken hätte dieses falsche Zitat sofort erkannt werden müssen, denn kein Kommissionspräsident hätte in den 1950er Jahren eine solche Aussage gemacht.

Genauso wäre eine andere Aussage Menasses schnell als Unsinn entlarvt worden: Er behauptete, Hallstein hätte seine Antrittsrede im früheren KZ Auschwitz gehalten. Dafür wäre damals mit größter Sicherheit die Zeit noch nicht reif gewesen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer wollte trotz dieser Verfehlungen Menasses am Preisträger festhalten und erklärte gemeinsam mit Menasse: „Wir sind davon überzeugt, dass die vorbehaltlose Anerkennung von Fakten zum Wertefundament unserer liberalen Öffentlichkeit gehört. Die Bereitschaft, ja die Notwendigkeit, Gewissheiten von Annahmen und Fakten von Meinungen zu trennen, ist für das Gelingen einer demokratischen Debatte unerlässlich“. Das klingt doch eindeutig, aber Menasse legt in abstruser Weise nach: „Die Quelle ist korrekt. Der Sinn ist korrekt. Die Wahrheit ist belegbar. Die These ist fruchtbar. Was fehlt, ist das Geringste: das Wortwörtliche.“ Leider zeugt diese Aussage nur von der Uneinsichtigkeit des Schriftstellers Menasse: Weder die Quelle stimmt noch ist der Sinn korrekt. An keiner Stelle findet sich auch nur annährend eine Aussage Hallsteins, die die Abschaffung der Nation zur europäischen Idee stilisiert. Damit trifft es aber gleichfalls nicht zu, dass die Wahrheit belegbar sei, wie Menasse behauptet. Ob man für so viel Verbohrtheit einen Preis des Landes Rheinland-Pfalz verdient hat, das würde ich verneinen. Im Gegensatz zu Malu Dreyer.

'Fall Relotius. Die gefälschte Stadt', so der Titel eines 'Spiegel'-Beitrags zum Skandal um die erfundenen Geschichten.
Claas Relotius zeichnete in ‚Jaegers Grenze‘ das Bild einer US-Kleinstadt, wie es wohl auch den Fakten-Checkern und der Chefredaktion gefiel: Man betet für Trump, trägt eine Waffe, schaut sich seit Jahren ‚American Sniper‘ im Kino an … Reaktionär soll das ländliche Amerika erscheinen, so war der Wunsch der Vater des Gedankens. In Fergus Falls erweckte Relotius Comic-Figuren zum Leben, doch über die echten Einwohner berichtete er nicht. (Bild: Screenshot, spiegel.de, 3.1.19)

Fake-News-Produzenten gehören an den Pranger

Die Fake-News-Produzenten sitzen auch in namhaften Redaktionen und sie erhalten wie Claas Relotius oder Robert Menasse sogar Preise für ihre Umdeutung der Wirklichkeit. Diese Fehlgriffe halte ich für bedeutend problematischer als die eine oder andere Desinformation in den sozialen Medien. Von angesehenen Medien – wie einst dem ‚Stern‘ und heute dem ‚Spiegel‘ – oder auch der rheinland-pfälzischen Landesregierung unter Malu Dreyer würde ich mir mehr Bewusstsein für die Bedeutung von falschen Informationen wünschen. Die Glaubwürdigkeit der Medien und der Politik wird nicht durch die sozialen Medien erschüttert, sondern durch solches Fehlverhalten. Und etwas skurril kommt es mir vor, wenn heute der ‚Stern‘ auch noch eine Podcast-Serie über den Ankauf der gefälschten ‚Hitler-Tagebücher‘ herausbringt. Aufarbeitung der eigenen Fehler ist immer sinnvoll, selbst nach Jahrzehnten, aber muss dies dann gleich in einen medialen Overkill einmünden?

Generell habe ich durchaus den Eindruck, dass es zunehmend mehr Menschen mit der Wahrheit bei politischen Fragen nicht mehr so genau nehmen, und im zweiten Teil des Beitrags werde ich noch auf einige historische Fake News eingehen, die gravierende Auswirkungen hatten. Dies geschah ganz ohne die Nutzung sozialer Medien. Vielleicht konnten sie ihre durchschlagende Wirkung gerade erst deswegen entfalten, weil es nicht möglich war, die nur über Zeitungen oder Hörfunk verbreiteten Nachrichten anhand weiterer Quellen zu überprüfen. Gerade soziale Medien bieten die Chance, sich über andere, auch ausländische Quellen direkt zu informieren, und ich tue dies gerne. So mancher Politiker, der die sozialen Medien als Gefahr ansieht, der sollte besser eine sachgerechte Politik vorantreiben und über diese umfassend – auch – in den sozialen Medien informieren.

Robert Menasse im Bild mit dem SWR-Redakteur Carsten Otte.
Kritik ist unerwünscht, dies verdeutlicht der SWR 2-Redakteur Carsten Otte: Nur „Oberlehrer unter seinen Kritikern” können Robert Menasse die Carl-Zuckmayer-Medaille missgönnen – und schon kommt eine Sendung mit Menasse als Wiederholung ins Programm. So habe ich mir den Informationsauftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders nicht vorgestellt. (Bild: Screenshot, Facebook, 12.1.19)

Mehr Sensibilität in der Politik notwendig

Für alle Medien würde ich mir mehr Sensibilität im Umgang mit Beiträgen wünschen. Häufig werden auch die Grenzen zwischen Nachricht und Kommentierung in problematischer Weise verwischt. Keinerlei Verständnis habe ich beispielsweise dafür, wenn ein Schriftsteller einer historischen Persönlichkeit Zitate in den Mund legt, die so nicht gefallen sind – und darüber hinaus im Gegensatz zu anderen Äußerungen dieser Person stehen. Da ich selbst schon zwei Romane geschrieben habe, bin ich mir bewusst, dass es die Spannung steigert, wenn Realität und Fiktion verschwimmen – wohlgemerkt: es waren Romane! Aber die Grenze wird überschritten, wenn Robert Menasse seine eigenen Vorstellungen von Europa als gefakte Zitate Walter Hallstein in den Mund legt. Und wer – wie die SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer – einem solchen Schriftsteller die Carl-Zuckmayer-Medaille verleiht, der ehrt einen Fake-News-Produzenten.

Menasse schreibt: „Armer Walter Hallstein! Plötzlich geistert dieser historisch so bedeutende Mann, der erste Präsident der Europäischen Kommission, als Fälschung durch die Medien. Und schuld daran bin ich.“ Nicht Walter Hallstein „geistert … als Fälschung durch die Medien“, sondern Menasse steht am Pranger! Wenn schon der Begriff „Fälschung“ von Menasse benutzt wird, dann sollte er von ‚Fälscher‘ sprechen und sich selbst meinen. Völlig ins Abseits begibt sich Menasse, wenn er die Kritik an seinen Verfehlungen umdeutet: „Natürlich geht es nun auch darum, eine europapolitische Idee niederzukartätschen“, so Menasse in der österreichischen Tageszeitung ‚Die Presse‘. Fake-News-Produzenten scheint es immer wieder zu gelingen, sich als Vorkämpfer für eine gute Sache umzudeuten, die die Bösewichte dieser Welt unter Beschuss nehmen. Menasse nimmt sich zu wichtig. Seine Tricks sollten nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Doch schon melden sich Unterstützer wie der SWR 2-Redakteur Carsten Otte und wendet sich gegen die „Oberlehrer unter seinen Kritikern“ – und flugs wird eine Sendung mit Menasse wiederholt. So habe ich mir die sachgerechte Information des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht vorgestellt.

Fake News bleiben Fake News, egal ob sie von einem reichlich mit Preisen bedachten Schriftsteller oder Journalisten in die Welt getextet werden oder ob sie aus einer undurchsichtigen Facebook- oder Twitter-Seite entspringen. Der Schaden für unsere Gesellschaft ist jedoch ungleich höher, wenn Fake News in auflagenstarken Medien erscheinen und selbst die Politik noch Preise dafür verteilt.

Claas Relotius bei einer seiner zahlreichen Auszeichnungen.
Der tiefe Fall eines preisgekrönten Journalisten: Claas Relotius hat mit seinen erfundenen Geschichten nicht nur seinen eigenen Ruf ruiniert, sondern auch ein weiteres Fragezeichen hinter die Glaubwürdigkeit des ‚Spiegel‘ gesetzt. (Bild: Screenshot, Facebook, 22.12.18)

 

 

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