Städte sind auch mal voll!

Wohnraumknappheit nur regionalpolitisch lösbar

Beim Thema Wohnen kann man kaum Pluspunkte sammeln, dessen bin ich mir bewusst. Denn wer eine Wohnung sucht, der möchte schnell eine kostengünstige Bleibe finden und keine Blog-Beiträge lesen. Dennoch greife ich die Wohnungsnot auf: Ich bin der festen Überzeugung, dass das Auffüllen der kleinsten Baulücke mit einem Zehn-Familien-Haus und das Ausufern der Städte nicht die Lösung sein können. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich der Trend in Richtung wirtschaftlich starker Großstädte und Regionen fortsetzt. „Während die meisten Großstädte und ihr Umland Einwohner gewonnen haben, weisen viele ländlich-periphere Gemeinden einen Rückgang der Bevölkerungszahlen auf“, so das Demografie-Portal des Bundes und der Länder.

Ältere Gebäude mit roten Dachziegeln im Außenbereich, in der Innenstadt dominieren höhere moderne Gebäude.
Wir müssen anerkennen, dass Städte auch mal voll sind und es keinen Sinn macht, die letzte Baulücke zu schließen. Beim Blick auf Stuttgart, das in einem Talkessel liegt, wird besonders deutlich, dass Verkehrs- und Emissionsprobleme nur verstärkt werden, wenn ständig mehr Menschen in engem Raum untergebracht werden sollen. Einpendler sind keine Lösung – zumindest nicht für die Emissionen aus dem Straßenverkehr. (Bild: Ulsamer)

Der Landkreis Erding beispielsweise, der im Umfeld der bayerischen Landeshauptstadt München liegt, hat seit der Wiedervereinigung einen Bevölkerungszuwachs von 44 % zu verzeichnen. Die Stadt Suhl in Thüringen hat dagegen seit 1990 rd. 39 % ihrer Einwohner verloren. Aber auch das Ruhrgebiet und das Saarland haben Bevölkerung im Zuge des nicht verkrafteten Strukturwandels verloren. Ganz folgerichtig stehen in manchen Regionen Wohnungen und Häuser leer, und im Gegenzug bezahlen Mieter und Hauskäufer in anderen Regionen fast jeden Preis.

OB Palmer mit weißem Helm und gelber Warnweste in einem Bagger. Die Baggerschaufel greift in Haustrümmker.
Der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer macht in Tübingen nicht nur persönlich Jagd auf Ruhestörer oder Falschparker, sondern greift auch mal mit der Baggerschaufel zu, damit schneller Baulücken zugepflastert werden. Ich halte es in Zeiten des Klimawandels für völlig abwegig, unter Zwang Baulücken zu schließen: Es wäre besser, diese in artenreiche Grün-Biotope umzugestalten. (Bild: Screenshot, Facebook, 30.3.18)

Jagd auf die letzte Baulücke

Mehr als irritierend finde ich es, dass von den Grünen bis zur Bundesregierung aus Union und SPD alle Parteien leicht hysterisch nach mehr Wohnungsbau rufen, doch gleichzeitig soll der Flächenfraß eingedämmt werden. Dies kann nur heißen, dass die Jagd auf Baulücken beginnt: So fordert der grüne Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen gar eine Baupflicht für ungenutzte Flächen. Wie aber passt das mit dem Klimawandel zusammen? Die Stimmen aus der Wissenschaft mehren sich, die vor der Überhitzung unserer Städte warnen und mehr Grün in den Städten und das Offenhalten von Kaltluftschneisen fordern. Diese diametral entgegengesetzten Forderungen lassen sich am gleichen Ort nicht sachgerecht verbinden. Wenn die Grünen im bayerischen Wahlkampf beide Ziele benannten, ohne sie in einem Gesamtkonzept zu verbinden, dann zeigt dies, dass viele von ihnen in einem Wolkenkuckucksheim leben.

Natürlich wird die Wohnungsnot durch den Zustrom von Flüchtlingen in Millionenstärke größer, doch maßgeblich für die Verknappung des Wohnraums in besonders begehrten Kommunen ist auch die Binnenwanderung in Deutschland sowie der Wunsch nach mehr Wohnraum und die Zunahme der Ein-Personen-Haushalte durch ein anderes Familienbild. Der nahezu völlig eingeschlafene Bau von Sozialwohnungen mit direkter Unterstützung der öffentlichen Hand oder der Verkauf von kommunalem Wohnungsbestand an internationale Investoren haben auch nicht zu einer Steigerung des Angebots an erschwinglichem Wohnraum beigetragen. Die Überregulierung im Mietrecht hält viele Häuslebauer davon ab, zusätzliche Mieteinheiten oder Einliegerwohnungen einzuplanen.

Leerstehender Laden in Goseck.
Gleichwertige Lebensverhältnisse sind ein wichtiger Grundsatz, der allerdings seine Tücken hat. Zwar lässt sich die Infrastruktur – Straßen, Schienen, Kläranlagen, Wassernetze usw. – mit viel Geld auf Vordermann bringen, dies zeigt sich gerade auch in den neuen Bundesländern, aber es bedarf auch stabiler Arbeitsverhältnisse, positiver sozialer und kultureller Entwicklungen, um die Menschen am Ort zu halten. Der ländliche Raum droht in manchen Regionen auszubluten wie hier in Goseck (Sachsen-Anhalt). Wir können das Überlaufen mancher wirtschaftlich besonders attraktiver Kommunen nur verhindern, wenn wir neue Impulse in die schwächeren Regionen bringen und so deren Attraktivität erhöhen. (Bild: Ulsamer)

Abstimmung mit den Füßen

Das Bild in Deutschland ist jedoch uneinheitlich: Während in der niedersächsischen Stadt Goslar am Harz dringend neue Einwohner gesucht werden, tut sich das baden-württembergische Esslingen am Neckar schwer, die Neubürgerinnen und -bürger unterzubringen. So stehen in der einen Stadt Wohnungen leer, in der anderen werden selbst die Kaltluftschneisen zugebaut, die das Leben in Zeiten des Klimawandels noch erträglich machen. Aber dies sind nur zwei Beispiele unter vielen, schlimmer hat es viele kleine und große Kommunen in den sogenannten neuen Bundesländern erwischt, denen die Menschen – vor allem die jungen Familien – abhandengekommen sind.  Chemnitz verlor rd. 20 % seiner Einwohnerschaft, Hoyerswerda 50 % und Schwerin fast 30 %. Im Mai 1990 wurden Halle und Halle-Neustadt in Sachsen-Anhalt vereinigt und brachten es auf knapp 317 000 Einwohner, heute leben dort nur noch rd. 237 000 Menschen: Ein rapider Schwund an Bewohnern mit all seinen Folgen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich. Ähnlich erging es aber auch Städten in den alten Bundesländern, so z.B. Idar-Oberstein.

Nun wissen wir alle, dass man Menschen – auch wenn es die sozialistische DDR-Führung versucht hat – nicht durch Mauern langfristig von der freien Wahl ihres Wohnortes abhalten kann. Aber wenn nicht neue Ansätze gefunden werden, um Menschen gleichmäßiger in Deutschland eine ‚Heimat‘ zu bieten, dann platzen manche Städte aus allen Nähten und in anderen Gemeinden macht der letzte das Licht aus. Ein alter und makabrer Witz aus DDR-Zeiten würde dann doch noch wahr – und dies in westlichen und östlichen Regionen. Menschen, die sich und ihre Familie ernähren müssen und wollen, zieht es dort hin, wo Arbeits- und Ausbildungsplätze warten. Dies ist logisch und richtig. Aber wir müssen Lösungen finden, um den Druck auf einzelne Städte und deren Umland zu verringern – oder diese Kommunen ersticken im Verkehr und können sich nicht auf den Klimawandel vorbereiten.

Vor einem Baum mit grünen Blättern steht ein Plakat: 'Nein zum Stau - nein zum Greut-Bau'.
Trotz des Klimawandels wird bei neuen Baugebieten zu wenig Rücksicht auf Grünflächen und Kaltluftschneisen genommen. So soll es auch dem Grün im ‚Greut‘ in Esslingen am Neckar an den Kragen gehen. Auch das Verkehrsaufkommen wird zumeist unterbewertet. (Bild: Ulsamer)

Grünflächen ade, bauen tut weh

Wenn wir mit einer Doppelhaushälfte ein Dach über dem Kopf haben, so könnten Kritiker einwenden, dann ist man nicht berufen, weiteres Bauen in der eigenen Stadt bremsen zu wollen. Ich glaube jedoch, dass die derzeit beschrittenen Wege beim Wohnungsbau in die ökologische Sackgasse führen. Um ehrlich zu sein, mich hat diese Frage vor 40 Jahren nicht umgetrieben, denn wo jetzt ein Doppelhaus und unsere Doppelhaushälfte stehen, fristete vorher nur ein altes, kleines Gebäude sein Dasein. Man kann ja aber auch etwas dazu lernen! Inzwischen durfte ich erleben, wie rund um uns herum die alten, eher spartanischen Einfamilienhäuser abgerissen und durch ganze Wohnanlagen ersetzt wurden. Damit verschwanden nicht nur die Grünflächen um die Gebäude, sondern es multiplizierte sich auch der Verkehr: Und dies gilt nicht nur für Pkw, sondern in gleichem Maße für die Busse des ÖPNV. Die Straßen wurden aber nicht breiter, sondern nicht selten durch entsprechende Maßnahmen oder parkende Fahrzeuge eingeengt.

Nehmen wir die Erderwärmung als Problem hinzu, dann wird für mich immer deutlicher, dass die alte Marschrichtung falsch ist: Städte sind irgendwann auch mal voll, und wer weitere Menschen hineinstopft, der riskiert in heißen Sommern das Leben älterer, kranker oder besonders empfindlicher Mitbürger. So ist es auf den ersten Blick zwar verständlich, wenn die Stadtverwaltung in Esslingen am Neckar neue Baugebiete ausweist. Bei einer intensiveren Betrachtung der möglichen Bauflächen wird aber ein Widerspruch zu ökologischen Erfordernissen erkennbar. Musterbeispiel ist das ‚Greut‘, über das ich schon berichtet habe. Statt 120 sollen nun nur noch 70 Wohnungen auf diese Fläche zwischen den Esslinger Stadtteilen Krummenacker und Serach gebaut werden. Dies ist eine Folge des Widerstands mehrerer Bürgerinitiativen, die die Kaltluftschneise erhalten wollen. Letztendlich scheinen sich jedoch Stadtverwaltung und Gemeinderatsmehrheit durchzusetzen. Von Einsicht also keine Spur. Der Erhalt von Wiesen und Streuobstbeständen ist nur en vogue, solange dort niemand bauen möchte.

„Das stärkste Wachstum wird mit bis zu einem Fünftel für das Umland von München erwartet“, so äußert sich wiederum das Demografie-Portal. „Im Gegensatz dazu könnten einige ostdeutsche Kreise allein bis 2035 noch einmal mehr als ein Viertel ihrer Bevölkerung verlieren. Die regionalen Unterschiede und die Herausforderungen für die Sicherstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse nehmen somit zukünftig weiter zu.“ Überlaufende Städte mit ihrem Umland werden dann noch mehr im Gegensatz zu Regionen stehen, die einen weiteren Aderlass an Menschen zu verzeichnen haben.

Karte Deutschlands, die in balu Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte anzeigt, in hellen Farbtönen die mit geringer Dichte.
Die Bevölkerungsdichte in einzelnen Gebieten Deutschlands triftet immer weiter auseinander. Manche Städte können den Zuzug nicht bewältigen und stöhnen unter den Verkehrsproblemen, doch andere Kommunen verlieren weiter an Einwohnern. Wir brauchen neue Ansätze in der Regionalpolitik. (Bild: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung / demografie-portal.de)

Visionen und gute Vorsätze sind zu wenig

„Ungleichheiten zwischen den Regionen unseres Landes soweit wie möglich zu verringern ist ein Gebot der Vernunft, aber auch der politischen Verantwortung“, so Staatssekretär Markus Kerber vom Berliner Heimat-Ministerium in einem Interview mit dem Demografie-Portal. „Nicht zuletzt ist es eine nachhaltige Investition in die Zukunft. Regionen, die vom demografischen Wandel besonders betroffen sind, müssen als Wohn- und Arbeitsort weiter attraktiv bleiben oder werden.“ Wer möchte da widersprechen. Ich frage mich nur, warum es an aktivem Handeln genau in diese Richtung fehlt! In der vierten Amtsperiode von Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt es mal wieder eine der zahlreichen Kommissionen mit dem Motto „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. Ich glaube nicht, dass es an Daten oder Ideen fehlt, sondern am Handlungswillen!

Von besonderer Bedeutung ist bei einer Stärkung von schwächelnden Regionen natürlich die Infrastruktur, die aber in weiten Teilen der neuen Bundesländer sehr gut ausgebaut wurde. In westlichen Regionen gibt es dagegen erheblichen Nachholbedarf, denn Brücken und Straßen zerbröseln. Kabel- und Mobilfunknetze müssen bundesweit deutlich leistungsfähiger werden: Dies ist eine Voraussetzung, dass sich neue (klein-) industrielle Kerne bilden können. Hochschuleinrichtungen und andere wissenschaftliche Institute müssen als Treiber auch in wirtschaftlich weniger leistungsfähigen Kommunen angesiedelt werden, um diesen über Start-ups neues Leben einzuhauchen. Dabei gilt es, Netzwerke zu weben, Cluster zu bilden, denn Fühlungsvorteile sind allemal wichtig, und Vereinzelung muss verhindert werden.

Bildung, Kultur und die gesundheitliche Versorgung sind gleichfalls von Bedeutung. Die Ansiedlung von staatlichen Institutionen – wie Behörden – kann ebenso neue Impulse vermitteln. Bei einer sachgerechten Regionalpolitik darf nicht bei Einzelaktivitäten verharrt werden, denn diese würden schnell verpuffen. Die genannten Faktoren müssen zusammenkommen, um Erfolgsaussichten zu haben. Kreativität kann nicht verordnet werden, doch Strukturwandel beginnt im Kopf: Wer nur an technische Infrastrukturen denkt, der greift zu kurz. Es müssen auch die richtigen Inhalte verortet und innovative Köpfe gewonnen werden.

Einsam erhebt sich ein Hochhaus in Fellbach gen Himmel. Derzeit ist es eine Bauruine.
Hoch hinaus? Fast wäre dieses Hochhaus im baden-württembergischen Fellbach zu einer Bauruine geworden, als der Investor insolvent wurde. Nun geht es unter neuer Leitung weiter: Mietwohnungen sind jetzt die Devise. Sollten die Bewohner jedoch als Pendler mit dem Auto nach Stuttgart fahren, steigen wiederum die Emissionen. Der ÖPNV kann im Übrigen in Spitzenzeiten kaum noch weitere Passagiere aufnehmen. Aber leider führt auch der Ratschlag eines früheren Stuttgarter Baubürgermeisters nicht weiter, der mir gegenüber meinte: „Sie müssen eben fahren, wenn nichts los ist.” (Bild: Ulsamer)

Höher und klotziger ist keine Lösung

Städte und Gemeinden und noch mehr deren (Ober-) Bürgermeister und Gemeinderäte haben Eigeninteressen, und dies ist natürlich nicht falsch: Kommunalvertreter reden lieber über einen Bevölkerungszuwachs, statt über schrumpfende Einwohnerzahlen zu klagen. Dennoch kann die Parole nicht heißen, dass die prosperierenden Kommunen immer mehr Menschen als Einwohner oder Einpendler anziehen, sondern das Ziel muss eine gleichmäßigere Verteilung der wirtschaftlichen Chancen sein. Einsichtige Kommunalpolitiker erkennen selbstredend die Gefahr, die durch regionale Ungleichgewichte entstehen, dennoch herrschen – wie bereits ausgeführt – noch immer die Jagd auf Baulücken und das Ausufern mancher Städte und Gemeinden vor. Aber auch Teile der Medien treten hier nicht als sachgerechte Kritiker auf, sondern vermelden ‚höher und klotziger‘ als Erfolgsmeldungen.

„Nicht nur Karlsruhe wächst in die Höhe“, vermeldete Stefan Jehle in der Stuttgarter Zeitung und fuhr fort: „Gebaut wird vor allem in die Höhe, denn Bevölkerungswachstum und Mangel an Bauflächen bewirken, dass ‚kompakter‘ gebaut wird.“ Im Grunde spräche nichts gegen Hochhäuser, wenn gleichzeitig die gesamte Verkehrsinfrastruktur ausgebaut würde. Doch im Regelfall trifft dies nicht zu – und oft ist es im notwendigen Maße in bebauten Gebieten gar nicht möglich. Und, ich möchte mich nicht wiederholen, wenn höher gebaut wird und die letzte Baulücke geschlossen wird, Städte ins Umland ausufern, dann sind dies auch Beiträge zu weniger Luftaustausch und höheren Temperaturen. Was heute schnelle Abhilfe bei Wohnungsproblemen zu versprechen scheint, das wird nicht selten in Zeiten des Klimawandels zum Bumerang werden: Dieser trifft dann zumeist zeitversetzt diejenigen, die weder die Baupläne ausgeheckt noch diese genehmigt haben.

Transparent 'Rettet Dietenbach' vor einem älteren Traktor.
In Freiburg, der viertgrößten Stadt Baden-Württembergs soll ein Retorten-Stadtteil für 6 000 Einwohner entstehen, doch es regt sich Widerstand: Im Februar 2019 können die WählerInnen bei einem Bürgerentscheid ihre Meinung einbringen. Der Oberbürgermeister Martin Horn will mit diesem Kunstgebilde „für mehr soziale Gerechtigkeit … sorgen”. Da kommen mir dann doch Zweifel! (Bild: Screenshot, Facebook, 19.12.18)

In wirtschaftsstarken Räumen können meist gar nicht so schnell Baugebiete ausgewiesen werden wie die Zahl der Interessenten steigt. Greifen wir nochmals auf ein Beispiel aus Baden-Württemberg zurück. „Bauplatz verzweifelt gesucht“, so Eberhard Wein wiederum in der Stuttgarter Zeitung. In Ludwigsburg wurde das Baugebiet ‚Schauinsland‘ mit 20 Bauplätzen für Einfamilienhäuser ausgewiesen – und es meldeten sich fast 2000 Interessenten. Der Autor fordert soziale Kriterien bei der Vergabe, und dies ist sicherlich nicht falsch, aber die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage lässt sich damit niemals schließen. Diese beiden Beispiele verdeutlichen, dass wir das Wohnungsproblem nicht lösen können, indem wir Mittelstädte à la New York nach oben oder wie Mexico City in die Breite wachsen lassen! Selbstredend bin ich mir bewusst, dass wir von beiden Extremen noch weit entfernt sind, doch weder ‘gen Himmel‘ noch ‘ins Umland’ kann die Devise lauten.

Informationstafel am Baugrundstück mit der Werbunf für das Zehn-Famuilien-Haus, das heir errichtet wird. Davor noch Büsche und Bäume, die inzwischen verschwunden sind.
Erneuerung des Wohnungsbestandes ist eine wichtige Auflage: Aber wenn in jede Baulücke oder als Ersatz für ein kleines Häuschen ein Zehn-Familien-Haus gequetscht wird, dann fallen auch die letzten Büsche und Bäume weg und der Verkehr explodiert. Die neuen Mieter in diesem Haus werden sich auf eine mehrjährige Sperrung der Straße zur Esslinger Innenstadt mit täglich 16 000 Fahrzeugen einstellen müssen, denn dort droht ein unter der Straße verlaufender Kanal einzustürzen. So werden sich alle Fahrzeuge – und natürlich auch der Bus – in Staus auf der Umgehungsstrecke einreihen dürfen, zum Leidwesen der dortigen Anwohner. (Bild: Ulsamer)

Zwischen sozialem Wohnungsbau und Kapitalinteressen

Als klamme Kommunen ihre Wohnungsbestände versilberten, um ihre Haushalte ausgleichen zu können, da war dies mit Sicherheit keine sozialpolitische Großtat. Seither muss man sich mit Namen wie Vonovia (fast 350 000 Wohnungen), Deutsche Wohnen (160 000), LEG (130 000), Grand City Properties (knapp 90 000), TAG (83 000), Adler Real Estate (50 000) usw. anfreunden. Ein gut gemanagter Wohnungsbestand muss für Mieter prinzipiell nicht schlechter sein als ein Vermieter, der nichts investiert oder auf Eigenbedarf klagt. Soziale Gesichtspunkte spielen bei börsennotierten Immobilienunternehmen jedoch eine geringere Rolle als bei städtischen Wohnungsbaugesellschaften.

Eifrig propagieren PolitikerInnen ihre jeweiligen Vorschläge zur Überwindung der Wohnungsknappheit, doch im Regelfall erinnert keiner von ihnen daran, dass es auch Regionen in Deutschland gibt, die sich über jeden Zuzügler freuen. Stattdessen gibt es bei den Ratschlägen mehr vom Gleichen. Der Beirat des CDU-geführten Bundeswirtschaftsministeriums setzt auf weniger sozialen Wohnungsbau, worauf die SPD-Kabinettskollegin von Peter Altmaier, Katarina Barley, sich für eben diesen stark macht. Die Grünen hätten gerne einen Bodenfonds, damit Kommunen Bauland aufkaufen und unter sozialen Gesichtspunkten abgeben können. Durch all diese weisen Vorschläge wird das Bauland nicht mehr, es sei denn der Flächenfraß wird von der Kette gelassen.

Im neoklassizistischen Stil wurde die Becelaere-Kaserne 1914/15 gebaut. Sorgsam wurde das Kulturdenkmal in Wohnungen umgebaut.
Für die innerstädtische Entwicklung können Brach- und Konversionsflächen oder Altbestände – wie hier eine ehemalige Kaserne in Esslingen– genutzt werden. Dabei sollten aber auch Freiflächen erhalten bleiben, denn ohne diese dürfte es in immer heißeren Sommern zu gewaltigen Problemen kommen. (Bild: Ulsamer)

Den Städtern nicht die Luft nehmen

Angemessenes Wohnen gehört zu den Grundbedürfnissen von uns Menschen, und wenn dieses nicht gesichert ist, dann werden irgendwann auch die Deutschen ihre gelben Westen aus dem Auto holen und zur Demo eilen. Es ist daher an der Zeit, dass unsere zuständigen Politiker in Bund und Land, in Städten, Gemeinden und Regionen allen Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einschenken: Bei ständigem Zuzug in die wirtschaftlich starken Kommunen und zunehmender Vereinzelung (41 % Ein-Personen-Haushalte) sowie dem Wunsch nach wachsender Wohnfläche können die Probleme nicht durch das Füllen von Baulücken, der Errichtung von Hochhäusern oder dem Ausufern ins Umland gelöst werden. Mittel- und langfristig wird nur eine Regionalpolitik helfen, wirtschaftliche und soziale Chancen besser über die deutschen Lande zu verteilen.

Wer heute den Städtern durch immer höhere Bebauung oder den Zwang zum Schließen der letzten Baulücke die Luft zum Atmen nimmt, der versündigt sich an zukünftigen Generationen. Es macht keinen Sinn, wenn sich Kommunalverantwortliche in Sonntagsreden der Nachhaltigkeit verschreiben, dann aber Grünflächen zu Baugebieten degradieren. Wer eine ausgewogene Entwicklung sichern möchte, die ökologischen Gesichtspunkten folgt, der muss durch die Regionalpolitik neue wirtschaftliche Schwerpunkte entwickeln und fördern.

Ein blaues Transparent wirbt mit der Aufschrift 'Glasfaser' für den Ausbau der Kommunikationsnetze in Bonndorf im Schwarzwald.
Wenn wir die Abwanderung nicht nur der Menschen, sondern auch von Unternehmen aus dem ländlichen Raum verhindern wollen, dann muss eine Breitbandinfrastruktur für den Anschluss ‚an die Welt‘ sorgen: Glasfasernetze und Mobilfunk müssen in ganz Deutschland ausgebaut werden. Bonndorf im Schwarzwald ist auf dem richtigen Weg. (Bild: Ulsamer)

Neue wissenschaftliche und wirtschaftliche Kerne schaffen

Wir brauchen in Deutschland mehr Kristallisationspunkte, aus denen sich neue Arbeitsplätze entwickeln, und dabei geht es nicht vorrangig um das Verlagern vorhandener milliardenschwerer Produktionsanlagen, denn diese werden nicht stattfinden. Und wenn, dann wandern solche Fertigungen in Billiglohnländer ab. Es geht mir um wissensbasierte kleinere und mittlere Unternehmen, aber auch um innovative Produktionen, die bisher nicht in Deutschland angesiedelt sind. Batteriezellen kommen heute aus Asien, damit könnte der Produktionsstandort in Deutschland relativ frei gewählt werden, wenn die Infrastruktur passt. Dazuhin müssen die Menschen gewonnen werden, die für eine solche Entwicklung und Produktion benötigt werden. Werden neue Aktivitäten gestartet, sollte dies verstärkt unter regionalpolitischen Gesichtspunkten betrachtet werden.

Die Digitalisierung wird es erlauben, weit mehr Tätigkeiten an beliebigen Orten auszuführen – immer vorausgesetzt, die Kommunikationsinfrastruktur ist optimal. Wer die teilweise zu einseitigen wirtschaftlichen Entwicklungen entzerren möchte, der muss bei der Datenübertragung – vom Internet bis zum Mobilfunk – ansetzen. Und auch die Verkehrsinfrastruktur muss zielorientiert ausgebaut werden. Zu spezifischen Themen können dann wissenschaftliche Institute, Unternehmen und Behörden angesiedelt werden und an bisher weniger genutzten Standorten ihre Kräfte bündeln. Dies wird nicht ohne Fördermaßnahmen gehen, doch müssen die Gelder sachgerechter als bisher fließen. Die Gießkanne sollte für Subventionen ausgedient haben.

Die Wohnungsprobleme, die Knappheit an Bauland, die Dauerstaus in manchen Kommunen können nicht durch das Zupflastern von Baulücken und Grünflächen, sondern nur durch Initiativen gelöst werden, die alle Regionen einbeziehen. Wenn der Ausgleich zwischen wirtschaftlich besonders starken und schwächelnden Gebieten gelingt, dann lösen sich die Wohnungsprobleme gleich mit.

 

Eine dunkle Skulptur mit zwei Figuren. Der Meister zeigt dem Lehrling ein Werkzeug.
Ländliche Regionen müssen nicht ‚ausbluten‘, dies belegt der Landkreis Tuttlingen in Baden-Württemberg: Im 19. und bis ins 20. Jahrhundert dominierten hier Schuhindustrie und Messerschmieden. Aus letzteren und weiteren Impulsen entwickelte sich die Herstellung von chirurgischen Geräten – und letztendlich wurde Tuttlingen zum ‚Weltzentrum der Medizintechnik‘ mit rd. 600 medizintechnischen Unternehmen. Die Schuhindustrie, die um 1925 in 40 Betrieben über 3400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigte, wurde jedoch für den Raum bedeutungslos. Die Skulptur von Roland Martin zeigt einen Instrumentenmacher mit Lehrling – gestiftet vom Unternehmen Karl Storz, neben Aesculap das zweitgrößte Unternehmen für Medizintechnik in Tuttlingen. Der Gegensatz wird deutlich, wenn wir durch den Pfälzerwald fahren und Schilder zu sehen bekommen, die auf ein Schuh- bzw. ein Bürstenmuseum hinweisen. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte wird so manifestiert, aber Nachfolgeindustrien haben sich kaum entwickelt. (Bild: Ulsamer)

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