Silvester 2018/19: Wenn Böller zu Feinstaub werden

15,5 % des Feinstaubs aus dem deutschen Verkehr in einer Stunde

Das ganze Jahr geistert der Feinstaub durch die deutsche Politik und bringt den Autoverkehr gemeinsam mit Stickoxiden zum Stillstand: Fahrverbote lassen grüßen! Doch in der Silvesternacht scheint Feinstaub keine Rolle zu spielen. Und dies, obwohl in einer Stunde 15,5 % des Feinstaubs – so das Umweltbundesamt – in die Welt gepustet werden, der durch den Verkehr in einem ganzen Jahr hervorgerufen wird. 4500 Tonnen Feinstaub entstehen, doch die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner meint gegenüber dem ‚Spiegel‘, dass ein Verbot des Silvester-Feuerwerks nicht sinnvoll sei. Damit widerspricht sie der Deutschen Umwelthilfe (DUH), der ansonsten die Bundespolitik eher wehrlos gegenübertritt, um nichts Schlimmeres zu sagen. Da habe ich den Eindruck, dass es guten und bösen Feinstaub zu geben scheint.

Helle Sterne am Nachthimmel.
Wer möchte schon bei schönen Sternen und leuchtenden Farben am Silvesterhimmel an den Feinstaub denken? Wahrscheinlich kaum jemand, aber sollten wir dann nicht auch an den restlichen Tagen des Jahres etwas mehr Realitätssinn und Augenmaß in der Feinstaub-Debatte erwarten dürfen? Oder gibt es guten und schlechten Feinstaub? Wohl kaum. (Bild: Ulsamer)

75 % der Feuerwerksartikel aus Fernost

Nun habe ich im Grunde nichts gegen Böller und Feuerwerksraketen, aber es stört mich schon gewaltig, dass Feinstaub aus dem Auspuff oder durch Bremsvorgänge gänzlich anders bewertet wird wie aus Silvesterknallern. Niemand muss befürchten, diese Zahlenangabe sei von der Automobilindustrie in die Welt gesetzt worden, die ihren Anteil an der Feinstaubbelastung relativieren wolle, nein, sie stammt vom Umweltbundesamt: „Zwischen 100 und 150 Millionen Euro jagen die Deutschen zum Jahreswechsel in die Luft. Dabei werden rund 4500 Tonnen Feinstaub (PM10) freigesetzt, diese Menge entspricht in etwa 15,5 Prozent der jährlich im Straßenverkehr abgegebenen Feinstaubmenge.“ Dass Feinstaub für die Gesundheit nicht förderlich ist, dies soll hier nicht in Zweifel gezogen werden, aber es stellt sich schon die Frage, warum im Straßenverkehr um jedes Mikrogramm Feinstaub gerungen wird und an Silvester 4500 Tonnen davon per Böller und Raketen in unsere Umwelt gelangen.

Und so rät das Umweltbundesamt weitestgehend ungehört: „Wenn Sie zur Verminderung der Feinstaubbelastung in der Silvesternacht beitragen möchten, können Sie Ihr persönliches Feuerwerk einschränken oder sogar ganz darauf verzichten. Das hilft nicht nur der Gesundheit, sondern auch der Umwelt, verursacht weniger Müll und reduziert den Energieaufwand, der bei der Herstellung der Feuerwerkskörper erheblich ist.“ Ja, den Müll kann man dann am nächsten Tag auf unseren Straßen und Gehwegen besichtigen, denn die Lust der Freizeitknaller, ihre Hinterlassenschaften selbst zu beseitigen, hat stark nachgelassen. Kaum einer, der Raketen abfeuert, herkömmliche Böller entzündet oder gar Batteriefeuerwerk einsetzt, macht sich auch Gedanken über die Arbeitsbedingungen, unter denen in China und anderswo all diese Feuerwerksartikel hergestellt werden. Die Produktion findet nahezu ausschließlich in Fernost statt.

Die Karte des Umweltbundesamts zeigt den hohen Feinstaubanstieg bei Messungen um 1 Uhr nachts nach dem Feuerwerk.
„In der Silvesternacht steigt die Belastung mit gesundheitsschädlichem Feinstaub explosionsartig an“, so das Umweltbundesamt und belegt dies mit zahlreichen Messwerten in Deutschland. (Bild: Umweltbundesamt)

Gibt es guten und bösen Feinstaub?

Ich möchte niemandem seinen Silvesterspaß nachträglich oder schon für die Zukunft vermiesen, aber wäre nicht auch in der politischen Diskussion etwas mehr Augenmaß in Sachen Feinstaub angesagt? Die Keule ‚Fahrverbote‘, die Jürgen Resch von der DUH so beständig schwingt, mutet doch etwas brutal an, wenn in der Silvesternacht ohne große Emotionen der Feinstaub-Aktivisten fast ein Fünftel des Feinstaubs freigesetzt wird, der durch unseren Straßenverkehr direkt entsteht. Auch wenn manche Einzelpersonen, die sich dem Kampf gegen den Feinstaub verschrieben haben, oder Umweltverbände weiterhin ihren Kreuzzug gegen den Feinstaub führen, so haben sie doch inzwischen selbst bemerkt, dass diese Waffe statistisch gesehen langsam aber sicher stumpf wird und haben mit NOx aufgerüstet. Selbst  diese Werte steigen in unseren Städten nicht an, sondern sinken.

Gibt es eigentlich guten und bösen Feinstaub? Jedes Mikrogramm, das aus dem Auspuff von Autos kommt oder von anderen Fahrzeugkomponenten hervorgerufen wird, treibt manche Zeitgenossen zur Blockade einer Durchgangsstraße oder vor den Kadi, um ein Durchfahrtsverbot zu erstreiten. Aber wenn 15,5 Prozent des durch den Straßenverkehr in Deutschland in einem Jahr entstehenden Feinstaubs innerhalb einer Stunde durch Silvesterfeuerwerk in die Umwelt gepustet wird, dann bleibt es recht still. Geradezu skurril mutet es an, wenn in Stuttgart während eines Feinstaubalarms sogar ein Feuerwerk stattfand, das dem Anlocken von Kunden für die Geschäfte in der Innenstadt diente.

Facebook-Post der Stuttgarter Zeitung mit einem Foto eines Feuerwerks in der Stuttgarter Innenstadt. Bunte Explosionen.
Ein Feuerwerk während eines Feinstaubalarms in Stuttgart? So kann natürlich die Feinstaubbelastung nicht verringert werden. Und der auf den ÖPNV verwiesene Autofahrer kann nur den Kopf schütteln. (Bild: Screenshot, Facebook, 4.11.18)

Mehr Augenmaß gefordert

So bleibt eigentlich nur die Überlegung: Ist alles, was von Fahrzeugen ausgeht, so auch der Feinstaub, schlimmer als aus anderen Quellen, wie z.B. aus Feuerwerksartikeln? Ich würde mir etwas mehr Sachlichkeit und weniger Alarmgeschrei beim Feinstaub wünschen und dazuhin einen Blick für Verursacher, die keine vier Räder haben, dafür aber laut knallen. Viele Tiere würden sich zumindest über weniger Silvesterkracher freuen. Und so mancher Zeitgenosse könnte sich einen Aufenthalt im Krankenhaus ersparen, wenn er nicht zu Böllern oder Raketen greifen würde.

Zumindest in belasteten Kommunen, in denen gar Fahrverbote drohen, sollte das Abbrennen von Feuerwerksartikeln eingeschränkt werden. Bisher ist dies nur der Fall, wenn in einer Gemeinde historische Gebäude geschützt werden sollen. Gefördert werden sollte gegebenenfalls die Entwicklung von Feuerwerk, das weniger Emissionen hervorruft. Dafür gab es bereits Ansätze, aber es fehlten die Abnehmer.

Ist es nicht abstrus, wenn EU-Parlamentarier und bundesdeutsche Politiker ständig an der Grenzwert-Schraube für Fahrzeuge schrauben und nicht in der Lage sind, den Feinstaub und andere Emissionen aus Feuerwerksartikeln einzudämmen? Sägen denn EU und Bundespolitik lieber an dem Ast auf dem so viele von uns sitzen und zerstören Schritt für Schritt die deutsche und europäische Automobilindustrie anstatt mit klarem Blick das Thema Emissionen anzugehen? Auch für mich spielt saubere Luft eine zentrale Rolle, doch wir müssen mit Augenmaß und Leidenschaft – in Anlehnung an Max Weber – diese Probleme lösen. Aber wenn in Deutschland in einer Silvester-Stunde der Feinstaub aus dem Verkehr von zwei Monaten in die Luft gepustet wird, und dies eigentlich ohne Konsequenzen bleibt, dann ist es lächerlich, wenn z.B. am Stuttgarter Neckartor auch noch das letzte Feinstäubchen gejagt wird.

 

Auf einer kleinen Anlage mit grünem Gras liegen verstreut die Überreste des Feuerwerks.
Wer Böller, Raketen und Batteriefeuerwerk auf dem Gehweg zündet, der sollte auch die Überreste in die eigene Restmülltonne befördern und nicht der Straßenreinigung, sprich dem Steuerzahler, aufbürden. (Bild: Ulsamer)

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert