Migrationspakt: Diskussionsverweigerung stärkt AfD

Migration: „Quelle des Wohlstands, der Innovation“?

Die schwächelnden Volksparteien CDU/CSU und SPD setzen ihren Kurs fort und verweigern eine konstruktive und kritische Diskussion über den Migrationspakt. Wer so handelt, der besorgt das Geschäft der AfD und muss sich nicht wundern, wenn sich noch mehr WählerInnen eine neue Heimat suchen. Nach Durchsicht des ‚Globalen Paktes für eine sichere, geordnete und reguläre Migration‘ und des ‚Globalen Pakts für Flüchtlinge‘ bin ich der Überzeugung, dass beide Dokumente eine umfassende Debatte im Bundestag, aber auch in der Bürgerschaft verdient hätten. Ich halte es geradezu für skurril, dass ausgerechnet die AfD eine aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag durchsetzen musste. Die anderen Parteien hatten wohl keine Probleme damit, den Migrationspakt im stillen Kämmerlein abzunicken. Es dient auf jeden Fall nicht der immer wieder angeführten offenen Gesprächskultur in unserem Land, wenn jeder Fragesteller gleich in die rechtsextreme Ecke gestellt wird, der sich nach den Auswirkungen des Migrationspakts erkundigt.

Jens Spahn im Bild mit dem Text: „Alle Fragen der Bürger zum UN-Migrationspakt gehören auf den Tisch. Wir müssen offen diskutieren und dann gemeinsam entscheiden. Notfalls unterzeichnen wir dann später.“
Im Grunde fordert Jens Spahn etwas, das zu den demokratischen Selbstverständlichkeiten gehört: Die Fragen der Bürgerschaft zum Migrationspakt sind aufzugreifen, zu diskutieren und zu beantworten. Doch statt Lob bekommt er aus der eigenen Partei – der CDU – und vom Koalitionspartner SPD eines auf die Mütze. (Bild: Screenshot, Facebook, 20.11.18)

Dialog und Debatten sind zwingend notwendig

Irgendwie spürten die Koalitionäre aus Union und SPD selbst, dass Debatten nicht ihre Stärke sind, und so schrieben sie bereits in das Sondierungspapier: „Der Deutsche Bundestag muss der zentrale Ort der gesellschaftlichen und politischen Debatte in Deutschland sein.“ Das klingt gut, aber bereits die Regierungserklärung von Angela Merkel zum Start der neuen Bundesregierung machte auf mich nicht den Eindruck, dass sie solch hehre Aussagen wirklich ernst meint. Der Dialog mit Andersdenkenden ist zeitraubend, das habe ich in verschiedenen Projekten selbst erlebt, aber er ist durch nichts zu ersetzen. Debatten und Diskussionen sind keine Spielerei, sondern die Essenz der Demokratie. Zwar betonte Angela Merkel im XXL-Bundestag, es „zieht sich die Frage des Zusammenhalts wie ein roter Faden durch den gesamten innenpolitischen Teil unseres Koalitionsvertrags“, doch Zusammenhalt kann sich nur aus dem Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern ergeben.

Und wo ist der Dialog beim UN-Migrationspakt mit der Bürgerschaft, wo fand die von vielen gewünschte Debatte in unserem Parlament und der Gesellschaft statt? Gleiches gilt für den Flüchtlingspakt. Werden wir denn weiterhin als Stimmvieh betrachtet, das alle vier oder fünf Jahre zur Wahlurne eilen soll, aber ansonsten wird uns die Teilhabe an politischen Debatten verweigert? Wer glaubt denn wirklich bei Union und SPD, dass sie mit solchem Verhalten in der Wählergunst wieder steigen? Warum erheben weder Grüne noch FDP die Stimme, die doch von Bürgerbeteiligung oder dem mündigen Bürger schwärmen? Für uns Deutsche wird häufig der Michel mit der Schlafmütze in Karikaturen verwendet, aber diese haben viele unserer Politikerinnen und Politiker auf! Und wenn wir Bürger sie an der Zipfelmütze ziehen, dann reagieren die Damen und Herren Abgeordneten auch noch ungehalten.

Zwei Tweets von Ministerin Barley. Text: „Dass Teile der CDU sich jetzt vom UN-Migrationspakt verabschieden wollen, ist nicht nur Distanzierung von Kanzlerin und Bundesregierung – sie suchen die inhaltliche Nähe zu AfD, Trump, Orban und Kurz. Das ist das Gegenteil verantwortungsvoller Politik für Deutschland und Europa.“
Mit dem Differenzierungsvermögen der Justizministerin ist das so eine Sache. So twitterte Katarina Barley: „Dass Teile der CDU sich jetzt vom UN-Migrationspakt verabschieden wollen, ist nicht nur Distanzierung von Kanzlerin und Bundesregierung – sie suchen die inhaltliche Nähe zu AfD, Trump, Orban und Kurz. Das ist das Gegenteil verantwortungsvoller Politik für Deutschland und Europa.” Die SPD-Spitzenkandidatin für das Europaparlament denkt doch etwas vereinfacht und politisch gefährlich. Mit solchen Verallgemeinerungen treibt Barley der AfD weitere WählerInnen zu. (Bild: Screenshot, Twitter, 20.11.18)

Fragesteller als Rechtsextreme diffamiert

Kaum hatte CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn über ‚Bild am Sonntag‘ den Finger in die Wunde gelegt, da bekam er heftigen Gegenwind in Sachen Migrationspakt zu spüren. Dabei hatte er im Grunde ein völlig verständliches Anliegen: „Alle Fragen der Bürger zum UN-Migrationspakt gehören auf den Tisch. Wir müssen offen diskutieren und dann gemeinsam entscheiden. Notfalls unterzeichnen wir dann später.“ Doch im Handumdrehen geriet Spahn für manche Parteifreunde und andere Politiker zum Aussätzigen – und das als Gesundheitsminister! So giftete Noch-Justizministerin und zukünftige SPD-Spitzenkandidatin zur Europawahl, Katarina Barley: „Dass Teile der CDU sich jetzt vom UN-Migrationspakt verabschieden wollen, ist nicht nur Distanzierung von Kanzlerin und Bundesregierung – sie suchen die inhaltliche Nähe zu AfD, Trump, Orban und Kurz. Das ist das Gegenteil verantwortungsvoller Politik für Deutschland und Europa.“ Nicht jeder, der eine begründete politische Frage aufwirft, ist automatisch ein Kumpel von Trump oder ein Wegbereiter der AfD. Andersherum wird ein Schuh daraus: Wer wieder einmal nicht offen diskutiert, der sorgt für Zulauf zur AfD und untergräbt – wie Katarina Barley – die eigene Wählerbasis.

Aber bereits bei der Debatte um den Einfluss des Islam auf die europäische Kultur glänzte Katarina Barley durch Diskussionsverweigerung: „Theoretische Debatten wurden lange genug geführt“. Da kann ich nur den Kopf schütteln, denn das Gegenteil ist der Fall: Grundsätzliche gesellschaftspolitische Debatten werden in Deutschland von SPD und CDU schon lange nicht mehr geführt!

Auch der baden-württembergische CDU-Landesvorsitzende hat die Glocke bei den letzten Wahlen nicht schlagen hören, die vom Niedergang seiner Partei kündeten. So meinte Thomas Strobel zum Migrationspakt: „Er ist darauf angelegt, Migration zu steuern und auch zu begrenzen – ich bin ganz überzeugt, das ist im Interesse Deutschlands.“ Nach Durchsicht beider genannten Dokumente – dem Migrations- und dem Flüchtlingspakt – kann ich dem CDU-Bundesvize nicht ganz folgen, aber es geht mir nicht um eine Annahme oder Ablehnung des Migrationspakts, sondern um eine breite Diskussion. Was muss in unserem Land eigentlich noch passieren, ehe manche VertreterInnen der dahinsiechenden Volksparteien aufwachen und die Nähe zu uns Bürgerinnen und Bürgern suchen? Und damit meine ich keine Besuche im Bierzelt oder bei irgendeinem Vereinsjubiläum, sondern die Bereitschaft zu offener Information und intensiver Kommunikation.

Auf der in blauen Farben gehaltenen Internetseite fordert die AfD dazu auf, den Migrationspakt zu stoppen.
Die AfD hat eine eigene Internetseite geschaltet, um für die Ablehnung des Migrationspakts zu werben. Wo sind eigentlich bei den Parteien, die den Pakt für Migration (bzw. für Flüchtlinge) befürworten, Angebote mit entsprechenden Argumenten und der Möglichkeit zum Austausch? Durch ihr eigenes Versagen haben Union und SPD den Aufstieg der AfD ermöglicht, die nun in allen Landtagen und im Bundestag vertreten ist. (Bild: Screenshot, Internet, 20.11.18)

Migrationspakt: Diskussionsverweigerung nützt nur extremen Kräften

Die ‚Wir schaffen das‘-Kanzlerin wird es freuen, wenn Strobel ihr beispringt, denn Tricky-Angie meint, gegen den Pakt würden „Lügen in die Welt gesetzt“. Ja, dann sollte es doch Aufgabe von Kanzlerin Merkel und ihren Getreuen sein, diesen Lügen durch Argumente entgegenzutreten! Aber Fehlanzeige: „Die Bundesregierung steht hinter diesem Pakt“, unterstrich Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Das ist auch völlig okay, aber es geht doch darum, die Inhalte zu erklären und kritischeren Geistern gegenüber zu belegen, dass keine neuen Gefahren drohen. Und dann reicht es auch nicht, wenn der stellvertretende Ministerpräsident von Baden-Württemberg – um Thomas Strobel nochmals zu zitieren – in ‚Bild‘ erklärt: “Wir sollten uns von der populistischen Hysterie von Rechts nicht verrückt machen lassen.” So lassen sich die WählerInnen gewiss nicht zur CDU zurückholen, indem kritische Anfragen derart abgebügelt werden. Vielleicht sollte sich Thomas Strobel mal fragen, warum er nicht in der Villa Reitzenstein als Regierungschef sitzt, sondern als Minister im Innenressort unter einem grünen Ministerpräsidenten?

Aus meiner Sicht sind sowohl der Migrations- als auch der Flüchtlingspakt so bedeutsam, dass sie eine breitere Diskussion verdient hätten. Und dies gerade auch vor dem Hintergrund der Flüchtlingswelle, die sich ab 2015 über die deutsche Grenze ergoss und bis heute in vielen Verschiebungen der Wähler nachhallt. In weiten Passagen kann ich beide Dokumente mittragen, doch einige schwammige Ausführungen machen mich stutzig. Insbesondere hätte ich mir eine klare Verbindung der beiden Pakt-Texte gewünscht.

In einem Facebook-Post stellt die Bundesregierung aus ihrer Sicht falschen Aussagen ihre Argumente gegenüber.
„Fakt oder Falschinformation? Im Netz kursieren viele Behauptungen zum UN-Migrationspakt für sichere, geordnete und reguläre Migration. Wir klären auf!” Das ist der Bundesregierung aber reichlich spät eingefallen. Und natürlich findet sich auch kein Link zum Text des Pakts für Migration. Sollen die Bürgerinnen und Bürger den Text doch selbst suchen!? Oder sollen sie ihn erst gar nicht lesen? Reichlich künstlich wird wieder behauptet, im Migrationspakt gehe es nicht um Flüchtlinge. Für mich war Migration immer der Oberbegriff von Flüchtlingen, Arbeitsmigranten usw. Ich halte auch die Aufteilung in einen Pakt für Migration und einen Pakt für Flüchtlinge in unserer Zeit für abwegig. (Bild: Screenshot, Facebook, 20.11.18)

Migration zwischen „Quelle des Wohlstands“ und „Mutter aller Probleme“

„Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte“, so der Migrations-Pakt, „und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt und dass diese positiven Auswirkungen durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik optimiert werden können.“ Selbstredend gehört die Migration zur Geschichte, für die daraus abgeleiteten Aussagen aber würde ich mir doch etwas mehr Belege wünschen. Keine Frage ist es für mich, dass die deutsche Wirtschaft ohne MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund nicht vorankommen könnte, und dies wird auch niemand bestreiten. Dabei handelte es sich aber beim Zuzug aus Italien – damals noch unter dem falschen Vorzeichen ‚Gastarbeiter‘ – oder aus Griechenland und der Türkei um Menschen, die wegen der Arbeitsmöglichkeiten nach Deutschland kamen. Auch hier müssen wir von allen Seiten noch an der Integration arbeiten, dessen bin ich mir bewusst: So wählen prozentual in Deutschland lebende türkische WählerInnen weit eifriger Recep Tayyip Erdogan als die Türken im Heimatland.

Wenn aber Migration immer eine „Quelle des Wohlstands“ wäre, dann müssten die Staaten mit der größten Zahl an Menschen, die aus anderen Ländern aufgenommen wurden, an der Spitze des wirtschaftlichen Erfolgs marschieren. Millionen Flüchtlinge aufzunehmen, dies ist für manche Staaten eher eine Bürde, und damit denke ich nicht in erster Linie an die europäischen Staaten: Bei unserem letzten Besuch in Süditalien konnte ich bei Flüchtlingen, die in elenden Verhältnissen leben oder Migranten aus Afrika, die jetzt Tomaten für den absurden Export in ihr Heimatland ernten, nicht erkennen, dass sie zur „Quelle des Wohlstands“ wurden. Und ob einige Hunderttausend aus Myanmar nach Bangladesch geflüchtete Rohingya als „Quelle des Wohlstands“ empfunden werden oder sich diese als „Quelle der Innovation“ sehen, das wage ich dann doch zu bezweifeln. Und ob die Nachhaltigkeit durch Migration gefördert wird, dies bedarf gewiss noch der verstärkten Analyse.

Migration wird im Pakt für Migration in einseitiger Weise zur „Quelle des Wohlstands“. Und dies ist genauso falsch wie Horst Seehofers Spruch, die Migration sei die „Mutter aller Probleme“. Aber wer die Scharia im Rucksack nach Deutschland importieren möchte, der ist keine „Quelle der Innovation“, sondern will den Rückschritt ins Mittelalter. Und libanesisch-arabische Clans, die ihre kriminelle Herrschaft in verschiedenen deutschen Großstädten errichtet haben, sind für mich keinesfalls Zeichen für „Wohlstand“: sie mehren höchstens das kriminelle Vermögen der eigenen Familie. Sicherlich werden auch die Tibeter die politisch motivierte Zuwanderung von Chinesen nicht als Bereicherung, sondern als Zerstörung ihrer Kultur empfinden. Der eine oder andere könnte nun sagen, deren Schicksal werde im Pakt für Flüchtlinge ‚abgehandelt‘, und genau darin liegt das Problem bei zwei Abkommen zum mehr oder weniger gleichen Thema. Diese Aufspaltung halte ich für eine krasse Irreführung der Menschen.

"Verantwortung tragen, Lasten teilen", so der Titel eines Facebook-Posts mit Kindern vor einem weißen Zelt.
Wenn es beim Pakt für Flüchtlinge nach Meinung des Auswärtigen Amts um Verantwortung und die Teilung von Lasten geht, dann verstehe ich nicht, warum eine konstruktive und kritische Debatte in Deutschland nicht möglich sein sollte. Haben denn noch nicht alle Bundespolitiker verstanden, dass wir keine Untertanen, sondern politisch denkende BürgerInnen sind? Der Pakt für Migration und der Pakt für Flüchtlinge müssen intensiv diskutiert werden, wenn diese Thematik nicht zu weiteren Verwerfungen in unserer Gesellschaft führen sollen. (Bild: Screenshot, Facebook, 2011.18)

Fluchtursachen: (Bürger-) Kriege werden verschwiegen

Greifen wir zum Pakt für Flüchtlinge, dann halte ich auch dieses Papier für wenig fundiert. Um möglichst viele Staaten zur Unterschrift zu bewegen, werden Fakten verzerrt dargestellt. Auch ich bin für die „Bekämpfung der tieferen Fluchtursachen“, doch – wie durch ein kleines politisches Wunder – werden folgende Auslöser genannt: „Klima, Umweltzerstörung und Naturkatastrophen sind zwar für sich selbst genommen keine Ursachen für Fluchtbewegungen, stehen aber immer häufiger in Wechselwirkung mit den Triebkräften solcher Bevölkerungsbewegungen.“

Habe ich da in den letzten Jahren etwas verpasst? Die zentralen Ursachen für die Flüchtlingswellen aus Afghanistan oder Syrien und aus vielen afrikanischen Staaten sind doch keine Naturkatastrophen, sondern Bürgerkriege und Vertreibungen. Und dies gilt ja wohl auch für die bereits erwähnten Rohingya in Myanmar. Nicht die Natur vertreibt hier Menschen, sondern die Mitmenschen tun dies. Wanderungsbewegungen infolge Meeresspiegelanstiegs und ähnliche klimabedingte Migrationsursachen werden erst in Zukunft noch zusätzlich auf die Menschheit als Ganzes zukommen. In einem Pakt für Flüchtlinge die Auslöser der Migration zu verschweigen, das halte ich gelinde gesagt für einen politischen Skandal. Die Begriffe Bürgerkrieg oder Krieg werden ganz einfach verschwiegen, und dann bleiben es auch leere Phrasen, wenn es im Pakt für Flüchtlinge heißt: „Zunächst sind die Länder, in denen Fluchtbewegungen ihren Ausgang nehmen, für die Bekämpfung der tieferen Ursachen verantwortlich.“ Genau diese Staaten werden den Pakt begrüßen, aber letztendlich dennoch ihre Waffen nicht in den Schrank stellen. Und dann landet die Verantwortung bei uns: „Die Verhinderung und Bewältigung großer Flüchtlingssituationen ist aber auch eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für die internationale Gemeinschaft als Ganzes und erfordert frühzeitige Maßnahmen zur Bekämpfung der Triebkräfte und Auslöser sowie eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Akteuren aus den Bereichen der Politik, der humanitären Hilfe, der Entwicklung und der Friedensarbeit.“ Bei dieser Aufzählung ist doch klar, was passeiert: Nichts.

Mitglieder des CDU-Landesvorstands im Bild mit der Ablehnung des Migrationspakts im Text.
Auch in der CDU gibt es nicht nur Befürworter des Migrationspakts. (Bild: Screenshot, Facebook, 20.11.18)

Migrationspakt: Rechtlich „nicht bindend“?

Nochmals zurück zum Migrationspakt: „Erhebung und Nutzung korrekter und aufgeschlüsselter Daten als Grundlage für eine Politikgestaltung, die auf nachweisbaren Fakten beruht“ wird als Aufgabe des Migrationspakts genannt. Zahlen sind schön und gut, doch waren die Bewegungen von Flüchtlingen, die sich gen Europa aufmachten, selbstverständlich erkennbar, allein die Politik drückte sich um rechtzeitiges Handeln. Noch mehr Fakten werden an einer Politik nichts ändern, die nicht bereit ist, aus Fehlern zu lernen: „Ich wüsste nicht, was wir anders machen sollten“, meint ja auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gerne. Da nutzen Fakten wenig.

Der Pakt für Migration enthält durchaus akzeptable Aussagen zur Grenzsicherung, zur Bekämpfung von Schlepperbanden, doch bleibt bei mir der Eindruck überdeutlich, dass dieses Abkommen keinen tieferen Nutzen mit sich bringt. Und ob dieser Pakt immer „unverbindlich“ bleibt, das wage ich zumindest vor deutschen Gerichten zu bezweifeln. „Dieser Globale Pakt stellt einen rechtlich nicht bindenden Kooperationsrahmen dar, der auf den Verpflichtungen aufbaut, auf die sich die Mitgliedstaaten in der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten geeinigt haben“, so der UN-Text. Wenn er so unverbindlich ist – wie die Befürworter ständig wie eine tibetanische Gebetsmühle betonen -, dann frage ich mich schon, warum nicht die Zeit vorhanden ist, dieses Dokument umfassend zu diskutieren.

Und wie passt der nicht bindende Charakter zu der Grundaussage: „Mit der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten haben wir eine politische Erklärung und ein Paket von Verpflichtungen angenommen. Wir bekräftigen diese Erklärung in ihrer Gesamtheit und bauen mit dem nachstehenden Kooperationsrahmen auf ihr auf; dieser umfasst 23 Ziele und deren Umsetzung, Weiterverfolgung und Überprüfung.“ Wenn wir uns einer Überprüfung stellen, dann erwartet doch wohl jeder politisch denkende Mensch, dass wir uns an die Ziele auch gebunden fühlen!  „Jedes Ziel enthält eine Verpflichtung, gefolgt von einer Reihe von Maßnahmen, die als relevante Politikinstrumente und bewährte Verfahren angesehen werden.“ Wenn man weiterliest, dann gewinne zumindest ich den Eindruck, dass sich die Verursacher der Migrationsströme bequem zurücklehnen werden, denn plötzlich sind wir alle für die verschiedenen Etappen der Migration zuständig: „Zur Erfüllung der 23 Ziele werden wir aus diesen Maßnahmen schöpfen, um eine sichere, geordnete und reguläre Migration entlang des gesamten Migrationszyklus zu erreichen.“

Migrantenfamilien von hinten in bunter Bekleidung mit Kinderwagen und Fahrrad.
Eine Zusammenführung des Pakts für Migration mit dem Pakt für Flüchtlinge hätte eine gezielte Diskussion des Gesamtthemas erleichtert. Flüchtlinge, die auch in großer Zahl im Straßenbild vertreten sind, lassen sich nicht aus dem Migrationsthema heraustrennen. Ansonsten würde auch der richtige Gedanke keinen Sinn machen, gut integrierten Flüchtlingen mit Arbeits- oder Ausbildungsplatz in einem zukünftigen Einwanderungsgesetz den Spurwechsel zu ermöglichen. (Bild: Ulsamer)

Diskussionsverweigerer schaden der Demokratie

Verschiedene Staaten, unter ihnen die USA und Australien, aber auch Österreich, Ungarn und vermutlich auch Polen wollen den Pakt für Migration nicht mittragen. Dies sollte uns Deutsche gleichfalls zum Innehalten führen und eine tiefergehende Diskussion ermöglichen. Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung und nahezu der gesamte Bundestag diesen Pakt für Migration an den Bürgerinnen und Bürgern vorbei mittragen wollen. Wer jetzt die Diskussion scheut, der darf sich beim nächsten Urnengang nicht beschweren, wenn die AfD viele Stimmen erhält. In der Schweiz fordert das Parlament, dass die Regierung den Pakt nicht ohne Zustimmung der Volksvertretung unterschreibt. Dies halte ich zumindest für einen Lichtblick.

Die Bereitschaft zur Diskussion bei Migrationsfragen ist für mich unerlässlich, wenn ich an das Zuwanderungsgesetz denke. Selbstredend brauchen wir Einwanderer und diese sollten erwarten dürfen, dass sie in Deutschland freudig empfangen werden. Voraussetzung dafür ist aber auch eine offene Diskussion über das gesamte Thema Migration.

Um nochmals zum Beginn meines Beitrags zurück zu kommen: Ich halte es für ein Armutszeugnis, dass in Deutschland eine breite Debatte über den Pakt für Migration von vielen Politikern nicht gewünscht wird. Union und SPD scheinen aus den bisherigen Wahlniederlagen nichts gelernt zu haben, und auch Grüne, FDP und Linke vergeben die Chance, die Abkommen zu Migration und Flüchtlingen sachgerecht und mit der Öffentlichkeit zu diskutieren. Dies ist kein guter Stil in einer Demokratie! Die mangelnde Bereitschaft zur kritischen Debatte hatte ich bisher mit Angela Merkel verbunden, doch vielleicht ist dieses Phänomen auch ansteckend.

Völlig unverständlich ist es für mich, dass die von Angela Merkel geführte Bundesregierung aus den hitzigen Diskussionen um die Flüchtlingswelle nichts gelernt hat – ansonsten hätten Union und SPD beim Migrationspakt auf eine offene Debatte setzen müssen. Dies lässt mich an der Lernfähigkeit nicht nur von Angela Merkel oder Katarina Barley zweifeln, sondern an ihren männlichen Kollegen gleichfalls. Auch wenn Merkel und Barley den Eindruck erwecken wollen, wer den Migrationspakt diskutieren möchte, fördere die extreme Rechte, so ist doch das Gegenteil richtig: Wer das Thema Migration und Flüchtlinge nicht offen diskutiert, der stärkt die AfD!

 

Angela Merkel umgeben von politischen Führern aus Afrika, im Hintergrund die entsprechenden Flaggen.
Wir brauchen mehr konkrete Kooperationen gerade auch mit den afrikanischen Staaten und weniger Pakte der allgemeinsten Art wie zu Migration und Flüchtlingen. Und gleichfalls macht es keinen Sinn, wenn die wirklichen Ursachen der Flüchtlingsbewegungen im entsprechenden Dokument verschwiegen werden. Dort werden Naturkatastrophen zur Hauptursache stilisiert, nur um niemand seine Kriege und Bürgerkriege vorhalten zu müssen. Ohne Ehrlichkeit wird es nicht gehen! (Bild: Screenshot, Facebook, 20.11.18)