Klimanotstand als Ablenkungsmanöver?

Irland, Großbritannien, Kiel und Konstanz verkünden Klimanotstand

Als wir jüngst von einem der frühen Zentren des Christentums in Irland – Clonmacnoise – mit unserem kleinen Mietwagen gen Kerry tuckerten, kamen wir an zahlreichen Flächen vorbei, auf denen noch immer Torf abgebaut wird. Peat briquettes wandern weiterhin in Öfen und Kamine, und zusätzlich wird Torf auch noch verstromt. Sonderlich überraschend ist dies nicht, denn in Deutschland und anderen EU-Staaten verschwinden Moore zwar nicht im Ofen, sondern in Säcken mit Gartenerde für die Berufs- und Hobbygärtner. Frappierend ist es für mich dann aber schon, wenn ich gleichzeitig höre, die irische Regierung habe den Klimanotstand ausgerufen: Wäre es nicht besser, zügiger Maßnahmen zur Eindämmung von CO2 im eigenen Land einzuleiten? Kann man dies von einer Regierung – unter Ministerpräsident Leo Varadkar – überhaupt erwarten, die nicht einmal in der Lage war, Wassergebühren einzuführen, um das marode irische Wassernetz zu sanieren und so natürliche Ressourcen zu schonen? Auch die britische Regierung von Theresa May suhlt sich nicht nur im Brexit-Chaos, sondern proklamiert gleichzeitig noch ‚climate emergency‘. Die britische Regierung liebäugelt im Übrigen noch immer mit einem Ausbau der Kernenergie – sogar mit chinesischer Hilfe.

Gestochener Torf wird schräg aufgeschichtet. Eine große braune Fläche wird abgebaut.
Torf soll noch bis 2027 in der Republik Irland zur Stromgewinnung verfeuert werden und wird großflächig abgebaut. Nach Angaben des zuständigen halbstaatlichen Unternehmens Bord na Móna lag der Höhepunkt des Torfabbaus im Jahr 2013, inzwischen sei ein Rückgang um 70 % erfolgt. Bord na Móna heißt aus dem Irischen übersetzt Torfbehörde oder Torfagentur, daher fällt es einem solchen Unternehmen natürlich schwer, sich auf neue Energiezweige zu konzentrieren. Die Regierung sollte sich noch stärker auf den Ausbau der regenerativen Energieträger konzentrieren anstatt sich hinter dem Begriff ‚Klimanotstand‘ zu verstecken. (Bild: Ulsamer)

‚Notstand‘ als Ablenkungsmanöver

Das Ausrufen des Klimanotstands durch Regierungen lenkt für mich nur von deren Unfähigkeit ab, rechtzeitig aktiv zu werden. Ein Notstand kann doch eigentlich nur entstehen, wenn unvorhergesehene Probleme oder Katastrophen über ein Land oder eine Stadt hereinbrechen. Aber ‚Klimanotstand‘ zu rufen und gleichzeitig weiter Torf zu verbrennen, das grenzt schon an Vernebelungstaktik. Daran kann auch die Begeisterung Greta Thunbergs nichts ändern, die von „Great news from Ireland“ spricht, wenn Regierungen den Klimanotstand verkünden, es aber weiterhin an durchgreifenden Aktivitäten mangelt. Ähnlich skurril ist es für mich, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel sich erfreut zeigt, dass ihr jeden Freitag junge Menschen den Marsch blasen. Warum geht die Bundeskanzlerin nicht endlich konsequent bei der Erarbeitung einer umfassenden Klimastrategie und deren Umsetzung voran?

Tweet von Greta Thunberg mit dem Satz "Great news from Ireland" unter Bezug auf den 'climate emergency', den die irische Regierung verkündete.
Greta Thunberg spricht von „Great news from Ireland”, wenn die Regierung den „climate emergency” verkündet. Die Regierungen müssen handeln, denn leere Begriffe nützen niemandem. Aber die Regierung von Leo Varadkar war noch nicht einmal in der Lage, Wassergebühren einzuführen, um so eine natürliche Ressource zu schonen und das Wassernetz zu modernisieren: Bisher geht rund die Hälfte des Trinkwassers auf dem Weg zum Verbraucher durch marode Rohre verloren. (Bild: Ulsamer)

Zwar wurden in den 1960er Jahren noch 40 % des Stroms in der Republik Irland aus Torf produziert, da andere Energieträger wie Kohle, Öl und Gas kaum im eigenen Land zur Verfügung stehen. Dieser Beitrag soll nicht als einseitige Kritik an der irischen Politik verstanden werden, denn bei uns in Deutschland verfeuern wir weiterhin Braunkohle aus dem Rheinischen Braunkohlerevier oder den neuen Bundesländern. Absurd ist es, dass wir mit großem Brimborium deutsche Bergwerke schließen – und uns als Klimaschützer gerieren – um dann die Steinkohle sogar per Schiff aus Australien zu beziehen. Es geht mir somit in diesem Fall nicht um eine Kritik an der irischen Energiepolitik, sondern um eine um sich greifende Unart: Mit wohlfeilen Begriffen wie ‚Klimanotstand‘ wird von der eigenen Untätigkeit abgelenkt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass viele Regierungsmitglieder in verschiedenen Staaten lautstark Fridays for Future applaudieren, denn dies kommt bei den jungen Aktivisten gut an, es ändert aber nichts an der zögerlichen Handlungsweise zahlreicher Politiker.

Kraftwerksgebäude und davor Schilder mit 'Peat Handling Area' usw.
Die irische Regierung bezahlt noch immer Subventionen für das Verfeuern von Torf zur Elektrizitätsgewinnung und verkündet gleichzeitig den Klimanotstand: Begriffe nützen niemandem, es muss gehandelt werden. Das Kraftwerk West Offaly Power des ESB  wird weiterhin mit Torf befeuert, den Bord na Móna anliefert. (Bild: Ulsamer)

Klare Strategie tut not

Nochmals nach Irland: Ende dieses Jahres sollen die jährlichen Subventionen der Regierung in Höhe von ca. 100 Mio. EURO für die Verstromung von Torf beendet werden. Bord na Móna will bis 2027 die Lieferung von Torf an Elektrizitätswerke beenden. Auch hier sieht man Parallelen zum deutschen Hindernislauf in eine kohlefreie Zukunft. Der Ausbau der Windkraft trifft in weiten Teilen Irlands auf die gleichen Widerstände wie in Deutschland.

Wenn das Vereinigte Königreich weiterhin auf Kernenergie setzt und in Frankreich noch immer über 70 % des Stroms aus Atomreaktoren fließt, während Deutschland den Doppelausstieg aus der Kernkraft und der Kohle beschloss, denn wird das Fehlen eines EU-weiten Energiekonzepts überdeutlich. Die Kernkraft-Staaten tun sich natürlich leichter mit einer Reduzierung des klimaschädlichen CO2. Und bei der Elektromobilität spielt die Herkunft der Energie eine zentrale Rolle, denn nur regenerativ erzeugter Strom macht wirklich Sinn. Die EU müsste deutlich stärker als bisher an einer umfassenden Strategie für die Energieversorgung in Europa arbeiten, denn nur einer Grenzwert-Schimäre hinterher zu jagen, löst die Probleme nicht wirklich.

'Friday for Future'-Demonstranten in Konstanz. Stadt verkündet in diesem Facebook-Post den Klimanotstand.
Die Stadtoberen in Konstanz haben nach einem Gespräch mit Friday for Future den Klimanotstand ausgerufen. Und wenn man die Erklärungen der Stadt liest, dann fragt man sich schon, ob die genannten Ziele nicht ohnehin zu den üblichen Aufgaben einer Kommune gehören? (Bild: Screenshot, Facebook, 3.5.19)

Ein ‚Notstand‘ des Handelns

Auch deutsche Städte von Nord bis Süd – von Kiel bis Konstanz – haben inzwischen den Klimanotstand ausgerufen und wollen ihre kommunalen Entscheidungen an den Auswirkungen auf unser Klima überprüfen. Ganz ehrlich: Brauchen wir dafür das schwergewichtige Wort ‚Notstand‘? Nach meiner Meinung: Nein! Der inflationäre Gebrauch von Klimanotstand ist nach meiner Meinung nicht zielführend.

Blauer Lkw, voll beladen mit Torfbrocken. Ein Schild weist darauf hin, dass die ganze Ladung gekauft werden kann.
Noch immer wird Torf auch für den privaten Ofen in Irland angeboten. (Bild: Ulsamer)

Wir haben keinen Klimanotstand, sondern höchstens einen ‚Notstand des Handelns‘. Und ich werde den Eindruck nicht los, dass wir in einer verkehrten Welt leben, wenn Politiker Kritik an ihrer Klimapolitik mit freudigem Applaus begrüßen. Für ebenso seltsam halte ich es, wenn Politiker von Klimanotstand sprechen und dennoch in ihrem Entscheidungsbereich weiterhin Torf verfeuert wird oder weitere Dörfer den Braunkohlebaggern weichen müssen. Verschleierung der Situation hat noch nie zu sachgerechten Problemlösungen geführt. Wir dürfen uns von so manchem Politiker nicht an der Nase herumführen lassen, sondern müssen auf klare Aussagen und adäquates Handeln pochen. Für Ablenkungsmanöver haben wir keine Zeit, wenn wir den Klimawandel eindämmen wollen. Wer das Label ‚Klimanotstand‘ auf sein Nichtstun klebt, der handelt fahrlässig. Um es mit einem Zitat aus Goethes Faust zu sagen: „Der Worte sind genug gewechselt, Laßt mich auch endlich Thaten sehen“.

 

Aufnahme aus einem Flugzeug. Die weißen Windkraftanlagen heben sich vor dem tiefblauen Meer ab.
Beim Rückflug aus Irland sah ich dann doch noch einen Beleg für den Ausbau der regenerativen Energieerzeugung. Und damit mich mein schlechtes Gewissen nicht ganz so drückt, haben wir unsere Flüge über atmosfair zumindest etwas ‚ökologischer‘ gestaltet. Eigentlich sollten solche Beiträge gleich weltweit bei der Buchung einbehalten werden. (Bild: Ulsamer)

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