Frischer Wind an der Küste?

Schleswig-Holsteins wirtschaftliche Basis ist brüchig

Der Martin Schulz zugeschriebene neue Elan bei der SPD hat sich in Schleswig-Holstein – wie auch im Saarland – nicht bemerkbar gemacht. Im Gegenteil: Die SPD verlor gegenüber der CDU nicht nur an Boden, die mit ihrem kaum bekannten Spitzenkandidaten, Daniel Günther, angetreten war, sondern wurde von ihr mehr als deutlich überholt. Die sogenannte Küstenkoalition aus SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) hat keine Mehrheit mehr. Ganz einfach dürfte die Regierungsbildung nicht werden, denn mindestens drei Parteien müssen sich zusammenfinden, wenn eine große Koalition – wie im Saarland – vermieden werden soll. Aber ein Erwachen aus der Schläfrigkeit erwarte ich dennoch nicht: Wirtschaftlich dümpelt Schleswig-Holstein seit Jahren vor sich hin, egal unter welcher Regierung. Neue Impulse wären dringend erforderlich gewesen, doch daran mangelte es der Regierung unter Torsten Albig.

Keine drängenderen Probleme?

Am Freitag, dem 6. Mai, also zwei Tage vor der Landtagswahl habe ich einen Blick auf die Internetseite der Landesregierung geworfen und in der Rubrik „Presse“ mit einem leichten Schmunzeln die letzte Pressemitteilung vor dem großen Ereignis gelesen: „Ministerpräsident Albig ehrt langjährige Zeitungszusteller“. Auch ich bin dankbar, wenn ich in Esslingen jeden Morgen meine Zeitung im Briefkasten vorfinde, und im irischen Kilvicadownig vermisse ich dies wirklich. Aber es darf doch nicht wahr sein, dass der Ministerpräsident im Wahlkampf kurz vor Toresschluss ausgerechnet mit diesem Thema brillieren möchte. Mit den Medien hatte er jüngst eh‘ kein glückliches Händchen, wie seine missglückte Homestory in der BUNTEN überdeutlich zeigte, in der er seine Noch-Ehefrau in ein schlechtes Licht rückte.

Ja, wenn man sonst keine Sorgen hat, dann widme ich die letzte Presseinformation vor der Wahl den eifrigen Zeitungsausträgern. (Greenshot, Landesportal Schlewig-Holstein, 6. Mai 2017)

Erwähnenswert ist aber auch, dass sich die Grünen und die FDP sehr gut schlugen und damit weit über ihren aktuellen Prozentzahlen bei bundesweiten Umfragen liegen.

Wirtschaftlich nicht in der Spitzenliga

Aber nun zurück zu meinem Hauptanliegen. Der Wahlkampf kreiste um allerlei Themen, aber niemand stellte vorsichtshalber intensiv die Grundfrage nach der wirtschaftlichen Position von Schleswig-Holstein. Ob sich die 2,3 Mio. Wahlberechtigten wirklich darüber im Klaren waren, dass ihr Bundesland die letzte Position im Ranking nach dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf der „alten“ Bundesländer einnimmt, nur noch gefolgt von den fünf „neuen“ Bundesländern, die natürlich Nachholbedarf haben? Wählen durften auch die über 16jährigen – für ihre Zukunft ist gerade auch dieser wirtschaftliche Faktor von größter Bedeutung. Lag das BIP pro Kopf in Baden-Württemberg im Jahre 2015 bei knapp 43 000 Euro, so betrug es in Schleswig-Holstein nur etwas über 30 000 Euro.  (Statista.com)

Lange kann man über solche Zahlen philosophieren, die geografische Lage einbeziehen, internationale Verflechtungen, aber diese Aspekte treten zurück, wenn man mit offenen Augen aus dem Süden Deutschlands nach Dänemark fährt. Entlang der Autobahn treten im Norden Deutschlands die Gebäude, die nach Industrie, Gewerbe oder Logistik aussehen, immer stärker zurück, die Natur gewinnt an Boden. Prinzipiell kein schlechtes Zeichen, aber selbst in den Kommunen sieht es eher trübe aus. Prosperierendes Gewerbe ist Mangelware, in vielen innerörtlichen Straßen regiert der Leerstand.

Schleswig: Malerische Lage an der Schlei und historischer Kern mit dem St.-Petri-Dom – aber eine schwierige wirtschaftliche Situation. (Bild: Ulsamer)

Kaum hat man die Grenze zu Dänemark überschritten – und dank der europäischen Einigung diese kaum wahrgenommen – all überall neue und großflächige Logistiker, Gewerbe- und Industrieansiedlungen. Gibt dies den Politikern in Schleswig-Holstein eigentlich nicht zu denken? Der Augenschein könnte natürlich täuschen, aber in Dänemark betrug das BIP pro Kopf 2016 über 53 000 Dollar.

Drückender Schuldenstand

Wenn die Wirtschaftskraft lahmt, dann steigen meist auch die Schulden, denn die Bewohner drängen selbstredend auf ähnliche Lebensverhältnisse wie in anderen Bundesländern. So drücken Schleswig-Holstein über 30 Mrd. Euro Schulden, Baden-Württemberg aber „nur“ 53 Mrd. Euro. Dies ist auch viel zu viel, aber bezieht man die Kopfzahl der Bevölkerung ein, dann wird die Diskrepanz deutlicher: Die Schulden der öffentlichen Hand – sprich von Land und Kommunen – betragen in Baden-Württemberg nur 5 685 Euro, in Bayern gar nur 2 602 Euro, in Schleswig-Holstein dagegen 11 859 Euro. Aber es geht immer noch schlimmer: Die Bremer haben als Last pro Nase über 32 000 Euro am Hals hängen.

Neugliederung der Bundesländer notwendig

Generell habe ich den Eindruck, dass innerhalb der schleswig-holsteinischen Politik die Frage der wirtschaftlichen Zukunft zu kurz kommt, zumindest in den jeweiligen Landesregierungen. Somit kann und muss gewissermaßen „von außen“ die Frage aufgeworfen werden: Sollten wir in Deutschland nicht nochmals und stringenter als bisher über die Neugliederung der Bundesländer nachdenken?

Nur in Baden-Württemberg ist es – auch unter dem Druck der Nachkriegsereignisse – gelungen aus Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern ein gemeinsames Bundesland zu schaffen. Es geht also – auch in Deutschland! Die Zeiten haben sich geändert, dessen bin ich mir bewusst, damit auch der politische Druck in Richtung Neugliederung. Die wirtschaftliche Notwendigkeit aber hat weiterhin Bestand! Egal welche Koalition sich im hohen Norden zusammenfinden wird, die wirtschaftliche Basis wird sich nicht schlagartig ändern.

Ein Nachdenken über eine Länderneugliederung könnte nicht schaden – und dies nicht nur im Norden unseres Landes.

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