Europawahl: Für ein Europa der Bürger statt der Bürokraten

Die Vielfalt Europas ist unsere Stärke

Wir brauchen kein neues und kein anderes Europa, und wir brauchen auch kein Europa der Bürokraten, sondern ein Europa der Bürgerinnen und Bürger, ein Europa der Regionen und ein Europa, das seine Stärke aus der kulturellen Vielfalt schöpft. Gleichmacherei und Bürokratisierung helfen uns nicht weiter, denn wir müssen auf Innovationen und Gemeinschaftsgeist setzen. Als überzeugter Europäer finde ich es beschämend, dass die EU-Bürokraten in der Kommission, aber auch im Parlament ständig auf noch mehr Regulierung setzen, anstatt bei der Bürgerschaft, in den Regionen und Staaten das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu fördern. Vollends sprachlos macht mich das Gerede, man brauche „mehr Europa“, wann immer sich ein Problem auftut. Kaum einer der Politiker scheint auf die Idee zu kommen, dass die Europäische Union eine Phase der Konsolidierung nötig hat. Irgendwie erinnern mich Emmanuel Macron & Co. an einen Baumeister, der mit großen Gesten auf dem Dachstuhl steht und die tolle Architektur des Gebäudes erläutert, obwohl die Grundmauern wanken. Und ganz gewiss brauchen wir auch keinen europäischen Flugzeugträger – wie ihn die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ins Spiel brachte -, um den Gemeinschaftsgedanken zu fördern.

Blaue EU-Flagge mit gelben Sternen an einer Hauswand. Ein ebenfalls gemalter Handwerker ist dabei, einen Stern zu entfernen.
Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union will mit dem Vereinigten Königreich ein Land die Gemeinschaft verlassen, bisher versammelten sich eher Staaten, die Mitglied des Clubs werden wollen. Noch habe ich die Hoffnung, dass der Street-Art-Künstler Banksy mit seinem so treffenden Werk in Dover doch nicht recht behält und unsere britischen Nachbarn weiter in unserem ‚Verein‘ bleiben. Die EU muss sich jedoch auf ihre Grundaufgaben besinnen und darf sich nicht verzetteln. Bürokratismus droht den Gemeinschaftsgeist und die kulturelle Vielfalt zu ersticken! Für ein Unding halte ich es im Übrigen, dass die bei einem Brexit freiwerdenden Sitze im Europaparlament zum Teil bereits an andere Mitgliedstaaten verteilt wurden. (Bild: Ulsamer)

Den Gemeinschaftssinn stärken

Nach meiner Meinung wären wir in Europa gut beraten, mehr Kraft und Elan aus der kulturellen Vielfalt zu generieren, denn ein bürokratischer Einheitsbrei hilft niemandem. Es grenzte schon als Lächerliche, wenn man sich die Reden des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker anhörte, besser gesagt, sich antat, die er zur Lage der Union abgab. Inspirationen – Mangelware, Nebelgranaten statt sachgerechter Leitgedanken für den Weg in die Zukunft! Immer mehr bekam ich den Eindruck, dass der EU-Kommissionspräsident kein Problemlöser ist, sondern Teil des Problems. Aber auch die aufgeblähte Kommissars-Riege dilettierte eher, als praktikable Initiativen zu ergreifen. Und dennoch bin ich der Meinung: Wir brauchen die Europäische Union! Frieden und Versöhnung nach den beiden Weltkriegen haben wir nicht zuletzt dem Gemeinschaftswillen zu verdanken, der die Basis für die europäische Zusammenarbeit darstellt. Und wer von uns möchte schon wieder an jeder Landesgrenze seinen Pass zücken oder gar in einer Warteschlange anstehen?

Aber gerade diesen Willen, sich in Europa unterzuhaken und die Herausforderungen zu meistern, sehe ich dahinschmelzen wie die Gletscher in Zeiten des Klimawandels. In der zurückliegenden Amtsperiode des Parlaments, der Kommission und des Europäischen Rats mussten wir nicht nur das Brexit-Chaos miterleben, und dabei sehe ich die Schuld ganz gewiss nicht nur in London. Auch die Kluft zwischen den ‚älteren‘ Mitgliedsstaaten und unseren mittel-osteuropäischen Nachbarn hat sich enorm vertieft. Dies ist nicht zuletzt eine Folge der Migrationspolitik von Angela Merkel und dem zu langen Beharren auf einer fixierten Verteilungsquote für Flüchtlinge. Und schauen wir nach Italien, dann hat sich dort ein Regierungsbündnis aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega etabliert, das nun auch nicht vor europapolitischer Begeisterung sprüht. Griechenland ließ sich nicht zuletzt auf Fürsprache Deutschlands mit Milliardenkrediten vor dem Totalbankrott bewahren, um nun die Reparationsfrage aufzuwerfen. Verwerfungen aller Orten – und keine Antworten. Bestenfalls der Ruf nach mehr Europa erklingt, wann immer sich ein Problem auftut.

Ein Rotkehlchen sitzt auf einem grauen Geländer. Der kleine Vogel hat eine rötliche Brust und einen bräunlichen Rücken.
Insekten und Vögel werden in der Europäischen Union immer seltener, doch die EU ist bisher nicht in der Lage, die Agrarförderung an ökologischen Kriterien zu orientieren. Der gelebte Naturschutz braucht einen höheren Stellenwert in der EU und in den Mitgliedsstaaten. (Bild: Ulsamer)

Mutlose politische Eliten

Nun kann man abstruse politische Aussagen in den einzelnen Staaten nicht der EU-Kommission vorwerfen, denn die Wahlergebnisse in den Mitgliedsländern bestimmten die jeweiligen Wählerinnen und Wähler. Aber auch die EU-Institutionen haben ihren Teil dazu beigetragen, dass die politische Schieflage immer mehr zum Normalzustand wird. Wenn die EU als eine abgehobene Veranstaltung verstanden wird, deren Entscheidungsfindung man nicht beeinflussen könne und nur zu erleiden habe, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass immer mehr haupt- oder nebenberufliche Komiker auf der politischen EU-Bühne erscheinen, und damit meine ich nicht nur Beppe Grillo in Italien. Auch die Ukrainer entschieden sich nun für einen Comedian, als sie Volodymyr Zelensky zu ihrem Präsidenten wählten. Immerhin hat Zelensky einen Präsidenten schon im Fernsehen gespielt. Damit endet seine ‚politische‘ Erfahrung aber auch schon! Wer auf solche Entwicklungen nur mit dem Aufschrei ‚Populisten‘ antwortet, der hat den tieferen Ursprung der Entwicklung nicht verstanden.

Politische Außenseiter können sich nur durchsetzen – siehe Donald Trump -, wenn die Wählerschaft die bisherige politische Elite als abgewirtschaftet, korrupt oder handlungsunfähig ansieht und für einen ‚Heilsbringer‘ der besonderen Art votiert. Jammern hilft nichts, und die Schuld liegt auch nicht bei den sozialen Medien oder ferngesteuerten Desinformationskampagnen aus Russland, sondern ganz einfach bei den bisher handelnden politischen Personen. Die Europäische Union hat sich nach meiner Meinung verzettelt und zu wenige Probleme wirklich gelöst. Diese Kritik lässt sich mit einem vergleichsweise zweitrangigen Thema belegen: der Abschaffung der Zeitumstellung.

Zahlreiche Uhren aus dem Schwarzwald hängen an einer Wand.
Wer so viele Uhren besitzt wie das Schwarzwald-Museum in Triberg, der war bei der Umstellung von Winter- auf Sommerzeit gut beschäftigt. Leicht skurril war es, als Jean-Claude Juncker die Entscheidung über die neue Zeitordnung in der EU den Einzelstaaten zurückspielte und das Europaparlament sich für den Wegfall der Zeitumstellung aussprach, ohne sich jedoch auf eine präferierte Nachfolgelösung festzulegen. Da hätten sich die Einzelstaaten auch schon im vergangenen Jahr untereinander auf eine neue Zeitordnung einigen können. So beweist die EU keine Handlungsfähigkeit, sondern braucht schon für banale Themen viel Zeit und zu viele Bürokraten. Wie viele der 40 000 EU-Beamten drehen denn da an der Uhr? (Bild: Ulsamer)

Scheindemokratische Spielereien à la Juncker

Geradezu lächerlich war es, als der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Ende der Zeitumstellung verkündete: „Die Menschen wollen das, wir machen das.“ Diese Art Sprüche klingen zwar ganz nett und volksnah, aber ein Lehrbeispiel an Demokratie war es sicherlich nicht, wenn wir ausgerechnet bei einer solchen politischen Nebensächlichkeit gefragt und zum Entscheider hochstilisiert werden. Apropos Demokratie: Nur in Deutschland, Österreich und Luxemburg hatte sich überhaupt mehr als 1 Prozent der Bevölkerung an der unverbindlichen Internet-Befragung zur Zeitumstellung beteiligt. Klarer Spitzenreiter dabei waren wir Deutschen mit 3,79 %. Und so entfielen auf deutsche Teilnehmer auch 3 Mio. Antworten. In Italien beteiligten sich 0,04 %, aber die hatten wohl gerade andere Sorgen. Bei der dringend notwendigen ökologischen Neuorientierung der EU-Agrarförderung dagegen wurden wir Bürger allerdings nie als Entscheider herangezogen!

Schon die Aussage von Juncker löste bei vielen Bürgerinnen und Bürgern höchstens Kopfschütteln aus, doch auch die weiteren Phasen sind skurril: Vom August 2018, als Juncker verkündete, man wolle ‚unseren Willen‘ – in der Tat – direkt in Politik umsetzen, brauchte das Europaparlament bis Ende März 2019, um sich ebenfalls für ein Ende der Zeitumstellung auszusprechen. So richtig weiter war die EU nach diesem Votum allerdings noch immer nicht: Nun sind die EU-Staaten an der Reihe und sollen eine einheitliche Zeit-Lösung finden, denn ansonsten droht eine Zersplitterung des europäischen Ziffernblatts. Da frage nicht nur ich mich, welchen Anteil hat an diesem banalen Thema wirklich die EU? Letztendlich müssen die Einzelstaaten einen Konsens finden, das könnten sie auch ohne die EU-Bürokratie leisten. Und diese Bürokratie ist inzwischen auf rd. 40 000 Beamte angeschwollen, die für die Kommission und das Parlament tätig sind.

Eine Büste Jan Palachs ist in einer Marmortafel integriert. Text Jan Palach - 16. 1. 1969
Politiker und Bürger sollten heute nicht leichtfertig das Streben der Polen, Ungarn oder Tschechen und Slowaken nach Freiheit und Demokratie in Frage stellen, wenn in diesen Ländern verschiedene Parteien und Regierungsvertreter mit ihren Äußerungen zur Migration Kritik auslösen. Die Wiedervereinigung Deutschlands hätte wohl kaum Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn unsere mittel-osteuropäischen Nachbarn nicht unter Einsatz ihres Lebens für die Freiheit gekämpft hätten. Jan Palach und Jan Zajic opferten ihr Leben auf dem Wenzelsplatz als sie sich aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch sowjetische Truppen selbst verbrannten. Das Denkmal erinnert an den Opfermut von Jan Palach und seiner Mitstreiter in Prag. (Bild: Ulsamer)

Anbetung der Stechuhr?

Ich hatte immer gehofft, dass sich die EU-Institutionen zur Speerspitze des Fortschritts machen würden, doch weit gefehlt. Dies belegt auch das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH): Alle Arbeitszeiten müssen zukünftig in der EU minutiös erfasst werden und nicht nur die Überstunden. In großen industriellen Fertigungsbetrieben gibt es ohnehin eine Zeiterfassung, doch was soll nun diese Ausdehnung auf alle Arbeitsverhältnisse? Ich hatte es sehr geschätzt, im Sinne einer Vertrauensarbeit tätig sein zu dürfen, und dies insbesondere bei Großprojekten außerhalb des Unternehmensstandorts. Wenn man Arbeitszeiten als Korsett betrachtet, und dies will uns allen der EuGH anlegen, dann bleibt uns manchmal auch die Puste weg. Rufen wir dann wie in Goethes Faust, ‚Frau Nachbarin!, Euer Fläschchen!‘, ehe wir in Ohnmacht fallen? Morgens ein Gespräch mit dem Landrat, dann ein Treffen mit Umweltschützern und danach die Vorbereitung mit dem Bürgermeister für die abendliche Bürgerversammlung … Und am nächsten Tag ein Nachgespräch mit Anwohnern oder der Presse! Wer hier die Minuten zählt, der hat schon verloren, und mit den Aufschrieben kommt man sowieso nicht mehr nach. Der EuGH raubt uns die Luft zum Atmen – und die Gewerkschaften applaudieren eifrig.

Die EU-Bürokraten, und leider scheint die Richterriege ebenfalls dazu zu gehören, die beim EuGH jeweils aufläuft, muss ja auch keine realen Probleme lösen, sondern kann sich im Hinterzimmer des Gerichts ihre Gedanken machen. Und ist dann ein Friseurbesuch Freizeit oder Arbeitszeit, wenn man dort viel zur Stimmung in der Bürgerschaft erfährt, mit der man im Gespräch über ein Projekt in der Gemeinde ist. Aber es stellt sich auch die Frage nach Home-Office-Regelungen oder Start-up-Unternehmen, in denen der Elan bisher nicht durch die Stechuhr ausgebremst wurde. Manchmal frage ich mich schon, wie die EU mit dem Rest der Welt wirtschaftlich und technologisch mithalten möchte, wenn ständig nur Fallstricke ausgelegt werden? Mehr Rückwärtsgewandtheit als bei der Anbetung der Stechuhr kann ich mir kaum vorstellen!

Laptop-Bildschirm mit Facebook und Händen an der Tastatur.
Die EU gehört zu den digitalen Habenichtsen! Nicht nur die wichtigsten Internet-Dienste sitzen in den USA, sondern auch die benötigte Hardware kommt zumeist nicht aus Deutschland, denn hier dominieren asiatische Hersteller. Ich finde es bestürzend, dass Deutschland und Europa bei der Digitalisierung zunehmend abgehängt werden, doch die EU setzt auf Regulierer statt auf Innovatoren. (Bild: Ulsamer)

Datenschutz-Bürokratie erstickt Innovationen

Als überzeugter Europäer stimmt es mich nicht nur verdrießlich, sondern es macht mich in der Tat wütend: Die EU entfernt sich immer mehr von unserem täglichen Leben. Die Datenschutz-Grundverordnung und die neue Urheberrechtsverordnung, über beide habe ich berichtet, sind nur Symptome einer Krankheit. Die wirklich wichtigen Themen werden negiert und bürokratische Monster in unsere Welt entlassen. Ganz gewiss bin ich sehr für den Schutz unserer Daten, doch die wirklichen Datenkraken und die kriminellen Hacker scheren sich nicht um die EU-Vorgaben, sondern treiben weiterhin ihr finsteres Unwesen. Die kleinen Datennutzer, die trifft jedoch der Bannstrahl aus Brüssel und Straßburg – und der Unmut gerade auch in der jüngeren Generation über die EU-Verordnungswelle nimmt zu.

Mit Verordnungen und Regulierungswut lässt sich die Welt nicht wirklich bewegen, schon gar nicht die digitale! Hätten Carl Benz und Gottlieb Daimler auf Verordnungen gewartet, dann würden wir noch heute mit der Pferdekutsche fahren und das Auto stünde in Ladenburg oder Bad Cannstatt als Einzelstück in der Garage. Ich hoffe noch immer, dass sich in der EU die Innovatoren durchsetzen und die Gängelei endlich ein Ende findet.

Leider führen weder die Datenschutz-Grundverordnung noch das Urheberrecht wirklich in eine innovative Zukunft: Längst hat Europa mit wenigen Ausnahmen den Anschluss in weiten Bereichen digitaler Dienstleistungen verloren. Das Gejammer zahlloser Politiker über Facebook, Google, Twitter und Instagram, über Microsoft oder Amazon greift zu kurz. Reglementierung bringt uns nicht in die Lok des Digital-Zugs, sondern macht uns allerhöchstens zum quengelnden Mitfahrer im letzten Waggon. Längst kommt die Hardware – vom Laptop über das Smartphone bis zur Kamera – aus Asien, und die Internet-Dienstleister haben ihren Sitz in den USA. Mag das Bürokratenherz bei der Datenschutz-Grundverordnung oder der Urheberrechtsverordnung auch lachen, mir kommen die Tränen! Geradezu abenteuerlich ist es, dass die EU-Politiker zwar keine Digitalsteuer aus der Taufe zu heben vermögen, doch wenn es darum geht, uns das digitale Leben schwer zu machen, dann versammelt sich eine eifrige Truppe aus Parlamentariern, Kommissionsmitgliedern und Beamten.

Die Messstation besteht aus einem grauen Container, an dem zahlreiche Messgeräte befestigt sind. Sie steht sehr nahe an der Fahrbahn, und zwei Mauern stehen so, dass auch das letzte Staubkörnchen dort landet.
Die Messstation am Stuttgarter Neckartor hat ein feines Eckchen direkt an der Fahrbahn und eingequetscht in einen Mauervorsprung gefunden. Man könnte geradezu glauben, die Deutsche Umwelthilfe hätte diesen obskuren Standort ausgesucht. Es ist an der Zeit, dass in der Europäischen Union (EU) eine Vergleichbarkeit der Standorte von Messstationen für Verkehrsemissionen geschaffen wird. Die Grenzwerte-Chimäre darf den Blick nicht dafür verstellen, dass die EU sich schwer tut mit der Fertigung von Batteriezellen oder der Schaffung einer umfassenden Wasserstoff-Infrastruktur. (Bild: Ulsamer)

Die Grenzwert-Schimäre

Auch beim Umwelt- und Naturschutz kann ich die klare Linie der EU nicht erkennen. Mit größter Freude sägen Parlament und Kommission an dem Ast auf dem viele von uns sitzen: Grenzwerte für die Automobilindustrie sind zu einem EU-Lieblingsthema geworden. Aber da werden weniger klimaschädliche CO2-Emissionen gefordert und gleichzeitig ein Kreuzzug gegen den Diesel geführt. Zwar stößt der Diesel weniger CO2 aus, doch die Stickoxide machen ihm zu schaffen. Und natürlich findet sich immer eine noch so sachfremd aufgestellte Messstation – wie am Stuttgarter Neckartor – die als Beleg für unser nahendes Ende durch NOx herangezogen werden kann. Wäre es in Zeiten des Klimawandels nicht besser, bis zur Erreichung des Elektro-Auto-Paradieses auf Diesel-Hybride zu setzen, aber nein, die für die Industrie zuständige Kommisssarin, Elzbieta Bienkowska, erklärt schon mal das Ende des Verbrennungsmotors. So verkündete sie in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung: „Sehr wahrscheinlich zeichnet sich gerade global das Ende des Autozeitalters ab.“ Und sie fuhr fort: „Es hat keinen Sinn mehr zu versuchen, den Verbrennungsmotor zu verbessern. Dies führte in die Sackgasse.“ Da hoffe ich nur, dass die EU-Kommissarin immer per Fahrrad zwischen Polen und Brüssel pendelt.

Wer – wie die Europäische Union – nur hinter einzelnen Grenzwerten her hechelt und keine Gesamtplanung entwickelt, der eilt wirklich einem Trugbild nach. Wer neue Wege einschlagen möchte, die in Richtung Klimaneutralität führen, der muss auch neue Technologien mit aus der Taufe heben. Aber wo ist denn die europäische Batteriezellenfertigung? Wo ist die staatenübergreifende Strategie für Wasserstoff als Speicherelement und Antriebskraft? Wie steht es um eine echte Energiekonzeption? Solange Emmanuel Macron über Elektromobilität phantasiert und 70 % des Stroms aus Atomreaktoren fließen, kann ich nicht verstehen, warum auch grüne Politiker in Deutschland ihn bejubeln! War es nicht das Ziel, das Ende der Kernenergie einzuläuten? Oder galt dies nur für Deutschland?

Traktor beim Versprühen chemischer Hilfsmittel. Im Hintergrund ein mahnendes weißes Steinkreuz.
Nicht nur Insekten und Vögel gehen in der EU dramatisch zurück, sondern selbst die Regenwürmer werden von Glyphosat-Erzeugnissen bedroht. Insektizide, Herbizide, Pestizide, Neonics usw., die chemische Keule schlägt noch immer zu. Aber Glyphosat & Co. killen nicht nur Acker(un)kräuter im Agrarbereich, sondern auch in Parks und Gärten. Die EU und die Mitgliedsstaaten müssen mehr für Natur- und Umweltschutz tun. (Bild: Ulsamer)

EU-Agrarförderung am Gängelband der Lobbyisten

Zwar sind die nahezu 60 Mrd. EURO, die von der EU für die Landwirtschaft ausgeschüttet werden, gleichzeitig auch der größte Haushaltsposten. Doch in den Reden zur Lage der EU von Jean-Claude Juncker spielte dieser fast keine Rolle. Der Altmeister der Vernebelungspolitik überging diesen Stolperstein ganz einfach, doch damit ist er natürlich nicht verschwunden.

Blütenreiche Magerwiesen und Brachflächen, aber auch Gehölzinseln und überjährige Pflanzen an Feldrainen sind weitgehend aus der ausgeräumten Landschaft verschwunden. Dies ist kein Vorwurf an unsere Landwirte, sondern eine Folge der fehlgeleiteten EU-Agrarpolitik, die auf Flächenprämien setzt und ökologische Gesichtspunkte als ‚Greening‘ an den Rand drängt. Die industrialisierte Landwirtschaft bedarf einer Neuausrichtung, und diese kann nur gelingen, wenn die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU an Ökologie und Nachhaltigkeit orientiert wird. Derzeit laufen die Verhandlungen über den 2021 beginnenden Förderzeitraum: Subventionen nach Fläche sollten dann der Vergangenheit angehören und Natur und Umwelt, das Wohl der Tiere und Menschen in den Mittelpunkt treten. Der EU-Agrarausschuss aber hat beschlossen, die alten Förderstrukturen beizubehalten: Von ökologischem Umdenken keine Spur.

Die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit in der EU-Agrarpolitik richtet sich nicht gegen die Landwirte, denn sie können nur innerhalb des politischen Gesamtrahmens agieren. Schmetterlinge und Wildbienen, Rebhühner, Feldhasen und Igel werden nur überleben, wenn wir ihren Lebensraum schützen! Inzwischen geht es in den Glyphosat-Wüsten, aber auch in den Schottergärten so mancher Nachbarn, selbst dem Regenwurm an den Kragen, da ihm die Nahrung fehlt. Die EU macht sich immer stärker zum verlängerten Arm des Deutschen Bauernverbands und seiner europäischen Partner, die sich als Lobbyisten einer veralteten Agrarförderung gerieren. Familiengeführte Bauernhöfe bis zur mittleren Größe werden vernachlässigt, dafür die Großagrarier gestärkt. Und die Natur bleibt auf der Strecke!

Eine Hand zieht einen 50 EURO-Schein aus einem schwarzen Geldbeutel und lässt die kleineren Scheine drin.
Die Nullzinspolitik der Europäische Zentralbank (EZB) führt zu einer Enteignung der Sparer. Die EZB hat ihr Pulver mit einer beispiellosen Geldschwemme und Nullzinspolitik verschossen. Bei einem wirtschaftlichen Abschwung kann sie mit Zinssenkungen im Prinzip nicht mehr gegenlenken. Aber beim Internationalen Währungsfonds scheint man Rat zu wissen: Wenn das Zinsniveau weiter gesenkt werden soll, dann müsse eben das Bargeld im gleichen Maßstab jährlich abgewertet werden. So wäre ein Ausweichen in Bargeld zwecklos. Nehmt endlich eure Finger aus unseren Geldbeuteln! (Bild: Ulsamer)

EZB: Die Enteignung der Sparer

Über das Verstaatlichungspalaver des Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert und der grünen Vorreiter Robert Habeck und Anton Hofreiter gerät ganz in Vergessenheit, dass uns Sparern die Europäische Zentralbank seit Jahren die Zinsen und damit auch einen Teil unseres Ersparten raubt. Nullzinspolitik ergänzt durch eine Geldschwemme, die den EURO unterminiert, ist auch eine Verstaatlichung unserer Vermögen. Greift der eine nach Unternehmen und die anderen nach Wohnungen, wenn es um Vergesellschaftung geht, so haben es der EZB-Präsident Mario Draghi und seine Kumpane auf unsere Sparkonten abgesehen. Für mich ist es mehr als verwunderlich, dass die Sparer in Europa nicht längst auch in gelben Westen vor der EZB-Zentrale in Frankfurt am Main aufmarschieren. Ob die kalte Enteignung allerdings zu mehr Europabegeisterung führt, das wage ich dann doch zu bezweifeln.

Wenn ich mir die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) anschaue, dann kommen mir auch Zweifel an der Sinnhaftigkeit weiterer staatenübergreifender Risikoverschiebungen im Finanz-, Wirtschafts- und Sozialbereich. Eine EU-Arbeitslosenversicherung hätte den gleichen Effekt wie die EZB. Dort läuft die Gelddruckmaschine auf Hochtouren, um Italien dringend notwendige Strukturreformen zu ersparen. Selbstredend muss Deutschland als wichtige Wirtschaftsnation mehr Geld in die EU einbringen als andere, aber noch immer gilt neben der Solidarität auch die Subsidiarität als wichtiger Grundsatz. Hilfe zur Selbsthilfe ist wichtig, wenn wir schwächere Staaten wirtschaftlich auf ein ausgeglichenes Niveau heben wollen, aber eine allgemeine Umverteilung nutzt langfristig niemandem.

An einer Steinmauer ist eine große dunkle Tafel mit den Namen gefallener Soldaten angebracht. Im Hintergrund ein Panzer.
„Zu viele Soldaten sind umsonst in den Krieg geschickt worden”, so ein Soldat des französischen 370. Infanterieregiments im Ersten Weltkrieg. Die europäische Einigung ist von zentraler Bedeutung für uns alle, denn sie hat uns Frieden und Freiheit bis heute gesichert. (Bild: Ulsamer)

Macrons „wahre europäische Armee“

Wenn der französische Präsident wieder eine seiner europapolitischen Visionen von sich gibt, dann erstarrt das politische Deutschland schon beinahe in Ehrerbietung oder drückt sich um eine Antwort. Nun mag ich nicht verleugnen, dass ich Emmanuel Macron von der ersten Stunde an für einen Blender gehalten habe, und leider wurde ich bisher auch keines Besseren belehrt.

Zu seinen visionären Lieblingshits gehört „eine wahre europäische Armee“, wo doch Frankreich nicht gerade vor Begeisterung übersprudelt, wenn es um die Weiterentwicklung der Deutsch-Französischen Brigade geht! „On ne protégera pas les Européens si on ne décide pas d’avoir une vraie armée européenne“, hört sich in einem Interview mit dem Sender Europe 1 sehr visionär und staatstragend an, doch wie so oft handelt es sich – um im Militärjargon zu verbleiben – um eine Blendgranate. Die Behauptung, wir Europäer könnten uns nur schützen, wenn wir über eine „wahre europäische Armee“ verfügen, halte ich schlichtweg für falsch. Unterhalb der Schwelle einer gemeinsamen Armee gibt es vielfältige Möglichkeiten zur Kooperation. Im Grunde war die Gründung der Deutsch-Französischen Brigade ein wichtiges Zeichen für das noch engere Zusammenrücken unserer über lange Zeit verfeindeten Staaten, und auch daraus hätte sich der Nukleus einer übergreifenden europäischen Armee ergeben können. Francois Mitterand und Helmut Kohl hatten 1987 bei einem Gipfeltreffen die Gründung eines binationalen Verbandes beschlossen, und so wurde 1989 im baden-württembergischen Böblingen die Deutsch-Französische Brigade aufgestellt. Damals ging es um konkrete Schritte zu mehr Zusammenarbeit der einstmals verfeindeten Nachbarstaaten, heute ergeht sich Macron dagegen in allgemeinsten Visionen.

Das Denkmal besteht aus hellem Gestein. Schräg nach oben - wie auf einem Schiff - stehen verschiedene zeitgenössische Personen.
In der portugiesischen Hauptstadt Lissabon erinnert des Denkmal Padrao dos Descobrimentos an das Zeitalter der Entdeckungen. An der Spitze dieser Entdecker steht Heinrich der Seefahrer. Natürlich wissen wir im Nachhinein, dass die Seefahrer auch Raub und Verderben in die Welt trugen, doch würde ich mir heute etwas mehr Offenheit in der EU für die Entwicklungen in unserer Welt wünschen. Abschottung wäre auf jeden Fall falsch – und ganz besonders für eine Exportnation wie Deutschland. (Bild: Ulsamer)

AKKs „europäischer Flugzeugträger“

Die Deutsch-Französische Brigade ist ein Musterbeispiel dafür, dass es Macron nicht um Verbesserungen bestehender Institutionen geht, sondern um schnell skizzierte Entwürfe für eine Zukunft, die fast niemand so möchte. Ich wundere mich schon, dass die französischen und deutschen Soldaten bis heute nicht gemeinsam zum Einsatz kommen: In Afghanistan und Mali ist zwar auch die Deutsch-Französische Brigade engagiert, doch trotz des gleichen Landes übernehmen sie völlig andere Aufgaben. Dies ist allerdings den Entscheidungen in den jeweiligen Regierungen und Parlamenten geschuldet. Hier hätte es genügend Ansatzpunkte für mehr Gemeinsamkeit gegeben, wenn die Politik dies gewollt hätte und erst recht gilt das für Afghanistan.

Gleichfalls ist es leicht abstrus, dass sich selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel halbherzig auf das Pferd einer „europäischen Armee“ schwang, und ihre Nachfolgerin als CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer schoss in meinen Augen den Vogel ab, als sie einen „gemeinsamen europäischen Flugzeugträger“ zu Wasser lassen wollte. Eine Intensivierung der militärischen Kooperation innerhalb der EU halte ich für wichtig, aber dann müssen die Mitgliedsstaaten auf nationale Beschaffungsmechanismen ebenso verzichten wie auf individuelle Einsatzentscheidungen. In der Tat wäre ich sehr neugierig, wer hier wirklich voranschreitet!

Das Bild zeigt die deutsch-französische Grenze ohne Kontrolle. Autobahnschilder im Hintergrund.
Wir haben in der Europäischen Union viel erreicht: Wo einst zwischen Frankreich und Deutschland Kontrollen stattfanden, da haben wir heute freie Fahrt. Das Zusammenwachsen der europäischen Staaten muss weiter vorangetrieben werden, doch hier brauchen wir nicht jeden Tag neue Visionen von Emmanuel Macron, sondern die Bereitschaft auf allen Seiten, die aktuellen Probleme zu lösen. Die EU braucht eine Konsolidierungsphase. Wir müssen alle Partner auf unserem europäischen Weg in die Zukunft – und vor allem die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen -, ansonsten verliert die EU weiter an Zustimmung. (Bild: Ulsamer)

Die Grundwerte weisen den Weg

In der EU habe ich den Eindruck, dass zu häufig einzelne Mitgliedstaaten vor den Kadi gezerrt werden. Natürlich geht es dabei um zentrale Wertvorstellungen wie Demokratie und Rechtstaat oder auch mal banaler um das Nitrat im Grundwasser. Aber wer fühlt sich denn auf Dauer in einem Club wohl, in dem ständig jemand mit der Vereinssatzung wedelt und nach dem Richter ruft? Frieden und Freiheit sollten wir in Europa nicht geringschätzen, gerade dann nicht, wenn wir in andere Weltgegenden schauen. Und über Jahrhunderte war unser europäischer Kontinent auch nicht gerade ein Hort der friedlichen Zusammenarbeit. Die Europäische Union und ihre Vorstufen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass wir enger zusammengerückt sind und Gräben zwischen den Nationen zugeschüttet haben. Wenn wir diesen Pfad weiter beschreiten wollen, dann brauchen wir nicht mehr Bürokratie, sondern mehr Gemeinschaftssinn. Dieser wird jedoch nicht wachsen, wenn wir statt auf dauerhaften Dialog auf EuGH-Urteile setzen.

Auch der Wohlstand lässt sich nicht für alle mehren und der soziale Ausgleich verbessern, wenn wir uns in Egoismen verstricken. Ganz sicher wird uns der etatistische Ansatz von Macron nicht weiterbringen, der für alle Themen sofort eine neue EU-Institution fordert. Sein wortgewaltig vorgetragener „Neubeginn für Europa“ wird uns in ein bürokratisches Labyrinth führen, in dem sich auch der letzte marktwirtschaftliche Gedanke verliert. Statt einer Schwemme neuer Institutionen braucht die EU eine klare Fokussierung auf ihre Kernaufgaben, doch dazu fällt Macron nichts ein.

Emmanuel Macron verhedderte sich auch in seinem EU-weit verbreiteten Zeitungsbeitrag in Institutionen und Verträgen, in holprigen Visionen und absolutistischem Gehabe. Es fehlt ihm der Blick auf die Menschen – auf uns alle. Ich würde mir Politikertypen wie Charles de Gaulle und Konrad Adenauer wünschen, die in Europa wirklich Gräben zugeschüttet haben, anstatt neue Konflikte anzufachen. Die Institutionengläubigkeit Macrons nimmt für mich skurrile Züge an, dabei geht es doch um etwas ganz anderes: um es mit den Worten des jüngst verstorbenen früheren deutschen Außenministers, Klaus Kinkel, zu sagen: „Europa wächst nicht aus Verträgen, es wächst aus den Herzen seiner Bürger – oder gar nicht.“

Flaniermeile im Hafen von Barcelona und moderne Gebäude.
In Katalonien (im Bild Barcelona) und Schottland oder in Norditalien stellt sich auch die Frage, in welchem Maße die Regionen sich stärker in die Europäische Union einbringen können. Die EU – Kommission und Parlament – haben sich bisher um klare Stellungnahmen zu regionalen Konflikten gedrückt. (Bild: Ulsamer)

Aus dem EU-Elfenbeinturm herabsteigen

Es ist an der Zeit, dass sich die EU auf den Binnenmarkt konzentriert und ihn mit sozialen und ökologischen Aspekten stärker als bisher verbindet. Nach meinem Eindruck sind zu viele Aktivitäten in der EU unkoordiniert und führen damit nur zu mehr Bürokratie und Widerstand. Es muss der EU gelingen, die Regionen beispielsweise wieder mehr ins Blickfeld zu rücken, auch wenn dies wie bei Katalonien oder Schottland zu politischen Streitigkeiten mit dem Mitgliedsstaat Spanien oder dem Fast-Brexit-Großbritannien führt. Wer sich bei dem Wunsch nach mehr Eigenständigkeit in manchen Regionen weg duckt, der wird keine Vertiefung der Beziehungen in Europa erreichen.

Bei zu vielen EU-Verordnungen habe ich den Eindruck, dass hier nicht der Puls der Zeit gefühlt wird, sondern Bürokratismus den gesunden Menschenverstand ersetzt. Wer die Zunahme der Bürokratie verhindern möchte, der muss auch früh auf eine enge Verzahnung zwischen den EU-Institutionen und den in den Mitgliedstaaten zuständigen Gremien setzen. Ansonsten vermehren sich Gesetze, Verordnungen und Auslegungsbestimmungen zusätzlich. Eine Verteilung der EU-Arbeitsorte auf Straßburg (Plenarsitzungen des EU-Parlaments), Brüssel (Ausschuss- und Fraktionssitzungen des Parlaments, EU-Kommission, Europäischer Rat, Verwaltung) und Luxemburg (ein Teil der Parlamentsverwaltung) ist natürlich nicht gerade optimal, aber Frankreich ließ bisher nicht erkennen, einer Zusammenlegung der Arbeit in Brüssel zustimmen zu wollen.

Die hellen Kreidefelsen von Dover erheben sich direkt aus dem dunkelblauen Meer.
Ein ungeordneter Brexit wäre wie ein Sprung von den Klippen in Dover. Die Fallhöhe in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht würde enorm sein – und ganz gewiss niemandem nutzen. Theresa May hat versucht, den Brexit um das britische Parlament herum umzusetzen und ist damit kläglich gescheitert. Der Flurschaden, den sie angerichtet hat, macht es nun doppelt schwer, noch eine kompromissbereite Mehrheit im Unterhaus zu schaffen. Hoffentlich können Theresa May und Jeremy Corbyn noch eine Koalition der Vernunft bilden, obwohl Corbyn das vorläufige Ende der Gespräche verkündete.  Die EU-Kommission und der Europäische Rat sind am Desaster nicht unschuldig, denn sie verweigerten dem britischen Premierminister David Cameron Zugeständnisse bei der Freizügigkeit. (Bild: Ulsamer)

Macht der Brexit Schule?

Bisher wirkt das Brexit-Chaos, das die britische Premierministerin angezettelt hat, sicherlich abschreckend auf andere wankelmütige Mitglieder. Theresa May und die hard Brexiteers sind nach meiner Meinung nicht alleine schuld am Brexit-Wunsch vieler Briten. Die EU hätte in einer frühen Phase, deutlich vor dem Referendum im Jahr 2016, gegenüber dem damaligen britischen Premierminister David Cameron mehr Flexibilität bei der ‚Freizügigkeit‘ zeigen müssen, denn gerade das Thema Migration trieb auch europafreundliche Briten in die Fänge der Bexiteers. Aber Jean-Claude Juncker war auf Cameron – und gleichfalls auf Victor Orban – aus rein persönlichen Gründen nicht gut zu sprechen, da sie gegen ihn als EU-Kommissionspräsidenten gestimmt hatten. Zwar hoffe ich noch immer auf ein zweites Referendum bei unseren britischen Nachbarn, doch sollten sie die EU verlassen, so bleibt dieser Makel gerade auch an Juncker hängen.

Nachahmer dürften sich aber auch deswegen wenig finden, da die Nehmerstaaten, die hohe Zuwendungen aus der EU-Kasse erhalten, eher dem Club treu bleiben. In der EU werden wir jedoch eine deutliche Verschiebung zu spüren bekommen, wenn die Briten mit ihrem Sinn für Marktwirtschaft und solide Budgets uns verlassen sollten. Vor diesem Hintergrund warne ich auch davor, die Einstimmigkeit bei weiteren Themengebieten zu Gunsten von Mehrheitsentscheidungen aufzugeben, wie dies der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble fordert: Schnell könnten sich dann diejenigen Politiker durchsetzen, die auf mehr Institutionen und Bürokratie sowie eine dauerhafte Transferunion setzen.

Migrantenfamilien von hinten in bunter Bekleidung mit Kinderwagen und Fahrrad.
Die Flüchtlingswelle brachte die Erosion des Ansehens von Angela Merkel – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa. Die ungeordnete Migration hat auch die Risse zwischen den westlichen und östlichen Regionen in Deutschland weiter vertieft. Der Streit über Verteilungsquoten für Flüchtlinge hat die EU tief gespalten, ohne Wege in die Zukunft zu öffnen. Der Ruf nach einem Ausbau der Frontex-Grenzschützer ist keine Antwort auf die Frage, was wir dann mit den aufgegriffenen Flüchtlingen tun. (Bild: Ulsamer)

„Schlechtes Personal ist sehr schwer loszuwerden“

Wenn man die Europäische Union als friedensstiftende und die Freiheit sichernde Gemeinschaft für unerlässlich hält – und dies tue ich! – dann bedrückt es noch mehr, wenn das Führungspersonal in weiten Bereichen sehr zu wünschen übriglässt. Natürlich sind wir als Wahlbürger unmittelbar beteiligt, wenn das Parlament neu besetzt wird, doch bei manchen Kandidaten frage ich mich schon, was sie denn nach ‚Europa‘ lockt. Noch mehr frappiert es, wer sich manchmal in die Riege der Kommissare verirrt. Und dabei denke ich nicht nur an Jean-Claude Juncker, den ich seit Jahren für eine krasse Fehlbesetzung halte. Er hat maßgeblich zu den Verwerfungen zwischen den eher west- und den mittel-osteuropäischen Staaten beigetragen. Seinen Reden zur Lage der Union fehlte jeglicher Esprit!

So hoffe ich sehr, dass durch die Europawahl mehr Abgeordnete ins Europaparlament gelangen, die auf eine Konsolidierung der EU und mehr Bezug zur Bürgerschaft setzen. Sollte dies nicht der Fall sein, dann werden extreme, populistische und nationalistische Kräfte zu einer Gefahr. In der EU brauchen wir hervorragendes ‚Personal‘ – in Parlament, Kommission und Verwaltung – wenn wir die anstehenden Probleme meistern wollen. „Wir haben viel Verständnis für die Millionen von Beschwerden, aber schlechtes Personal ist leider sehr schwer loszuwerden“, so heißt es in einem Song von Frank Raymond. Dennoch hoffe ich sehr, dass sich viel ‚gutes Personal‘ nach der Europawahl in Straßburg und Brüssel einfinden wird.

In der EU-Kommission setze ich eher auf Manfred Weber, den die Unionsparteien und die Europäische Volkspartei auf den Schild gehoben haben, als auf Frans Timmermans, den Kandidaten der Europäischen Sozialdemokraten. Warum, könnten Sie fragen? Es hat nichts mit der Parteiung zu tun, sondern mit der bisherigen Tätigkeit. Timmermans ist so etwas wie der Ober-Vize Junckers, und ich würde mir einen echten Neubeginn in der zum Teil abgewirtschafteten EU-Kommission wünschen. Die Vorhaltung, Weber habe bisher kein Ministeramt innegehabt, halte ich für vorgeschoben, denn als Ministerpräsident von Luxemburg war Juncker eher im Sturzflug – und Luxemburg entspricht mit 600 000 Einwohnern einer Großstadt. Trotz der aktuellen Gegensätze traue ich Manfred Weber zu, die Kluft zu unseren mittel-osteuropäischen Freunden wieder zu schließen.

Das Kolosseum in Rom. Ein Teil des Rundbogens.
Der Start zur Bildung eines zusammenwachsenden Binnenmarktes in Europa erfolgte 1957 in Rom mit den Römischen Verträgen als Grundlage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Die EU muss sich heute wieder stärker auf zentrale gesamteuropäische Aufgaben konzentrieren und muss alles tun, um Zukunft statt Zerfall in den Mittelpunkt zu rücken. (Bild: Ulsamer)

Mehr Gesprächsbedarf in größerer ‚Familie‘

Herausforderungen aller Orten, so könnte die Meldung des Tages aus der EU lauten, doch so war es immer – und dies gilt besonders für die Gründungsphase der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Jahre 1957. Inzwischen hat sich die Familie erweitert, und dies vor allem durch den Zerfall des Ostblocks. Selbstredend gibt es in größeren Familien auch mehr Gesprächsbedarf und auch mal Zoff. Doch hier sollte die Grundregel gelten, Probleme früh unter Freunden offen anzusprechen und zu lösen: Viel zu schnell werden juristische Mittel herangezogen, doch ein Club, ein Verein, in dem sich die Mitglieder gegenseitig vor Gericht zerren, der hat keine gute Zukunft vor sich.

Es macht gewiss keinen Sinn, die EU mit immer neuen Aufgaben zu überfrachten, noch ehe die bisherigen Themen abgearbeitet sind. Und der beständig erklingende Ruf nach ,mehr Europa‘ ist kein Beitrag zur Problemlösung, sondern eine billige Ausflucht. Wir brauchen auch kein ‚neues Europa‘ – wie Emmanuel Macron meint -, sondern Politiker und Beamte, die mit Herz und Verstand die Herausforderungen angehen und gemeinsam mit uns allen meistern. Wer sich immer nur in weitere Institutionen flüchtet und Verordnungen als modernen Peitschenersatz einsetzt, der schädigt die EU. Europa – und dies ist nicht nur die EU – soll weiter zusammenwachsen, und dies setzt eine stärkere Einbindung der BürgerInnen voraus. Alarmismus nutzt im Übrigen keinem, rückt höchstens nationalistische Gruppierungen über Gebühr in den Mittelpunkt. Zu schnell wird von einer ‚Schicksalswahl‘ gefaselt, doch dann folgt ein ziemlich müder Wahlkampf. EU-Wahlplakate muss man zumindest in Baden-Württemberg schon suchen, da sie zwischen den Konterfeis der Kommunalpolitiker verschwinden, die gleichzeitig um die Gunst der Wähler buhlen.

Madonna mit Kind aus weißem Marmor, links und rechts rötlich-braune Marmorsäulen und Blumen.
Die kulturelle Vielfalt ist seit Jahrhunderten ein Markenzeichen Europas. Dies zeigt sich gerade in der Kunst. Dazu gehört auch der Austausch, der sich beispielsweise an der ‚Madonna mit Kind‘ aufzeigen lässt: Michelangelo Buonarroti schuf diese Skulptur 1505 in Italien, und die Brüder Mouscron stifteten sie 1515 der Liebfrauenkirche im belgischen Brügge. Wir sollten auch noch intensiver darüber diskutieren, auf welchen Grundlagen sich Europa entwickelt hat und welchen Weg wir in die Zukunft einschlagen wollen. (Bild: Ulsamer)

Die Vielfalt der Kulturen ist die Stärke der EU

Frieden und Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat zu sichern, dies sind die vordringlichen Aufgaben der EU. Und dazu gehört auch eine etwas kräftigere gemeinsame Stimme in der Außenpolitik. Wohlstand und soziale Angleichung müssen wir parallel sichern, ohne in Bürokratie zu versinken oder zu einer Transferunion zu degenerieren. Als drittes wichtiges Aufgabenfeld ist der Natur- und Umweltschutz zu benennen, der deutlich intensiviert werden muss, ohne jedoch die Bodenhaftung zu verlieren: Es geht nicht um eine Grenzwerte-Schlacht und eine Verordnungsflut, sondern um die konsequente Umsetzung gemeinsamer Ziele. Dies kann auch nur gelingen, wenn die EU und die Nationalstaaten noch enger als bisher im Kampf gegen die Klimabedrohung zusammenarbeiten. Elektromobilität, dies sei nochmals erwähnt, macht nur Sinn, wenn der Strom aus regenerativen Quellen kommt und nicht – wie in Frankreich – überwiegend aus Atomreaktoren.

Mehr Dialog und Austausch im Vorfeld von Entscheidungen in der EU, aber auch in den Einzelstaaten würde manches Missverständnis und viele Konflikte schon gar nicht entstehen lassen. Ein Musterbeispiel ist die einsame Entscheidung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2015, einen Strom von Migranten ungeprüft und ungeordnet durch Europa nach Deutschland ziehen zu lassen. Die Brexiteers haben diesen Vorgang gnadenlos für ihre Brexit-Agitation ausgenutzt. In Ungarn und Polen fühlten sich nicht nur die Regierungen vor den Kopf gestoßen, als die Zuwanderer dann auch noch nach festen Quoten umverteilt werden sollten. Genauso wenig hat sich das Verhältnis zu Italien oder Griechenland verbessert, die sich beim Flüchtlingsansturm lange verlasen vorkommen mussten. Politische Probleme dieser Art sollten durch frühe Gespräche gelöst werden. Einzelstaatliche Entscheidungen dürfen den Zusammenhalt in der Gemeinschaft nicht gefährden, und dies bedeutet, die Beteiligten müssen miteinander statt übereinander sprechen.

Eine weiße Tauve sitzt in einem leeren Fesnterrahmen aus Natursteinen. Daneben eine Uhr mit goldenen Ziffern und Zeigern.
Die Friedenstaube ist ein wichtiges Zeichen, denn Frieden ist nicht aus sich heraus gegeben, sondern erfordert unsere gemeinsamen Bemühungen. Es ist höchste Zeit, über die alltäglichen Querelen unser Europa des Friedens und der Freiheit nicht aus den Augen zu verlieren. (Bild: Ulsamer)

Für ein Europa der Freiheit und des Friedens

Schließen möchte ich mit einem Zitat aus einer Rede, die Konrad Adenauer 1956 in Brüssel gehalten hat: „Die Verwirklichung der Europäischen Integration darf nicht starr sein, sie muß so dehnbar und elastisch sein wie eben möglich. Sie darf kein einschnürender Panzer sein für die europäischen Völker, sie muß vielmehr ihnen und ihrer Entwicklung ein gemeinsamer Halt, eine gemeinsame Stütze für eine gesunde, den berechtigten Eigenheiten eines jeden einzelnen entsprechende Entwicklung sein.“

Adenauer folgend meine ich: Die Europäische Union kann ihre Stärke nur aus der Vielfalt der Kulturen beziehen, wenn sie auf Dialog und Einbeziehung der Menschen setzt. Bürokratismus und Gleichmacherei sind kein gangbarer Weg in eine gemeinsame europäische Zukunft. Die Überkomplexität muss zurückgedrängt und die Demokratisierung aller Prozesse umgesetzt werden.

Wir brauchen ein gemeinsames Europa der Freiheit und des Friedens! Und Europa braucht uns alle!

 

4 Antworten auf „Europawahl: Für ein Europa der Bürger statt der Bürokraten“

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