Erdogan attackiert die Kurden mit deutschen Panzern

Haben wir unser letztes bisschen Würde verloren?

Das kann doch alles gar nicht wahr sein: Der amtierende Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Sigmar Gabriel, setzt sich für die Nachrüstung von “Leopard 2” -Kampfpanzern aus deutscher Produktion ein, die der türkische Präsiden Recep Tayyip Erdogan dazu nutzt, Kämpfer der kurdischen Volksverteidigungseinheiten in Syrien niederzuwalzen. Sicherlich war es mal wieder ein grobes ‘Missverständnis’, dass manche Medien nach einem Gespräch von Gabriel mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu in Goslar gar berichteten, Deutschland wolle gleich eine ganze Panzerfabrik in die Türkei liefern. Oder haben die beiden bei einem Tässchen Tee doch recht obskure Ideen diskutiert? Vielleicht habe ich auch etwas falsch verstanden, aber warum hält sich die Regierung meines Landes demonstrativ zurück, wenn türkische Panzer nach Afrin in Syrien rollen und dort Jagd auf Kurden machen, die wir in der westlichen Welt gerade noch als die Freiheitskämpfer gefeiert haben, die den Islamischen Staat zurückschlagen? Ist es Satire, wenn Gabriel als amtierender Außenminister nun die Nachrüstung von “Leopard 2”-Panzern beim türkischen Militär nicht kategorisch ablehnt, sondern die Entscheidung bei den Koalitionsverhandlungen zwischenparkt?

Panzer der türkischen Armee in einem Bericht der "Tagesschau" mit dem Titel "Türkische Sicherheitsinteressen".
„Legitime türkische Sicherheitsinteressen”? Gerade wir Deutschen sollten vorsichtig sein, wenn Truppen in andere Staaten einmarschieren und dies dann als Wahrung von Sicherheitsinteressen kaschiert wird. Was soll die Welt von uns denken, wenn wir vor einem zunehmend despotisch agierenden Präsidenten kuschen? Nicht nur jeder Türke oder Kurde hat seine Ehre und möchte seine Würde behalten, sondern auch wir Deutschen. (Bild: Screenshot, „tagesschau.de”. 25.1.18)

Der selbst angelegte Maulkorb

Da keimt in mir doch der üble Verdacht auf, dass sich die von der geschäftsführenden Bundeskanzlerin geführte Bundesregierung selbst einen Maulkorb verpasst, da Angela Merkel befürchtet, der Despot vom Bosporus könnte die Grenzen wieder öffnen und die nächsten Millionen an Flüchtlingen auf die Balkanroute schicken! Aber so weit wird es doch noch nicht mit Deutschland gekommen sein, dass wir einem gewählten Staatschef nicht mehr entgegentreten, der sich mehr und mehr von demokratischen Prozessen entfernt. Ein Blick in unsere eigene Geschichte sollte uns doch sehr schnell klarmachen, wo man landet, welche Gräueltaten möglich sind, wenn der Widerspruch zu spät kommt.

Bereits bei den Streitereien um das Besuchsrecht von Bundestagsabgeordneten bei deutschen Soldaten in Incirlik war ich frappiert, mit welcher Eselgeduld die deutsche Bundesregierung sich von Erdogan und seinen Vasallen herumschupsen ließ. Erst nach monatelanger Polemik und wahrer Beleidigungsorgien aus Ankara raffte sich die Bundesregierung auf und verlegte unsere Soldaten nach Jordanien, um von dort aus die kämpfenden Einheiten anderer Staaten durch Luftaufklärung zu unterstützen.

Erdogan nicht nach dem Mund reden

Ich hätte mir jedoch nie vorstellen können, dass die deutsche Regierung es hinnimmt, wenn türkisches Militär mit Panzern Made in Germany nach Syrien einmarschiert, um dort eine sogenannte Sicherheitszone einzurichten. Diesem Vormarsch fallen nicht nur die von der türkischen Regierung als Terroristen bezeichnete Kurdenmiliz YPG zum Opfer, sondern auch Zivilisten. Und ganz nebenbei setzt Erdogan, mit dem Angela Merkel ihren Flüchtlingspakt abschloss, die nächste Fluchtwelle in Marsch. Bei aller Freundschaft, die Deutschland und die Türkei seit langen Jahren verbindet, wäre es doch an der Zeit, hier Tacheles zu reden.

Aber das Gegenteil ist der Fall, so betonte die Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmel laut „tagesschau.de“ zwar, man betrachte die Lage mit Sorge, aber erkannte auch „legitime türkische Sicherheitsinteressen an der Grenze zu Syrien“. Das schlägt doch dem Fass den Boden aus! Wenn wir einer solchen Argumentation folgen, dann werden die gewalttätigen Konflikte in unserer Welt geradezu explodieren. So eine nette, nach Gutdünken selbst festzulegende Sicherheitszone hätte für manchen Machthaber ihren Charme.

Sahra Wagenknecht mit dem Text" Dass in Syrien jetzt deutsche Panzer, die an das islamistische Regime Erdogans geliefert wurden, die Kurden in Syrien niederwalzen, ist ein Offenbarungseid der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik."
So habe ich mir meine kleine politische Welt nicht vorgestellt: Die geschäftsführende Bundesregierung lässt verkünden, es gäbe beim Einmarsch türkischer Truppen in Syrien „legitime türkische Sicherheitsinteressen an der Grenze zu Syrien”. Und ausgerechnet Sahra Wagenknecht von der Linkspartei kritisiert dann scharf, dass mit Panzern aus Deutschland die Kurden niedergewalzt werden. Eigentlich hätte ich diese deutlichen Worte von der Union und der SPD erwartet. (Bild: Screenshot, „spiegel online”, 25.1-18)

Wenn Erdogan im Innern seines Landes jeden demokratisch und fortschrittlich gesinnten Bürger zu einem Anhänger der Gülen-Bewegung abstempelt und damit als Staatsfeind brandmarkt und in allen Kurden Terroristen sieht, dann müssen die westlichen Demokratien widersprechen. Aber er kann nicht nur bei seinen Handlungen innerhalb der Türkei mit Nachsicht rechnen, sondern auch beim Einmarsch in Syrien. „Jetzt liegt es an uns, diese Terrorarmee zu erdrosseln, bevor sie noch geboren wird“, so Präsident Erdogan. Gemeint sind damit die kurdischen Verbände, denn der IS wurde von eben diesen längst aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet vertrieben.

Wertegemeinschaft ade

Oder ist die Zurückhaltung der Bundesregierung auch der Einstellung vieler in Deutschland lebenden Türken geschuldet? Innenpolitisch gibt es bereits genügend Streitereien zwischen nationalistisch-türkischen und kurdischen Gruppen auf deutschem Hoheitsgebiet, und in erschreckender Weise zeigte es sich auch beim türkischen Verfassungsreferendum, dass unsere türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Essen, Düsseldorf oder Stuttgart deutlich stärker für Erdogans Machtentfaltung stimmten als ihre Landsleute in Istanbul, Izmir oder Ankara.

Präsident Erdogan zweifelt an der Menschlichkeit derer, die ihm bei seiner Attacke auf syrische Kurden in den Arm fallen wollen.
Ganz ehrlich: Längst habe ich die Nase voll von den Verdrehungen des türkischen Präsidenten, der innerhalb der türkischen Landesgrenzen und jetzt auch außerhalb Jagd auf alle macht, die ihm im Wege stehen. Für mich ist es bedrückend, wie Erdogan sich eine ganz eigene Welt zusammenbastelt und dabei auch die deutsch-türkische Freundschaft aufs Spiel setzt. (Bild: Screenshot, „tagesschau.de”, 25.1.18)

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir dem NATO-Partner Türkei verständlich machen müssen, dass wir nicht gewillt sind, uns ständig eine Watschen abzuholen und uns dann auch noch freundlich dafür zu bedanken. Die NATO ist eine Wertegemeinschaft, doch die gemeinsame Basis hat die Türkei unter Präsident Erdogan längst verlassen. Wer Hunderttausend Staatsbedienstete aus dem Amt wirft, da sie verdächtigt werden, einen Staatsstreich angestiftet zu haben, wer deutsche Staatsbürger ohne Anklage und Prozess einkerkert, Oppositionelle ins Gefängnis steckt, der kann doch nicht gemeinsam mit großen Teilen der westlichen Welt die Freiheit verteidigen. In einem Land, in dem man hinter Gittern landet, wenn man die Ermordung von mehr als einer Million Armenier als Völkermord bezeichnet, drohen die Lichter der Freiheit auszugehen.

Ohne Würde gibt es keine Zukunft

Wir sind es auch den türkischen und kurdischen Bürgerinnen und Bürgern schuldig, die Stimme gegen Erdogans Menschenrechtsverletzungen zu erheben, die sich genau wie wir für Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie einsetzen. Gerade auch die Kurden dürfen wir nicht wieder im Stich lassen, die an vorderster Front im Irak und in Syrien erfolgreich gegen den terroristischen Islamischen Staat kämpften. Sie haben ein Recht auf regionale Selbstbestimmung, wenn ihnen schon seit einem Jahrhundert ein eigener Staat verweigert wird. Wenn wir nicht zu den Kurden stehen, dann müssen wir uns auch nicht wundern, wenn diese und andere Kräfte den Glauben an den freiheitlichen und demokratischen Westen verlieren.

Donald Trump und Recep Tayyip Erdogan gemeinsam im Bild. Bericht über ein Telefonat, bei dem der US-Präsident seinen türkischen Kollegen zur Zurückhaltung im Konflikt mit syrischen Kurden auffordert.
Zwar hatte die türkische Regierung die USA als Partner im NATO-Bündnis vor dem Angriff auf die syrische Grenzregion um Afrin informiert, dennoch besteht bei diesem militärischen Vorstoß die Gefahr, dass türkische Einheiten auf US-Soldaten treffen, die in Syrien operieren. Wenn es hier zu einem Gefecht käme, würde der Konflikt weiter eskalieren. Daher telefonierte Donald Trump mit Erdogan, um ihn zur Mäßigung aufzufordern. Ob dies allerdings beim türkischen Präsident auf offene Ohren trifft, ist kaum zu erwarten. Er trägt lieber zur Verschärfung von Konflikten als zu deren Beendigung bei. Musterbeispiel ist der Abschuss eines russischen Kampfjets 2015 an der syrischen Grenze durch das türkische Militär. (Bild: Screenshot, „Kurdistan24/ Facebook”, 25.1.18)

Die Kurden wurden bereits vom Staatsgründer Atatürk verschaukelt, der ihnen mehr regionale Selbstbestimmung versprach, wenn sie die Gründung der modernen Türkei mittragen. Aber auch das Vereinigte Königreich, Frankreich und die USA hatten bei willkürlichen Grenzziehungen die Interessen der Kurden nicht im Blick. Und den Russen geht es heute ebenfalls nur um die Sicherung von Militärstützpunkten in Syrien und die Ausweitung ihres Einflusses auf Syrien und die umliegenden Regionen. Aber im Irak und in Syrien haben die Kurden mit Unterstützung der USA das Terrorregime des Islamischen Staats beendet. Und zum Dank dafür werden sie jetzt wieder einmal vergessen! So konnte auch im Irak die anfänglich recht hasenfüßige irakische Armee, die sich den Islamisten nicht in den Weg gestellt hatte, nach der Vertreibung des Islamischen Staats durch die Kurden diesen in den Rücken fallen. Und der Westen schwieg, genau wie jetzt beim völkerrechtswidrigen Vorrücken türkischer Verbände auf syrisches Gebiet.

Ehre, Würde, Stolz sind wichtige Begriffe nicht nur in der Türkei, sondern auch in anderen Regionen. Niemand wird uns in weiteren Krisen und Konflikten vertrauen, wenn wir gegenüber Präsident Erdogan nicht deutlich zum Ausdruck bringen, dass auch wir unsere Würde und unsere Ehre nicht verlieren wollen. Wer schon betteln muss, damit seine gewählten Abgeordneten ihre Soldaten besuchen dürfen, wer um einen fragwürdigen Flüchtlingspakt nicht zu gefährden, ständig kuscht, wer fleißig Panzer liefert, die der Unterdrückung von Andersdenkenden dienen, der verhält sich würdelos und verliert seine Ehre. Da möchte ich nicht mittun und fordere die Bundesregierung auf, sich für Freiheit und Demokratie, für die Rechte der Andersdenkenden in der Türkei und die regionale Selbstbestimmung der Kurden einzusetzen. Waffenlieferungen an die Türkei sind sofort einzustellen!

 

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