Drei gegen die Bürgerschaft: May – Macron – Merkel

Bürgerinnen und Bürger fordern eine echte Einbeziehung

Vor mehreren Jahrzehnten habe ich einen Staatssekretär getroffen, der mir seinen Politikstil nahebringen wollte: Er betonte, dass er sich unter den Menschen in seinem Wahlkreis umhöre und dann versuche, ihre Anregungen in politisches Handeln umzusetzen. Dies war nicht nach meinem Geschmack, denn ich erwartete, dass Politiker von einer festen Wertebasis ausgehen, natürlich die tägliche Realität einbeziehen, aber gewiss nicht dem Volk nach dem Maul reden! Doch inzwischen muss ich dem Staatssekretär früherer Zeiten Abbitte tun, denn inzwischen treffe ich immer häufiger Politikerinnen und Politiker, die weit entfernt vom Alltagsleben der Bürgerinnen und Bürger eine Politik machen, die mich oft fassungslos zurücklässt. Statt zuzuhören haben sich Theresa May, Emmanuel Macron und Angela Merkel darauf verlegt, der Bürgerschaft eine Polit-Suppe vorzusetzen, die zunehmend weniger Menschen schmeckt und bei deren Zubereitung sie auch nicht gefragt wurden. May, Macron und Merkel verbindet die seltsame Vorstellung, dass sie allemal im Recht und selbstredend auf dem richtigen Weg seien.

Gebilde aus großen Granitfelsen. Ganz oben eine riesige steinerne Keule. Der Stein ist hellbraun.
May, Macron und Merkel haben sich zu weit vom Volk entfernt – und die politische Keule droht. Emmanuel Macron ist zwar bei seinen außenpolitischen Terminen ein charmanter Blender, doch er hat sich von seinen Bürgerinnen und Bürgern entfernt. Visionäre Selbstbeweihräucherung ersetzt keine sachgerechten Lösungen für die Alltagsprobleme der Bürgerschaft. So kommt es nicht von ungefähr, dass gerade auch in den ländlichen Regionen viele Menschen eine gelbe Weste übergestreift haben. Die Gelbwesten-Bewegung entstand in der Heimat von Asterix in der Bretagne. Und Obelix hätte diese steinerne Keule geliebt! Nach den Römern wird sich auch Macron die Zähne an den Bretonen und Gleichgesinnten ausbeißen. (Bild: Ulsamer)

Gelächter, Kopfschütteln, Widerstand

Theresa May, die Zockerin aus London, hat zwar keine Mehrheit im britischen Parlament für ihre Brexit-Phantasien, aber sie ist sich sicher „this deal is the right one“. Die Premierministerin hat über lange Wegstrecken völlig konträre Gruppierungen mit Zusagen erfreut. Emmanuel Macron, der Präsident der großen Worte und kleinen Taten, tut es nicht unter dem Motto, man müsse ein „demokratisches Europa neu gründen, wieder gründen“.  Eigentlich dachte ich ja, wir würden schon in einem demokratischen Europa leben. Nun gut. Oder schlecht. Dann hat noch Angela Merkel ihren Auftritt im Komödienstadel, die ‚Wir schaffen das‘-Kanzlerin mit dem Standardsatz: „Ich wüsste nicht, was wir anders machen sollten.“ Ich schon! Aus meiner Sicht nimmt die Politik der britischen Premierministerin, des französischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin immer öfter skurrile Züge an. Leben denn viele unserer führenden europäischen Politiker in einem Wolkenkuckucksheim? Sie scheinen häufig uns BürgerInnen gänzlich zu vergessen, obwohl das Volk doch der Souverän ist. Oder nicht?

Mit meinen kritischen Anmerkungen möchte ich natürlich nicht andeuten, dass ich nur zufrieden wäre, wenn alle PolitikerInnen meiner Meinung wären. Das hätte zwar seinen Reiz, aber es wäre auch langweilig und mit Sicherheit nicht immer zielführend. Was allen drei Persönlichkeiten fehlt, ist jedoch die Bereitschaft zur konstruktiv-kritischen Diskussion. So erntete Theresa May bei der Brexit-Debatte im Unterhaus auch nur schallendes Gelächter, als sie meinte, sie habe die kritischen Anmerkungen zum Ausstiegsabkommen doch in ihr politisches Handeln aufgenommen. Emmanuel Macron, der seine europapolitischen Visionen mehr liebt als das eigene Volk, bekam Besuch von Hunderttausenden von ‚Pannenhelfern‘ in gelben Westen. Und Angela Merkel flog nach Marrakesch, um als einzige hochrangige Politikerin den Migrationspakt zu unterschreiben, obwohl sie sich in ihrem Heimatland um eine breite Diskussion gedrückt hatte. Zwar braucht sie wohl keine Angst zu haben, die kritischen Geister würden sie in gelben oder orangen Warnwesten heimsuchen, denn dazu neigen wir Deutschen ja weniger als unsere Nachbarn, aber die Wahlergebnisse sprechen eine deutliche Sprache. Und irgendwie sollte Merkel den Aufwuchs der Stimmen und Mandate bei der AfD endlich als Warnsignal verstehen.

Theresa May mit dunklem Blazer und einer Kette mit großen Kugeln im Parlament am Rednerpult.
Wie weit sich Theresa May inzwischen nicht nur von vielen Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch von den Abgeordneten entfernt hat, zeigte sich bei der Brexit-Debatte. Im Unterhaus erklang immer wieder lautes Lachen, wenn sie meinte, sie habe die kritischen Anmerkungen zum Ausstiegsabkommen doch in ihr politisches Handeln aufgenommen. Engstirnig und abgehoben macht sie sich für das Austrittsabkommen stark, obwohl sie ursprünglich gar nicht die ‚Leave‘-Kampagne unterstützte. (Bild: Screenshot, Twitter, 11.12.18)

Wenn es am Augenmaß fehlt

„Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“, so Max Weber in seiner 1919 erschienenen Schrift ‚Politik als Beruf‘.  May, Macron und Merkel würde ich noch Leidenschaft attestieren, obwohl sich diese doch recht unterschiedlich äußert, aber mit dem Augenmaß scheint es bei allen Drei zu hapern. Ansonsten würde wohl Premierministerin May nicht unverdrossen den Brexit-Deal durchdrücken wollen, obwohl die Mehrheit ihres Volkes – auf das sie sich so gerne beruft – längst für die weitere Mitgliedschaft in der Europäischen Union votiert. Und es ficht sie auch nicht an, wenn sie sich in der eigenen Parlamentsfraktion einem Misstrauensvotum stellen musste. Als französischer Präsident wurde Macron erst durch die Gelbwesten und gewalttätige Auseinandersetzungen aus seinem Visions-Schlaf geweckt: die Alltagsprobleme seiner BürgerInnen hatten ihn bis dato nicht wirklich interessiert. Aber so etwas soll bei ehemaligen Investmentbankern ja vorkommen. Und Angela Merkel spaltet mit ihrer Flüchtlingspolitik unsere Europäische Union, statt unterschiedliche Ansichten im Dialog zusammen zu führen. Und selbst im eigenen Land vermochte es die Kanzlerin aus Mecklenburg-Vorpommern nicht, die Risse zwischen den westlichen und östlichen Bundesländern zu schließen.

Ich kann bei Angela Merkels Migrations- und Flüchtlingspolitik beim besten Willen kein Augenmaß erkennen, denn wer den UN-Migrationspakt mit möglichst wenig Diskussionen durchwinkt und dabei hofft, den Flüchtlingspakt gleich ganz am eigenen Volk vorbeischmuggeln zu können, der stärkt damit allemal nicht den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Ich bin weit davon entfernt, den schwammigen Migrationspakt zur globalen Gefahr um zu stilisieren, doch er wird den Migranten wenig helfen. Dagegen zerstört er das Vertrauen zwischen den EU-Regierungen. Abstrus ist es für mich, dass die Bundeskanzlerin zur Absegnung des Migrationspakts nach Nordafrika eilt, den ansonsten eher Staatssekretäre oder höhere Beamte unterschreiben, obwohl sie weiß, dass dies Österreich, Polen und Ungarn nicht sonderlich erfreuen wird. Ihre Parteifreundin und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will nicht sehen, dass Angela Merkel den Spaltpilz in Europa fleißig düngt, sondern betont: „Die Kanzlerin hat hohe Anerkennung und Autorität im Ausland.” Diese Aussage passt genau zu den weltfremden Äußerungen von Merkel zum Migrationspakt. Und der Realitätsverlust scheint bei Ursula von der Leyen auch in ihrem Regierungsamt vorzuherrschen.

May in einem Tweet: "Ending free movement once and for all, with a new skills-basede immigration system".
Die britische Premierministerin sieht in der Migration nicht die „Quelle des Wohlstands” – wie es im UN-Migrationspakt heißt: Theresa May preist den Brexit-Deal gerade auch mit dem Ende der Freizügigkeit an. Das Thema Migration hatte viele WählerInnen beim ersten Referendum dazu bewogen, für den Austritt aus der EU zu stimmen. (Bild: Screenshot, Twitter, 11.12.18)

Migration als „Quelle des Wohlstands“?

„Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte“, so der Migrationspakt, „und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt und dass diese positiven Auswirkungen durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik optimiert werden können.“ Selbstredend gehört die Migration zur Geschichte. Für die daraus abgeleiteten Aussagen und ziemlich gewagten Feststellungen würde ich mir allerdings etwas mehr Belege wünschen.

Keine Frage ist es für mich, dass die deutsche Wirtschaft ohne MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund nicht vorankommen könnte, und dies wird auch niemand bestreiten. Dabei handelte es sich aber beispielsweise beim Zuzug aus Italien – damals noch unter dem falschen Vorzeichen ‚Gastarbeiter‘ – oder aus Griechenland und der Türkei um Menschen, die wegen der Arbeitsmöglichkeiten nach Deutschland kamen. Wenn aber Migration immer eine „Quelle des Wohlstands“ wäre, dann müssten die Staaten mit der größten Zahl an Menschen, die aus anderen Ländern aufgenommen wurden, an der Spitze des wirtschaftlichen Erfolgs marschieren. Millionen Flüchtlinge aufzunehmen, dies ist für manche Staaten eher eine Bürde, und auf den Wohlstand warten sie bisher vergeblich. Wer derartig vereinfachende Darstellungen unterschreibt, der handelt fahrlässig und sollte zumindest kritische Anmerkungen in die Entscheidungen einbeziehen.

Angela Merkel im hellblauen Blazer am Rednerpult in Marrakesch.
Bundeskanzlerin Merkel eilte nach Marrakesch, um sich für den Migrationspakt auszusprechen. Die Flüchtlings- und Migrationspolitik von Angela Merkel hat den Spaltpilz in Deutschland und Europa wachsen lassen. (Bild: Screenshot, Twitter, 11.12.18)

Flüchtlingspakt: Tatsächliche Ursachen verschwiegen

Also mit dem Augenmaß ist es nicht nur beim Migrationspakt nicht weit her, sondern dies gilt in gleichem Maße für den Flüchtlingspakt, den ich ebenfalls für wenig fundiert halte. Um möglichst viele Staaten zur Unterschrift zu bewegen, werden Fakten verzerrt dargestellt. Auch ich bin für die „Bekämpfung der tieferen Fluchtursachen“, jedoch werden – wie durch ein kleines politisches Wunder – folgende Auslöser genannt: „Klima, Umweltzerstörung und Naturkatastrophen sind zwar für sich selbst genommen keine Ursachen für Fluchtbewegungen, stehen aber immer häufiger in Wechselwirkung mit den Triebkräften solcher Bevölkerungsbewegungen.“

Habe ich da in den letzten Jahren etwas verpasst? Die zentralen Ursachen für die Flüchtlingswellen aus Afghanistan oder Syrien und aus vielen afrikanischen Staaten sind doch keine Naturkatastrophen, sondern Bürgerkriege und Vertreibungen. Und dies gilt ja wohl auch für die Rohingya in Myanmar. In einem Pakt für Flüchtlinge die Auslöser der Migration zu verschweigen, das halte ich gelinde gesagt für einen politischen Skandal. Die Begriffe Bürgerkrieg oder Krieg werden ganz einfach nicht benannt. Ein „starkes langsames Bohren“, das Max Weber als Grundlage der Politik sieht – denn Migrationsthemen sind natürlich „harte Bretter“ – ist bei diesen Abkommen nicht zu erkennen: Der Flüchtlings- bzw. der Migrationspakt sind Ansammlungen fauler Kompromissformeln, die weder den Herkunfts- oder Zielländern noch den Migranten nutzen.

Macron mit Anzug und Krawatte vor der französischen und der EU-Flagge.
Viel zu spät wandte sich der französische Präsident an seine Bürgerinnen und Bürger, um über deren Probleme zu sprechen. Die Gelbwesten reagierten verhalten, obwohl er einen Teil der Schuld für das Kommunikationsdesaster auf sich nahm. Apropos Kommunikation: Wieder sprach der König aus seinem Palast zum Volk – diesen Eindruck vermittelten die Aufnahmen. Hätte Emmanuel Macron nicht einen anderen Ort finden können? (Bild: Screenshot, Twitter, 11.12.18)

Ziele dürfen nicht im Unendlichen liegen

Mit Augenmaß hat es im Übrigen auch wenig zu tun, wenn Emmanuel Macron immer neue europapolitische Visionen entwickelt, so z.B. die „wahre europäische Armee“, ohne sich jedoch Gedanken über die Umsetzung zu machen. Ein Landsmann von Macron, der französische Soziologe Emile Durkheim, unterstrich in seinen Vorlesungen an der Pariser Sorbonne in den Jahren 1902/03: „Damit uns die Tätigkeit Freude macht, müssen wir fühlen, daß unsere Tätigkeit zu etwas nutzt, d.h. daß sie uns dem erwünschten Ziel näherbringt. Aber man nähert sich keinem Ziel, das im wahrsten Sinn im Unendlichen liegt. Der Abstand bleibt immer der gleiche, wieweit man auch geht. Gibt es etwas Enttäuschenderes, als auf ein Ziel loszugehen, das nirgends liegt, weil es in dem Maß zurückweicht, wie wir uns vorwärtsbewegen?“ Vielleicht hätte Macron in einer ruhigen Stunde Durkheim lesen sollen, doch er trug sich vermutlich – verliebt ins eigene Wort – seine Visionen vor dem Spiegel selbst vor! Nun hat der charmante Blender Macron von den Gelbwesten die Quittung erhalten. Die Folgen allerdings bekommen zahllose Ladenbesitzer oder Polizisten zu spüren.

Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Die PolitikerInnen, denen es am richtigen Augenmaß vielfach fehlt, saßen auch beim G 20-Gipfel in Hamburg sicher, geborgen und bestens bewacht in der Elbphilharmonie und lauschten erhabenen Meisterwerken der Musik, während der Schwarze Block marodierend, brandschatzend und plündernd durch die Straßen zog. Zum Dank für die großartige Sicherheitsleistung wurde Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz dann zum Finanzminister in Berlin befördert.

Denkmal für Alexis de Tocqueville im gleichnamigen französischen Ort. Die dunkle Skulptur zeigt ein freundliches Gesicht - umgeben von einer lockigen Haarpracht.
Alexis de Tocqueville wies schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die Bedeutung hin, die der engen Einbindung der Bürgerschaft in die Politik zukommt. Ansonsten sehen sie sich einer negativen Macht gegenüber „einem mächtigen Fremden, Regierung geheißen”. (Bild: Ulsamer)

BürgerInnen fühlen sich nicht ernstgenommen

Die Gelbwesten in Frankreich, die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien oder zum Teil auch die AfD in Deutschland werden durch das Empfinden der WählerInnen gespeist, sie würden von der Regierung nicht richtig wahrgenommen. In Italien sitzen Beppe Grillos Anhänger jetzt selbst in der Regierung. Die Gelbwesten haben das ‚System Macron‘ schwer erschüttert, daran kann auch seine Ansprache nichts ändern. Und mal sehen, wer in Sachsen bei den Landtagswahlen 2019 die Nase vorn hat. Bei mir klingelten schon vor geraumer Zeit die Alarmglocken, und ich kann es bis heute nicht glauben, dass May, Macron und Merkel verspätet oder gar nicht den Glockenschlag hören, der sie wachrütteln müsste.

Ich erlaube mir nochmals einen Rückgriff auf einen von mir sehr geschätzten französischen Autor aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Alexis de Tocqueville schrieb in ‚Über die Demokratie in Amerika‘: „Es gibt europäische Nationen, in denen der Bewohner sich als eine Art von Leibeigenem vorkommt, dem die Geschicke seines Wohnortes gleichgültig ist. Die größten Wandlungen in seinem Lande erfolgen ohne seine Mitwirkung; er weiß nicht einmal genau, was vor sich gegangen ist; ihm schwant etwas davon; er hat vom Ereignis zufällig gehört.“  Nun sind wir selbstredend keine Leibeigenen, doch viele BürgerInnen fühlen sich abgehängt und immer häufiger – trotz der (sozialen) Medien – nicht ausreichend einbezogen. Musterbespiel: Der Migrationspakt. Fahren wir mit Tocqueville fort: „Und mehr noch, das Los seines Dorfes, die Ordnung in seiner Straße, das Geschick seiner Kirche und seiner Pfarrei berühren ihn nicht: er denkt, daß alle diese Dinge ihn in keiner Weise angehen und daß sie einem mächtigen Fremden, Regierung geheißen, gehören.“ Wer sich nicht in der politischen Diskussion willkommen fühlt, der schiebt alle Probleme der Regierung zu, und die innere Distanz zum Gemeinwesen wird immer größer. Dann nutzen auch die Aufrufe von Außenminister Heiko Maas nichts, die Bürger sollten sich endlich von der Couch erheben. Die einen haben mit unserer Gesellschaft abgeschlossen, und die aktiven Mitdenker werden viel zu schnell in eine linke oder rechte Ecke verfrachtet.

Theresa May im dunklen Mantel und Angela Merkel im hellen Blazer mit dunkler Hose. Sie schütteln sich die Hände.
Zwei Oberlehrerinnen im Gespräch: Theresa May versuchte Angela Merkel vergeblich, zu Nachverhandlungen beim Brexit-Abkommen zu bewegen. Die Bundeskanzlerin lehnte dies ab, stellte aber Präzisierungen außerhalb des Abkommens in Aussicht. Diese werden der britischen Premierministerin nichts nützen, denn die hard Brexiteers und die nordirische DUP lehnen den Backstop ab, weil dieser einen Sonderstatus für Nordirland schaffen würde – wenn es keine Einigung über ein Freihandelsabkommen geben sollte. (Bild: Screenshot, Twitter, 11.12.18)

Setzt die regierenden Oberlehrerinnen und Besserwisser vor die Tür!

Ich habe den Eindruck, dass Theresa May und Angela Merkel sich nicht als Teil eines gesellschaftlichen Diskurses betrachten, sondern eher als Oberlehrerinnen der Nation, und bei Emmanuel Macron würde ich eher auf königlichen Besserwisser tippen. Zu meinem Politikverständnis gehört es, dass vorausschauend Probleme erkannt und aufgegriffen werden. Dies alles kann nur im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern erfolgen, die keine Lust haben als Claqueure missbraucht zu werden. Außerdem wurden Claqueure für den Beifall, den sie spenden, bezahlt, und heute ist es andersherum: Die Abgeordneten und Regierungsmitglieder leben von Steuergeldern und erwarten für all ihr Handeln oder Nichthandeln unseren Applaus. Gerne spende ich diesen, wenn das politische Ergebnis in die richtige Richtung weist. Und dies geht sicherlich auch unseren Nachbarn in Frankreich oder im Vereinigten Königreich so. Aber es steht uns gleichwohl das Recht zu, sachgerechte Kritik zu üben, und wir wollen nicht nur gehört werden, sondern die sachorientierten Beiträge der Bürgerinnen und Bürger müssen auch in die Entscheidungen von Parlamenten und Regierungen Eingang finden.

Zum Schluss mache ich nochmals eine Anleihe bei einem politischen Denker, diesmal von den britischen Inseln, die der Brexit zu zerreißen droht. John Stuart Mill schrieb in seinen ‚Considerations on Representative Government‘ im Jahre 1861, dass “die der Idee nach beste Regierungsform diejenige (sei), in der die Souveränität, also die höchste und letztlich kontrollierende Gewalt, bei der Gesamtheit der Gesellschaft ruht. Wobei jeder Bürger nicht nur eine Stimme bei der Ausübung der höchsten Souveränität besitzt, sondern zumindest gelegentlich auch aktiv an der Regierung teilnimmt durch die persönliche Ausübung einer öffentlichen Funktion, sei sie lokal oder allgemein.”

Liegt denn wirklich die „kontrollierende Gewalt“ bei den Bürgerinnen und Bürgern? Da habe ich doch so meine Zweifel: Nach allen Umfragen will die Mehrheit der Engländer, Schotten, Nordiren und Waliser nach Kenntnis des Brexit-Deals nicht mehr aus der Europäischen Union aussteigen. Theresa May allerdings versucht mit allen Tricks, ein zweites Referendum zu verhindern. Selbst das Parlament wollte sie mit 500 Jahre alten Regelungen an den Rand drängen. Nun wollen nicht alle Gelbwesten gleich an der Regierung teilnehmen, doch sie fordern, dass Emmanuel Macron ihre Alltagswirklichkeit zur Kenntnis nimmt. Und in Deutschland sollte trickreich eine breite und kritische Diskussion von Migrations- und Flüchtlingsabkommen umgangen werden. Sachgerechte Kritik verwandelt sich bei May, Macron und Merkel & Co. vorschnell zur Majestätsbeleidigung.

Wir brauchen in Deutschland, Frankreich und im Vereinigten Königreich – und in ganz Europa und unserer gemeinsamen Welt – wieder mehr offenen Dialog und Debatten. Gute Zukunftslösungen werden für viele Probleme nur durch eine breite Kommunikation zu erzielen sein. May, Macron und Merkel müssen ihre Selbstgespräche beenden und das Gespräch mit der Bürgerschaft aufnehmen. Aus dem Dialog muss dann zeitnah konsequentes Handeln resultieren!

 

Farbiges modernes Glasfenster in der Belfaster City Hall mit der eingelegten Schrift: 'Not as catholics or protestants / not as nationalists oder unionists / But als Belfast workers standing together'.
Theresa May gestand nur unter dem Druck der anderen EU-Staaten eine Rückfallposition (Backstop) für Nordirland im Brexit-Deal zu. Diese soll verhindern, dass die grüne Insel wieder durch eine harte Grenze geteilt wird. Die Brexiteers in ihrer Conservative and Unionist Party sind erwartungsgemäß nicht begeistert und blasen gemeinsam mit der nordirischen Democratic Unionist Party zum Angriff auf die Premierministerin und das Brexit-Abkommen. Die EU darf sich hier zu keinerlei Nachverhandlungen breitschlagen lassen, denn ansonsten könnte der nordirische Konflikt wieder gewalttätig aufflammen. Das Fenster in der Belfaster City Hall macht deutlich, worum es geht: Katholiken und Protestanten müssen Schritt für Schritt zueinander finden. (Bild: Ulsamer)

 

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