Die Irrwege der deutschen Politik: Diesel, Gender und Wölfe

Wenn das stille Örtchen zum Politikum wird

Manchmal frage ich mich schon, welche Themen unser Land umtreiben: Da bekommen wir die Integration der Flüchtlinge nicht wirklich gestemmt, noch nicht einmal die Asylanträge und die daraus resultierenden juristischen Schritte können wir zügig abwickeln. Mario Draghi raubt uns als Präsident der Europäischen Zentralbank unsere Zinserträge, und nicht nur unsere Ersparnisse verwelken, sondern auch die Vielfalt an Pflanzen schwindet, Wildbienen und Schmetterlinge werden zur Seltenheit. Immer mehr Menschen stehen bei den Tafeln an, damit ihr Tisch zu Hause etwas freundlicher wirkt. Zahllose Kinder kommen ohne Frühstück in Kindergärten und Schulen. Gleichzeitig konzentrieren sich Lobbyisten in eigener Sache und Teile der Politik auf die Emissionen von Dieselfahrzeugen, fordern eine dritte Tür für das stille Örtchen oder hetzen gegen die wenigen Wölfe, die wieder in Deutschland leben.

Auch ein Blick in den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD lässt keine größere Weitsicht erkennen: Das „Zahnbonusheft“ soll es digital geben und über eine App können Bürgerinnen und Bürger Funklöcher melden, als würden die Mobilfunkanbieter diese nicht längst kennen. Für die wirklich wichtigen Fragen dagegen wie den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung oder die Sicherung der Renten werden Kommissionen gebildet. Viele Menschen in dieser Welt, die unter Armut, Hunger oder Wasserknappheit leiden, würden sicherlich gerne ihre Probleme mit den unsrigen tauschen. Und dies ist nicht zuletzt ein Grund dafür, dass sie sich auf den Weg nach Deutschland machen.

Transparent "Feinstaubalarm" an einer Brücke an der B14, die in die Stuttgarter Innenstadt führt.
Die Luft war seit der industriellen Revolution – vielleicht auch seit dem Mittelalter – in unseren Städten noch nie so gut wie heute. Weitere Verbesserungen sind wichtig, aber die ständige Panikmache von Diesel-Gegnern, die über den vorzeitigen Tod von hunderttausenden von Menschen durch Emissionen berichten, führt nicht weiter. Panikmache hat noch nie geholfen. Die Fortentwicklung der Verkehrssysteme ist elementar, und wir müssen entschlossen den Weg in eine emissionsfreiere Zukunft gehen. Jahr für Jahr gehen die Luftschadstoffe auch an der Messstelle Neckartor in Stuttgart zurück, dennoch bezeichnen manche Aktivisten Stuttgart als „schmutzigste Stadt Deutschlands”. (Bild: Ulsamer)

Siechtum bei höherer Lebenserwartung?

“Die erschreckend hohe Anzahl an vorzeitigen Todesfällen durch das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid ist die Folge der kriminellen Praxis der Autohersteller“, so der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch. Hiobsbotschaften sind sein Geschäftsmodell, wenn man von den Abmahnungen für Gewerbetreibende absieht, die Geld in die Kassen seiner Organisation sprudeln lassen. Natürlich möchte auch ich in möglichst reiner Luft leben, aber das andauernde Gerede von dahinsiechenden Emissions-Opfern geht mir auch auf den Keks. Die Lebenserwartung in Deutschland ist beständig gestiegen und die Luft war sicherlich seit der Industrialisierung nie so sauber wie heute. Gerade auch in Stuttgart, von vielen als „schmutzigste Stadt Deutschlands“ gescholten und von Jürgen Resch vor den Kadi gezerrt, werden die Bürgerinnen und Bürger älter als in vielen ländlichen Regionen.

Die Diskussion um Fahrzeuge mit Diesel-, aber auch mit Benzinmotoren hat schon apokalyptische Formen angenommen, und während das letzte Milligramm Feinstaub gejagt und der Begriff Stickstoffdioxid zum Menetekel an der Wand hochstilisiert wird, wird im ländlichen Raum durch Überdüngung das Grundwasser verseucht, die natürlichen Lebensräume fallen der industriellen Landwirtschaft zum Opfer oder Bienen und Schmetterlinge verlieren im Nebel von Insektiziden und Herbiziden wie Glyphosat ihre Lebensgrundlage. Die Aufregung ist weit geringer, doch die langfristigen Folgen für uns alle sind bedeutend schwerwiegender, denn hier zeichnet sich noch keine echte Verbesserung ab, die aber bei der Luft in den Städten durchaus erkennbar ist. Haben vielleicht manche Diesel-Gegner und die ihnen treu nachfolgenden Politiker das Augenmaß verloren?

Selbstredend ist dies kein Versuch, betrügerische Aktivitäten bei der Emissionsmessung zu kaschieren, ganz im Gegenteil: Wer betrügt, der muss auch für den Schaden aufkommen! Aber selbst an der wohl bekanntesten bundesdeutschen Messstelle am Neckartor in Stuttgart gehen die Grenzwertüberschreitungen zurück, und heute liegen viele Grenzwerte in einem Bereich, den man vor 20 Jahren noch kaum hätte messen können. Wer diese Messstelle kennt, der weiß auch, warum die Werte so hoch sind: Sie liegt an einer vielbefahrenen Straße – und dies ist richtig so -, aber warum sie in eine Ecke ohne Luftaustausch gequetscht wurde, das würde mich schon interessieren.

Geht man nur ein kleines Stück weiter, so sieht man auch, warum gerade hier die Feinstaubwerte so hoch sind: Von „Kehrwoche“ auf den Straßen der Landeshauptstadt keine Spur, obwohl gerade in Zeiten vieler Bauaktivitäten ein vermehrtes Säubern der Fahrspuren und der Gehsteige, zusammen mit anderen luftverbessernden Maßnahmen (Mooswand, …), einen Fortschritt bringen würde. Hier wurde und wird am falschen Platz gespart.

Unixex-Toiletten sind in der Universität Dublin auf dem Vormarsch. Auf dem Hinweisschild sind drei stilisierte Personen zu sehen.
An der Universität in Dublin wurden bereits Toiletten für Behinderte zu Unisex-Toiletten umgewidmet. Dies ist auch relativ einfach, denn es handelt sich um Einzelkabinen. Aber wie geht es bei größeren Toilettenanlagen weiter? Nicht jede Frau, so bekam ich in Irland zu hören, möchte nach einem Rugbyspiel, wenn die ‚Herren der Schöpfung‘ ordentlich getankt haben, auf die gleiche Toilette eilen. Oder wie steht es beim Oktoberfest in München oder dem Volksfest in Stuttgart? (Bild: Screenshot, „Irish Times”, 2.6.17)

Handeln statt agitieren

Die Diesel-Frage ist inzwischen auch zu einem Hebel geworden, ganz andere politische Entscheidungen zu beeinflussen: Die Kommunen fordern und bekommen Finanzmittel von Staat und Automobilwirtschaft, um die Verkehrssysteme zu verbessern oder emissionsärmere bzw. -freie Busse anzuschaffen. Wäre dies nicht schon lange die ureigenste Aufgabe der Kommunen, von Bund und Ländern gewesen? Warum wurde nicht viel früher vom Bund eine Initiative gestartet, um eine Wasserstoffinfrastruktur für Busse und Pkw aufzubauen? Zu lange wurde abgewartet, und dies führt zum guten bzw. schlechten Schluss dazu, dass viele Fahrzeugbesitzer bei möglichen Fahrverboten nicht mehr in die betroffenen Städte einfahren können. Außerdem verlieren ihre Fahrzeuge an Wert.

Spricht man mit Menschen in anderen Ländern, dann betrachten nicht wenige die aufgeregte Diskussion um Dieselfahrzeuge in Deutschland mit gemischten Gefühlen. Selbst in Staaten, die wortreich das Ende der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren für 2040 eingeläutet haben, wie z.B. Frankreich oder das Vereinigte Königreich, verläuft die Diskussion sachorientierter. Die deutschen Kritiker von Verbrennungsmotoren übernehmen dann zwar gerne die dort scheinbar fixierten Auslaufdaten ohne jedoch zu hinterfragen, wie diese denn eingehalten werden sollen. Bei 70 % Strom aus Kernenergie wie in Frankreich oder dem britischen Wunsch, neue Kernkraftwerke durch chinesische Unternehmen bauen zu lassen, bekommt zumindest für mich die Hinwendung zu Elektrofahrzeugen einen schalen Beigeschmack. Was nutzt die deutsche Energiewende, wenn unsere Nachbarn weiterhin auf Atomkraft setzen? Die deutsche Politik sollte an konkreten Verbesserungen auch und gerade im Umweltbereich arbeiten, anstatt sich wie die Grüne Jugend in Baden-Württemberg mit Forderungen nach einer Reduktion der Fahrzeuge um 85 % aufzuplustern. Nicht überall reicht das Fahrrad aus, und im ländlichen Raum wird der ÖPNV in überschaubaren Zeiten nicht alle notwendigen Fahrten übernehmen können.

Das dritte Geschlecht

Als Soziologe betrachte auch ich manche Themenfelder mit einem etwas anderen Blick als Naturwissenschaftler, denn die Gesellschaft als prägendes Moment sollte nicht unterschätzt werden. Aber wie immer im Leben gibt es auch Übertreibungen aller Art und dazu zähle ich die Forderung nach geschlechtsneutralen Toiletten oder zumindest einem separaten stillen Örtchen für das dritte Geschlecht. Ich bin mir durchaus bewusst, dass sich manche unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger – schon falsch! – mit einer Einteilung in zwei Geschlechter schwertun, und ich lehne jede Diskriminierung ab. Folgen wir aber den aktuellen Diskussionen, dann stellen wir fest, dass es längst nicht mehr nur um ein drittes Geschlecht geht, sondern dass die zunehmende Beliebigkeit auch zu Dutzenden von ‚Geschlechtern‘ führen könnte. Manche Sozialwissenschaftler und Politiker beziehen sich auf die Selbsteinschätzung jeder einzelnen Person, und diese soll dann auch noch jeweils neu definiert werden können. Bei der Mehrheit unserer Mitmenschen wird dies allerdings zu Konflikten führen – mal abgesehen von zahlreichen Migranten aus islamischen Staaten. Wenn wir dann Umkleideräume neu definieren: Wer ist dann in welchem Raum? Gibt es auch für den (Schul-)Sport Einzelkabinen für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer? Dann wird die Frage mit oder ohne Kopftuch oder die Art der Badebekleidung ganz gewiss zu einer Nebensächlichkeit. Wer tritt bei Wettkämpfen unter welcher Geschlechtsdefinition an?

Zwei Toilettentüren für Damen und Herren in einem baden-württembergischen Rathaus.
Brauchen wir bald ein weiteres stilles Örtchen für das dritte Geschlecht? Aber was folgt dann? In der wissenschaftlichen und politischen Diskussion finden wir Hinweise auf 50 bis 60 ‚Geschlechter‘, doch dann wird es schwierig, für jeden seine Speziallösung zu finden. (Bild: Ulsamer)

Mag das dritte Türchen zur Toilette auch eher ironisch gemeint sein, denn diese würde für manche Menschen wieder eine Diskriminierung darstellen, so findet auch die Alternative, das Unisex-WC, nicht überall Befürworter/innen. Nicht jede Frau, so bekam ich in Irland zu hören, möchte nach einem Rugbyspiel, wenn die ‚Herren der Schöpfung‘ ordentlich getankt haben, auf die gleiche Toilette eilen. Oder wie steht es beim Oktoberfest in München oder dem Volksfest in Stuttgart? Ist nicht manchmal auch die Toilette in einer großen Gaststätte, einer Diskothek oder einem Club  ein ‚Rückzugsort‘, an dem man nicht jedem Zeitgenossen begegnen möchte?

Die Diskussion um weibliche und männliche Personenbezeichnungen ist nicht neu, dies beweist ein Beispiel aus der Universität Leipzig, die 2013 ihre Grundordnung textlich neu fasste: “In dieser Ordnung gelten grammatisch feminine Personenbezeichnungen gleichermaßen für Personen männlichen und weiblichen Geschlechts. Männer können die Amts- und Funktionsbezeichnungen dieser Ordnung in grammatisch maskuliner Form führen.” Bei längeren Texten wie dieser universitären Grundordnung wäre vielleicht auch Platz für die feminine und maskuline Bezeichnung gewesen, aber besonders interessant war die bis heute im Internet und den gedruckten Medien anhaltende Diskussion darüber. So kann man immer wieder lesen, Professoren müssten sich jetzt als Professorin titulieren lassen, doch zur Beruhigung der Gemüter sei angemerkt, dass schon ein erster Blick auf die Internetseite der Hochschule zeigt, es gibt dort doch noch Professorinnen und Professoren. Nicht gelöst ist damit jedoch die Forderung nach einer weiteren Neutralisierung, um alle ‚Geschlechter‘ umfassen zu können.

Genderisierte Nationalhymne: „Couragiert“ statt „brüderlich“?

Die neue SPD-Umweltministerin im Bund, Svenja Schulze, hatte sich schon 2015 an ihrer alten Wirkungsstätte in Nordrhein-Westfalen für die Umbenennung von Studentenwerken in „Studierendenwerke“ eingesetzt, obwohl dieses Bundesland finanziell klamm ist und längst von den Einzahlern zu einem Empfängerland im Länderfinanzausgleich geworden war. Aber als Wissenschaftsministerin interessieren doch einige Zehntausend EURO pro Studentenwerk, pardon „Studierendenwerk“, wenig. Insbesondere nicht, wenn man an anderer Stelle auch noch Brennelementekugeln vermisst. Doch auch hier zeigte es sich, dass nicht die Atomkügelchen fehlten, sondern die Ministerin sich im selbst entfachten Informationschaos verheddert hatte. Mal sehen, was Svenja Schulze nun in Berlin im Umweltministerium so anzettelt. Hoffentlich verliert sie die drängenden Probleme nicht aus dem Blick: Die Wildbiene und der Schmetterling brauchen dringend Hilfe von der Politik, ansonsten werden sie zunehmend schneller verschwinden, und dabei spielt dann das Pronomen wirklich keine Rolle.

Twitter-Meldung von Justin Trudeau, der sich über die genederneutrale Nationalhyne freut.
Sollen Nationalhymnen mal schnell an die aktuelle Diskussion um die Geschlechterneutralität angepasst werden? Die Kanadier haben sich zur Freude ihres Premierministers Justin Trudeau dazu entschlossen, während unsere österreichischen Nachbarn eine eher halbherzige Textreform durchzogen. In Deutschland widersteht die politische Mehrheit noch Vorschlägen „brüderlich” in „couragiert” umzuschreiben. (Bild: Screenshot, „Twitter”, 12.1.18)

Reichlich Staub wirbelte der Wunsch von Kristin Rose-Möhring auf, ihres Zeichens Gleichstellungsbeauftragte des Bundesfamilienministeriums, die die deutsche Nationalhymne in den Blick nahm und forderte, aus „Vaterland“ das aus ihrer Sicht neutralere „Heimatland“ zu machen. Von vielen Politikerinnen und Politikern wurde die Erweiterung des Innenministeriums um ein Heimatministerium belächelt, doch ausgerechnet in der Nationalhymne sollte nun „Heimatland“ gesungen werden. Persönlich könnte ich sogar mit „Heimatland“ leben, doch vielleicht sollten wir in unserem Land zuerst mal eine Diskussion über den Begriff ‚Heimat‘ führen. Dieses Wort mag nicht so ‚maskulin‘ klingen, aber eine breite Palette an neuen Diskussionen würde sich auch aus „Heimatland“ ergeben. Für eher abwegig halte ich es, „brüderlich mit Herz und Hand“, in „couragiert mit Herz und Hand“ umzuschreiben. Aus „brüderlich“ habe ich noch nie eine Diskriminierung der Frauen herausgelesen, und wenn es z.B. um brüderlich teilen geht, dann würde doch hoffentlich niemand herauslesen, dass dann die weiblichen Anwesenden leer ausgehen müssten, ganz abgesehen von der semantischen Bedeutung: couragiert ist nicht gleich brüderlich!

Geschlechtslose Nationalhymnen

Kristin Rose-Möhring und andere Befürworter einer geschlechtsneutralen Nationalhymne weisen auch gerne darauf hin, dass die österreichische Bundeshymne mit Wirkung vom 1. Januar 2012 eine „geschlechtergerechte Änderung“ erfahren hat. Aus „Heimat bist du großer Söhne“ wurde „Heimat großer Töchter und Söhne“ – warum auch nicht? -, und aus „Brüderchören“ wurden „Jubelchöre“ – platter geht’s ja kaum -, aber „Vaterland“ steht noch immer drin! Da frage ich mich schon, ob wir Österreich bei solch halbseidigen Kompromissen nacheifern müssen?

Ein Wolf in einem niedrigen Gebüsch.
Dürfen Beutegreifer bei uns nur hinter Zäunen und Gittern leben? Dann sollten wir aber auch aufhören, den Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika Vorhaltungen zu machen, wenn sie seltene Wildtiere abschießen oder deren Lebensräume zerstören. (Bild. Ulsamer)

Auch die Kanadier haben ihre Nationalhymne 2018 geändert, die englische Fassung folgte dabei der bereits genderisierten französischen Version: „True patriot’s love in all thy sons command“ in „True patriot’s love in all of us command“. Letztendlich geht es um das Wecken der Vaterlandsliebe, aber hat im traditionellen Text ‚sons‘ irgendjemand nur auf die Männer bezogen?

Was werden die Kanadier und Österreicher in Zukunft in ihre Nationalhymnen hineinschreiben, wenn sie das dritte, vierte oder fünfte Geschlecht auch aufnehmen wollen? Wer Nationalhymnen, Theaterwerke oder Bücher immer auf den neuesten Stand der Diskussion bringen möchte, der wird zunehmend den Überblick verlieren und historischen Werken auch ihre ursprüngliche Form rauben. Dies erinnert mich an eine Aufführung von „Die Räuber“ im Kleinen Haus in Stuttgart, denn dort war auch von Friedrich Schillers literarischem Werk im Textbuch der Theatermacher nicht mehr viel übriggeblieben: Nur einzelne Originalpassagen waren erhalten geblieben, der Text aus der Zeit gerissen, in der Schiller zur Feder griff: So fanden auch die RAF-Terroristen in Stammheim ihren Weg in Schillers Räuber. Wer gerne in anderen Werken herumpinselt, der sollte doch besser einen eigenen Text niederschreiben und sich nicht publikumswirksam in der leeren Hülle eines Klassikers einnisten.

Zwischen Formularwut und freier Geschlechterwahl

Während die einen schon die freie Wahl des Geschlechts nach der stündlichen Befindlichkeit fordern, da ansonsten eine Diskriminierung vorliege, bekam eine 80jährige Klägerin beim Bundesgerichtshof am 13. März eine Abfuhr, die von ihrer Sparkasse forderte, Formulare nicht nur mit männlichen Formen wie Sparer und Vertragspartner einzusetzen, sondern eben auch an Sparerinnen und Vertragspartnerinnen zu denken. In einer Zeit, in der Texte in fast beliebiger Länge gut abgespeichert und ausgedruckt werden können, sollten Unternehmen eigentlich in der Lage sein, die männliche und die weibliche Form von zentralen Begriffen nutzen zu können. Auch der Hinweis, Formulare würden noch unübersichtlicher, zieht in unseren Tagen nach meiner Meinung nicht mehr, denn diese werden – dank unzähliger gesetzlicher Vorschriften – ohnehin immer umfänglicher. Generell frage ich mich dennoch, mit welchen Nebensächlichkeiten sich unsere Gerichte in mehreren Instanzen befassen müssen – und die Klägerin will nun auch noch das Verfassungsgericht anrufen.

Angaben in Formularen dürfen die männliche Form behalten, so der Bundesgerichtshof.
Ein Formular einer beliebigen Sparkasse spricht nur den „Kunden” an und nicht die „Kundin”, und dann klagt sich in Deutschland eine 80jährige Dame bis zum Bundesgerichtshof durch und verliert: Es genüge auch die maskuline Form, so die Richter. Aufgeben gibt’s nicht, also weiter zum Verfassungsgericht, so die medienbewusste Klägerin. Auch da zeigt es sich: Wir haben Zeit und Muße für solche Themen. Das ist erfreulich, wenn uns sonst nichts bedrückt! Ich frage mich allerdings auch, ob Sparkassen und andere Unternehmen nicht gut beraten wären, im Sinne der Kunden/innen-Freundlichkeit in Formularen oder bei Formblättern ihre Kundinnen und Kunden anzusprechen? (Bild: Screenshot, „Tagesschau”, 13.3.18)

Folgen wir der aktuellen Diskussion, dann wird mehr als deutlich, dass ein drittes stilles Örtchen die Probleme für manche Gruppen nicht lösen wird. Je nach Definition können auch schnell 50 oder 60 ‚Geschlechter‘ zusammenkommen. Die Grünen betonten in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl: „Wir wollen das Transsexuellengesetz durch ein Gesetz zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität mit einfachen Verfahren zur Änderung des Vornamens und Berichtigung des Geschlechtseintrags ersetzen.“ Doch auch eine solche Änderung würde keine Zukunftslösung sein, denn schon die Abkürzung ‚LSBTTIQ‘ umfasst lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender, intersexuelle und queere Menschen. Eigentlich sollte es dieses Hinweises nicht bedürfen: Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Einstellungen dürfen nicht diskriminiert werden! Die Ehe für alle zeigt, dass die Mehrheit in der deutschen Gesellschaft hier einer Minderheit unter Aufgabe des traditionellen Ehe- und Familienbegriffs weit entgegengekommen ist. Aber eine Ausdifferenzierung in 50 oder 60 Geschlechter – vielleicht auch noch nach psychischer Tagesform – wird in einer Gesellschaft nicht umsetzbar sein, ohne den Zusammenhalt zu verlieren. Damit wird auch deutlich, dass ein drittes stilles Örtchen keinen Ausweg darstellt.

Der Wolf und die Hysterie

Wie passen denn das Alarmgeschrei um den Diesel und der Wunsch nach freier Geschlechterwahl mit der Hysterie um die Rückkehr der Wölfe zusammen? Für mich zeigen alle drei Themenbereiche, dass es uns in Deutschland eigentlich recht gut geht. Denn ansonsten würde in unserem Vater- und Mutterland oder Heimatland um ganz andere Themen gestritten. Wer es sich leisten kann, solche Fragen derart in den Mittelpunkt zu rücken, dem geht es besser als vielen hundert Millionen, ja Milliarden von Mitmenschen.

Ganz besonders lässt sich dies an den Wölfen erkennen. Über Jahrzehnte wurde freundlich über den Wolf berichtet, denn er war in Deutschland nur in Gehegen zu besichtigen. Solange Natur eingezäunt ist, und dies gilt besonders für Vierbeiner wie den Wolf, aber auch für Luchs, Bär, Wisent, Wildkatze, Biber oder Otter, scheint die Zustimmung groß zu sein. Kaum erschienen die ersten Wölfe in freier Wildbahn, da runzelten die ersten Jäger, Bauern und Schäfer die Stirn. Jetzt leben rd. 160 erwachsene Wölfe in Deutschland und man bekommt den Eindruck, wir wären schon von Wölfen umzingelt. Da entzünden Schäfer „Mahnfeuer“ und versammeln sich – gestützt auf ihre Schäferstäbe – zu „Mahnwachen“. Ich hoffe nur, wenn die Gefahr doch so groß ist, dass inzwischen jemand anderes die Tiere bewacht.

855 Schafe wurden 2016 in Deutschland von Wölfen gerissen, aber über 1 Million Schafe wurden zum menschlichen Verzehr geschlachtet.
Wölfe sind weder Kuscheltiere noch blutrünstige Bestien, die Jagd auf uns Menschen machen. Jedes Schaf, das gerissen wird, tut mir leid. Aber die Zahl der in Deutschland gerissenen Schafe ist relativ gering, und im Regelfall werden auch Entschädigungen bezahlt. Die Hetze gegen die Wölfe, an der sich auch die CDU-Ministerinnen Julia Klöckner und Anja Karliczek beteiligen, ist haarsträubend. Teile von Politik und Medien blasen gemeinsam mit dem Deutschen Bauernverband zur Treibjagd auf die Wölfe. Aber es gibt auch sachorientierte Darstellungen wie im WDR: „Abenteuer Erde / Familie Wolf – Gefährliche Nachbarn?” und „Quarks / Wölfe in NRW – Müssen wir uns fürchten?”. Etwas ärgerlich war es allerdings, dass statt von Beutegreifern wieder von „Raubtieren” gesprochen wurde. Die wirklichen Räuber in unseren Tagen sind Mario Draghi und seine willfährigen Mitstreiter, die den Sparerinnen und Sparern ihre Zinsen rauben! (Bild: Screenshot, „Facebook”, 12.3.18)

Der Wolf im Koalitionsvertrag

Selbst in den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD hat es die Forderung nach einer Dezimierung der Wölfe geschafft. Kaum sind sie da, da sind sie auch schon wieder auf der Abschussliste. Die Jagd auf Wölfe hat es nicht nur Anja Karliczek, der neuen CDU-Bundesministerin für Bildung und Forschung, angetan, sondern Julia Klöckner, stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, legt sich hier noch stärker ins Zeug. Möchte sie sich damit als Landwirtschaftsministerin schon mal mit dem Deutschen Bauernverband verbünden? Ich hatte gehofft, dass die Nachfolgerin von CSU-Minister Christian Schmidt im Landwirtschaftsressort mal neue Töne gegenüber den Lobbyisten der Agrarbranche anschlägt und diese auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Aber dies wird wohl wieder nichts, denn es zeichnet sich eine Verbrüderung – oder Verschwisterung ab. Wie schnell man doch von der Weinkönigin zur Wolfsjägerin werden kann, das zeigt sich an Julia Klöckner, dem Rotkäppchen aus Rheinland-Pfalz.

Julia Klöckner agitiert gegen Wölfe - "Die Irrwege der deutschen Politik: Diesel, Gender und Wölfe", in: www.deutschland-geliebte-bananenrepublik.de
“Lebensministerium”, so die CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, klingt gut als Bezeichnung für das Landwirtschaftsministerium, aber was soll dann die ständige Forderung nach der Dezimierung der wenigen Wölfe? Und selbst die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, reiht sich bei den Wolfsgegnern ein: Vielleicht hätte sie zur Vorbereitung auf ihr neues Amt im Sinne von Bildung nach „Rotkäppchen” noch ein weiteres Buch über den Wolf lesen sollen! Und die Forschungsergebnisse zu den Wölfen haben die Forschungsministerin leider auch nicht erreicht. Wir brauchen nicht weniger Wölfe, sondern eine Weidetierprämie für Schäfer und Landwirte – wie sie in 22 anderen EU-Staaten bezahlt wird. (Bild: Screenshot, „Rheinische Post”, 6.2.18)

Der Schutz von Insekten wird im Koalitionsvertrag zwar auch erwähnt, aber weniger dezidiert als die Dezimierung der Wölfe. Und bei Insekten wird auch noch zwischen Bienen, die die Koalitionäre mehr ins Herz geschlossen haben, und Schmetterlingen unterschieden. So wird das nicht viel werden mit dem Naturschutz! Aber wer hinter den Wölfen her hetzt, der hat natürlich keine Augen für Schmetterlinge, Wildbienen, Marienkäfer oder Ameisen.

Wird irgendwo in deutschen Landen ein Schaf gerissen, dann wollen Bauern schon mal zur Flinte greifen und den Wolf selbst erlegen. Schäfer drohen ihren Schäferstab in die Ecke zu stellen – und wieder ist der Wolf schuld. Zwar gehören Schafe zu meinen Lieblingstieren, doch manche ihrer Besitzerinnen und Besitzer halte ich zwischenzeitlich für eine Zumutung. Ihre wirtschaftliche Grundlage gefährdet doch nicht der Wolf, denn bei Rissen durch diese Vierbeiner, gibt es eine Entschädigung, sondern die miesen Preise für einheimisches Schaffleisch (wohlgemerkt: nicht an der Ladentheke!!!) und Wolle gefährden die Existenz vieler Schäfer. Warum gibt es in Deutschland zu deren Unterstützung keine Weidetierprämie, obwohl diese in 22 anderen EU-Staaten bezahlt wird? Hier sollte die Politik ansetzen und nachhaltig den Schutz der Herden durch höhere Elektrozäune, den Kauf, die Ausbildung und die Haltung von Herdenschutzhunden fördern und bei Naturschutzaufgaben, die z.B. mit Schafen oder Ziegen geleistet werden, die Entgelte erhöhen.

Schmetterling auf einer Blüte.
Da streiten die Menschen über Dieselfahrzeuge, die dritte Tür zum stillen Örtchen und die Wölfe – und wer denkt an uns? Wir (Wild-) Bienen, Schmetterlinge, Marienkäfer und Ameisen haben leider kaum eine Lobby! (Bild: Ulsamer)

Politischen Panikmachern das Handwerk legen

 Immer häufiger frage ich mich, ob wir mehr auf vierbeinige oder zweibeinige Wölfe achten müssen? Da tendiere ich eher zu den Wölfen auf zwei Beinen! Wir lassen uns viel zu häufig von selbsternannten ‚Umweltschützern‘ mit Schlagworten wie Feinstaub und Stickoxiden in Panik versetzen – und spüren schon beinahe selbst wie sich die Emissionen in unseren Lungen breitmachen. Aber seit Jahren wird die Luft besser, sinken die Emissionen auch an Verkehrsbrennpunkten. Doch was sollen die Zweibeiner tun, die von der Angst vieler Menschen leben, wenn die Besserung voranschreitet? Da wären sie ja ihren Job und öffentlichen Einfluss los! So macht es aus deren Sicht natürlich Sinn, die Angst in ungeahnte Dimensionen zu treiben: Weniger Überschreitungen von Grenzwerten sind in meinen Augen selbstredend gute Zeichen, doch wer von Panikmache lebt, der sieht dies anders. Die Emissionen von (Diesel-)Fahrzeugen müssen weiter gesenkt werden, aber wir sollten auch die deutlichen Verbesserungen nicht kleinreden.

Genau so sehe ich dies auch bei den Wölfen: Punkti und Kurti, die vermutlich auf dem Truppenübungsplatz Munster angefüttert wurden, näherten sich Menschen an und fielen denen auch zum Opfer: Punkti wurde überfahren, Kurti traf eine Kugel, da er als ‚Problemwolf‘ entnommen, sprich erschossen wurde. Ganz aus dem Blick geraten ist die Tatsache, dass unsere Urahnen Wölfe zu ihren vierbeinigen Begleitern machten: Diese dürften auch die Nähe des Menschen gesucht haben, doch sie wurden nicht als ‚Problemwolf‘ eingestuft, sondern zum Freund und Helfer unserer Vorfahren. Es mag Wölfe geben, die wirklich als gefährlich einzustufen sind und dann auch dem Jäger zum Opfer fallen müssen, doch die bisherige Linie, mehr und mehr Wölfe zum Problemtier umzudefinieren, darf sich nicht durchsetzen! Hysterie ist völlig unangebracht: Natur darf nicht nur hinter Eisengittern und Zäunen stattfinden. Schafe gehören – wie gesagt – zu meinen Lieblingstieren, aber auch der Wolf hat ein Lebensrecht und eine wichtige Aufgabe in unserer Natur. Herdenschutzhunde können dafür Sorge tragen, dass auch weiterhin die Beute der Wölfe nur zu einem Prozent aus Nutztieren besteht.

Drei Schafe mit dem Autor des Beitrags.
Schafe brauchen Schutz und kein Alarmgeschrei der Schäfer: In Regionen mit Wölfen sind höhere Elektrozäune unerlässlich, aber auch Herdenschutzhunde tragen zur Sicherheit bei. Finanzielle Förderung solcher präventiven Maßnahmen und die Zahlung einer Weidetierprämie sind zielführender als die Hetze gegen Wölfe. (Bild: Ulsamer)

Diesel-Alarmismus, Wolf-Hysterie und Genderismus – inklusive Streit um die dritte Tür zum stillen Örtchen oder das Unisex-WC – gehören in die politische Diskussion, aber ihrem Stellenwert entsprechend. Haben wir denn in unserem Land noch die richtigen Prioritäten?  Immer mehr Menschen stehen bei den ‚Tafeln‘ an – und Minister Jens Spahn meint kaltschnäuzig, auch ohne deren Hilfe würde keiner verhungern. Kinder kommen ohne Frühstück zur Schule, die Insekten verschwinden mit rasantem Tempo, das Trinkwasser wird durch die Gülleflut der industrialisierten Landwirtschaft verunreinigt, die EU dümpelt vor sich hin, manche Nachbarstaaten stöhnen noch immer unter hoher Arbeitslosigkeit, US-Präsident Donald Trump erhebt Zölle, der russische Präsident Wladimir Putin lässt die Muskeln spielen und Recep Tayyip Erdogan marschiert in das Nachbarland Syrien ein, Millionen Flüchtlinge warten auf den Sprung nach Europa – und bei uns werden Diesel, Wolf und Gender zu politischen Aufregern. Es ist an der Zeit, dass wir in Deutschland wieder die Realität in den Mittelpunkt rücken und politischen Panikmachern nicht erlauben, ihre Lieblingsspielplätze in den Mittelpunkt zu rücken.

 

Eine Antwort auf „Die Irrwege der deutschen Politik: Diesel, Gender und Wölfe“

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